S 2 R 540/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 540/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 230/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2013 ( fehlerhaft im Sitzungsprotokoll 30.11.2013 ) wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalles vom 10.02.2015 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes als Vollrente auszuzahlen ist, zu gewähren.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente.

Der 1968 geborene Kläger absolvierte im Zeitraum 1984 – 1987 eine Ausbildung zum Kunststoffformgeber, übte diesen Beruf jedoch nicht aus. Im Zeitraum 1988 – 2011 war er als Lagerist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit März 2014 bezieht er Arbeitslosengeld II.

Am 11.03.2013 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte holte eine Stellungnahme nach Aktenlage bei ihrem beratenden Arzt C. ein. Dieser stellte in seiner Stellungnahme vom 21.05.2013 die Diagnosen Einschränkung der geistig-emotionalen Belastbarkeit bei Alkoholerkrankung, leichte Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit bei granulomatöser Systemerkrankung ( Sarkoidose mit Leberbeteiligung, abdomineller Lymphknotenbeteiligung und Verdacht auf pulmonale Sarkoidose Stadium III ), Risikoprofil Übergewicht + Bluthochdruck + Nikotinkonsum sowie Hüftkopfnekrose rechts, Zustand nach Einpflanzung einer Duokopf-Endoprothese 12/2010. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Klägers gelangte er zu der Einschätzung, dass der Kläger leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten könne. Die Einleitung von Reha Leistungen ( Alkoholentwöhnung ) erscheine erforderlich. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 11.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10 2013 ab.

Hiergegen richtet sich die am 08.11.2013 bei Gericht eingegangene Klage. Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes als Vollrente auszuzahlen ist, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Im Rahmen der Sachermittlungen hat das Gericht Befundberichte eingeholt bei dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 17.01.2014, dem Orthopäden Dr. E. vom 17.02.2014, dem Pneumologen Dr. F. vom 19.03.2014 und 08.04.2016. Ferner sind die Berichte der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim vom 03.07.2014 und 21.07.2014 über die Implantation einer zementfreien Hüft-TEP links sowie der Reha-Entlassungsbericht der Klaus-Miehlke-Klinik vom 01.09.2014 über die Anschlussheilbehandlung im Zeitraum14. – 22.07.2014 eingeholt.

Im Rahmen der Beweisaufnahme ist ein orthopädisches Gutachten eingeholt worden bei Dr. G. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 10.12.2014 auf orthopädischem Fachgebiet die Diagnosen: 1. Beschwerden bei der endgradigen vorderen und seitlichen Armhebung rechts durch Reizung des Supraspinatussehnenansatzes ohne Einschränkung der Schulterbeweglichkeit und ohne Zusammenhangstrennung der Drehermanschette 2. Schmerzhafte Bewegungs- und Belastungsstörung der LWS ohne dem Lebensalter vorauseilende degenerative Skelettveränderungen, ohne Nervenwurzelreizirritation im Bereich der LWS und ohne ischialgieforme Ausstrahlungen 3. Anhaltende Beschwerden nach endoprothetischem Ersatz des rechten Hüftkopfes wegen einer vorbestandenen Hüftkopfnekrose ( Implantation einer Duokopfprothese am 08.12.2010 ) mit schmerzhafter Bewegungs- und Belastungsstörung Restbeschwerden nach totalendoprothetischem Ersatz der linken Hüfte wegen einer vorbestandenen Hüftkopfnekrose ( zementfrei implantierte Hüftendoprothese links am 14.07.2014 ) 4. Schmerzhafte Belastungsstörung beider Knie, rechts stärkeren Grades als links bei nicht-aktivierten Knorpelschäden Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Klägers gelangte er zu der Einschätzung, dass dieser zumindest sechs Stunden arbeitstäglich leichte Arbeiten verrichten könne. Ferner ist ein pneumologisches Gutachten eingeholt worden bei Dres. H. und J. Diese stellen in ihrem Gutachten vom 22.03.2015 die Diagnose einer bihilären und pulmonalen Sarkoidose mit irreversibler Lungenfunktionsminderung. Der Kläger sei nur noch in der Lage, nicht mehr als sechs Stunden arbeitstäglich leichte Arbeiten zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit dem computertomographischen Nachweis der pulmonalen Beteiligung der Sarkoidose am 11.02.2014. Es sei unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Unter Berücksichtigung noch vorhandener Behandlungsmöglichkeiten sei von einem Dauerzustand auszugehen. Diesen Einschätzungen ist die Beklagte unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme ihres beratenden Arztes K. vom 06.05.2015 entgegen getreten. Die quantitative Leistungseinschätzung könne vor dem Hintergrund nicht ausgeschöpfter Behandlungsmöglichkeiten nicht nachvollzogen werden. Begründet und beschrieben werde ein komplizierter Verlauf der Sarkoidose, korrelierend mit den Angaben des Klägers, dass seit Herbst 2014 eine Verschlechterung der körperlichen Belastbarkeit und der Atemnot unter körperlicher Anstrengung aufgetreten sei. Eine differenzialdiagnostische Klärung und Diskussion weiterer ursächlicher Möglichkeiten dieser berichteten Verschlechterung werde nicht vorgenommen, obwohl in der Anamnese-Erhebung inhaltliche Hinweise gefunden worden seien. So sei vermerkt worden, dass die intensive Behandlung mit oral verabreichten Steroiden mehr als ein Jahr zuvor eingestellt worden, in jüngster Vergangenheit eine Körpergewichtszunahme von mehr als 20 kg erfolgt und neuerdings eine Blutarmut bekannt geworden sei ( zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten werde nicht Stellung genommen ). Der Zigarettenkonsum sei reduziert, jedoch nicht eingestellt worden. Auch sei eine Intensivierung der medikamentösen Behandlung angeraten, jedoch nicht durchgeführt worden. In der Behandlung des Sarkoidoseleidens bestünden darüber hinaus noch weitere Optionen einer verbesserten medikamentösen Behandlung, welche schon kurzfristig zu einer Besserung der körperlichen Belastbarkeit führen könnten. Vor diesem Hintergrund bleibe auch die Beantwortung der Beweisfrage 5 ( Dauerzustand ) unklar. Weder aus den anamnestischen Angaben noch aus dem Untersuchungsbefund ergäben sich Hinweise für ein zeitlich eingeschränktes Durchhaltevermögen. Zweifellos bestehe ein eingeschränktes körperliches Leistungsvermögen, wobei durch Intensivierung der Behandlung kurzfristig eine Besserung erreicht werden könne. Nicht nachvollzogen werden könne jedoch eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens.

In der hierzu eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 17.10.2015 führen Dres. H. / J. aus, dass eine Intensivierung der Behandlung der Sarkoidose nicht sinnvoll sei. Eine Erhöhung der inhalativen Therapie sei in 2014 erfolgt. Eine weitere Erhöhung werde keine Verbesserung der obstruktiven und restriktiven Ventilationsstörungen bewirken, da sich die Einschränkungen der Lungenfunktion nach Bronchospasmolyse als nicht wesentlich reversibel gezeigt hätten. Eine erneute orale Steroidtherapie sei ebenfalls nicht sinnvoll. Sie sei zu Recht in der Vergangenheit nach langer Zeit beendet worden, da sich hinsichtlich des bronchopulmonalen Bildes der Sarkoidose keine Veränderung mehr habe erzielen lassen. Erfahrungsgemäß lasse sich das Bild einer chronischen Sarkoidose, wie es beim Kläger vorliege, nur schwer medikamentös behandeln. Eine immunsuppressive Therapie, z.B. mit Steroiden, könne erwogen werden, führe jedoch nicht immer zu Erfolg und bringe einige Nebenwirkungen mit sich, wie hier auch schon geschehen, auch im Sinne der Gewichtszunahme von 20 kg. Der Einsatz von anderen immunsuppressiven Medikamenten, wie z.B. Azathioprin oder Methotrexat sei nur bei schwerem Verlauf mit kardialer, zerebraler oder renaler Beteiligung zu überlegen und würde mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen. Im Falle des Klägers werde keine weitere sinnvolle medikamentöse Möglichkeit gesehen, das bronchopulmonale Bild der Sarkoidose zu verbessern. Die Beurteilung sei auf Basis der objektivierbaren funktionsanalytischen Ergebnisse, den Einschränkungen in der Lungenfunktion, erfolgt. Dabei habe die leichtgradige Anämie auf die Einschränkung der Lungenfunktion keinen Einfluss. Die Gewichtszunahme sei als Folge der Nebenwirkungen der oralen Steroidtherapie zu sehen. Sie habe in ihrem Ausmaß keinen Einfluss auf die gemessenen Veränderungen der Lungenfunktion. Mit Schriftsatz vom 11.01.2016 legte die Beklagte hierzu eine Erwiderung ihres beratenden Arztes K. vom 03.12.2015 vor, mit der dieser an seiner Auffassung, eine quantitative Herabsetzung des Leistungsvermögens des Klägers sei nicht nachvollziehbar, festhält. Nach seiner Einschätzung seien die Aussagen zur eingeschränkten Lungenfunktion zwar durchaus nachvollziehbar, doch erfordere die Beurteilung des Leistungsvermögens eine komplexe Betrachtung. In welchem Ausmaß z.B. "Atemnot bei körperlichen Belastungen" die Leistungsfähigkeit einer Person beeinträchtige, hänge durchaus von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise könne die Belastbarkeit einer Person durch Reduktion von erheblichem Übergewicht oder durch erfolgreiche Behandlung einer Blutarmut bei bestehender Anämie verbessert werden. Aus seiner Sicht sei nicht belegt, dass für eine Verbesserung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit des Klägers keine Möglichkeiten mehr bestünden.

Mit Schriftsatz vom 13.12.2016 legte der Kläger ein amtsärztliches Gutachten des Gesundheitsamtes des Landkreises Darmstadt- Dieburg vom 22.08.2016 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und in der Sache auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Erwerbsminderungsrente in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

Nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Wer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ist demnach in der Regel nicht erwerbsgemindert. Denn bei Versicherten mit dieser Leistungsfähigkeit ist davon auszugehen, dass für jede Art einer noch gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Arbeitsplätze besetzt oder unbesetzt sind.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Kläger teilweise erwerbsgemindert. Dies ergibt sich aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem Gutachten der Dres. H. und J. Diese haben schlüssig und plausibel dargelegt, dass das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund der Beeinträchtigung der Lungenfunktion quantitativ herabgesetzt ist. Die hiergegen vorgetragenen Einwände der Beklagten überzeugen nicht. Der beratende Arzt der Beklagten stützt sich insoweit maßgeblich darauf, dass die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Dabei verkennt er, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ( Urteil vom 12.10.1993 – 13 RJ 71/92 ) und des Hessischen Landessozialgerichtes ( Urteil vom 17.06.2014 – L 2 R 331/12 ), der sich die Kammer anschließt, die Behandlungsfähigkeit eines Leidens der Annahme von Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung nicht entgegen steht.

Zudem haben die Sachverständigen schlüssig und plausibel dargelegt, dass keine weiteren sinnvollen Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Eine Intensivierung der inhalativen Therapie oder auch Wiederaufnahme der oralen Steroidtherapie sei nicht sinnvoll, da hierdurch keine Verbesserung zu erzielen sei. Dies leuchtet unmittelbar ein, zumal der Einsatz der Steroide bereits zu einer Gewichtszunahme von 20 kg geführt hat. Soweit die Sachverständigen hinsichtlich des Einsatzes anderer immunsuppressiver Medikamente darlegen, dass dies – wegen der damit einhergehenden Nebenwirkungen – nur bei noch schwereren Krankheitsbildern indiziert ist, ist auch dies plausibel und obliegt ihrer fachärztlichen Beurteilung. Auch vom beratenden Arzt der Beklagten wird hierzu keine andere Auffassung vertreten. Insbesondere benennt er seinerseits keine konkreten Therapiemöglichkeiten.

Die somit gegebene teilweise Erwerbsminderung besteht auf Dauer, da durch die Sachverständigen plausibel dargelegt worden ist, dass im Falle des Klägers sinnvolle Therapieoptionen nicht bestehen. Wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes hat der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes Anspruch darauf, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als Vollrente ausgezahlt wird. Diese sog. Arbeitsmarktrente ist zu befristen (Umkehrschluss aus § 102 Abs.2 Satz 5 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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