Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 906/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 215/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2018 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerinnen haben dem Antragssteller die diesem im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I. Beantragt ist die Herstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Beitragsbescheide.
Der Antragsteller ist Mitinhaber einer ReiseagenturEr ist als hauptberuflich Selbständiger bei der Antragsgegnerin zu 1) freiwillig krankenversichert. Die Antragsgegnerinnen hatten mit Bescheid vorn 3. Juni 2015 die von dem Antragsteller zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Kalenderjahr 2011 festgesetzt und dabei beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 2.188,75 EUR monatlich für die Zeit ab dem 1. Juli 2015 zu Grunde gelegt. In der Folgezeit wurde der Antragsteller wiederholt und vergeblich um Einreichung aktueller Einkommenssteuerbescheide und Erklärungen zu seiner Einkommenssituation aufgefordert, zuletzt mit Schreiben vom 9. November 2016. Dabei wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass das Finanzamt mitgeteilt habe, die Steuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 bereits erteilt zu haben.
Mit Bescheiden vom 6. Dezember 2016 setzten die Antragsgegnerinnen die Beiträge ab dem 1. Dezember 2015 neu fest auf Grundlage eines Einkommens in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (4.125,- EUR pro Monat) sowie ab 1. Januar 2016 (Beitragsbemessungsgrenze 4.237,50 EUR monatlich).
Hiergegen erhob der Antragsteller mit am 19. Dezember 2016 eingegangenem Schreiben Widerspruch. Gleichzeitig reichte er die Einkommenssteuerbescheide für 2012 - ausgestellt am 10. November 2015, Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 28.028,- EUR- und für 2013 ein, ausgestellt am 11. Dezember 2015, Einkünfte aus Gewerbebetreib in Höhe von 26.415,- EUR. Mit Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 22. Dezember 2016 erfolgte eine Anpassung der Beitragshöhe für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 (Beitragsbemessungsgrenze nunmehr 4.350,- EUR pro Monat). Zudem forderten die Antragsgegnerinnen mit Bescheid vom 22. März 2017 die aufgelaufenen Beiträge für die Zeit ab Dezember 2015 nach. Es bestehe derzeit eine Forderung in Höhe von 6.956, 44 EUR.
Am 29. März 2017 reichte der Antragsteller den Einkommenssteuerbescheid für 2014 nach. Dieser ist am 1. Juni 2016 ausgestellt worden (Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 32.751,- EUR).
Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 setzten die Antragsgegnerinnen die Beiträge für die Zeit ab dem 1. Juni 2017 auf Grundlage monatlicher Einnahmen in Höhe von 2.729,25 EUR neu fest entsprechend dem Einkommenssteuerbescheid für 2014.
Sie wiesen mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2017 den Widerspruch des Antragsstellers zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 10. Juli 2017 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG, Az. S 28 KR 1354/17) und begehrt die Aufhebung der Bescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. März 2017.
Am 31. Mai 2018 hat der Antragsteller beim SG einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht: Es müssten die tatsächlichen Einnahmen entsprechend den eingereichten Einkommenssteuerbescheiden zu Grunde gelegt werden.
Die Antragsgegnerinnen haben vorgebracht, die Festsetzung der Beiträge für die Zeit bis zum 31. Mai 2017 sei rechtmäßig auf Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und sein Einkommen nicht nachgewiesen habe.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2018 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. Dezember 2016, 22. Dezember 2016 und 22. März 2017 angeordnet, soweit darin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung festgesetzt und angefordert werden, die für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis 30. Juni 2016 aus beitragspflichtigen Einnahmen in Form von Arbeitseinkommen von mehr als 2.335,67 EUR berechnet wurden und im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 31. Mai 2017 von mehr als 2.729,25 EUR. Es hat den Antrag im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei als solcher auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG) nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gegen die Beitragsbescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie den Beitragsanforderungsbescheid vom 22. März 2017 statthaft. Die aufschiebende Wirkung sei anzuordnen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestünden. Dies sei hier der Fall, soweit die Antragsgegnerinnen in den Bescheiden vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie in dem Beitragsanforderungsbescheid vom 22. März 2017 die Beiträge auf Grunde der Beitragsbemessungsgrenze nach § 240 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) festgesetzt haben. Denn der Antragssteller habe durch Vorlage der Einkommenssteuerbescheide im Widerspruchverfahren das tatsächliche niedrigere Einkommen ordnungsgemäß nachgewiesen. Da der Einkommenssteuerbescheid für 2012 vom 10. November 2015 zu einer ungünstigeren Beitragsbemessung als nach dem Einkommenssteuerbescheid für 2011 führe, sei dieser gemäß § 7 Abs. 7 S. 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGSz; in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) ab dem 1. Dezember 2015 zu Grunde zu legen. Der Einkommenssteuerbescheid für 2013 vom 11. Dezember 2015 wäre, da er gegenüber einer Beitragsbemessung anhand des Einkommenssteuerbescheides 2012 zu einem günstigeren Ergebnis führe, gemäß § 7 Abs. 7 S. 4 BeitrVerfGSz erst nach Vorlage, also ab dem 1. Januar 2017 zu Grunde zu legen. Jedoch komme dies nicht zum Tragen, da der Einkommenssteuerbescheid 2014 vom 6. Juni 2016 eine im Vergleich zu der Bemessung nach den Einkommenssteuerbescheiden für 2012 und 2013 ungünstigeren Beitragsberechnung zur Folge habe und gemäß § 7 Abs. 7 S. 3 BeitrVerfGSz a. F. ab dem Folgemonat der Ausfertigung, also ab dem 1. Juli 2016 maßgeblich sei. Die Antragsgegnerinnen könnten sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Antragsteller bis Mai 2017 sein tatsächliches Einkommen nicht durch den erforderlichen Einkommenssteuerbescheid 2014 nachgewiesen habe und deshalb nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F., § 6 Abs. 5 BeitrVerfGSz a. F ein Betrag in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze anzusetzen sei. Zum einen habe der Antragsteller bereits am 30. März 2017 den Einkommenssteuerbescheid 2014 eingereicht. Dass dieser nicht lesbar gewesen sei, habe er nicht zu vertreten. Zum anderen gelte für die Voraussetzung des § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F, § 6 Abs. 5 BeitrVerfGSz a. F. "Nachweis niedrigerer Einnahmen" die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also der des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Dies entspreche den allgemeinen Grundsätzen, gelte auch bei der Beitragserhebung und werde nicht durch die hier maßgeblichen Regelungen zur Beitragserhebung durchbrochen. Wenn die Einkommensnachweise während des laufenden Widerspruchsverfahrens eingereicht würden, entspräche es nicht der Intention des Gesetzes, Höchstbeiträge entrichten zu müssen, obgleich diese der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten widersprächen. Dem stehe auch nicht die Vorschrift des § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V a. F. entgegen, nach der Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden könnten. Denn diese Regelung betreffe nur den Fall, dass nach Satz 2 eine Festsetzung der Beiträge auf Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen von Höchstbeiträgen erfolgt sei und nunmehr die Berücksichtigung tatsächlich nachgewiesener Einnahmen begehrt werde. Hier hingegen sei bereits zuvor eine Bemessung nach den tatsächlichen Einnahmen erfolgt. Ein Verständnis dahingehend, dass die Vorschrift auch bei Abänderung eines niedrigeren Beitrags als des Höchstbetrags Anwendung finde, sei nicht sachgerecht, weil dann auch Änderungen zu Ungunsten des Versicherten nur mit Wirkung ab der Vorlage möglich wären. Dann verstieße die Regelungen des § 7 Abs. 7 BeitrVerfGSz a. F., die eine Berücksichtigung bereits ab dem Folgemonat der Erteilung des Einkommenssteuerbescheides vorsehe, wenn die Abänderung zu Ungunsten des Versicherten erfolge, gegen § 240 Abs. 4 S. 6 a. F ... Der Wortlaut lasse insoweit keinen Spielraum zu. Er unterscheide nicht zwischen der Abänderung zu Gunsten und einer zu Ungunsten des Versicherten. Soweit § 6 Abs. 5 5. 2 BeitrVerfGSz a. F. ebenfalls vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abweichen sollten, wäre hierfür eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich (Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. August 2016 - L 9 KR 284/16 B ER – juris - Rdnr. 9). Da der Antragsteller die uneingeschränkte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt habe, sei der Antrag im Übrigen abzulehnen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerinnen vom 6. Juli 2018. Zur deren Begründung führen sie aus, wesentliche Nachteile, die eine einstweilige Anordnung rechtfertigten könnten, lägen nicht vor, zumal die Hauptsache vorweggenommen werde. Der Antragsteller habe über Jahre hin seine Pflicht zur Mitteilung aktueller Einkommensverhältnisse verletzt und nicht einmal reagiert, als ihm vorgehalten worden sei, es seien bereits Steuerbescheide erlassen. Die Auffassung des SG widerspreche der Rechtsprechung des BSG. Nur im Falle einer ersten endgültigen Beitragsfestsetzung nach vorangegangener nur vorläufiger Einstufung könne ein erst im Widerspruchsverfahren eingereichter Einkommenssteuerbescheid noch vorgelegt werden. Im Übrigen hätte der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 1. Juni 2016 bereits ab Juli 2016 Berücksichtigung finden müssen.
Sie beantragen der Sache nach,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2018 abzuändern und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. Dezember 2016 und den Bescheid vom 22. März 2017 insgesamt abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Der zulässigen Beschwerde bleibt Erfolg versagt. Zu Recht hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. und 22. Dezember 2016 und den Bescheid vom 22. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 angeordnet, soweit darin für den Zeitraum Dezember 2015 bis Juni 2016 Beiträge auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze und nicht nur aufgrund Arbeitskommen in Höhe von 2.335,67 EUR festgesetzt und nachgefordert werden und für die anschließende Zeit bis 31. Mai 2017 in Höhe von 2.729,25 EUR.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Klage gegen die genannten Bescheide der Antragsgegnerinnen haben nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil Beiträge gefordert bzw. nachgefordert werden. Die aufschiebende Wirkung des Hauptsachenrechtsbehelfs ist in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 23. Oktober 2017 - L 1 KR 421/17 B ER -, juris-Rdnr. 3 mit Bezugnahme auf Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 - L 5 KR 81/12 B ER - juris Rdnr.14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. In diesen Fällen ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung nicht anzuerkennen. Auf die von den Antragsgegnerinnen angeführten Kriterien einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG (Notwendigkeit einer dringlichen Regelung) kommt es demgegenüber nicht maßgeblich an.
Der Senat ist wie das SG der Auffassung, dass hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie dem Beitragsanforderungsbescheides vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 bestehen. Gemäß § 240 Abs.1 S. 1 SGB V ist die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen geregelt. Dabei gilt für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F. als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag - abgesehen von hier nicht interessierenden Sonderfällen - der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße.
Der Senat teilt die vom SG sorgfältig begründete Auffassung, dass nach den allgemeinen Grundsätzen "der Nachweis niedrigerer Einnahmen" im vorgenannten Sinne nicht nur bis zum Erlass des Beitragsbescheides geführt werden kann, sondern mit rückwirkender Wirkung auch noch im Widerspruchsverfahren. Wie vom SG im Einzelnen dargelegt, waren hier deshalb die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 entsprechend noch zu berücksichtigen. Dabei hat es erläutert, dass der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 1. Juni 2016 ab 1. Juli 2016 zu Grunde zu legen ist. Entsprechend hat es tenoriert. Der Antragssteller muss ab 1. Juli 2016 höherer Beiträge zahlen als zuvor. Die gegenteilige Auffassung der Antragsgegnerinnen teilt der Senat nicht.
Zu Recht geht das SG davon aus, dass aus § 240 SGB V S. 2 und S. 6 a. F. folgt, dass Einkommensnachweise im Widerspruchsverfahren eingereicht werden können. Das von den Antragsgegnerinnen angeführte Urteil des BSG vom 11. März 2009 (B 12 KR 30/07 R) rechtfertigt eine Annahme, dass nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F. Nachweise nur bis zum Erlass des Ausgangsbescheides berücksichtigungsfähig sind, gerade nicht. Zwar lag der Entscheidung die Konstellation zu Grunde, dass zunächst ein vorläufiger Beitragsbescheid ergangen war. Daraus folgt aber (nur), dass die Kassen bei der nachfolgenden endgültiger Bescheidung berechtigterweise die Beiträge rückwirkend auch für die Zeiträume neu festsetzen dürfen, für welche bereits ein bestandskräftiger Bescheid mit vorläufiger Regelung besteht (BSG, a. a. O. Rdnr. 14 mit Bezugnahme auf Urt. vom 22. März 2006, B 12 KR 14/05 R). Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der endgültige Festsetzung gilt hingegen, dass im Rahmen der Anfechtungsklage wie regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 16). Daran ändere auch eine von den Kassen gesetzte Frist zur Vorlage der Einkommenssteuerbescheide (BSG, a. a. O. Rdnr. 17).
Mit weiterem Urteil vom 30. März 2011 hat das BSG die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bekräftigt (- B 12 KR 18/09 R -, juris-Rdnr. 21). Es hat zudem für eine Situation wie hier, in der es für die Vergangenheit bereits einen endgültigen Beitragsbescheid gibt, ausgeführt, § 240 Abs. 4 S. 3 SGB V in der 2004 geltenden Fassung ("Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden" = § 240 Abs. 4 S. 6 SGG V a. F.) schließe auch bei bereits für einen Zeitraum erfolgten (endgültigen) Beitragsfestsetzung nicht aus, für den Folgezeitraum im Widerspruchsverfahren noch Nachweise niedrigen Einkommens rückwirkend einzureichen, soweit (für den Folgezeitraum) noch keine Bestandskraft eingetreten ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 23).
§ 240 Abs. 4 S. 6 SGB V a. F. regelt das mittlerweile vom Gesetzgeber aufgegebene materiell-rechtlich Grundprinzip, dass die tatsächlichen Einnahmen lediglich zeitversetzt berücksichtigt werden, weil die Einkommensteuerbescheide als "Nachweise" immer nur einen vergangenen Zeitraum betreffen, die dann als laufende Einnahmen so lange bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt werden, bis ein neuer Einkommensteuerbescheid vorliegt (vgl. Bernsdorff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 240 SGB V, Rdnr. 35). Dass der (neuere) Einkommenssteuerbescheid bereits nicht mehr im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden kann - zum Beispiel bei Vorlage eines geänderten Einkommenssteuerbescheides - kann der Norm nicht entnommen werden. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch dem von den Antragsgegnerinnen angeführte Satz aus den Gesetzesmaterialien, Beitragskorrekturen für die Vergangenheit könnten ( ...) nicht vorgenommen werden, weil die Krankenkassen die Einnahmen sonst nicht verlässlich vorausschätzen könnten (BT-Drucksache 12/3937 S. 17), nicht der Willen des historischen Gesetzgebers zur Schaffung einer Ausnahmevorschrift entnehmen lässt. Da erst der Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids die Beiträge festsetzt, handelt es sich bei Nachreichung im Widerspruchsverfahren nicht um eine Beitragskorrektur für die Vergangenheit.
Aus Sicht des Senats überzeugend hat das SG ferner argumentiert, § 240 Abs. 4 S. 4 SGB V solle die Krankenkassen davor bewahren mangels Nachweisen keinerlei Beiträge erheben zu können. Sie sollen jedoch nicht quasi als Bestrafung der pflichtwidrigen Säumnis rechtzeitiger Vorlage Beiträge in einer Höhe erheben können, welche der tatsächlichen Leistungsfähigkeit widersprechen. Im Übrigen haben es die Antragsgegnerinnen in der Hand, durch zügiges Betreiben des Verwaltungs- und des Widerspruchsverfahrens, eine rasche Klärung zu erreichen. Eine Nachholung im Klageverfahren scheidet aus. Für die Lösung spricht auch die heutige Gesetzeslage. Nach heutigem § 240 Abs. 4a SGB V sind nunmehr für die endgültige Beitragspflicht die tatsächlichen Einnahmen des betreffenden Zeitraumes maßgeblich, mit Ausnahme des heutigen § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V ("Weist allerdings das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung [ ] als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze). Nunmehr enthält das Gesetz also eine Norm, die einen Nachweis zu einem noch späteren Zeitpunkt in jedem Fall ausschließt.
Im so verstandenen Sinne zeichnet auch § 7 Abs. 7 BeitrVerfGSz (in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) nur die formell-gesetzliche Rechtslage nach. Danach bleibt das über den letzten Einkommenssteuerbescheid festgesetzte Arbeitseinkommen bis zur Erteilung des nächsten Einkommenssteuerbescheides maßgebend. Der neue Einkommenssteuerbescheid ist für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen. Legt das Mitglied den Einkommenssteuerbescheid später vor und ergäbe sich einen günstigere Beitragsbemessung, sind die Verhältnisse erst ab Beginn des auf die Vorlage dieses Einkommenssteuerbescheides folgenden Monats zu berücksichtigen.
Das SG hat auch richtig und ausführlich dargestellt, dass anderes auch nicht aus § 6 Abs. 5 S. 2 BeitrVerfGSz a. F. folgt, wonach Änderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines später vorlegten Nachweises zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen sind, wenn der Nachweis nach Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe der Beitragsfestsetzung nach Satz 1 der Krankenkasse vorgelegt wird. Sollte insoweit eine Abweichung vom Grundsatz, dass bei Anfechtungsklagen die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, geregelt sein, wäre eine Rechtsgrundlage hierfür nicht ersichtlich (so bereits Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. August 2016 - L 9 KR 284/16 B ER -, juris-Rdnr. 9), weil § 240 Abs. 4 SGB V a. F. -wie dargestellt- eine solche Abweichung nicht regelt. § 6 Abs. 5 S. 2 BeitrVerfGSz a. F. regelt vielmehr den Normalfall, dass ein Beitragsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel angegriffen wird und damit nach einem Monat nach Bekanntgabe bestandskräftig wird. Solange noch ein Widerspruch möglich ist, sollen nachträgliche Nachweise von Amts wegen berücksichtigt werden (so zutreffend das SG).
Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss des SG wird ergänzend verwiesen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I. Beantragt ist die Herstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Beitragsbescheide.
Der Antragsteller ist Mitinhaber einer ReiseagenturEr ist als hauptberuflich Selbständiger bei der Antragsgegnerin zu 1) freiwillig krankenversichert. Die Antragsgegnerinnen hatten mit Bescheid vorn 3. Juni 2015 die von dem Antragsteller zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Kalenderjahr 2011 festgesetzt und dabei beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 2.188,75 EUR monatlich für die Zeit ab dem 1. Juli 2015 zu Grunde gelegt. In der Folgezeit wurde der Antragsteller wiederholt und vergeblich um Einreichung aktueller Einkommenssteuerbescheide und Erklärungen zu seiner Einkommenssituation aufgefordert, zuletzt mit Schreiben vom 9. November 2016. Dabei wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass das Finanzamt mitgeteilt habe, die Steuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 bereits erteilt zu haben.
Mit Bescheiden vom 6. Dezember 2016 setzten die Antragsgegnerinnen die Beiträge ab dem 1. Dezember 2015 neu fest auf Grundlage eines Einkommens in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (4.125,- EUR pro Monat) sowie ab 1. Januar 2016 (Beitragsbemessungsgrenze 4.237,50 EUR monatlich).
Hiergegen erhob der Antragsteller mit am 19. Dezember 2016 eingegangenem Schreiben Widerspruch. Gleichzeitig reichte er die Einkommenssteuerbescheide für 2012 - ausgestellt am 10. November 2015, Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 28.028,- EUR- und für 2013 ein, ausgestellt am 11. Dezember 2015, Einkünfte aus Gewerbebetreib in Höhe von 26.415,- EUR. Mit Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 22. Dezember 2016 erfolgte eine Anpassung der Beitragshöhe für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 (Beitragsbemessungsgrenze nunmehr 4.350,- EUR pro Monat). Zudem forderten die Antragsgegnerinnen mit Bescheid vom 22. März 2017 die aufgelaufenen Beiträge für die Zeit ab Dezember 2015 nach. Es bestehe derzeit eine Forderung in Höhe von 6.956, 44 EUR.
Am 29. März 2017 reichte der Antragsteller den Einkommenssteuerbescheid für 2014 nach. Dieser ist am 1. Juni 2016 ausgestellt worden (Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 32.751,- EUR).
Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 setzten die Antragsgegnerinnen die Beiträge für die Zeit ab dem 1. Juni 2017 auf Grundlage monatlicher Einnahmen in Höhe von 2.729,25 EUR neu fest entsprechend dem Einkommenssteuerbescheid für 2014.
Sie wiesen mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2017 den Widerspruch des Antragsstellers zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 10. Juli 2017 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG, Az. S 28 KR 1354/17) und begehrt die Aufhebung der Bescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. März 2017.
Am 31. Mai 2018 hat der Antragsteller beim SG einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht: Es müssten die tatsächlichen Einnahmen entsprechend den eingereichten Einkommenssteuerbescheiden zu Grunde gelegt werden.
Die Antragsgegnerinnen haben vorgebracht, die Festsetzung der Beiträge für die Zeit bis zum 31. Mai 2017 sei rechtmäßig auf Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und sein Einkommen nicht nachgewiesen habe.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2018 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. Dezember 2016, 22. Dezember 2016 und 22. März 2017 angeordnet, soweit darin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung festgesetzt und angefordert werden, die für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis 30. Juni 2016 aus beitragspflichtigen Einnahmen in Form von Arbeitseinkommen von mehr als 2.335,67 EUR berechnet wurden und im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 31. Mai 2017 von mehr als 2.729,25 EUR. Es hat den Antrag im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei als solcher auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG) nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gegen die Beitragsbescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie den Beitragsanforderungsbescheid vom 22. März 2017 statthaft. Die aufschiebende Wirkung sei anzuordnen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestünden. Dies sei hier der Fall, soweit die Antragsgegnerinnen in den Bescheiden vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie in dem Beitragsanforderungsbescheid vom 22. März 2017 die Beiträge auf Grunde der Beitragsbemessungsgrenze nach § 240 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) festgesetzt haben. Denn der Antragssteller habe durch Vorlage der Einkommenssteuerbescheide im Widerspruchverfahren das tatsächliche niedrigere Einkommen ordnungsgemäß nachgewiesen. Da der Einkommenssteuerbescheid für 2012 vom 10. November 2015 zu einer ungünstigeren Beitragsbemessung als nach dem Einkommenssteuerbescheid für 2011 führe, sei dieser gemäß § 7 Abs. 7 S. 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGSz; in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) ab dem 1. Dezember 2015 zu Grunde zu legen. Der Einkommenssteuerbescheid für 2013 vom 11. Dezember 2015 wäre, da er gegenüber einer Beitragsbemessung anhand des Einkommenssteuerbescheides 2012 zu einem günstigeren Ergebnis führe, gemäß § 7 Abs. 7 S. 4 BeitrVerfGSz erst nach Vorlage, also ab dem 1. Januar 2017 zu Grunde zu legen. Jedoch komme dies nicht zum Tragen, da der Einkommenssteuerbescheid 2014 vom 6. Juni 2016 eine im Vergleich zu der Bemessung nach den Einkommenssteuerbescheiden für 2012 und 2013 ungünstigeren Beitragsberechnung zur Folge habe und gemäß § 7 Abs. 7 S. 3 BeitrVerfGSz a. F. ab dem Folgemonat der Ausfertigung, also ab dem 1. Juli 2016 maßgeblich sei. Die Antragsgegnerinnen könnten sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Antragsteller bis Mai 2017 sein tatsächliches Einkommen nicht durch den erforderlichen Einkommenssteuerbescheid 2014 nachgewiesen habe und deshalb nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F., § 6 Abs. 5 BeitrVerfGSz a. F ein Betrag in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze anzusetzen sei. Zum einen habe der Antragsteller bereits am 30. März 2017 den Einkommenssteuerbescheid 2014 eingereicht. Dass dieser nicht lesbar gewesen sei, habe er nicht zu vertreten. Zum anderen gelte für die Voraussetzung des § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F, § 6 Abs. 5 BeitrVerfGSz a. F. "Nachweis niedrigerer Einnahmen" die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also der des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Dies entspreche den allgemeinen Grundsätzen, gelte auch bei der Beitragserhebung und werde nicht durch die hier maßgeblichen Regelungen zur Beitragserhebung durchbrochen. Wenn die Einkommensnachweise während des laufenden Widerspruchsverfahrens eingereicht würden, entspräche es nicht der Intention des Gesetzes, Höchstbeiträge entrichten zu müssen, obgleich diese der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten widersprächen. Dem stehe auch nicht die Vorschrift des § 240 Abs. 4 S. 6 SGB V a. F. entgegen, nach der Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden könnten. Denn diese Regelung betreffe nur den Fall, dass nach Satz 2 eine Festsetzung der Beiträge auf Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen von Höchstbeiträgen erfolgt sei und nunmehr die Berücksichtigung tatsächlich nachgewiesener Einnahmen begehrt werde. Hier hingegen sei bereits zuvor eine Bemessung nach den tatsächlichen Einnahmen erfolgt. Ein Verständnis dahingehend, dass die Vorschrift auch bei Abänderung eines niedrigeren Beitrags als des Höchstbetrags Anwendung finde, sei nicht sachgerecht, weil dann auch Änderungen zu Ungunsten des Versicherten nur mit Wirkung ab der Vorlage möglich wären. Dann verstieße die Regelungen des § 7 Abs. 7 BeitrVerfGSz a. F., die eine Berücksichtigung bereits ab dem Folgemonat der Erteilung des Einkommenssteuerbescheides vorsehe, wenn die Abänderung zu Ungunsten des Versicherten erfolge, gegen § 240 Abs. 4 S. 6 a. F ... Der Wortlaut lasse insoweit keinen Spielraum zu. Er unterscheide nicht zwischen der Abänderung zu Gunsten und einer zu Ungunsten des Versicherten. Soweit § 6 Abs. 5 5. 2 BeitrVerfGSz a. F. ebenfalls vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abweichen sollten, wäre hierfür eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich (Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. August 2016 - L 9 KR 284/16 B ER – juris - Rdnr. 9). Da der Antragsteller die uneingeschränkte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt habe, sei der Antrag im Übrigen abzulehnen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerinnen vom 6. Juli 2018. Zur deren Begründung führen sie aus, wesentliche Nachteile, die eine einstweilige Anordnung rechtfertigten könnten, lägen nicht vor, zumal die Hauptsache vorweggenommen werde. Der Antragsteller habe über Jahre hin seine Pflicht zur Mitteilung aktueller Einkommensverhältnisse verletzt und nicht einmal reagiert, als ihm vorgehalten worden sei, es seien bereits Steuerbescheide erlassen. Die Auffassung des SG widerspreche der Rechtsprechung des BSG. Nur im Falle einer ersten endgültigen Beitragsfestsetzung nach vorangegangener nur vorläufiger Einstufung könne ein erst im Widerspruchsverfahren eingereichter Einkommenssteuerbescheid noch vorgelegt werden. Im Übrigen hätte der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 1. Juni 2016 bereits ab Juli 2016 Berücksichtigung finden müssen.
Sie beantragen der Sache nach,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2018 abzuändern und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. Dezember 2016 und den Bescheid vom 22. März 2017 insgesamt abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Der zulässigen Beschwerde bleibt Erfolg versagt. Zu Recht hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 6. und 22. Dezember 2016 und den Bescheid vom 22. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 angeordnet, soweit darin für den Zeitraum Dezember 2015 bis Juni 2016 Beiträge auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze und nicht nur aufgrund Arbeitskommen in Höhe von 2.335,67 EUR festgesetzt und nachgefordert werden und für die anschließende Zeit bis 31. Mai 2017 in Höhe von 2.729,25 EUR.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Klage gegen die genannten Bescheide der Antragsgegnerinnen haben nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil Beiträge gefordert bzw. nachgefordert werden. Die aufschiebende Wirkung des Hauptsachenrechtsbehelfs ist in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 23. Oktober 2017 - L 1 KR 421/17 B ER -, juris-Rdnr. 3 mit Bezugnahme auf Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 - L 5 KR 81/12 B ER - juris Rdnr.14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. In diesen Fällen ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung nicht anzuerkennen. Auf die von den Antragsgegnerinnen angeführten Kriterien einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG (Notwendigkeit einer dringlichen Regelung) kommt es demgegenüber nicht maßgeblich an.
Der Senat ist wie das SG der Auffassung, dass hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 6. Dezember 2016 und 22. Dezember 2016 sowie dem Beitragsanforderungsbescheides vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 bestehen. Gemäß § 240 Abs.1 S. 1 SGB V ist die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen geregelt. Dabei gilt für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F. als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag - abgesehen von hier nicht interessierenden Sonderfällen - der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße.
Der Senat teilt die vom SG sorgfältig begründete Auffassung, dass nach den allgemeinen Grundsätzen "der Nachweis niedrigerer Einnahmen" im vorgenannten Sinne nicht nur bis zum Erlass des Beitragsbescheides geführt werden kann, sondern mit rückwirkender Wirkung auch noch im Widerspruchsverfahren. Wie vom SG im Einzelnen dargelegt, waren hier deshalb die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 entsprechend noch zu berücksichtigen. Dabei hat es erläutert, dass der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 1. Juni 2016 ab 1. Juli 2016 zu Grunde zu legen ist. Entsprechend hat es tenoriert. Der Antragssteller muss ab 1. Juli 2016 höherer Beiträge zahlen als zuvor. Die gegenteilige Auffassung der Antragsgegnerinnen teilt der Senat nicht.
Zu Recht geht das SG davon aus, dass aus § 240 SGB V S. 2 und S. 6 a. F. folgt, dass Einkommensnachweise im Widerspruchsverfahren eingereicht werden können. Das von den Antragsgegnerinnen angeführte Urteil des BSG vom 11. März 2009 (B 12 KR 30/07 R) rechtfertigt eine Annahme, dass nach § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V a. F. Nachweise nur bis zum Erlass des Ausgangsbescheides berücksichtigungsfähig sind, gerade nicht. Zwar lag der Entscheidung die Konstellation zu Grunde, dass zunächst ein vorläufiger Beitragsbescheid ergangen war. Daraus folgt aber (nur), dass die Kassen bei der nachfolgenden endgültiger Bescheidung berechtigterweise die Beiträge rückwirkend auch für die Zeiträume neu festsetzen dürfen, für welche bereits ein bestandskräftiger Bescheid mit vorläufiger Regelung besteht (BSG, a. a. O. Rdnr. 14 mit Bezugnahme auf Urt. vom 22. März 2006, B 12 KR 14/05 R). Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der endgültige Festsetzung gilt hingegen, dass im Rahmen der Anfechtungsklage wie regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsausschuss abzustellen ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 16). Daran ändere auch eine von den Kassen gesetzte Frist zur Vorlage der Einkommenssteuerbescheide (BSG, a. a. O. Rdnr. 17).
Mit weiterem Urteil vom 30. März 2011 hat das BSG die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bekräftigt (- B 12 KR 18/09 R -, juris-Rdnr. 21). Es hat zudem für eine Situation wie hier, in der es für die Vergangenheit bereits einen endgültigen Beitragsbescheid gibt, ausgeführt, § 240 Abs. 4 S. 3 SGB V in der 2004 geltenden Fassung ("Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden" = § 240 Abs. 4 S. 6 SGG V a. F.) schließe auch bei bereits für einen Zeitraum erfolgten (endgültigen) Beitragsfestsetzung nicht aus, für den Folgezeitraum im Widerspruchsverfahren noch Nachweise niedrigen Einkommens rückwirkend einzureichen, soweit (für den Folgezeitraum) noch keine Bestandskraft eingetreten ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 23).
§ 240 Abs. 4 S. 6 SGB V a. F. regelt das mittlerweile vom Gesetzgeber aufgegebene materiell-rechtlich Grundprinzip, dass die tatsächlichen Einnahmen lediglich zeitversetzt berücksichtigt werden, weil die Einkommensteuerbescheide als "Nachweise" immer nur einen vergangenen Zeitraum betreffen, die dann als laufende Einnahmen so lange bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt werden, bis ein neuer Einkommensteuerbescheid vorliegt (vgl. Bernsdorff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 240 SGB V, Rdnr. 35). Dass der (neuere) Einkommenssteuerbescheid bereits nicht mehr im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden kann - zum Beispiel bei Vorlage eines geänderten Einkommenssteuerbescheides - kann der Norm nicht entnommen werden. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch dem von den Antragsgegnerinnen angeführte Satz aus den Gesetzesmaterialien, Beitragskorrekturen für die Vergangenheit könnten ( ...) nicht vorgenommen werden, weil die Krankenkassen die Einnahmen sonst nicht verlässlich vorausschätzen könnten (BT-Drucksache 12/3937 S. 17), nicht der Willen des historischen Gesetzgebers zur Schaffung einer Ausnahmevorschrift entnehmen lässt. Da erst der Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids die Beiträge festsetzt, handelt es sich bei Nachreichung im Widerspruchsverfahren nicht um eine Beitragskorrektur für die Vergangenheit.
Aus Sicht des Senats überzeugend hat das SG ferner argumentiert, § 240 Abs. 4 S. 4 SGB V solle die Krankenkassen davor bewahren mangels Nachweisen keinerlei Beiträge erheben zu können. Sie sollen jedoch nicht quasi als Bestrafung der pflichtwidrigen Säumnis rechtzeitiger Vorlage Beiträge in einer Höhe erheben können, welche der tatsächlichen Leistungsfähigkeit widersprechen. Im Übrigen haben es die Antragsgegnerinnen in der Hand, durch zügiges Betreiben des Verwaltungs- und des Widerspruchsverfahrens, eine rasche Klärung zu erreichen. Eine Nachholung im Klageverfahren scheidet aus. Für die Lösung spricht auch die heutige Gesetzeslage. Nach heutigem § 240 Abs. 4a SGB V sind nunmehr für die endgültige Beitragspflicht die tatsächlichen Einnahmen des betreffenden Zeitraumes maßgeblich, mit Ausnahme des heutigen § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V ("Weist allerdings das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung [ ] als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze). Nunmehr enthält das Gesetz also eine Norm, die einen Nachweis zu einem noch späteren Zeitpunkt in jedem Fall ausschließt.
Im so verstandenen Sinne zeichnet auch § 7 Abs. 7 BeitrVerfGSz (in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = a. F.) nur die formell-gesetzliche Rechtslage nach. Danach bleibt das über den letzten Einkommenssteuerbescheid festgesetzte Arbeitseinkommen bis zur Erteilung des nächsten Einkommenssteuerbescheides maßgebend. Der neue Einkommenssteuerbescheid ist für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen. Legt das Mitglied den Einkommenssteuerbescheid später vor und ergäbe sich einen günstigere Beitragsbemessung, sind die Verhältnisse erst ab Beginn des auf die Vorlage dieses Einkommenssteuerbescheides folgenden Monats zu berücksichtigen.
Das SG hat auch richtig und ausführlich dargestellt, dass anderes auch nicht aus § 6 Abs. 5 S. 2 BeitrVerfGSz a. F. folgt, wonach Änderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines später vorlegten Nachweises zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen sind, wenn der Nachweis nach Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe der Beitragsfestsetzung nach Satz 1 der Krankenkasse vorgelegt wird. Sollte insoweit eine Abweichung vom Grundsatz, dass bei Anfechtungsklagen die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, geregelt sein, wäre eine Rechtsgrundlage hierfür nicht ersichtlich (so bereits Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. August 2016 - L 9 KR 284/16 B ER -, juris-Rdnr. 9), weil § 240 Abs. 4 SGB V a. F. -wie dargestellt- eine solche Abweichung nicht regelt. § 6 Abs. 5 S. 2 BeitrVerfGSz a. F. regelt vielmehr den Normalfall, dass ein Beitragsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel angegriffen wird und damit nach einem Monat nach Bekanntgabe bestandskräftig wird. Solange noch ein Widerspruch möglich ist, sollen nachträgliche Nachweise von Amts wegen berücksichtigt werden (so zutreffend das SG).
Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss des SG wird ergänzend verwiesen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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