L 39 SF 302/17 B E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
39
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 133 SF 643/17 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 39 SF 302/17 B E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Nummern 3104 Nr 1 Alternative 2, 3106 S 1 Nr 1 Alternative 2 VV RVG setzen nicht voraus, dass ein schriftlich angenommener Vergleich auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht (§ 101 Abs 1 S 2 SGG, § 106 S 2 VwGO) oder dass das Zustandekommen und der Inhalt des schriftlich angenommenen Vergleichs durch Beschluss des Gerichts festgestellt wurde (§ 202 S 1 SGG in Verbindung mit § 278 Abs 6 S 1 Alternative 1, S 2 ZPO).
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 aufgehoben. Die Erinnerung des Antragsgegners gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2017 wird zurückgewiesen. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten steht die Höhe des Vergütungsanspruchs eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts in Streit.

Der als Rechtsanwalt zugelassene Antragsteller erhob mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 im Namen des von ihm bereits im Widerspruchsverfahren vertretenen Herrn S P eine gegen das Jobcenter B P gerichtete Klage ().

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2016 bewilligte das Sozialgericht Herrn P (unter Beiordnung des Antragstellers) Prozesskostenhilfe.

Mit (formlosem) Schreiben vom selben Tag unterbreitete es dem Antragsteller und dem Jobcenter B P einen Vergleichsvorschlag, der vorsah, dass das Jobcenter B P "63 % der außergerichtlichen Kosten" des Herrn P zu tragen habe und dass der "Rechtsstreit vollumfänglich erledigt" sei.

Mit Schriftsatz vom 5. Januar 2017 stimmte der Antragsteller, mit Schriftsatz vom 24. Januar 2017 stimmte das Jobcenter B P dem Vergleichsvorschlag zu.

Am 20. Februar 2017 stellte der Antragsteller den Antrag, die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf 239,90 EUR festzusetzen (63 vom Hundert einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ‹im Folgenden: VV RVG› in Höhe von 300,00 EUR ‹300,00 EUR x 63/100 = 189,00 EUR›, zuzüglich 20,00 EUR als Post-/Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG und 38,30 EUR als Umsatzsteuern gemäß Nr. 7008 VV RVG).

Am selben Tag stellte er ferner den Antrag, die ihm aus der Landeskasse für das unter dem Aktenzeichen registrierte Verfahren zu zahlende Vergütung wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR - 50 % Geschäftsgebühr Vorverfahren Einigungsgebühr Terminsgebühr Post-/Telekommunikationspauschale Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG Nr. 1000, 1006 VV RVG Nr. 3106 VV RVG Nr. 7002 VV RVG - 94,50 EUR 300,00 EUR 270,00 EUR 20,00 EUR Zwischensumme 795,50 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 151,15 EUR Gesamtbetrag 946,65 EUR

Mit Beschluss vom 16. März 2017 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Berlin die Vergütung des Antragstellers für das unter dem Aktenzeichen registrierte Verfahren auf 946,65 EUR fest.

Am 1. August 2017 hat der Antragsgegner Erinnerung eingelegt. Ein "schriftlicher Vergleich" im Sinne der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG sei nur ein gerichtlicher Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Vergütung, die der Antragsteller für das unter dem Aktenzeichen registrierte Verfahren beanspruchen könne, sei daher wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR - 50 % Geschäftsgebühr Vorverfahren Einigungsgebühr Post-/Telekommunikationspauschale Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG Nr. 1000, 1006 VV RVG Nr. 7002 VV RVG - 94,50 EUR 300,00 EUR 20,00 EUR Zwischensumme 525,50 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 99,85 EUR Gesamtbetrag 625,35 EUR

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2017 hat das Sozialgericht der Erinnerung stattgegeben.

Gegen den ihm am 23. Oktober 2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 2. November 2017 Beschwerde eingelegt. II. Die Beschwerde – über die aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 20. Juli 2018 der Senat (ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter) entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 8 Satz 1 bis 3 RVG) – ist zulässig (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 1, 3, Abs. 7 Satz 3 RVG in Verbindung mit § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG) und begründet. Die Erinnerung des Antragsgegners ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Eine Terminsgebühr ist entstanden. Vorbemerkung 3 Absatz 3 VV RVG bestimmt:

"Die Terminsgebühr entsteht sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Sie entsteht jedoch nicht für die Wahr¬nehmung eines gerichtlichen Termins nur zur Verkündung einer Entscheidung. Die Gebühr für außergerichtliche Termine und Besprechungen entsteht für 1. die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins und 2. die Mitwirkung an Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber."

Die Worte "wenn nichts anderes bestimmt ist", welche die Vorbemerkung 3 Absatz 3 Satz 1 VV RVG enthält, "sollen die Fälle der &701;fiktiven Terminsgebühr&700;" erfassen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11471 S. 275). Diese fällt nach Nr. 3104 VV RVG in Verfahren vor den Sozialgerichten an, in denen Wertgebühren entstehen, wenn

"1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, 2. nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann oder 3. das Verfahren vor dem Sozialgericht, für das mündlich Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.",

und nach Nr. 3106 VV RVG in Verfahren vor den Sozialgericht, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, wenn

"1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, 2. nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann oder 3. das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet."

Nach Nr. 3106 Satz 2 VV RVG beträgt "in den Fällen des Satzes 1 [ ] die Gebühr 90% der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nummer 1008".

Die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG setzen nicht voraus, dass ein schriftlich angenommener Vergleich auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG, § 106 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung ‹VwGO›) oder dass das Zustandekommen und der Inhalt des schriftlich angenommenen Vergleichs durch Beschluss des Gerichts festgestellt wurde (§ 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 1, Satz 2 ZPO) (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3104 VV RVG Rn. 69; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, Nr. 3106 VV RVG Rn. 5; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung ‹ZPO›, 32. Aufl. 2018, § 278 Rn. 41; Schneider, NJW-Spezial 2014, S. 283; Schneider, NJW 2018, S. 523, 523 f.; Hinne, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, Nr. 3106 VV RVG Rn. 12; Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mat¬hias/Uher, RVG, 4. Aufl. 2011, Nr. 3104 VV RVG Rn. 54; Schons, in: Hartung/ Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, Nr. 3104 VV RVG Rn. 27 – 32; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, Nr. 3104 VV RVG Rn. 15; Oberlandesgericht ‹OLG› Köln, Beschluss vom 20. Juni 2016, I-17 W 98/16; Landesarbeitsgericht ‹LAG› Hamburg, Beschluss vom 16. August 2010, 4 Ta 16/10; Sozialgericht ‹SG› Dessau-Roßlau, Beschluss vom 15. März 2017, S 1 R 535/13; SG Neuruppin, Beschluss vom 31. Mai 2017, S 23 SF 25/16 E; Landessozialgericht ‹LSG› Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14. März 2018, L 13 SB 1/17 B; Loytved, jurisPR-SozR 8/2018 Anm. 5).

Die gegenteilige Minderansicht (vgl. Verwaltungsgericht ‹VG› Berlin, Beschluss vom 23. Juni 2008, 14 KE 227.06, 14 V 29.05; Oberverwaltungsgericht ‹OVG› Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2009, OVG 1 K 72.08; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 9 AL 277/14 B; Bayrisches LSG, Beschluss vom 22. Mai 2015, L 15 SF 115/14 E; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2015, L 7/14 AS 64/14 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Januar 2016, L 10 SB 57/15 B; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Mai 2017, L 8 R 682/15 B KO; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2017, L 18 R 507/16 B; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2017, OVG 6 K 72.17; VG Leip¬zig, Beschluss vom 22. März 2018, 2 K 2700/17.NC; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. März 2018, L 18 KN 58/17 B) kann nicht überzeugen. Keines der von ihr angeführten Argumente ist stichhaltig.

Die Minderansicht macht geltend, dass nach der Begründung des Entwurfs zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz durch die Ergänzung der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG eine Angleichung an Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG habe erfolgen sollen. Nach der "ganz herrschenden Rechtsprechung" zu Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG sei ein "schriftlicher Vergleich" nur ein solcher, der nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Satz 2 ZPO (in Verbindung mit § 202 Satz 1 SGG) oder § 106 Satz 2 VwGO, § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG unter konstitutiver Mitwirkung des Gerichts geschlossen werde. Es sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber diese herrschende Praxis bekannt gewesen sei und er sie in die Neufassung von Ziffer 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG habe übernehmen wollen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 9 AL 277/14 B; Bayrisches LSG, Beschluss vom 22. Mai 2015, L 15 SF 115/14 E; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2015, L 7/14 AS 64/14 B; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Mai 2017, L 8 R 682/15 B KO).

Richtig ist zwar, dass Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 VV RVG durch das "Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts" (im Folgenden: zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz) vom 23. Juli 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 Teil I S. 2586) um die Worte "oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen" ergänz wurde. Richtig ist ferner, dass es im Entwurf zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz heißt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11471 S. 275):

"Mit dem Vorschlag soll Nummer 1 der Anmerkung an Absatz 1 Nummer 1 der Anmerkung zu Nummer 3104 angeglichen werden. Es gibt keinen sachlichen Grund, den schriftlichen Abschluss eines Vergleichs anders zu behandeln, nur weil keine Wertgebühren sondern Betragsrahmengebühren erhoben werden."

Die Behauptung jedoch, dass "nach der ganz herrschenden Rechtsprechung" zu Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG ein "schriftlicher Vergleich" nur ein solcher sei, der nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Satz 2 ZPO (in Verbindung mit § 202 Satz 1 SGG) oder § 106 Satz 2 VwGO, § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG unter konstitutiver Mitwirkung des Gerichts geschlossen werde, geht fehl. Gestützt wird sie auf vier Beschlüsse: auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 2005 (III ZB 42/05) und vom 10. Juli 2006 (II ZB 28/05), auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juni 2008 (14 KE 227.06, 14 V 29.05) und auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 16. März 2009 (OVG 1 K 72.08) (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 9 AL 277/14 B). Von diesen vier Beschlüssen setzen sich lediglich zwei, nämlich die beiden zuletzt genannten, mit der Frage auseinander, ob die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG voraussetzen, dass ein schriftlich angenommener Vergleich auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG, § 106 Satz 2 VwGO) oder dass das Zustandekommen und der Inhalt des schriftlich angenommenen Vergleichs durch Beschluss des Gerichts festgestellt wurde (§ 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Satz 2 ZPO ‹in Verbindung mit § 202 Satz 1 SGG›). Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 2005 (III ZB 42/05) und vom 10. Juli 2006 (II ZB 28/05) erörtern diese Frage nicht. Mit ihnen hat der Bundesgerichtshof ausschließlich geklärt, dass bei Abschluss eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr anfällt, obwohl das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO eine mündliche Verhandlung nicht erfordert, und dass der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht nur dann eine Terminsgebühr auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495a ZPO geschlossen wird.

Den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juni 2008 (14 KE 227.06, 14 V 29.05) und des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 16. März 2009 (OVG 1 K 72.08) stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Entwurfs zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (14. November 2012) der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 16. August 2010 (4 Ta 16/10) entgegen. Eine "herrschende" Meinung begründeten sie folglich nicht.

Die Aussage, dass der Gesetzgeber die diesen Beschlüssen zugrunde liegende Auffassung mit dem zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz in die Neufassung von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG habe übernehmen wollen, kann ebenfalls nicht überzeugen.

Im ersten Abschnitt der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ("A. Allgemeiner Teil") heißt es (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11471 S. 133):

"Der Entwurf ist somit ein wesentlicher Teil der Kostenstrukturreform, deren wichtigstes Ziel die Vereinfachung des Kostenrechts ist. Hierdurch sollen die Gerichte so weit wie möglich von der sehr umfangreich gewordenen Kostenrechtsprechung entlastet werden. Ferner soll durch präzisere Regelungen eine bundeseinheitliche Rechtsanwendung gefördert werden. Diese kann durch die Rechtsprechung allein nicht gewährleistet werden, weil in Kostensachen eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht zulässig ist. Die Klärung von Streitfragen durch den Gesetzgeber ist auch deshalb geboten, um dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit Rechnung zu tragen, dessen Beachtung für die Gebühren als öffentliche Abgaben von besonderer Bedeutung ist."

Eines der Ziele des zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes war mithin die Beseitigung bestehender Unklarheiten und die Entscheidung strittiger Rechtsfragen.

Aus dem zweiten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ("B. Zu den einzelnen Vorschriften") ergibt sich unmissverständlich, welche Unklarheiten der Gesetzgeber beseitigen und welche Rechtsfragen er entscheiden wollte (vgl. Bundestagsdrucksache 17/ 11471, S. 266 ‹"Der vorgeschlagene neue Absatz dient der Klarstellung."; "Die Ergänzung dient der Klarstellung, dass [ ]."›, S. 267 ‹"Die Frage, ob [ ], ist umstritten [ ]. Mit der nunmehr vorgeschlagenen neuen Nummer [ ] soll dieser Streit dahingehend entschieden werden, dass [ ]."; "Mit diesem Vorschlag soll eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts [ ] aufgenommen werden."›, S. 268 ‹"Die Frage, ob [ ], ist umstritten [ ]. [ ] Diese Streitfrage soll nunmehr dahingehend beantwortet werden, dass [ ]."; "Der Vorschlag dient der Klarstellung, dass [ ]."›, S. 270 ‹"Mit diesem Vorschlag soll die strittige Frage geklärt werden, ob [ ]."›, S. 272 ‹"In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass [ ]. Daher soll nunmehr ausdrücklich klargestellt werden, dass [ ]."› u. s. w.). Die Bedeutung des Begriffs "schriftlicher Vergleich", den Nr. 3104 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG enthält, war (schon) zum Zeitpunkt des Entwurfs des zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (14. November 2012) umstritten (vgl. einerseits die oben zitierten Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 16. März 2009 ‹OVG 1 K 72.08› und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juni 2008 ‹14 KE 227.06, 14 V 29.05›; vgl. andererseits Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl. 2012, Nr. 3104 VV RVG Rn. 61; Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curko-vic/Mathias/Uher, RVG, 4. Aufl. 2011, Nr. 3104 VV RVG Rn. 54; LAG Hamburg, Beschluss vom 16. August 2010, 4 Ta 16/10).

Dass der Gesetzgeber diesen Streit entscheiden wollte, geht aus dem zweiten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz nicht hervor. Zur Terminsgebühr heißt es dort lediglich (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11471 S. 274 – 276):

"Zu Nummer 24 (Vorbemerkung 3 VV RVG) [ ]

Zu Buchstabe b

Der neu gefasste Absatz 3 soll zweierlei bewirken. Zum einen sollen künftig auch Anhörungstermine unter die Regelung für die Terminsgebühr fallen, zum anderen soll klargestellt werden, dass die Terminsgebühr für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete außergerichtliche Besprechungen unabhängig davon entsteht, ob für das gerichtliche Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.

Der geltende Wortlaut des Absatzes 3 nennt lediglich die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin als Voraussetzung für den Anfall der Terminsgebühr im gerichtlichen Verfahren. Es ist aber sachgerecht, auch die Teilnahme an einem Anhörungstermin in gleicher Weise zu entgelten wie die Teilnahme an einem Erörterungstermin. Der Aufwand und die Verantwortung des Anwalts ist in beiden Fällen vergleichbar.

Der Neuaufbau des Absatzes 3 soll einen Streit in der Rechtsprechung zum Anfall der Terminsgebühr für Besprechungen dahingehend entscheiden, dass die Terminsgebühr für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete außergerichtliche Besprechungen auch dann entsteht, wenn die gerichtliche Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ergeht. Diese Auffassung entspricht den Entscheidungen des OLG München vom 27. August 2010 (AGS 2010, 420 f.) und 25. März 2011 (AGS 2011, 213 ff.), die einer Entscheidung des BGH vom 1. Februar 2007 (AGS 2007, 298 ff.) entgegentreten. Der BGH hat seine Entscheidung mit Beschluss vom 2. November 2011 (XII ZB 458/10, nachgewiesen unter juris) dahingehend eingeschränkt, dass die Terminsgebühr jedenfalls dann anfällt, wenn in dem Verfahren eine mündliche Verhandlung für den Fall vorgeschrieben ist, dass eine Partei sie beantragt. Die nunmehr vorgeschlagene Klärung der Streitfrage entspricht der Intention des Gesetzgebers, wie sich aus Vorbemerkung 3.3.2 ableiten lässt. Nach dieser Vorbemerkung bestimmt sich die Terminsgebühr im Mahnverfahren nach Teil 3 Abschnitt 1. Diese Bestimmung würde keinen Sinn ergeben, wenn eine mündliche Verhandlung in dem Verfahren vorgeschrieben sein müsste oder zumindest auf Antrag stattfinden müsste. Der erste Satz soll verdeutlichen, dass die Terminsgebühr sowohl durch gerichtliche als auch durch außergerichtliche anwaltliche Tätigkeiten unabhängig voneinander anfallen kann. Mit dem Zusatz &701;wenn nichts anderes bestimmt ist&700; sollen die Fälle der &701;fiktiven Terminsgebühr&700;, bei denen kein Termin wahrgenommen wird, erfasst werden. [ ]

Zu Nummer 28 (Nummer 3104 VV RVG)

Zu Buchstabe a

Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist. Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der VwGO als auch im Verfahren nach dem SGG liegt es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Das Entstehen der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat, soll daher auf diese Fälle beschränkt werden. Die Verweisung auf § 105 SGG soll – wie schon die Verweisung auf § 84 VwGO – präzisiert werden.

Zu Buchstabe b

Im Verfahren vor den Sozialgerichten entsteht die fiktive Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Mit dieser Gebühr soll dem Anwalt das Interesse genommen werden, das Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen. Daher hat die überwiegende Rechtsprechung die fiktive Terminsgebühr in diesen Fällen davon abhängig gemacht, dass grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sein muss (z. B. LSG Schleswig-Holstein, AGS 2010, 23 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen v. 1. März 2011, L 7 B 247/09 AS, zitiert bei juris. m. w. N.). Die Vorschrift soll im Sinne dieser Rechtsprechung klargestellt werden.

Zu Nummer 29 (Nummer 3106 VV RVG)

Zu Buchstabe a

Zu Doppelbuchstabe aa

Mit dem Vorschlag soll Nummer 1 der Anmerkung an Absatz 1 Nummer 1 der Anmerkung zu Nummer 3104 angeglichen werden. Es gibt keinen sachlichen Grund, den schriftlichen Abschluss eines Vergleichs anders zu behandeln, nur weil keine Wertgebühren sondern Betragsrahmengebühren erhoben werden.

Zu Doppelbuchstabe bb

Die vorgeschlagene Fassung der Nummer 2 entspricht der für Nummer 3104 vorgeschlagenen Neufassung von Absatz 1 Nummer 2 der Anmerkung (Nummer 28 Buchstabe a).

Zu Doppelbuchstabe cc

Die vorgeschlagene Änderung entspricht der mit Nummer 28 Buchstabe b vorgeschlagenen Änderung der Nummer 3104 VV RVG. Auf die Begründung hierzu wird Bezug genommen.

Zu Doppelbuchstabe dd

Bei den in sozialrechtlichen Angelegenheiten anfallenden Betragsrahmengebühren ist die Bestimmung einer konkreten Gebühr innerhalb des Rahmens immer dann problematisch, wenn die Höhe der Gebühr nicht von den Kriterien des § 14 RVG abhängen kann, weil es insbesondere nicht auf Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ankommen kann (vgl. Nummer 4).

Bei der fiktiven Terminsgebühr kommt es darauf an, dem Anwalt das gebühren-rechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins zu nehmen. Die Höhe der zu erwartenden Terminsgebühr wird häufig von Umfang und Schwierigkeit der Angelegenheit abhängen. Daher scheint eine Anknüpfung an die Höhe der Verfahrensgebühr sachgerecht. Da die Höhe der Terminsgebühr grundsätzlich zur Höhe der Verfahrensgebühr in einem Verhältnis von 1,2 zu 1,3 steht, wird ein Betrag von 90 Prozent der Verfahrensgebühr vorgeschlagen."

Zu berücksichtigen ist überdies, dass der Bund Deutscher Sozialrichter im April 2012 "zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts" wie folgt Stellung genommen hatte (Stellungnahme Nr. 01/12-BDS, veröffentlicht auf den Internetseiten des BDS ‹www. bunddeutschersozialrichter.de›):

"X. Änderungen der Nrn. 3104 und 3106 VV RVG - fiktive Terminsgebühr – Die Beschränkung der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle, in denen entweder ein Rechtsanwalt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzwingen kann oder ein angenommenes Anerkenntnis in Verfahren erfolgt, in denen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgeschrieben ist, erscheint sinnvoll und vollzieht die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung nach.

Soweit der Entwurf vorsieht, den Wortlaut der Vorschrift der Nr. 3106 VV RVG dem Wortlaut der Nr. 3104 VV RVG insoweit anzugleichen, als die Wörter &701;oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen&700; hinzugefügt werden, stellt sich zunächst die Frage, ob ein sozialgerichtliches Verfahren überhaupt durch einen schriftlichen Vergleich beendet werden kann. Ein außergerichtlicher Vergleich bindet zwar die Beteiligten materiellrechtlich, er beendet aber nicht unmittelbar ein gerichtliches Verfahren (vgl. BSG, Urteil v. 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R), vielmehr muss eine zusätzlich eine Prozesshandlung hinzutreten. Die Gebühr nach Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 3 VV RVG, der für die Gebühren In Verfahren nach § 197a maßgeblich ist, fällt nicht an, wenn die Beteiligten einen außergerichtlichen Vergleich schließen und anschließend das gerichtliche Verfahren durch eine (einseitige oder beidseitige) Erledigungserklärung beendet wird (VG Berlin, Beschl. v. 23.6.2008, 14 KE 227.06). Nach dem Gebührentatbestand der Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 3 VV RVG fällt eine (fiktive) Terminsgebühr nur bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs im schriftlichen Verfahren an (vgl. OLG Sachsen-Anhalt Beschluss v. 25.6.2010, 2 W 59/19; Jur-Büro 2010 S. 644; OLG Stuttgart, Beschluss v. 18.02.2009, 5 W 81/08, AGS 2009 S. 316), wenn die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgeschrieben ist. Dieser Gebührentatbestand findet in Verfahren nach § 197a nur dann Anwendung, wenn der Abschluss eines Prozessvergleichs entsprechend der Bestimmung des § 278 Abs. 6 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren für zulässig erachtet wird (d.h. durch Beschluss der Inhalt eines außergerichtlichen Vergleichs festgestellt wird). Wenn dies verneint wird, ist der Gebührentatbestand nicht einschlägig (vgl. LSG Sachsen, Beschluss v. 9.12.2010, L 6 AS 438/10 B KO).

Ob die Vorschrift des § 278 Abs. 6 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 Abs. 1 SGG entsprechend anwendbar ist, ist in Literatur (bejahend Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Auflage, § 202 Rz. 3) und Rechtsprechung umstritten (vgl. LSG Sachsen, Beschluss v. 9.12.2010, L 6 AS 438/10 B KO). Während VwGO und FGO Vorschriften über die Beendigung des Verfahrens durch einen schriftlichen Vergleich, dessen Inhalt durch einen Beschluss des Gerichts, der Vollstreckungstitel wird, entsprechend der Bestimmung des § 278 Abs. 6 ZPO festgesetzt wird, fehlt eine solche ausdrückliche Bestimmung im SGG. Falls der Entwurf die entsprechende Anwendbarkeit des § 278 Abs. 6 ZPO bejahend zugrunde legt, sollte dies im Hinblick auf den Meinungsstreit zumindest aus der Gesetzesbegründung ersichtlich sein."

Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 14. November 2012 geht auf diese Stellungnahme mit keinem Wort ein. Insbesondere lässt sie unerwähnt, dass ihr die "entsprechende Anwendbarkeit des § 278 Abs. 6 ZPO zugrunde" liegt. § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG – mit dem "der Streit um die Rechtsfrage beendet" werden sollte, "ob die entsprechende Regelung in § 278 Absatz 6 ZPO über § 202 SGG anwendbar ist" (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12297 S. 39) – wurde erst mit Wirkung vom 25. Oktober 2013 durch das Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 19. Oktober 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 Teil I S. 3836) in § 101 SGG eingefügt. Ob § 278 Abs. 6 Satz 1 Alternative 1, Satz 2 ZPO (Feststellung eines von den Parteien unterbreiteten Vergleichsvorschlags durch das Gericht) über § 202 Satz 1 SGG neben § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG (schriftliche Annahme eines in der Form eines Beschlusses ergangenen Vergleichsvorschlags des Gerichts) Anwendung findet, ist bis heute strittig (vgl. Hahn, NZS 2014, S. 368, 372 f.; Roller, in: Lüdtke/Bercht¬hold, SGG, 5. Aufl. 2016, § 101 Rn. 11; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 101 Rn. 9). Auch dies widerspricht der Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Ergänzung der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG durch das zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz die Rechtsansicht, die den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juni 2008 (14 KE 227.06, 14 V 29.05) und des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 16. März 2009 (OVG 1 K 72.08) zugrunde liegt, übernehmen wollte.

Die Minderansicht macht ferner geltend, auch aus der Gesetzessystematik und dem Wortlaut der Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG ergebe sich, dass nur ein schriftlich angenommener Vergleich, der auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruhe oder dessen Zustandekommen und Inhalt durch einen Beschluss des Gerichts festgestellt worden sei, eine fiktive Terminsgebühr nach den Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG auslöse. Aus der – nicht auf einem Redaktionsversehen beruhenden – Verwendung des Begriffs "Vergleich" im Gegensatz zu dem in Nr. 1000 VV RVG verwendeten Begriff "Einigung" sei zu schließen, dass ein "bereits seiner äußeren Form nach als &701;Vergleich&700; erkennbarer Prozessvergleich" gemeint sei. In Nr. 1000 VV RVG habe der Gesetzgeber bewusst das Kriterium des gegenseitigen Nachgebens und damit eines Vergleichs im Sinne von § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufgegeben, um den unter der Geltung des früheren § 23 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) häufig ausgetragenen Streit darüber, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu werten sei, zu vermeiden. Es sei nicht anzunehmen, dass dieser Streit im Rahmen der fiktiven Terminsgebühr wieder aufflammen solle. Das Wort "in", das den Worten "einem solchen Verfahren", die die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG verwendeten, vorausgehe, zeige ebenfalls, dass das Wort "Vergleich" einen das Verfahren "unmittelbar" beendenden Prozessvergleich meine und nicht eine außergerichtliche Einigung, die nur die Grundlage für eine das Verfahrende beendende Erklärung sei. Gleiches gelte für das Wort "schriftlich". Dieses statuiere kein Formerfordernis, da es andernfalls etwas Überflüssiges, da Selbstverständliches, verlange. Zudem werde die "Schriftlichkeit" auch in § 278 Abs. 6 ZPO, § 106 Satz 2 VwGO und § 101 Satz 2 SGG betont (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 23. Juni 2008, 14 KE 227.06, 14 V 29.05; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2009, OVG 1 K 72.08; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 9 AL 277/14 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2015, L 7/14 AS 64/14 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Januar 2016, L 10 SB 57/15 B; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Mai 2017, L 8 R 682/15 B KO).

Dem ist entgegenzuhalten: Das Wort "in", das den Worten "einem solchen Verfahren", die die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG verwenden, vorausgeht, lässt keinerlei Schlüsse zu. Zur Trennung von "gerichtlichen" und "außergerichtlichen" Handlungen nutzt der Gesetzgeber die Worte "gerichtlich"/"außergerichtlich" und nicht die Worte "in"/"au¬ßen". Das zeigen exemplarisch § 13 Abs. 1 Satz 1 Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) ("in gerichtlichen Verfahren", "sonstige gerichtliche Handlung"), § 14 Abs. 1 Satz 1 GNotKG ("gerichtliche Handlung"), § 18 Abs. 6 GNotKG ("gerichtliche Entscheidung"), § 6 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) ("gerichtliche Handlung"), § 4 Abs. 1 Satz 1 GVG ("außergerichtliche Angelegenheiten"), § 19 Nr. 1 und 2 GVG ("gerichtliches [ ] Verfahren"; "außergerichtliche Verhandlungen"), die Überschrift zu Teil 2 VV RVG ("Außergerichtliche Tätigkeiten") und Vorbemerkung 3 Absatz 3 VV RVG ("Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen", "Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen").

Die Worte "Vergleich" und "schriftlich", die die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG verwenden, lassen ebenfalls keinerlei Rückschlüsse zu. Denn während Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG § 278 Abs. 6 ZPO ausdrücklich erwähnt, während die Nummern 2502, 2504, 2508 Abs. 2 VV RVG von einer "außergerichtlichen Einigung" sprechen, während § 22 Abs. 1 Satz 4 GKG, § 22 Abs. 2 GNotKG, Nr. 17005 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GNotKG und § 21 Abs. 2 des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) von einem "gerichtlichen Vergleich" sprechen, während die Nummern 1211 Satz 1 Nr. 3, 1213 Satz 1 Nr. 3, 1232 Satz 1 Nr. 3, 1215 Satz 1 Nr. 3, 1222 Satz 1 Nr. 3, 1232 Satz 1 Nr. 3, 1252 Satz 1 Nr. 3, 1411 Satz 1 Nr. 3, 1422 Satz 1 Nr. 3, 5111 Satz 1 Nr. 3, 5115 Satz 1 Nr. 3 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG und die Nummern 1111 Satz 1 Nr. 3, 1122 Satz 1 Nr. 3 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG von einer "Beendigung des gesamten Verfahrens" durch "gerichtlichen Vergleich" sprechen, während die §§ 278 Abs. 6, 794 Abs. 1 Nr. 1, 795b, 796a, 796b ZPO zwischen dem "gerichtlichen", dem "vor einem deutschen Gericht" geschlossenen Vergleich und dem (vollstreckbaren) "Anwaltsvergleich" unterscheiden und während §§ 29 Nr. 2, 31 Abs. 4 GKG, §§ 24 Nr. 2, 26 Abs. 4 Nr. 1 FamGKG und § 33 Abs. 3 Nr. 1 GNotKG zwischen einem "vor Gericht abgeschlossenen", einem "gegenüber dem Gericht angenommenen" und einem "gerichtlich gebilligten Vergleich" trennen, sprechen die Nummern 3104 Nr. 1, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG lediglich von einem "schriftlichen Vergleich", also nicht von einem "gerichtlichen Vergleich", nicht von einem "Prozessvergleich", nicht von einem "Vergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO oder des § 796b ZPO", nicht von einem "vollstreckbaren", nicht von einem "auf Vorschlag" oder "unter Mitwirkung des Gerichts" zustande gekommenen Vergleich, nicht von einem den "Prozess unmittelbar beendenden Vergleich" und auch nicht von einem "Vergleich im Sinne des § 278 Abs. 6 ZPO, des § 106 Satz 2 VwGO oder des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG".

Ein triftiger Grund, der die Annahme rechtfertigt, dass der Begriff "Vergleich", den die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG verwenden, etwas anderes bedeutet als eine "Einigung" im Sinne der Nummern 1000, 1005, 1006 VV RVG, ist nicht ersichtlich (so auch: Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3404 VV RVG Rn. 65; Herget, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91 Rn. 13 "Vergleich", § 98 Rn. 7; Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 278 Rn. 41; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, Nr. 3104 VV RVG Rn. 14). Aus der Tatsache allein, dass eine Einigung auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht oder dass das Zustandekommen und der Inhalt einer Einigung durch Beschluss des Gerichts festgestellt wurde, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Einigung ein Vergleich im Sinne des § 779 BGB ist. Zwar ist der Urkundsbeamte bei der Prüfung des Festsetzungsantrags gebunden an alle vorangegangenen gerichtlichen Entscheidungen, durch die ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse dem Grunde nach begründet oder die Erforderlichkeit von Auslagen festgestellt worden ist (vgl. Hartung, in: Hartung/Schons/ En¬ders, RVG, 3. Aufl. 2017, § 55 Rn. 36). Ein Beschluss im Sinne des § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, des § 106 Satz 2 VwGO oder des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG begründet indes keinen gegen die Staatskasse gerichteten Vergütungsanspruch. Er ersetzt allein die gerichtliche Protokollierung (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 278 Rn. 34) und stellt nur das Zustandekommen und den Inhalt einer zwischen den Parteien/Beteiligten getroffenen Vereinbarung fest, mithin nicht, dass die Vereinbarung die Voraussetzungen des § 779 BGB erfüllt. Wollte man die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Alternative 2 VV RVG nur auf Vergleiche im Sinne von § 779 BGB anwenden, würde mithin der Streit darüber, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist, der durch die Einführung der Einigungsgebühr vermieden werden sollte, bei der "fiktiven Terminsgebühr" unverändert fortgesetzt.

Zu berücksichtigen ist überdies, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO – an dessen Stelle im Wege des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (Bundesgesetzblatt 2004 Teil I S. 718) die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG getreten ist –, folgenden Wortlaut hatte:

"Für die Mitwirkung beim Abschluß eines Vergleichs (§ 779 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) erhält der Rechtsanwalt fünfzehn Zehntel der vollen Gebühr (Vergleichsgebühr)."

Im Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts heißt es (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971 S. 147 und S. 204 ‹Hervorhebungen nicht im Original›):

"In diesem Zusammenhang ist zunächst die Einigungsgebühr in Nummer 1000 VV RVG-E zu nennen. Diese Gebühr soll ihrer Bedeutung entsprechend als erste Nummer in das Vergütungsverzeichnis eingestellt werden. Die Einigungsgebühr soll die geltende Vergleichsgebühr ersetzen und diese gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr (§ 23 BRAGO) durch Verweisung auf § 779 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzt, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits honorieren. [ ] Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens soll der Streit darüber vermieden werden, welche Abreden als Nachgeben zu bewerten sind.

[ ]

Die Einigungsgebühr soll an die Stelle der bisherigen außergerichtlichen Vergleichsgebühr des § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAGO treten. [ ] Zielrichtung der Neugestaltung ist es, die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts weiter zu fördern und damit gerichtsentlastend zu wirken. Die in Absatz 1 Satz 1 der Anmerkung umgestalteten Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr sollen ferner die bisher häufigen kostenrechtlichen Auseinandersetzungen über die Frage, ob ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB vorliegt, vermeiden. Die neue Fassung stellt sowohl durch die Änderung der Bezeichnung &701;Vergleichsgebühr&700; in &701;Einigungsgebühr&700; wie auch durch die neu formulierten Voraussetzungen klar, dass es nicht mehr auf den Abschluss eines echten Vergleichs ankommt, vielmehr soll es genügen, wenn durch Vertrag der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. [ ]."

In den Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG ist nur von einem "Vergleich" die Rede. Ein Verweis auf § 779 BGB fehlt. Ferner zeigt ein Blick auf die Regelung der Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG und auf die Begründung zu dieser Regelung, dass der Gesetzgeber zwischen den Begriffen "Vergleich" und "Einigung" nicht trennt. Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (Bundesgesetzblatt 2004 Teil I S. 718) bestimmte, dass die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG 0,8 beträgt, "soweit lediglich beantragt ist, eine Einigung der Parteien oder mit Dritten über in diesem Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen oder festzustellen (§ 278 Abs. 6 ZPO)". In der Begründung zu dieser Regelung heißt es (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971 S. 211 ‹Hervorhebung nicht im Original›):

"Die Gebühr mit einem Gebührensatz von 0,8 soll auch bei einer gerichtlichen Protokollierung eines Vergleichs anfallen. [ ] Ferner sollen Vergleiche mit Dritten (z. B. Streithelfer) und Vergleiche, die im Rahmen eines Verfahrens nach § 278 Abs. 6 ZPO abgeschlossen werden, mit einbezogen werden. Einem solchen Vergleich gehen regelmäßig erhebliche Bemühungen des Rechtsanwalts voraus, die eine Anhebung auf eine Gebühr mit einem Gebührensatz von 0,8 rechtfertigen. Darüber hinaus hat eine solche Regelung einen hohen Entlastungseffekt, weil die Prozessbzw. Verfahrensbevollmächtigten durch die Einbeziehung von Gegenständen, die bislang nicht bei dem Gericht anbzw. rechtshängig gemacht worden sind, helfen, ein langwieriges weiteres gerichtliches Verfahren zu vermeiden."

Aus dem Adjektiv "schriftlich", das die Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Alternative 2 VV RVG verwenden, ergibt sich gleichfalls nicht, dass nur Vergleiche im Sinne des § 278 Abs. 6 ZPO, § 106 Satz 2 VwGO und § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG eine fiktive Terminsgebühr nach den Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG auslösen können. Fehlte dieses Adjektiv im Wortlaut der Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG, müsste es in diesen "hineingelesen" werden, da für die Mitwirkung an (fern-)münd¬lichen "Besprechungen", die auf das Aushandeln, Erörtern und/oder den Abschluss einer/eines auf die Erledigung des Verfahrens zielenden Einigung/Vergleichs gerichtet sind und an denen nicht nur der Auftraggeber des Rechtsanwalts, sondern auch der Verfahrensgegner teilnimmt, eine Terminsgebühr bereits nach Vorbemerkung 3 Absatz 3 VV RVG entsteht.

Die Minderansicht macht außerdem geltend, auch aus dem Sinn und Zweck der Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG ergebe sich, dass nur ein schriftlich angenommener Vergleich, der auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruhe oder dessen Zustandekommen und Inhalt durch einen Beschluss des Gerichts festgestellt worden sei, eine fiktive Terminsgebühr nach den Nummern 3104 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG auslöse. Deren Sinn und Zweck bestehe nämlich nicht darin, einen Anreiz dafür zu setzen, dass der Rechtsanwalt auf eine gütliche Einigung hinwirke. Diesen Zweck verfolgten allein die Ziffern 1000 ff. VV RVG. Die fiktive Terminsgebühr diene in erster Linie dazu, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen wolle, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Zugleich solle der Anwalt keinen Gebührennachteil dadurch erleiden, dass durch eine in der Hand des Gerichts liegende andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde. "Dementsprechend" setzten sowohl die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1, Nr. 2 VV RVG als auch die Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 1 VV RVG ein Handeln des Gerichts voraus, das auf die Vermeidung einer mündlichen Verhandlung gerichtet sei, nämlich die erklärte Absicht einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ein Verfahren nach § 495a ZPO oder eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Daher sei es folgerichtig, die Nummern 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG auf die in § 278 Abs. 6 ZPO, § 106 Satz 2 VwGO und § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG geregelten Fälle des schriftlichen Prozessvergleichs zu beschränken. Nur in diesen Fällen sei die Mitwirkung des Gerichts für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits und damit für die Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung konstitutiv. In den Fällen von § 106 Satz 2 VwGO und § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG gehe die Initiative für die vergleichsweise Beendigung sogar stets vom Gericht aus, das einen Vergleichsvorschlag in Form eines Beschlusses unterbreite. Der Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr solle dem Anwalt in diesen Fällen das Interesse daran nehmen, auf einer mündlichen Verhandlung zu bestehen, damit in dieser dann ein zu protokollierender Prozessvergleich geschlossen werden könne. Einigten sich die Beteiligten ohne konstitutive Mitwirkung des Gerichts durch außergerichtlichen Vergleich, verzichteten sie selbst aus freien Stücken ohne entsprechende gerichtliche Veranlassung auf eine mündliche Verhandlung. In diesen Fällen bedürfe es keines gebührenrechtlichen Anreizes zur Vermeidung einer mündlichen Verhandlung, weil die Beteiligten diese ohnehin nicht durchführen wollten. Das Bestreben, den Rechtsstreit unstreitig zu beenden, werde bereits durch den Ansatz einer Einigungsgebühr nach Ziffern 1000 ff. VV RVG hinreichend honoriert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 9 AL 277/14 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2015, L 7/14 AS 64/14 B; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Mai 2017, L 8 R 682/15 B KO).

Diesen Argumenten ist folgendes entgegenzuhalten: Die Nummern 3104, 3106 VV RVG haben eine "Steuerungsfunktion". Sie sollen verhindern, dass der Rechtsanwalt von der Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen, allein im Gebühreninteresse Gebrauch macht (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11471, S. 147, 148, 275; Bundestagsdrucksache 15/1971 S. 209, 212; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, Nr. 3104 VV RVG Rn. 12, 69). Ihr Sinn und Zweck liegt mithin in der Entlastung der Gerichte, in der "Schonung gerichtlicher Ressourcen" (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2015, L 7/14 AS 64/14 B; Winkler, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, Nr. 3104 VV RVG Rn. 18). Diesem Sinn und Zweck läuft die Mindermeinung zuwider, da sie dem Rechtsanwalt das Interesse nimmt, auf die Protokollierung eines "schriftlichen" Vergleichs in mündlicher Verhandlung oder auf einen Beschluss im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG, des § 106 Satz 2 VwGO oder des § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO zu verzichten.

Der Einwand der Mindermeinung, dass es keines gebührenrechtlichen Anreizes zur Vermeidung einer mündlichen Verhandlung bedürfe, wenn sich die Beteiligten ohne konstitutive Mitwirkung des Gerichts durch außergerichtlichen Vergleich einigten – da sie in diesem Fall aus freien Stücken ohne entsprechende gerichtliche Veranlassung auf eine mündliche Verhandlung verzichteten – (siehe oben), verfängt nicht. Denn es ist Sinn und Zweck der Nummern 3104, 3016 VV RVG, den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs und damit den "freiwilligen Verzicht" auf eine mündliche Verhandlung zu fördern (siehe oben). Hinzu kommt, dass die Beteiligten auch in den Fällen, die die erste Alternative der Nummern 3104 Abs. 1 Nr. 1, 3106 Satz 1 Nr. 1 VV RVG erfasst, aus freien Stücken auf eine mündliche Verhandlung verzichten, dann nämlich, wenn sie sich freiwillig und ohne Veranlassung des Gerichts mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären. Gleiches gilt in den Fällen der Nummern 3104 Abs. 1 Nr. 3, 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG (also bei "freiwilliger" Annahme eines Anerkenntnisses).

Der weitere Einwand der Mindermeinung, dass die Nummern 3104 Abs. 1 Nr. 1, 3106 Satz 1 Nr. 1 VV RVG "in den beiden weiteren Fällen (Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erstens im Einverständnis der Beteiligten oder zweitens gemäß § 307 oder § 495a ZPO) eine gerichtliche Entscheidung" voraussetzen und "nicht ersichtlich" sei, weshalb das im hier maßgeblichen dritten Fall (schriftlicher Vergleich) anders sein" solle (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2017, OVG 6 K 72.17), greift ebenfalls nicht durch. Der Wortlaut der Nummern 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG ist eindeutig. Er setzt lediglich einen schriftlichen Vergleich voraus. Der Sinn und Zweck der Nummern 3104, 3106 VV RVG, die Gerichte (von mündlichen Verhandlung und Entscheidungen) zu entlasten, bestätigt diesen Wortlaut.

Der dritte Einwand der Mindermeinung, dass das Bestreben, den Rechtsstreit unstreitig zu beenden, bereits durch den Ansatz einer Einigungsgebühr hinreichend honoriert werde (siehe oben), kann gleichfalls nicht überzeugen. Träfe er zu, dürfte die fiktive Terminsgebühr auch nicht bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs entstehen, der auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht (und in den anderen von der Minderansicht anerkannten Fällen). Denn es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, zwischen dem Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, der auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht, und dem Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, der auf einem in der Form einer Verfügung ergangenen Vorschlag des Gerichts beruht, hinsichtlich der "gesetzlichen Vergütung", die der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt von Staatskasse beanspruchen kann, zu trennen. Verantwortung und Mühewaltung des Rechtsanwalts sind gleich.

Der Streit, ob nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG die Hälfte der "tatsächlich erhaltenen" (so Sächsisches LSG, Beschluss vom 26. Juli 2017, L 8 AS 640/15 B KO) oder der "entstandenen" Geschäftsgebühr (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2017, L 19 AS 1408/16 B) auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn selbst nach Ansicht des Antragsgegners ist hier nicht die Hälfte der (in Höhe von 300,00 EUR) entstandenen, sondern nur die Hälfte der (in Höhe von 189,00 EUR) tatsächlich gezahlten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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