S 18 KR 71/18 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 71/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 204/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Unterlassung eines nach ihrer Ansicht wettbewerbswidrigen Verhaltens.

Die Antragstellerin hat durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten am 19. Februar 2018 einen entsprechenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Hierzu ist ausgeführt worden, die Antragsgegnerin trete derzeit an Arbeitgeber in Niedersachsen heran und fordere diese auf, ihren Beschäftigten einen Wechsel zu der Antragsgegnerin zu empfehlen, was wettbewerbswidrig sei. Der Antrag sei zulässig, insbesondere bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Hierzu ist neben anderem ausgeführt worden, das Rechtsschutzbedürfnis sei nicht durch Zeitablauf der beanstandeten Werbemaßnahme entfallen insofern das Wechselangebot nur bis zum 28. Februar 2018 gültig gewesen sein soll. Denn maßgeblich sei, dass die Antragsgegnerin die Werbemaßnahme, die unzulässig sei, in der beanstandeten Art und Weis künftig zu unterlassen habe. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr, die nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden könne. Zur Begründetheit des Antrags ist auf eine E-Mail der Antragsgegnerin, die an Arbeitgeber gesendet worden sei, Bezug genommen worden, die als Anlage AS 1 vorgelegt worden ist. In der E-Mail wird mit doppelten AOK-Mehrleistungen geworben und unter anderem ausgeführt, diese Leistungen setzten voraus, dass der Versicherte seiner bisherigen Krankenkasse bis zum 28. Februar 2018 kündigt. Es ist im Einzelnen ausgeführt worden, weshalb sich die Maßnahme der Antragsgegnerin als wettbewerbswidrig darstelle. Hierauf ist Bezug zu nehmen.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,
der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung, bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Vorstandsvorsitzenden der Antragsgegnerin, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in der Bundesrepublik Deutschland

a) an Unternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber heranzutreten und diese aufzufordern, die Krankenkassen-Leistungen der Antragsgegnerin den Beschäftigten des Unternehmens zu empfehlen, und/oder

b) mit Beitragsvergleichen zu werben, in denen nicht über die Leistungsunterschiede der verglichenen Kassen aufgeklärt wird, und/oder

c) mithilfe von Wechselprämien um Mitglieder zu werben,

wenn dies [Buchst. a) bis c)] jeweils geschieht wie in Anlage AS 1 wiedergegeben.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie hält den Antrag sowohl für unzulässig – insbesondere ist insoweit das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses geltend gemacht worden, unter anderem sei dies durch Zeitablauf entfallen, weil die Mehrleistungen für Fremdversicherte eine Kündigung bis zum 28. Februar 2018 voraussetzten – als auch für unbegründet. Das beanstandete Werbeverhalten der Antragsgegnerin sei nicht wettbewerbswidrig. Dies ist im Einzelnen ausgeführt worden, worauf Bezug zu nehmen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Auch eine Rechtsschutzbedürfnis liegt nach Auffassung der Kamer aus den von dem Antragsteller angeführten Gründen vor, wobei der von der Antragsgegnerin insoweit gegen ein Rechtschutzbedürfnis angeführte Gesichtspunkt des Zeitablaufs aufgrund der Befristung der Wechselmöglichkeit zu den beworbenen Konditionen bis zum 28. Februar 2018 im Rahmen der Begründetheit zum Tragen kommt.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Zu den Voraussetzungen des Erlasses einer wie hier begehrten Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG führt das Landessozialgericht Hessen, 8. Senat (B. v. 28. November 2016, L P 34/16 B ER, juris), Folgendes aus:

"Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b, Rn. 16b f.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris - und vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 27 ff. m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Entscheidend ist, ob es bei einer Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller, a.a.O., § 86b Rn. 28; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. August 2013 - L 1 KR 229/13 B ER -, Rn. 17, juris)."

Das nach diesen Maßstäben, denen sich die Kammer anschließt, bestehende Erfordernis, auch die Dringlichkeit des Begehrens glaubhaft zu machen, gilt auch in wettbewerbsrechtlichen Konstellationen. Insoweit ist auf die folgenden Ausführungen des Landessozialgerichts Hamburg, Beschluss vom 18. September 2008 (L 1 B 149/08 ER KR, Rn. 15, juris) und die dort angeführten Nachweise Bezug zu nehmen:

"Auf die Darlegung und Glaubhaftmachung derartiger Folgen kann in dem vorliegenden Verfahren auch nicht verzichtet werden. Denn anders als bei den von den Zivilgerichten zu entscheidenden Verfahren nach § 12 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) i.V.m. den §§ 935 und 940 ZPO können im Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG einstweilige Anordnungen ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes von den Sozialgerichten nicht erlassen werden. Die Rechtsschutzerleichterung des § 12 Abs. 2 UWG, wonach zur Sicherung der im UWG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung eine einstweilige Verfügung auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 943 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden kann, gelten im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2008 – L 11 B 6/08 KR ER – juris Rn. 26 und 29 f.; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss v. 26. September 2007 – L 5 B 522/07 KR ER – NordÖR 2008, 30). Dies folgt aus der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG."

Die von der Antragstellerseite angeführte Vermutung der Dringlichkeit nach § 4 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 2 UWG kommt daher insoweit nicht zum Tragen.

Der demnach nach den genannten Maßstäben zu prüfende Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht. Das als wettbewerbswidrig beanstandete Verhalten der Antragsgegnerin ist insoweit durch Zeitablauf erledigt, als die Vergünstigung bei den Mehrleistungen an die Kündigung der bisherigen Krankenversicherung bis zum 28. Februar 2018 geknüpft war. Im Übrigen hat die Antragstellerseite zur Dringlichkeit lediglich auf die, wie ausgeführt, hier nicht maßgebliche Vermutungsregelung des § 12 Abs. 2 UWG und ansonsten auf das Vorgehen der Antragstellerin nach Kenntniserlangung von dem beanstandeten Verhalten der Antragsgegnerin, welches innerhalb einer 6-Wochenfrist erfolgt sei (Bezugnahme im Schriftsatz der Antragstellerseite vom 6. März 2018 auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in deren Schriftsatz vom 21. Februar 2018), verwiesen. Die Gefahr schwerer und unzumutbarer Nachteile für die Antragstellerin, wenn die beantragte Regelungsanordnung nicht ergeht, ist damit nicht dargetan, zumal hierbei entsprechende Substantiierungsanforderungen bestehen (zum Nichtgenügen einer pauschale Behauptung eines möglichen Mitgliederverlustes vgl. Landessozialgericht Hamburg, a.a.O.; siehe hierzu auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 02. November 2009 – L 11 KR 3727/09 ER-B –, Rn. 55, juris; wohl noch enger Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2006 – L 16 B 28/06 KR ER –, Rn. 6, juris). Dies gilt entsprechend für die geltend gemachte Wiederholungsgefahr (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2006 – L 16 B 28/06 KR ER –, juris, Orientierungssatz 3: "Bei fraglicher Wiederholungsgefahr der werbenden Krankenkasse ist einstweiliger Rechtsschutz zu versagen, weil der betroffenen Kasse ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache zumutbar ist.").

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 2 GKG (zur Streitwertfestsetzung in dieser Höhe vgl. Landessozialgericht Hessen, Beschluss vom 08. Februar 2010 – L 8 KR 294/09 B ER –, juris).
Rechtskraft
Aus
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