S 2 R 249/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 249/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 381/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente.

Der 1957 geborene Kläger ist ledig. Er hat keine Kinder. Von Beruf ist er gelernter Rolladen- und Jallousienbauer. Er war stets in seinem Beruf tätig bis Juli 2011.

Am 06.08.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Internisten und Sozialmediziner C ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 28.11.2013 folgende Diagnosen:

1. Schmerzhafte Belastungsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen.
2. Chronisches Analekzem.
3. Knorpelschaden der Kniescheibe und möglicher weiterer Kniebinnenschaden links.
4. Angeborene Sehminderung des linken Auges.
5. Medikamentös behandelter Bluthochdruck.
6. Ekzemleiden.
7. Senkspreizfuß bds.
8. Handgelenksverschließ rechts.
9. Hörminderung bds., Tinnitus.

Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Klägers gelangte er zu der Einschätzung, dass diesem leichte Tätigkeiten für 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar seien. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 11.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2014 ab.

Hiergegen richtet sich die am 23.05.2014 bei Gericht eingegangene Klage. Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter. Er sei voll erwerbsgemindert.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.12.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

Im Rahmen der Sachermittlungen sind Befundberichte eingeholt worden bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D., bei Gericht eingegangen am 01.07.2014, dem Viszeralchirurgen Prof. Dr. E. vom 02.07.2014 und dem Orthopäden Dr. F. vom 09.07.2014. Ferner ist eine fachorthopädische Begutachtung veranlasst worden bei Dr. G. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 03.03.2015 auf orthopädischem Fachgebiet folgende Diagnosen:

1. Degenerative Skelettveränderungen der HWS mit wiederkehrenden HWS- und Schulter-Nacken-Beschwerden.
2. Degenerative Veränderungen der LWS mit wiederkehrenden schmerzhaften Bewegungs- und Belastungsstörungen der LWS.
3. Beschwerden bei der endgradigen vorderen und seitlichen Armhebung in beiden Schultern bei Bursitis subacromialis beidseits.
4. Degenerative Handgelenkveränderungen rechts mit wiederkehrenden Beschwerden.
5. Dupuytren’sche Kontraktur I. Grades 4. Hohlhandstrahl beidseits.
6. Spreizfuß und Hammerzehen, links mehr als rechts; Rezidiv eines operierten Hallux valgus links.

Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Klägers gelangte er zu der Einschätzung, dass diesem leichte Tätigkeiten für zumindest 6 Stunden arbeitstäglich zumutbar seien. Zu diesem Gutachten legte der Kläger ein Attest des Dr. D. vom 16.03.2015 und ein Attest des Orthopäden H. vom 01.04.2015 vor. Zu Letzterem ist eine ergänzende Stellungnahme des Dr. G. vom 26.05.2015 eingeholt worden. Auf den Inhalt der beiden Atteste und den der ergänzenden Stellungnahme wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ebenfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert. Er hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.

Nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Wer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ist demnach in der Regel nicht erwerbsgemindert. Denn bei Versicherten mit dieser Leistungsfähigkeit ist davon auszugehen, dass für jede Art einer noch gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Arbeitsplätze besetzt oder unbesetzt sind.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Kläger nicht erwerbsgemindert. Zwar wird sein Leistungsvermögen durch Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Noch sind dem Kläger bei Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden arbeitstägliche leichte Arbeiten zumutbar. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und Leistungsvermögen entnimmt die Kammer insoweit dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere dem Sachverständigengutachten des Dr. G. Dr. G. ist den Beschwerden des Klägers sorgfältig nachgegangen und hat die Befunde aufgrund körperlicher Untersuchung und aufgrund einer ausführlichen Exploration erhoben. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Auch aus den beiden vom Kläger vorgelegten Attesten ergibt sich nichts anderes. Dr. D. stützt seine Einschätzung des aufgehobenen Leistungsvermögens auf das Vorliegen eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms. Diese Diagnose ist für den Facharzt für Allgemeinmedizin fachfremd. Er überschreitet damit seine Fachgebietsgrenzen. Zum Attest des Dr. H. hat Dr. G. zutreffend ausgeführt, dass die von Dr. H. angesprochenen Schmerzen mit den Angaben des Klägers in Übereinstimmung stehen, nicht jedoch mit den Ergebnissen seiner Begutachtung. Wie in seinem Gutachten im Einzelnen ausgeführt wurde, hat er während des Begutachtungsvorganges Inkonsistenzen erkennen können hinsichtlich der Schmerzangaben und auch hinsichtlich der Bewegungsmaße in beobachteten und unbeobachteten Situationen. An diesen Feststellungen ändert sich durch die Atteste der beiden behandelnden Ärzte nichts.

Das verbliebene Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag schließt den Anspruch auf Rente wegen teilweiser und auch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er nicht berufsunfähig ist.

Nach § 240 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die berufsunfähig sind.

Berufsunfähig sind nach Absatz 2 der Norm Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbstätigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Von den Versicherten wird vielmehr verlangt, dass sie - immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf" - auch einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme einer Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (vgl. BSGE 41, 129, 131). Berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI ist also nur derjenige, der sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen" lassen muss.

"Zugemutet werden" im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI können den Versicherten alle von ihnen nach ihren gesundheitlichen Kräften und ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausführbaren, auch "berufsfremden" Tätigkeiten, die nach der im Gesetz ausgeführten positiven Kennzeichnung (Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufes im Betrieb, d. h. nach ihrer Qualität) dem "bisherigen Beruf" nicht zu fern stehen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSGE 41, 129, 132 mit weiteren Nachweisen).

Zur Ausfüllung dieser Grundsätze wurde von der Rechtsprechung das so genannte Mehrstufen-Schema entwickelt. Für Arbeiterberufe wird unterschieden in die Gruppen mit den Leitberufen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hochqualifizierten Facharbeiters (1. Stufe), des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren; 2. Stufe), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) mit Unterscheidung in einen oberen und einen unteren Bereich (3. Stufe) und des ungelernten Arbeiters (4. Stufe).

Als zumutbaren beruflichen Abstieg hat die Rechtsprechung jeweils den Abstieg zur nächst niedrigeren Stufe angenommen. Damit sind für einen angelernten Arbeiter (3. Stufe) grundsätzlich auch ungelernte Tätigkeiten sozial zumutbar. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn der Versicherte zu den Angelernten des unteren Bereiches gehört und insoweit uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann (BSG, Urteil vom 14.09.1995 5 RJ 50/94).

Der Kläger ist entsprechend seiner zuletzt ausgeübten Beschäftigung der Gruppe der Facharbeiter zuzuordnen. Als solcher darf er auf Tätigkeiten verwiesen werden, die zur Gruppe der Facharbeiterberufe oder zur Gruppe der angelernten Arbeiter gehören. Darüber hinaus kann er aber auch auf die Tätigkeiten der Gruppe der ungelernten Arbeiter verwiesen werden, wenn sich die Tätigkeiten aus dem Kreis ungelernter Tätigkeiten innerhalb des Betriebes oder im Ansehen aber auch unter Berücksichtigung ihrer tariflichen Eingruppierung im Vergleich mit anderen Tätigkeiten besonders herausheben. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat die Beklagte den Kläger rechtmäßigerweise auf die Tätigkeit eines Mitarbeiters einer Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde, eines Warenaufmachers oder eines Pförtners verwiesen. Eine Verweisung hierauf ist ihm sozial als auch gesundheitlich zumutbar. Die Tätigkeiten stehen mit dem im Rahmen des Klageverfahrens ermittelten Restleistungsvermögen in Übereinstimmung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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