L 8 KR 554/18 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 KR 109/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 554/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 12. Juli 2018 aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin vom 18. Mai 2018 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu erstatten.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 122.150,33 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 12. Juli 2018 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. Mai 2018 abzulehnen,

ist auch in der Sache begründet.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts sowie der einschlägigen Anspruchsgrundlagen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und umfassenden Ausführungen des Sozialgerichts Fulda im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch nicht in dem zuerkannten Umfang vor. Der Senat vermochte dem Sozialgericht bezüglich des zuerkannten vorläufigen Vergütungsanspruchs der Antragstellerin i.H.v. 366.451,- EUR nicht zu folgen, da es insoweit an einer gesetzlichen bzw. vertraglichen Anspruchsgrundlage mangelt, so dass der erforderliche Anordnungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht besteht. Die Voraussetzungen für das Entstehen eines solchen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruchs lagen für die streitgegenständliche Forderung mangels eines Versorgungs- und Vergütungsvertrags zwischen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin nicht vor.

Nach §132a Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) schließen die Krankenkassen über die Einzelheiten der Versorgung ihrer Versicherten mit häuslicher Krankenpflege, über die Preise und deren Abrechnung und die Verpflichtung der Leistungserbringer zur Fortbildung Verträge mit den Leistungserbringern. Die Preisvereinbarung nach dem Vertragsmodell des § 132a SGB V unterliegt grundsätzlich der Ausgestaltung der Beteiligten. Danach ist die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach der Vorstellung des Gesetzgebers grundsätzlich frei auszuhandeln. Prinzipiell sollen also Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Auch sollen die Krankenkassen Wirtschaftlichkeitsreserven nutzen, also nach Möglichkeit für sie günstige Konditionen aushandeln. Um zugleich Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen zu gewährleisten (§ 12 SGB V), kann sich die Kostenübernahme daher nur an den Versorgungs- und Vergütungsverträgen nach § 132a Abs. 2 SGB V orientieren. Die personellen und qualitativen Voraussetzungen der Leistungserbringung werden bei der häuslichen Krankenpflege erst durch die vertraglichen Beziehungen zu dem einzelnen Leistungserbringer sichergestellt. Ohne vertragliche Beziehungen der Krankenkasse zu dem einzelnen Leistungserbringer sind daher die personellen und qualitativen Voraussetzungen sowie die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung nicht gewährleistet. Leistungserbringer, die zu einer anderen Krankenkasse in Vertragsbeziehungen stehen, haben nur dieser gegenüber die Einhaltung der vertraglichen Bedingungen zugesichert. Gerade im Bereich der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich kann daher eine Leistung nur dann dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen, wenn sie auf einer konkreten Vergütungsvereinbarung beruht. Das wird nicht nur an der Komplexität der Leistung deutlich, sondern auch daran, dass bei nachträglicher Festsetzung einer angemessenen Vergütung unklar bleibt, ob diese an den üblichen Verträgen der Klägerin oder der Beklagten oder der Ortskrankenkasse am Wohnsitz des Versicherten zu bemessen ist (BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 KR 18/15 R –, SozR 4-2500 § 132a Nr. 9., juris Rn. 23, 26).

Mit der Regelung in § 132a SGB V geht der Gesetzgeber, entsprechend der allgemeinen Intention des SGB V zur Kostenreduzierung im Gesundheitswesen, davon aus, dass Vergütungsbestimmungen im freien Spiel der Kräfte geschlossen werden und durch die Verpflichtung der Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten einerseits sowie der Konkurrenz der Leistungserbringer andererseits im Ergebnis marktgerechte und möglichst günstige Preise erreicht werden. Gemäß § 132a Abs. 2 S. 5 SGB V haben die Krankenkassen darauf zu achten, dass Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden. Hierbei ist es nicht Aufgabe der Gerichte, nach Art von Schiedsstellen die angemessene Vergütung festzusetzen (BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 4; BSG SozR 3-2200 § 376d Nr. 1). Vielmehr sind die Gerichte grundsätzlich daran gehindert, das, was ein Leistungserbringer in Verhandlungen mit einer Krankenkasse oder umgekehrt nicht hat durchsetzen können, nachträglich zum Vertragsinhalt zu machen. Darin läge ein systemwidriger Eingriff in eine gesetzliche Konzeption, die von der Einschätzung getragen wird, die Vertragspartner seien im Stande, ausgewogene und interessengerechte Lösungen zu vereinbaren. Die Gerichte haben sich daher grundsätzlich immer dann zurückzuhalten, wenn ihr Entscheidungsverhalten direkt oder indirekt auf die Schaffung neuer Vertragsinhalte hinauslaufen würde (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 03/17, § 132a SGB V, Rn. 29). Nach § 132a Abs. 2 S. 7 SGB V ist vielmehr eine von den Parteien unabhängige Schiedsperson zu bestimmen, die notfalls den Vertragsinhalt verbindlich für beide Parteien festlegt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. März 2009 – L 16 KR 64/08 –, juris Rn. 31 32).

Bezüglich der streitgegenständlichen, von der Antragstellerin im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. April 2018 erbrachten intensiv-medizinischen Pflegeleistungen über in der Regel 24 Stunden täglich für die Versicherten der Antragsgegnerin mangelt es an einer konkreten Vergütungsvereinbarung. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss ergibt sich der Vergütungsanspruch insbesondere nicht aus § 5 Abs. 3 des Rahmenvertrages nach § 132a SGB V über die Erbringung häuslicher Krankenpflege in Hessen vom 1. Mai 2006. Danach übernimmt die Krankenkasse vom ärztlich festgelegten Leistungsbeginn an die Kosten für die vertragsärztlich verordneten, von ihr genehmigten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Vergütungsvereinbarung im vorgenannten Sinne, da § 5 Abs. 3 des Rahmenvertrages keine Regelungen zur Vergütungshöhe und zu den einzelnen Bedingungen für die Vergütung enthält. Bezüglich der maßgeblichen Vergütungsregelungen verweist der Rahmenvertrag in § 23 Abs. 3 und § 42 Abs. 1 auf die Anlagen zum Rahmenvertrag. Bezüglich der streitgegenständlichen intensiv-medizinischen Pflegeleistungen ist insoweit die Anlage 2i Nr. 24 einschlägig. Danach sind sowohl die Qualifikation der mit den Pflegeleistungen betrauten Fachkräfte als auch die Höhe der Vergütung in Einzelfallvereinbarungen zu regeln. Im Gegensatz zu zahlreichen weiteren Leistungen der häuslichen Krankenpflege enthält der Rahmenvertrag daher für die hier streitgegenständlichen intensiv-medizinischen Pflegeleistungen keine konkreten Vergütungsvereinbarungen. Einzelfallvereinbarungen zur Regelung der Qualifikation der eingesetzten Pflegekräfte sowie zur Höhe der Vergütung sind zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin unstreitig bislang noch nicht zustande gekommen.

Ohne solche vertraglichen Regelungen zwischen dem Krankenversicherungsträger und dem Leistungserbringer kommt ein Vergütungsanspruch für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Denkbar sind solche Ausnahmefälle z.B. in Notfällen oder für den Zeitraum zwischen der Kündigung eines Vergütungsvertrages und dem Abschluss neuer Preisvereinbarungen (BSG Urteil vom 20. April 2016 a.a.O., Rn. 29).

Eine solche Ausnahmesituation vermag der Senat vorliegend nicht zu erkennen. Zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin bestand vor dem streitgegenständlichen Zeitraum noch keine Vereinbarung über die Erbringung von Leistungen der intensivmedizinischen Krankenpflege. Ein unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (fort-)bestehender Vergütungsanspruch der Antragstellerin lässt sich auch nicht damit begründen, dass deren Geschäftsführer und ein Teil der angestellten Pflegekräfte zuvor für den Pflegedienst "C. A-Stadt" tätig waren und nach dessen Einstellung zum Jahresende 2016 von der Antragstellerin die bis dahin von diesen betreuten pflegebedürftigen Versicherungsnehmer der Antragsgegnerin übernommen worden sind. Von der Antragstellerin wurde am Laufe des Verfahrens selbst mehrfach betont, dass es sich bei ihr um eine Neugründung und nicht um eine bloße Umfirmierung bzw. den Rechtsnachfolger des Pflegedienst "C. A-Stadt" handelt. Folglich ergibt sich aus den vorangegangenen Vertragsbeziehungen dieses Pflegedienstes mit der Antragsgegnerin kein Vergütungsanspruch bezüglich der Pflegeleistungen, die nach dem 1. Januar 2017 von der Antragstellerin an die zuvor vom Pflegedienst "C. A-Stadt" betreuten Versicherten der Antragsgegnerin erbracht worden sind.

Der Vergütungsanspruch ergibt sich auch nicht (teilweise) unmittelbar aus den Regelungen des vom gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL). Nach § 6 Abs. 6 der HKP-RL in der Fassung vom 17. September 2009 (zuletzt geändert am 16. März 2017) übernimmt die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs. 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift kann dem Vergütungsanspruch des Leistungserbringers unter den genannten Voraussetzungen zwar grundsätzlich bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die Genehmigung die fehlende medizinische Notwendigkeit der Leistung nur in engen Grenzen entgegengehalten werden. Die Vorschrift bildet jedoch keine vom Vertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V unabhängige Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch, sondern setzt grundsätzlich eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Leistungserbringer und der Krankenkasse voraus (BSG, Urteil vom 20. April 2016 – a.a.O., Rn. 15 - 17), an der es vorliegend mangelt.

Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die von ihr im streitgegenständlichen Zeitraum versorgten Versicherten die betreffenden Leistungen zeitgerecht nicht anders als durch ein vertragsloses Unternehmen in Anspruch hätten nehmen können. Dazu muss ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf vorliegen, der sofort befriedigt werden muss und keine Zeit zum Aufsuchen oder Herbeirufen von zugelassenen Leistungserbringern belässt (BSG Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 KR 18/15 R –, SozR 4-2500 § 132a Nr. 9, Rn. 31). Anhaltspunkte hierfür lassen sich weder dem Vorbringen der Beteiligten noch den vorliegenden Unterlagen entnehmen.

Der streitgegenständliche Vergütungsanspruch der Antragstellerin lässt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Kontrahierungszwangs damit begründen, dass die Antragsgegnerin den Abschluss der Vergütungsvereinbarung willkürlich verhindert hat. Einem Leistungserbringer kann ein Anspruch auf Vertragsabschluss eingeräumt werden, soweit der Vergütungsvorschlag der Krankenkasse gegen die Anforderungen des Kartellrechts bzw. gegen Grundrechte des Leistungserbringers verstößt; insofern kann sich ein Kontrahierungszwang für die Krankenkasse ergeben, wenn diese die Grenzen des ihr eingeräumten Verhandlungsspielraums missbraucht (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 03/17, § 132a SGB V, Rn. 26 m.w.N.). Hierfür ergeben sich vorliegend auch nach dem Vorbringen der Antragstellerin keine konkreten Anhaltspunkte. Der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ist zwischen den Beteiligten bislang an den unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des Nachweises der Qualifikation der vom Pflegedienst eingesetzten Pflegekräfte sowie an der Höhe der Stundensätze gescheitert. Dabei erscheint es dem Senat jedenfalls nicht willkürlich, wenn seitens der Antragsgegnerin die Forderung einer Vergütung, welche rund 25 % über den bereits abgeschlossenen Vergütungsvereinbarungen mit vergleichbaren Pflegediensten liegt, nicht akzeptiert wird und sie zudem fordert, dass seitens der Antragstellerin der Nachweis über die Qualifikation der eingesetzten Pflegekräfte durch das zur Verfügung stellen entsprechender Dokumente unter namentlicher Bezeichnung der betreffenden Personen geführt wird. Hierbei handelt es sich um Verhandlungspositionen, die sich zur Überzeugung des Senats im Rahmen des der Antragsgegnerin zustehenden Verhandlungsspielraums bewegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung in entsprechender Anwendung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 197a SGG i.V.m. 47, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG beträgt ein Viertel bis zur Hälfte des Streitwerts der Hauptsache je nach deren wirtschaftlicher Bedeutung (Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 5. Auflage 2017, Ziffer A II 10.1). In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht erscheint in diesem Rahmen die Festlegung des Streitwertes auf 1/3 der streitgegenständlichen Forderungssumme angemessen, wobei insoweit im Beschwerdeverfahren auf den noch streitigen Anteil der Antragsforderung abzustellen ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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