S 9 AS 66/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 9 AS 66/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 81/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 52/18 BH
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Den Beteiligten streiten um die Übernahme von Unterkunftskosten für die Kaltmiete in Höhe von 200,- Euro monatlich im Zeitraum 1.03.2016 bis 31.08.2016.

Der Kläger stellte erstmals am 29.12.2004 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, dem er eine handschriftlich gefertigte und von seiner Mutter als Vermieterin unterschriebene Auflistung der Unterkunftskosten vom 20.12.2004 beifügte. In der Auflistung sind untereinander "Strom, Heizungswasser, Müllgebühr und Fernsehen" benannt und Gesamtkosten in Höhe von 400,- EUR beziffert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Auflistung Bezug genommen (Bl. 33 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Am 31.01.2005 fand eine Überprüfung der Wohnverhältnisse des Klägers durch Mitarbeiter des Beklagten statt. In dem hierüber gefertigten Vermerk vom 01.02.2005 (Bl. 74 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Teil 1) heißt es u.a.:

" ...Herr A. wohnt mietfrei. Es besteht jedoch die Verpflichtung laut Aussage beider, dass sich Herr A. an sämtlichen Nebenkosten beteiligt, entsprechende Hinweise hierüber befinden sich auch in den Unterlagen der Agentur für Arbeit. Frau A. ist verwitwet und bezieht nach ihrer Aussage keine hohe Rente um für sämtliche anfallenden Kosten allein aufkommen zu können".

Mit Bescheid vom 21.01.2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II ab 01.02.2005 bis 31.07.2005 ohne Berücksichtigung von Miet- oder Nebenkosten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 68 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Am 27.05.2005 fand ein persönliches Gespräch zwischen dem Kläger und dem Beklagten (Herr D.) statt. In dem hierüber gefertigten Vermerk heißt es u.a.:

"Herr A. beklagt sich darüber, dass im Rahmen seiner Berechnung des Arbeitslosengelds II keine Heizkosten berücksichtigt worden seien. Er lebe zwar mietfrei im Hause seiner Mutter, müsse jedoch entsprechend zu den anfallenden Heizkosten einen Beitrag leisten. Herr A. erklärte, dass seine Mutter nur ein relativ geringes Renteneinkommen besitze. Mit diesem Renteneinkommen sei sie nicht in der Lage, die Unterhaltung des Hausgrundstückes alleine zu gewährleisten. Er fragte daher an, ob von Seiten der Behörde Mietkosten berücksichtigt werden können" (Bl. 107 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

In der Folgezeit bewilligte der Beklagte dem Kläger rückwirkend und laufend monatliche Nebenkosten in Höhe von 26,56 EUR und Heizungskosten in Höhe von 34,- EUR.

Am 18.11.2005 fand ein weiteres Gespräch mit dem Kläger und seiner Mutter statt. In dem hierüber gefertigten Vermerk heißt es u.a.:

"Herr und Frau A. erklärten übereinstimmend, dass Herr A. von seiner Mutter in der Vergangenheit ein Privatdarlehen in Höhe von über 20.000 EUR erhalten habe. Schriftliche Festlegungen hierzu existierten nicht. Mit der Mutter sei jedoch vereinbart, dass er dieses Darlehen in monatlichen Raten in Höhe von 253,58 EUR (ca. 500,- DM) zurückzahlt. Herr A. habe hierfür einen Dauerauftrag eingerichtet".

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Vermerk vom 18.11.2005 Bezug genommen (Bl. 190 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Im März 2006 legte der Kläger dem Beklagten einen von ihm und seiner Mutter unterschriebenen Mietvertrag vom 01.11.2005 vor. Darin war die Nettokaltmiete mit 200,- EUR beziffert. Neben der Miete sollten monatlich 50,- EUR Betriebskostenvorschuss und 70,- EUR Heizkostenvorschuss, d.h. insgesamt 320,- EUR gezahlt werden gezahlt werden. § 1 des schriftlichen Mietvertrages ("Mieträume") war nicht, § 3 ("Miete und Nebenkosten") nur unvollständig ausgefüllt. Als Konto, auf das Miete und Nebenkosten gezahlt werden sollten, war in § 4 ("Zahlung der Miete und der Nebenkosten") das eigene Konto des Klägers angegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Vertrag Bezug genommen (Bl. 219 ff. des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Am 27.06.2006 fand eine weitere Inaugenscheinnahme der Wohnung des Klägers statt. In dem hierüber vom Beklagten gefertigten Vermerk heißt es u.a.:

"Das Untergeschoss des Hauses wird durch die Mutter des WF bewohnt. Das Obergeschoss wird durch den WF bewohnt. Folgende Räume wurden durch den WF als sein Wohnraum gezeigt: Eine Küche, ein Wohnzimmer, eine Toilette mit Dusche sowie ein Schlafzimmer. Im Schlafzimmer befand sich ein Einzelbett. Die Wohnfläche betrug etwa entsprechend den Angaben im vorgelegten Mietvertrag ca. 50 m². Im Obergeschoss befanden sich noch 2 weitere Räume, die von der Mutter des Widerspruchsführers genutzt würden".

Weiter heißt es in dem Vermerk:

"Zur Erledigung der Widerspruchsangelegenheiten sollte wie folgt verfahren werden: Die Berücksichtigung von Unterkunftskosten ab 01.11.2005 entsprechend den Angaben des vorgelegten Mietvertrages in angemessener Höhe und gleichzeitiger Entnahme des Unterhaltsbetrages i.S.v. § 9 Abs. 5 SGB II".

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Aktenvermerk Bezug genommen (Bl. 212 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger Unterkunftskosten laut Mietvertrag ab 01.11.2005. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 75 des Widerspruchsteils Nr. 1 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Mit Schreiben vom 13.07.2006 forderte der Beklagte den Kläger auf, den Mietvertrag vom 01.11.2005 in den §§ 1 und 3 vollständig auszufüllen, eine Mietbescheinigung einzureichen und die letzte Neben- und Heizkostenabrechnung oder ersatzweise vollständige Einzelnachweise vorzulegen. Weiterhin sollte der Kläger Nachweise darüber erbringen, dass die Miete sowie Neben- und Heizkosten tatsächlich an die Vermieterin gezahlt und die Mieteinnahmen von der Mutter beim Finanzamt angegeben wurden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen (Bl. 222 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Der Kläger erklärte daraufhin mit beim Beklagten am 09.08.2006 eingegangenen Schreiben:

"Da ich von Ihnen aber noch keine Miete sowie Betriebskosten bekommen habe, kann ich auch noch keinen Nachweis vorlegen. Wenn gezahlt wurde, kann ich Ihnen auch eine Quittung vorlegen. Was meine Vermieterin (Mutter) mit den Mieteinnahmen, wenn sie sie hat (liegt daran, wann ich sie von Ihnen bekomme) macht, geht mich nichts an." (Bl. 232 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Im August 2006 legte der Kläger einen neuen, wiederum auf den 01.11.2005 datierten Mietvertrag vor. Die Gesamtkosten beliefen sich danach nunmehr auf 340,- EUR, die in bar gezahlt werden sollten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den neuen Mietvertrag verwiesen (Bl. 233 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Mit Bescheid vom 04.10.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger rückwirkend ab dem 01.11.2005 zusätzlich zur Regelleistung monatliche Unterkunftskosten in Höhe von 235,50 EUR zuzüglich Heizkosten in Höhe von monatlich 40,- EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 248 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 1).

Mit Leistungsbewilligungsbescheid vom 31.10.2006 (Bl. 275 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 2) bewilligte die Behörde Kaltmietkosten in Höhe von 200,- EUR, sowie monatlicher Nebenkosten für den Zeitraum 01.11.2006 bis 30.4.2007 in Höhe von 57,- Euro und Heizkosten in Höhe von 40,- EUR. Sie forderte den Kläger zugleich auf, einen Nachweis darüber beizubringen, dass die gemäß Bescheid vom 04.10.2006 erhaltene Nachzahlung von Unterkunftskosten sachgerecht zur Tilgung der entsprechenden Schulden eingesetzt worden ist. Aus den vorgelegten Kontoauszügen sei nur der Eingang und Verbleib des Betrages auf dem Konto des Klägers ersichtlich. Sofern die Tilgung durch Barzahlung erfolgt sei, werde um Vorlage eines Kontoauszuges gebeten, aus dem ersichtlich sei, dass der Betrag dem Konto entnommen wurde.

Mit Schreiben vom 01.11.2006 reagierte der Kläger auf die Aufforderung im Bescheid vom 31.10.2006 und im Bescheid vom 4.10.2006, einen Nachweis der Nachzahlung von Miete und Unterkunftskosten für den Zeitraum 01.11.2005 bis 31.10.2006 an seine Mutter zu erbringen. In dem Schreiben heißt es u.a.:

"Der Nachweis für die monatliche Miete und Nebenkosten laut Mietvertrag für meine Vermieterin ist meinen Kontoauszügen zu entnehmen. Monatsbetrag 255,23 EUR, - damals 500,- DM. Den monatlichen Fehlbetrag von 84,77 EUR zum Mietvertrag hat meine Tante mir in 3 Raten a = 339,08 EUR in bar geliehen".

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen (Bl. 285 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 2).

Mit Schreiben vom 24.11.2006 wies der Beklagte den Kläger auf seine Angaben im Gespräch am 18.11.2005 hin, wonach der regelmäßig von seinem Konto überwiesene Betrag von 255,23 Euro zur monatlichen Tilgung eines ihm von der Mutter zur Verfügung gestellten Privatdarlehens diene. Außerdem habe er im bisherigen Verfahren auf die Anforderung von Nachweisen immer erklärt, dass er aufgrund fehlender Mittel die Miete nicht zahlen könne und erst nach erfolgter Zahlung der Kosten der Unterkunft die laut der Vermieterin bestehenden Mietrückstände begleichen können (Bl. 295 des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, Teil 2). Eine Reaktion des Klägers hierauf erfolgte nicht.

Der Kläger nahm am 01.12.2006 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Der Beklagte stellte die Leistungen deswegen per Bescheid vom 24.01.2007 ein.

Mit Bescheid vom 17.01.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger einen Eingliederungszuschuss in Höhe von 1800,- EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.12.2006 bis 30.11.2009, insgesamt 41.040,00 EUR.

Ab dem 30.05.2007 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 11.06.2007 beantragte er bei der AOK Hessen Krankengeld.

Am 12.06.2007 sprach der Kläger bei der Servicestelle des Beklagten vor und ließ sich einen Weiterbewilligungsantrag aushändigen.

Die AOK Hessen lehnte den Antrag auf Krankengeld mit Bescheid vom 17.07.2007 und Widerspruchsbescheid vom 03.01.2008 ab. Mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 21.09.2010 (Aktenzeichen: 4 KR 20/09) wurde die AOK Hessen u.a. verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum 30.07.2006 bis 31.12.2007 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Mit Bescheid vom 03.11.2008 lehnte der Beklagte zunächst die Übernahme von SGB 2-Leistungen für die Zeit ab 12.06.2007 ab, da ein wirksamer Antrag erst ab dem 30.10.2008 gestellt worden sei. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2009 zurück.

Die hiergegen am 27.03.2009 erhobene Klage (S 9 AS 72/09) wurde zwischenzeitlich zum Ruhen gebracht und nach Wiederaufnahme am 25.04.2013 mit dem Aktenzeichen S 9 AS 58/13 weitergeführt. Im Klageverfahren S 9 AS 58/13 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Schriftsatz vom 05.01.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum ab 01.01.2008 bis 31.10.2008 ohne Anerkennung von Unterkunftskosten. Diese abgelehnten Unterkunftskosten sind Streitgegenstand der Klage S 9 AS 58/13.

Mit am 20.04.2012 erhobener Klage (S 9 AS 85/12) begehrt der Kläger die Gewährung weiterer Unterkunftskosten in Höhe 200,- Euro monatlich im Zeitraum 01.12.2008 bis 28.02.2012.

Mit am 08.05.2012 und 15.10.2012 erhobenen Klagen (S 9 AS 97/12 und S 9 AS 240/12) begehrt der Kläger die Gewährung weiterer Unterkunftskosten in Höhe 200,- Euro monatlich im Zeitraum 01.03.2012 bis 28.02.2013. Streitgegenstand der in der 12. Kammer des Sozialgerichts Fulda anhängigen Verfahren des Klägers mit den Aktenzeichen S 12 AS 239/14 und S 12 AS 188/15 ist die Berücksichtigung weiterer Unterkunftskosten im Zeitraum 01.09.2013 bis 29.02.2016.

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 19.02.2016 Leistungsansprüche nach dem SGB II ohne die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem 01.03.2016 bis zum 31.08.2016 fest. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2016 zurück. Zur Begründung führte die Behörde u.a. aus, dass erhebliche Zweifel daran bestünden, dass der Kläger tatsächlich einer wirksamen Mietforderung ausgesetzt sei. Er habe vor der Antragstellung bereits mietfrei im Haus seiner Mutter gewohnt. Im Hinblick auf ausstehenden Mieten sei er offensichtlich bislang noch keine mietrechtlichen Konsequenzen ausgesetzt worden. Sie habe bislang weder eine Kündigung noch auch nur eine Androhung einer Kündigung erhalten. Es liege deswegen kein ernstlicher Mietvertrag vor. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen (Bl. 269 ff. des Verwaltungsvorgangs des Beklagten).

Hiergegen richtet sich die vorliegende am 30.03.2016 erhobene Klage.

Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt, für den streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 60,56 Euro Heiz- und Nebenkosten zu übernehmen, woraufhin der Klägervertreter die Klage bezüglich der Heiz- und Nebenkosten zurückgenommen hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung der insoweit ablehnenden Entscheidung im Bescheid des Beklagten vom 19.02.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 17.03.2016 zu verpflichten, für den Zeitraum 01.03.2016 bis 31.08.2016 weitere Unterkunftskosten in Höhe von 200,00 Euro monatlich zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er beruft sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin E. A. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Bl. 184 ff. der Gerichtsakte).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der nur noch hinsichtlich der Versagung der Übernahme von monatlichen Mietkosten in Höhe von 200,- EUR angefochtene Leistungsbewilligungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Übernahme von weiteren Unterkunftskosten im Zeitraum 01.03.2016 bis 31.08.2016.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die geltend gemachten Kosten müssen tatsächlich angefallen sein. Dies setzt voraus, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum einer ernsthaften Mietforderung seiner Mutter, der Zeugin A. ausgesetzt war. Zahlungsverpflichtungen zwischen nahen Angehörigen sind nur dann als rechtlich erheblich im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen, wenn sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Mietvertrags dem zwischen Fremden Üblichen jedenfalls im Wesentlichen entspricht (sogenannter abgeschwächter Fremdvergleich, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Mai 2009, B 14 AS 31/07 R, und BSG, Beschluss vom 25.08.2011, B 8 SO 1/11 B, Rn. 7, SG Karlsruhe, Urteil vom 25. Oktober 2012 – S 4 AS 2654/11 –, Rn. 21, jeweils zit. nach juris).

Davon war nach der Gesamtschau der vorliegenden Verwaltungsvorgänge, dem gesamten Vorbringen des Klägers und der im Termin durchgeführten Zeugenvernehmung seiner Mutter, der Zeugin A., nicht auszugehen. Zunächst bestehen erhebliche Zweifel daran, dass überhaupt ein wirksamer Mietvertrag abgeschlossen wurde (siehe hierzu unter 1.). Die gesamte Aktenlage und das Ergebnis der Beweisaufnahme haben das Gericht unabhängig davon überzeugt, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt war (siehe hierzu unter 2). Unabhängig davon entspricht die tatsächliche Durchführung des Vertrags in keiner Weise dem zwischen Fremden im Rechtsverkehr Üblichen (siehe hierzu unter 3).

1. Die für das Zustandekommen eines Vertrags grundsätzlich erforderlichen beiderseitigen Willenserklärungen zum Inhalt der vertraglichen Vereinbarung sind im ersten, im März 2006 eingereichten Mietvertrag vom 01.11.2005 nicht hinreichend erkennbar. In § 1 des Mietvertrags ("Mieträume") fehlen Angaben, sodass völlig unklar bleibt, worüber die Parteien sich überhaupt mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen geeinigt haben wollten. Auch die Tatsache, dass die Miete gemäß § 4 ("Zahlung der Miete und der Nebenkosten") auf das eigene Konto des Klägers gezahlt werden sollte und § 3 ("Miete und Nebenkosten") nur unvollständig ausgefüllt ist, spricht gegen das Zustandekommen einer die Parteien bindenden vertraglichen Vereinbarung.

Hinsichtlich des im August 2006 vorgelegten zweiten Mietvertrags vom 01.11.2005 bestehen jedenfalls Zweifel an dessen Ernsthaftigkeit und damit auch an der Wirksamkeit dieser Vereinbarung (§§ 117,118 BGB). Zunächst erfolgte die Vorlage erst und nur auf Verlangen des Beklagten. Die Vertragsparteien sahen selbst offensichtlich keinen Anlass, den bis dahin in den wesentlichen Punkten unvollständigen ersten Vertrag zu ergänzen. Es irritiert zudem die Datierung auf den 01.11.2005, da die Beteiligten wohl kaum 2 Mietverträge am selben Tag abgeschlossen haben. Die im neuen Vertrag vorgenommene Änderung der Zahlungsmodalitäten von Überweisung in Barzahlung und die höher angesetzten tatsächlichen Kosten sind nicht nachvollziehbar und lassen den Verdacht entstehen, dass der Kläger die Gelegenheit nutzen wollte, die Konditionen zu seinen Gunsten zu verbessern bzw. die Überprüfbarkeit der tatsächlichen Mietzahlungen an seine Mutter zu erschweren. Zweifel an der Ernsthaftigkeit der zweiten Vereinbarung ergeben sich auch aus dem Inhalt des Schreibens des Klägers vom 01.11.2006, in dem er im Gegensatz zur angeblich vereinbarten Barzahlung nunmehr auf Überweisungen der Miete von seinem Konto verweist.

2. Unabhängig von den Zweifeln am Bestehen eines rechtlich wirksamen Mietvertrags war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt. Zum Einen hat er seinen eigenen Angaben im Termin zufolge seit 2008 tatsächlich keine Miete mehr an seine Mutter gezahlt. Darüber hinaus haben die Betrachtung der aktenkundigen Vorgeschichte ab dem Zeitpunkt der Antragstellung im Dezember 2004, die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht davon überzeugt, dass er tatsächlich auch keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt war, sondern von Anfang an lediglich einen Weg gesucht hat, weitere Leistungen vom Beklagten für sich zu erhalten.

Hierfür sprechen maßgeblich folgende Umstände:

Der Kläger hat nach der Überzeugung der Kammer bereits bei Antragstellung im Dezember 2004 versucht, die Behörde über die Höhe seiner Unterkunftskosten zu täuschen um Leistungen zu erhalten, die ihm in Wahrheit nicht zustanden. In der bei Antragstellung eingereichten Auflistung der Unterkunftskosten vom 20.12.2004 kommt "Miete" als Position nicht vor. Die ausgewiesene Gesamtforderung von auf den Cent genau 400,- EUR entspricht weder den später angegebenen Nebenkosten noch der später gegenüber der Behörde angegebenen Miethöhe zuzüglich der Nebenkosten. Es liegt hier deswegen bereits die Vermutung nahe, dass der Betrag in Ermangelung einer echten Forderung pauschal behauptet wurde. Insofern hält die Kammer den Vortrag des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, sein Mandant habe die Auflistung der Position "Miete" schlichtweg vergessen, nicht für plausibel.

Diese Einschätzung stützen auch die Angaben des Klägers und seiner Mutter, der Zeugin A. im Gespräch mit dem Beklagten am 31.01.2005. Ausweislich des Behördenvermerks gaben beide damals übereinstimmend an, dass lediglich die Verpflichtung bestehe, sich an sämtlichen Nebenkosten zu beteiligen. Die Kammer geht insofern nach allgemeiner Lebenserfahrung davon aus, dass diese Kosten nicht - wie im Erstantrag angegeben- monatlich 400,- Euro betragen haben. In einem weiteren Gesprächsvermerk vom 27.05.2005 wird die Angabe des Klägers, er wohne mietfrei bei seiner Mutter, erneut dokumentiert.

Es sind auch keinerlei überzeugende Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dem mietfreien Wohnen des Klägers im Hause seiner Mutter später etwas geändert haben sollte. Insbesondere erfolgten nach dem Abschluss des Mietvertrags vom 01.11.2005 keine Leistungen auf die Mietforderung. Das Schreiben des Klägers vom 01.11.2006 und die hierzu erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Version einer angeblichen Forderungsverrechnung in Höhe von monatlich "255,23 EUR - damals 500,- DM" überzeugen das Gericht nicht. Der Vortrag ist nicht glaubhaft, da sich der Kläger in erhebliche Widersprüche verwickelt hat: Während er und seine Mutter gegenüber dem Beklagten ausweislich eines Vermerks vom 18.11.2005 zunächst angegeben hatten, er habe von ihr in der Vergangenheit ein privates Darlehen in Höhe über 20.000,- Euro erhalten, das er in monatlichen Raten "in Höhe von 255,58 EUR (ungefähr 500,- DM)" zurückzahle, soll dieser Betrag jetzt im Wege einer Verrechnung als Ausgleich für monatliche Mietzahlungen seit November 2005 herhalten. Dagegen spricht jedoch maßgeblich der eigene Vortrag des Klägers im Schreiben vom 09.08.2006, mit dem er erklärt, dass er keinen Nachweis für seit 2005 geleistete Miete vorlegen könne, da er vom Beklagten noch keine Miete bekommen habe und er eine Quittung erst vorlegen könne, wenn sie an die Mutter gezahlt werde. In diesem Zusammenhang ist auch auffällig, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 01.11.2006 hinter dem in Euro ausgewiesenen Überweisungsbetrag "damals 500,- DM" vermerkt hat, obwohl der Euro bereits am 01.01.2002 eingeführt wurde. Soweit er damit darauf hinweisen möchte, dass schon zu DM-Zeiten Miete in Höhe von 500,- DM verrechnet wurde, wäre dieser Vortrag nicht tragfähig, da der Betrag der Höhe nach mit der späteren Auflistung der Unterkunftskosten im Erstantrag nicht übereinstimmt. Außerdem fand der Autoverkauf, auf dem die Verrechnung beruhen soll, nach der Aussage der Zeugin A. erst im Jahr 2002 statt. Die Kammer hält es bei Würdigung der Gesamtumstände für am wahrscheinlichsten, dass der Kläger entsprechend seinen vom Beklagten unter dem 18.11.2005 vermerkten Angaben zu einem Zeitpunkt vor 2002 von seiner Mutter, der Zeugin A. ein privates Darlehen in Höhe von 20.000,- EUR erhalten hat, das er vor 2002 in Höhe von 500,- DM und ab 2002 entsprechend in Euro abbezahlt hat. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Zweckbestimmung als Mietzahlung nachträglich verfahrensangepasst erfolgte, um die tatsächlich nicht erfolgte Weitergabe der von der Behörde an ihn überwiesenen Nachzahlungen von Unterkunftskosten ab November 2005 zu verschleiern. Es sind auch keinerlei plausible Gründe erkennbar, warum sich der damalige Sachbearbeiter den in dem o.g. Vermerk vom 18.11.2005 detailliert beschriebenen Sachverhalt ausgedacht haben sollte.

Auch die Angaben der Zeugin A. in der Beweisaufnahme konnten diese Überzeugung der Kammer nicht erschüttern. Zwar hat sich die Zeugin A. an ein zu früheren Zeiten gewährtes Darlehen in Höhe von 20.000,- Euro nicht erinnern können. Sie hat vielmehr schlüssig erklärt, dass sie dem Kläger ca. 2002 seinen BMW abgekauft und dabei eine noch offene Schlusszahlung in Höhe von ungefähr 14.500,- EUR übernommen hat. Dabei hat sie -in Übereinstimmung mit dem Kläger- auch erklärt, dass dieser die noch ausstehenden Raten an die Bank als Ausgleich für die Miete übernommen habe. Die Kammer hielt diesen Vortrag der Zeugin A. indes nicht für glaubhaft. Ihre Ausführungen gerade in Bezug auf die angebliche vorgenommene Verrechnung der Miete waren auffällig unkonkret und dünn. Die Zeugin konnte auf weiteres Nachfragen des Gerichts keinerlei Details über den Zeitraum der angeblichen Verrechnung und die in diesem Zusammenhang ausstehenden Mietzinsforderungen machen. Insofern sind bei der Kammer zusätzlich auch grundsätzliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin A. entstanden, da ihr Vortrag gegenüber dem Gericht, sie habe mit dem Kläger zuvor nicht über die mündliche Verhandlung gesprochen und wisse nichts über seine Probleme mit dem Amt, völlig realitätsfern erscheint.

Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass der Kläger die vom Beklagten im Oktober 2006 gewährte Unterkunftskostennachzahlung für den Zeitraum ab November 2005 nicht an seine Mutter weitergeleitet hat. Daran wird deutlich, dass auch keine entsprechende Verpflichtung zur Mietzahlung bestanden hat, und der Kläger allein die Möglichkeit gesucht hat, mehr Geld vom Leistungsträger zur eigenen Verfügung zu erhalten.

Ob außerhalb des Bezugszeitraums von SGB II in 2007 Mietzahlungen des Klägers an seine Mutter erfolgten, was angesichts der aufgezeigten Vorgeschichte zweifelhaft sein dürfte und ggf. auch keine zwingenden Rückschlüsse auf den Zeitraum 2008 bis 2016 zuließe, kann offen bleiben.

3. Denn unabhängig von der Frage, ob der Kläger jemals einer echten Mietzinsforderung ausgesetzt war, scheitert der Anspruch nach § 22 SGB II jedenfalls daran, dass die Durchführung des Mietvertrags ansonsten nicht annähernd dem im Rechtsverkehr zwischen Fremden Üblichen entsprach. Bei einer ernsthaften Vereinbarung von Unterkunftskosten muss der Mieter bei Nichtzahlung des Mietzinses mit Mahnungen bzw. letztendlich mit Kündigung und Räumungsandrohung der Wohnung rechnen. Die Androhung oder Durchsetzung rechtlicher Konsequenzen gegenüber dem Kläger sind jedoch bislang weder vorgetragen noch ersichtlich, obwohl er seinen eigenen Angaben im Termin zufolge seit 2008 überhaupt keine Miete gezahlt hat. Auch das Ergebnis der Beweisaufnahme hat bestätigt, dass der angebliche Mietvertrag in seiner Umsetzung nicht den üblichen Anforderungen im Rechtsverkehr entsprach. Denn die Zeugin A. konnte auf Nachfragen des Gerichts nicht angeben, wieviel Miete überhaupt aussteht. Auch Ihre Erklärungen, sie habe sich darum noch nicht gekümmert und dem Kläger gesagt, dass sie das Geld bekomme, wenn er es vom Amt bekomme, belegen, dass der Kläger bei Nichtzahlung der Mietzinsforderung keinerlei Konsequenzen befürchten musste und muss. Insofern geht die Kammer von einer dauerhaften unbegrenzten Stundung der Miete aus. Unter diesen Umständen kommt eine Übernahme weiterer Unterkunftskosten nach § 22 SGB II nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht erfolgt nach billigem Ermessen. Bei der Ausfüllung des Begriffs des billigen Ermessens ist der gesamte bisherige Sach- und Streitstand im konkreten Einzelfall zu bewerten. Der Kläger hat mit seinem Hauptanliegen, weitere Unterkunftskosten für Miete zu erlangen, nicht obsiegt. Auch hinsichtlich der erst im Klageverfahren nachträglich bewilligten Heiz- und Nebenkosten und der diesbezüglich erfolgten Klagerücknahme erscheint es gerechtfertigt, dem Beklagten keine Kosten aufzuerlegen, da das Bestehen dieser Forderungen in der geltend gemachten Höhe völlig offen ist und aufgrund der mehrfach angeforderten und nicht beigebrachten Nachweise maßgeblich auf einem Entgegenkommen der Behörde beruhte.
Rechtskraft
Aus
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