L 18 AL 9/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 AL 131/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 9/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 22. Dezember 2016 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 verpflichtet, über den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses neu entscheiden. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Gründungszuschusses (GZ).

Der 1977 geborene Kläger ist verheiratet. Er absolvierte von Oktober 1993 bis Februar 1997 erfolgreich eine Ausbildung zum Maler und Lackierer (Gesellenbrief vom 28. Februar 1998). Nachfolgend war er von Mai 1997 bis April 1998 als Maler beschäftigt und nach 2 Monaten Arbeitslosigkeit seit Juli 1988 bis zum Wehrdienst, den er von März 1999 bis Dezember 1999 leistete, wieder als Maler beschäftigt. Immer wieder von - zum Teil auch längeren - Zeiten der Arbeitslosigkeit, vor allem in den Wintermonaten, unterbrochen, war der Kläger, der vom 3. Februar 2003 bis 28. September 2003 eine selbständige Tätigkeit als Maler und Trockenbauer ausübte, sodann als Maler, Abbrucharbeiter, Trockenbauer, Tiefbauer, Lagerarbeiter bis 6. März 2014 beschäftigt, zuletzt als Maler und Gipser in der Schweiz.

Auf seinen zum 7. März 2014 gestellten Arbeitslosengeldantrag wurde dem Kläger ab diesem Tag Arbeitslosengeld (Alg) für 360 Tage bewilligt. Beim Gespräch mit der Arbeitsvermittlerin am 13. März 2014 gab der Kläger an, er stehe der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt mit dem Ziel "Maler-EU weit" zur Verfügung. Zugleich wies er auf bestehende familiäre Bindungen hin. Am selben Tag ließ sich der Kläger über den GZ informieren, wobei er auf einen bei ihm bestehenden Vermittlungsvorrang hingewiesen wurde. Am 14. April 2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines GZ für eine am 2. Juni 2014 aufgenommene selbständige Tätigkeit als Raumausstatter/Trockenbauer, welche er nach wie vor ausübt. Unter dem 25. Mai 2014 legte er eine Bestätigung der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) vom 14. April 2014 über die Eintragung in die Handwerksrolle zum 2. Juni 2014 nebst Stellungnahme als fachkundige Stelle vom 19. Mai 2014 zur Tragfähigkeit der Existenzgründung, einen Lebenslauf, eine Gewerbeanmeldung vom 15. Mai 2014 und einen Businessplan vom 11. Mai 2014 vor. Die Beklagte lehnte den Antrag vom 14. April 2014 mit Ablehnungsbescheid vom 16. Juli 2014 unter Hinweis auf den Vermittlungsvorrang ab. Es bestünden ausreichend Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Kläger habe im März und April 2014 allein fünf Vermittlungsvorschläge (VV) im Umkreis von 30 km von seinem Wohnort erhalten. Nach dem 22. April 2014 habe er keine VV mehr erhalten, da er an seinen Plänen zur Selbständigkeit trotz in Aussicht gestellter Ablehnung des GZ festgehalten habe. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, in seinem Bereich handele es sich meist um saisonale Beschäftigungen. In seiner beruflichen Tätigkeit seit 1997 sei er mehrfach in den Wintermonaten auf Arbeitsuche gewesen. Wegen der andauernden Unterbrechungen der Arbeitsverhältnisse habe er sich zum Schritt in die Selbständigkeit entschieden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2014 zurück und führte aus: Im Rahmen ihrer Ermessensausübung seien nicht nur die jeweiligen Umstände des Einzelfalles, sondern auch generelle Rahmenbedingungen wie beispielsweise die verfügbaren Haushaltsmittel sowie die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Vermittlungshemmnisse lägen nicht vor. Die Arbeitslosigkeit hätte auch ohne Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beendet werden können.

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen: Es liege lediglich ein einziges in Frage kommendes Stellenangebot (vom 5. Mai 2014) vor. Aus familiären Gründen komme eine Tätigkeit im Ausland nicht mehr in Betracht. Es treffe zu, dass seine Arbeitslosigkeit zuletzt nur wenige Wochen angedauert habe. Sie sei aber regelmäßig aufgetreten, worin sich die Schwierigkeit zeige, eine dauerhafte Beschäftigung zu erhalten.

Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat die auf Neubescheidung des Antrags auf Gewährung eines GZ gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2016 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Über den Antrag des Klägers auf Gewährung eines GZ sei nach § 93 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) nach Ermessen zu entscheiden gewesen. Die Beklagte habe sich rechtmäßig auf den Vermittlungsvorrang nach § 4 SGB III berufen. Der unterbreitete VV für die Tätigkeit als Maler und Lackierer sei sachgerecht gewesen. Auch wenn Dauerarbeitsverhältnisse bis zur Rente eher selten seien, sei der Vermittlungsvorrang gesetzlich geregelt. Da kein Rechtsanspruch auf den GZ bestehe und der Widerspruchsbescheid auch Ausführungen zu den Grundsätzen der der Bürgeröffentlichkeit und Sparsamkeit enthalte, sei die Ablehnung nicht zu beanstanden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen sein Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Ein einziges Stellenangebot vermöge realistische Vermittlungschancen nicht zu belegen. Nach seiner Rückkehr aus der Schweiz (im Frühjahr 2014) sei mit der Familie die Situation besprochen worden. Dabei sei festgestellt worden, dass eine weitere Tätigkeit im Ausland die Familie gefährden würde. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Der Vermittlungsvorrang sei bei Saisontätigkeiten zu relativieren, denn bei diesen bestehe keine Aussicht auf dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 22. Dezember 2016 sowie den Ablehnungsbescheid vom 16. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und trägt ergänzend vor: Von der Erforderlichkeit eines GZ könne erst aus gegangen werden, wenn während eines längeren Zeitraums keine erfolgreiche Vermittlung stattgefunden habe. Der GZ sei hier schon nach einer Arbeitslosigkeit von weniger als sechs Wochen beantragt worden. Die Tätigkeit eines Malers/Lackierer sei keine saisonabhängige Beschäftigung. Der Kläger habe diese Tätigkeit auch in den Monaten Januar bis Dezember ausgeführt.

Wegen des weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligtenwird wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Der Senat hat die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 28. August 2017 dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Ablehnung des GZ durch die Beklagte ist rechtswidrig, weil diese das zustehende Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat.

Der Kläger hat mit seiner Berufung nicht nur teilweisen Erfolg. Denn er hat sich bewusst darauf beschränkt, die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung zu beantragen. Eine "Durchverurteilung" der Beklagten zur Leistung hat der Kläger nicht angestrebt; von daher braucht der Senat keine Überlegungen zu einer etwaigen Ermessensreduzierung auf Null anzustellen.

Einschlägige Rechtsgrundlagen für das Begehren des Klägers sind §§ 93 und 94 SGB III in der ab 1. April 2012 geltenden, auch heute noch aktuellen Fassung. § 93 SGB III lautet wie folgt: (1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. (2) Ein Gründungszuschuss kann geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 beruht, 2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 3. ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt. Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. (3) Der Gründungszuschuss wird nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 vorliegen oder vorgelegen hätten. (4) Die Förderung ist ausgeschlossen, wenn nach Beendigung einer Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach diesem Buch noch nicht 24 Monate vergangen sind; von dieser Frist kann wegen besonderer in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegender Gründe abgesehen werden. (5) Geförderte Personen, die das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet haben, können vom Beginn des folgenden Monats an keinen Gründungszuschuss erhalten.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung eines GZ sind gegeben. Der Senat vermag ohne Schwierigkeiten festzustellen, dass es sich bei der vom Kläger angegebenen Tätigkeit um eine selbständige und hauptberufliche - also eine Tätigkeit im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB III - handelt. Diese wurde am 2. Juni 2014 im rechtlichen Sinn aufgenommen und blieb während des potenziellen Förderzeitraums auch aufrechterhalten. Nach der von der Beklagten nicht beanstandeten Stellungnahme der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2014 haben auch die Tatbestandsvoraussetzungen von § 93 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB III vorgelegen. Danach kann die Tragfähigkeit der Existenzgründung als nachgewiesen angesehen werden und dem Kläger sind auch die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt worden, um die avisierte selbständige Tätigkeit in einer den Lebensunterhalt nachhaltig und dauerhaft sichernden Weise zu betreiben.

Bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hatte der Kläger im Sinne von § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB III auch einen Anspruch auf Alg, dessen Dauer zu diesem Zeitpunkt noch mindestens 150 Tage betrug. Aufgenommen wurde die selbständige Tätigkeit tatsächlich, wie der Kläger im Antrag angegeben hatte, zum 2. Juni 2014. Bis zu diesem Zeitpunkt stand dem Kläger auch ein Anspruch auf Alg aufgrund der Bewilligung für 360 Tage ab 7. März 2014 zu. Schließlich hat der Kläger, wie es § 93 Abs. 1 SGB III fordert, durch die Aufnahme der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit seine Arbeitslosigkeit beendet.

Dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Gründungszuschuss erfüllt sind, verhilft der Berufung des Klägers noch nicht zum Erfolg. Denn dieser besitzt keinen Rechtsanspruch auf die Leistung, sondern nur ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens. Das ihr zustehende Ermessen hat die Beklagte aber gerade nicht fehlerfrei ausgeübt, weswegen der Kläger in diesem subjektiven Recht verletzt ist und mit seiner Klage Erfolg hat.

Wie sich aus § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III ergibt, verkörpert die Gewährung von Gründungszuschuss auch schon für die erste Phase eine Ermessensentscheidung; es handelt sich um ein Entschließungsermessen. Die Leistungsablehnung seitens der Beklagten im angegriffenen Ablehnungsbescheid vom 16. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 erfüllt nicht die Anforderungen an eine pflicht- und ordnungsgemäße Ermessensausübung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I) hatte die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das ist ihr nicht gelungen, selbst wenn unterstellt wird, dass der Kläger in eine abhängige Beschäftigung hätte vermittelt werden können. Der Senat verzichtet an dieser Stelle darauf, abstrakt darzustellen, welche Ermessensfehler unterschieden werden (vgl. dazu ausführlich Urteil des BayLSG vom 20. April 2017 - L 9 AL 49/14 -, juris). Vielmehr genügt es festzustellen, dass die Beklagte im vorliegenden Fall einerseits den Vermittlungsvorrang offenkundig "verabsolutiert" hat und ihr insoweit eine Ermessensunterschreitung, wenn nicht gar ein Ermessensnichtgebrauch unterlaufen ist. Bei der Prüfung der Ermessensausübung kann der Senat die Entscheidung der Beklagten nur im Sinn einer Rechtskontrolle daraufhin überprüfen, ob die Beklagte ihr Ermessen entsprechend den Vorgaben von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I rechtmäßig ausgeübt hat oder ob ein Ermessensfehler im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG vorliegt und der Kläger hierdurch beschwert ist. Er hat jedoch keine eigenen Ermessens- und Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen (vgl. BayLSG, Urteil vom 22. März 2018 - L 9 AL 135/14 -, juris). Der von der Beklagten herangezogene Gesichtspunkt des Vermittlungsvorrangs, der in § 4 SGB III eine gesetzliche Regelung erfahren hat, vermag die Leistungsablehnung durch die Beklagte für sich genommen nicht in jedem Fall zu tragen. Nach § 4 Abs. 1 SGB III hat die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit. In der Rechtsprechung der Landessozialge-richte ist einhellige Meinung, dass es sich beim Vermittlungsvorrang um einen Ermessensgesichtspunkt und nicht um eine weitere Tatbestandsvoraussetzung handelt (vgl. beispielsweise LSG Hessen, Urteil vom 11. November 2016 - L 3 AL 29/14; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2016 - L 18 AL 127/15 -; LSG Hamburg, Urteil vom 23. September 2015 - L 2 AL 20/14 -; SächsLSG, Urteil vom 13. August 2015 - L 3 AL 156/13 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2013 - L 9 AL 81/13 -). Dementsprechend kann aus § 4 Abs. 1 SGB III schlechterdings nicht abgeleitet werden, in jedem Fall, in dem eine Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung überhaupt möglich sei, seien Entgeltersatzleistungen ausgeschlossen. § 4 Abs. 1 SGB III verlangt keine ausnahmslose Handhabung, er erhebt keinen Absolutheitsanspruch. Die Formulierung "Vorrang" lässt eine Abwägungsoffenheit zu. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB III relativiert den ohnehin nicht apodiktischen Vermittlungsvorrang noch weiter. Dieser soll im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur dann greifen, wenn nicht die sonstige Leistung der aktiven Arbeitsförderung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Noch mehr als "Vorrang" deutet das Tatbestandsmerkmal "erforderlich" an, dass Abwägungsoffenheit besteht. Der Vermittlungsvorrang hat keine absolute Durchsetzungskraft, stets müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Denn in Zusammenschau von Ablehnungs- und Widerspruchsbescheid hat die Beklagte bei Anlegung eines objektiven Empfängerhorizonts den Eindruck vermittelt, sie betrachte den Vermittlungsvorrang nicht als Ermessensaspekt, sondern quasi als vorgelagerte, erste Leistungsvoraussetzung, deren Fehlen von vornherein jede weitere Prüfung vereitele. Im Ablehnungsbescheid hatte die Beklagte zunächst die Voraussetzungen des § 93 SGB III genannt und im Anschluss hieran ausgeführt: "Es besteht in Ihrem Fall ein Vermittlungsvorrang nach § 4 Abs. 2 SGB III. Es ist unabhängig von Ihrer Gründungsansicht zu beurteilen, ob Sie auch ohne Leistungen der aktiven Arbeitsmarktförderung in den Arbeitsmarkt dauerhaft eingegliedert werden können." Damit erweckte der Ablehnungsbescheid den Eindruck, dass bei Vorliegen eines Vermittlungsvorrangs – wie bei einem negativen Tatbestandsmerkmal – die Bewilligung eines GZ ausnahmslos nicht in Betracht kommt. Nachdem anschließend das Vorliegen des Vermittlungsvorrangs begründet worden war, wobei darauf hingewiesen wurde, dass bei Integrationsmöglichkeit in eine Beschäftigung der Gemeinschaft der Beitragszahler eine Gewährung des GZ nicht zugemutet werden könne, kam die Begründung im Ablehnungsbescheid zu dem Schluss, dass ein GZ nicht gewährt werden könne. Mit diesen Formulierungen, in denen der Begriff des Ermessens nicht auftaucht, wurde der Eindruck erweckt, es handele sich um eine gebundene Entscheidung. Im Widerspruchsbescheid wurde dann zwar klargestellt, dass eine Ermessensentscheidung getroffen werden sollte und im Ansatz zutreffend ausgeführt, dass die Interessen des Klägers an einer Förderung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft abzuwägen seien. Eine derartige Abwägung lassen indes die weiteren Ausführungen nicht hinreichend erkennen. Denn sie beschränkten sich wiederum auf den Hinweis auf den "grundsätzlichen" Vorrang einer möglichen Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Ohne dass das "persönliche Interesse" des Klägers an einer Förderung identifiziert wird, kommt die Beklagte sodann zu dem Ergebnis, dass es hinter dem Interesse an einer sparsamen Verwendung der Beitragsmittel zurückzustehen habe. Diese Vorgehensweise wäre freilich unbedenklich, wenn im Falle des Klägers nur ein unspezifisches Interesse am Erhalt einer Förderung bestanden hätte wie es jedem Antrag auf Förderung eigen ist. Denn wenn der jeweilige Einzelfall erkennbar keine weitergehenden Aspekte aufweist, die für eine Ermessensbetätigung zugunsten eines Antragstellers sprechen, kann auch nicht verlangt werden, dass die Behörde quasi nach solchen sucht und sie im Rahmen der Ermessensentscheidung behandelt; die Ermessensentscheidung muss nicht künstlich "aufgebläht" werden. Sie muss aber all das enthalten und diskutieren, was nach Lage der konkreten Umstände relevant ist (ebenso BayLSG, Urteil vom 22. März 2018 - L 9 AL 135/14 -, juris). Nach Lage der konkreten Umstände hätte die Beklagte hier jedenfalls in Betracht ziehen müssen, dass der Kläger in der Vergangenheit in den Wintermonaten regelmäßig arbeitslos geworden war, was nach seinem Vorbringen im Widerspruch vom 31. Juli 2014 darauf beruht hatte, dass es sich in seinem Tätigkeitsbereich jeweils um saisonale Beschäftigung gehandelt hatte. Mit diesem vom Kläger angeführten Interesse an einer weniger von saisonalen Schwankungen geprägten und damit ein auch in den Wintermonaten ein auskömmliches Einkommen versprechenden "Dauertätigkeit" hätte sich die Beklagte auseinander setzen müssen, was freilich im Verwaltungsverfahren nicht geschehen ist. Es kann offen bleiben, ob ein "Nachschieben" von Ermessenserwägungen im sozialgerichtlichen Verfahren in Betracht kommt (vgl. dazu Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 54 Rn. 36). Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Argumentation des Klägers hat nämlich auch nicht im Berufungsverfahren stattgefunden. Die Stellungnahmen der Beklagten vom 21. September 2017 und 22. November 2017 im Berufungsverfahren verkennen zum einen, dass der Kläger wie bereits ausgeführt und im Lebenslauf des Klägers dokumentiert sehr wohl in den Wintermonaten häufig arbeitslos gewesen war und zum anderen, dass es nicht darum geht, dass das Unternehmen des Klägers saisonalen Schwankungen unterworfen wäre, sondern seine bisherigen Tätigkeiten. Der Kläger behauptet vielmehr, dass seine Existenzgründung gerade keinen saisonalen Schwankungen unterliege und von daher eine "dauerhaftere" Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch die begehrte Förderung erreicht werden könne.

Bei der von der Beklagten erneut zu treffenden Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Bewilligung eines GZ wird diese sich schließlich auch mit den von ihm erst im gerichtlichen Verfahren spezifizierten familiären Gründen befassen müssen, die nach seiner Auffassung nunmehr lediglich eine Beschäftigung im hiesigen regionalen Bereich zulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved