S 54 SB 644/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
54
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 SB 644/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung und der Merkzeichen "G" und "B".

Er stellte am 27.10.2015 einen Erstantrag nach dem Schwerbehindertenrecht. Die Beklagte forderte einen Befundbericht von Dr. N. an und ließ diesen versorgungsärztlich auswerten. Anschließend stellte sie mit Bescheid vom 17.12.2015 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 für einen Teilverlust des rechten Fußes und eine Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine fest.

Nach erfolglos mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2016 abgeschlossenem Widerspruchs-verfahren stellte der Kläger am 04.07.2016 einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X und beantragte weiterhin die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen G und B. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2016 ab.

Hiergegen legte der Kläger am 26.09.2016 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2016 zurückwies.

Mit zwei Schreiben vom 10.11.2016 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und bat ausdrücklich um Wertung seiner Schreiben als Widerspruch. Mit einer Klageerhebung vor dem Sozialgericht sei er nicht einverstanden. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 16.11.2016 darauf hin, dass es nicht zulässig sei, dass die Verwaltung nach Abschluss des Vorverfahrens in eine erneute Überprüfung des Sachverhaltes eintrete und bat um Mitteilung, ob sein Schreiben als Klage gewertet und an das Sozialgericht Hamburg weitergeleitet werden soll.

Daraufhin hat der Kläger das Schreiben der Beklagten vom 16.11.2016 am 22.11.2016 bei Gericht eingereicht. Beigefügt war ein handschriftliches Schreiben, in dem er mitgeteilt hat, dass er durch ständige Ablehnung die Aufforderung gehabt habe, zu Gericht zu fahren und ihm dadurch die ungewollten Klagen auferlegt worden seien.

Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2016 zu verurteilen, den Bescheid vom 17.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 16.06.2016 abzuändern und einen GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" festzustellen.

Die Beklagte beantragt nach Aktenlage sinngemäß, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat den Kläger gebeten mitzuteilen, bei welchen Ärzten und Krankenhäusern er in Behandlung war und ihn aufgefordert, eine Einverständniserklärung bezüglich der Beiziehung und Verwertung medizinischer Unterlagen abzugeben sowie seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Kläger hat zwar seine behandelnden Ärzte mitgeteilt, sich jedoch ausdrücklich geweigert, eine Schweigepflichtsentbindungserklärung abzugeben.

Am 17.03.2017 hat das Gericht die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört worden sind.

Zweifelhaft ist schon, ob der Kläger überhaupt wirksam Klage erhoben hat/erheben wollte, da seinem Schreiben vom 10.11.2016 ausdrücklich zu entnehmen ist, dass er Widerspruch einlegen wollte und mit einer Klage vor dem Sozialgericht nicht einverstanden ist. Indem der Kläger das Schreiben der Beklagten jedoch gleichwohl bei Gericht eingereicht und mitgeteilt hat, dass ihm die ungewollten Klagen auferlegt wurden, hat er deutlich gemacht, dass er nunmehr doch Klage erheben wollte. Auch wenn er mit Schriftsatz vom 25.01.2017 erneut bekräftigt hat, dass er keinen Rechtsstreit gegen das Versorgungsamt wolle, hat er auf die Erledigungsanfrage seitens der Kammer mitgeteilt, dass er "eine Verpflichtungsklage nach § 88 Abs. 1 SGG weiter aufrechterhalte". Das Gericht geht daher zu seinen Gunsten davon aus, dass wirksam Klage erhoben wurde.

In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2016 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist durch ihn nicht beschwert (§ 54 SGG). Er hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 17.12.2015 und Feststellung eines GdB von 100 sowie des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B".

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist hier nicht der Fall, da die Feststellungen der Beklagten zur Höhe des GdB und die Ablehnung der beantragten Merkzeichen nach Aktenlage nicht zu beanstanden ist.

1. Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 69 des Neunten Buches Sozial-gesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX). Nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden gem. § 69 Abs. 1 S. 4 SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, werden die für die einzelnen Gesundheitsstörungen festgesetzten Werte nicht addiert, sondern der Grad der Behinderung ist gem. § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.

Unter Berücksichtigung der maßgeblichen "Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungs-gesetzes" (Anl VersMedV), die nach § 159 Abs. 7 SGB IX (noch) entsprechend für das Schwerbehindertenrecht anwendbar ist, weil noch keine Rechtsverordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen wurde, und aufgrund der Auswertung aller medizinischen Unterlagen hat die Beklagte die Beeinträchtigungen des Klägers zutreffend beurteilt.

Die vom Kläger insbesondere im Hinblick auf das Merkzeichen G geltend gemachte Vorfußamputation nach Lysfranc ist gem. Nr. 18.14 Anl VersMedV mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet, da den vorliegenden medizinischen Unterlagen keine Fußfehlstellung zu entnehmen ist.

Die diabetische Neuropathie erscheint bei vom Kläger angegebener Sensibilität bis in die Zehenendglieder und fehlendem Nachweis von Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 30 schon großzügig bewertet (Nr. 3.11 Anl VersMedV).

Für die Minderung der Sehschärfe auf 0,5 beidseis ergibt sich nach Nr. 4.3 Anl VersMedV ein GdB von 10.

Die Diabeteserkrankung bedingt gem. Nr. 15.1 Anl VersMedV keinen eigenständigen GdB, da diese mit Metformin und somit mit einem Medikament behandelt wird, das regelhaft keine Hypoglykämien auslösen kann.

Schließlich ist auch die Bildung eines Gesamt-GdB von 40 nicht rechtsfehlerhaft, sondern entspricht der Regelung des § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX. Dieser Grundsatz, dass der Gesamt-GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist, wird durch Teil A Nr. 3 Anl VersMedV ergänzt. In Nr. 3 a wird zunächst klargestellt, dass die Werte der Einzel-GdB nicht addiert werden dürfen. Gem. Nr. 3c ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei bleiben abgesehen von Ausnahmefällen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, außer Betracht, und zwar auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktions-beeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d Anl VersMedV).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der von der Beklagten festgestellte Gesamt-GdB von 40 nicht zu beanstanden. Sowohl die Polyneuropathie als auch die Vorfußamputation wirken sich auf die Gehfähigkeit aus und überschneiden sich somit hinsichtlich der damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen zumindest teilweise, so dass diese zu einem Gesamt-GdB von 40 für die unteren Extremitäten zusammengefasst werden können. Die Sehminderung, die nur zu einem GdB von 10 führt, wirkt sich entsprechend Teil A Nr. 3 d Anl VersMedV nicht weiter erhöhend aus.

2. Da somit ein Gesamt GdB von 50 nicht erreicht wird, kommt auch die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht in Betracht. Nach § 145 Abs. 1 SGB IX sind Schwerbehinderte, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises unentgeltlich zu befördern. Die Schwerbehinderung setzt jedoch einen GdB von 50 voraus, den der Kläger, wie bereits ausgeführt, nicht erreicht. Ungeachtet dessen liegen jedoch auch die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens nicht vor. Insbesondere bestehen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/ oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.

Auch das Merkzeichen "B" setzt nach § 146 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehinderteneigenschaft voraus und liegt aus diesem Grund ebenfalls nicht vor.

Weitergehende medizinische Ermittlungen konnten nicht erfolgen, da der Kläger die hierzu erforderliche Schweigepflichtsentbindung nicht erteilt hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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