S 13 Kr 8/93

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 Kr 8/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.08.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1993 verurteilt, Kosten in Höhe von 404,67 DM für eine "Lenkstangenverlängerung" zu erstatten. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erstattung der Kosten in Höhe von 404,67 DM für eine Lenkstangenverlängerung. Die am 00.00.1989 geborene Klägerin leidet an einer Peromelie des linken Unterarms. Mit Bescheid vom 25.08.1992 hat die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Verlängerung der Lenkstange beim Dreirad der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, es handele sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern um eine Hilfe für das Leben in der Gemeinschaft. Mit ihrem Widerspruch vom 16.09.1992 hat die Klägerin vorgetragen, nur die Lenkstangenverlängerung ermögliche ihr das Fahrradfahren in normaler aufrechter Haltung. Ohne dieses Hilfsmittel sitze sie schief auf dem Fahrrad. Die linke Körperhälfte sei dem Lenker zugeneigt und werde dadurch überbelastet, so dass Schäden an der Wirbelsäule vorprogram-miert seien. Sie wolle normal aufwachsen und sich ent¬wickeln. Dazu gehöre auch das Fahrradfahren. Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.1993 als unbegründet zurückgewiesen, da es sich bei der Lenkstangenverlängerung um einen Gegenstand handele, der lediglich dem Ausgleich der Folgen einer Behinderung im privaten Bereich diene, nicht aber den Zweck der Ausübung einer körperlichen Funktion habe.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.02.1993 Klage erhoben und zur Begründung eine ärztliche Bescheinigung des Kinderarztes Dr. G. vom 14.01.1993 vorgelegt, in der dieser die Verordnung einer Lenkstangenverlängerung für medizinisch notwendig erachtet hat, da es sonst durch eine asymmetrische Belastung von Schultergürtel und Rumpf zu einer Wirbelsäulenverbiegung komme.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.08.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1993 zu verurteilen, Kosten in Höhe von 404,67 DM für eine "Lenkstangenverlängerung" zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer ablehnenden Auffassung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG). Die Klage ist begründet. Durch den Bescheid vom 25.08.1992, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1993, wird die Klägerin beschwert, da er rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin kann Kostenerstattung von der Beklagten verlangen. Versicherte haben im Rahmen der Krankenbehandlung (vgl.§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) u. a. Anspruch auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Ein Hilfsmittel ist dann erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 3). Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehören nicht nur die Ernährung oder die elementare Körperpflege, sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, wozu auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben rechnet. Immer aber muss das Hilfsmittel im Einzelfall für die elementare Lebensbetätigung des Behinderten oder deren wesentliche Verbesserung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse notwendig sein. Die Beklagte ist demnach leistungs- bzw. erstattungspflichtig, wenn die Lenkstangenverlängerung ein Hilfsmittel wäre, das erforderlich ist, um die Auswirkungen der körperlichen Behinderung - hier die Unfähigkeit, ein Fahrrad zu fahren - auszugleichen und die zum Ausgleich dieser Behinderung die¬nende Lenkstangenverlängerung zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse und Lebensbetätigungen notwendig ist. Im Hinblick darauf, dass die Lenkstangenverlängerung der Klägerin ermöglicht, ein Fahrrad in aufrechter und normaler Sitzhaltung - und damit nicht gesundheitsgefährdend - zu benutzen, ist davon auszugehen, dass dieses Gerät ein Hilfsmittel ist. Es ist auch für die Klägerin notwendig. Abgesehen davon, dass nunmehr die Klägerin sowohl im wesentlich größeren Umfang als auch auf ganz andere Art und Weise an ihrer Umwelt teilnehmen kann, hat die Kammer im vorliegenden Fall maßgeblich auf folgenden Gesichtspunkt abgestellt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. Anschaffung der Lenkstangenverlängerung war die Klägerin etwas mehr als 3 Jahre alt. Für Kinder solchen Alters gehört es aber zur normalen Lebensführung, altersgerecht in der Gemeinschaft mit anderen Kindern spielen zu können. Neben der Förderung der körperlichen Entwicklung und Geschicklichkeit begün¬stigt nun eine solche Lenkstangenverlängerung die Einglie¬derung des Behinderten in den Kreis der nicht behinderten Kinder, begrenzt so aufkommende Gefühle von Minderwertigkeit und Ausgeschlossen sein mit möglicherweise nachfolgenden psychischen Schäden und fördert damit letztlich eine kindgerechte Lebensführung und Entwicklung.

Der Klage war demnach mit der Kostenfolge des § 193 SGG stattzugeben.
Rechtskraft
Aus
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