S 6 R 117/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 117/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 53/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 29.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.12.2010 bis 30.11.2013 und weiter bis 30.11.2016 zu gewähren.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Kläger ist 1962 geboren. Er erlernte die Berufe des Gas-Wasser-Installateurs und des Bürokaufmanns. In letzterem Beruf arbeitete der Kläger seit 1981. Er beantragte am 17.05.2010 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zahlreiche Befundberichte bei und lehnte mit Bescheid vom 08.07.2010 den Rentenantrag ab, da das Leistungsvermögen des Klägers mangels Erscheinens zur Begutachtung nicht habe festgestellt werden können. Hiergegen erhob der Kläger am 12.08.2010 Widerspruch. Die Beklagte holte daraufhin ein fachorthopädisches Gutachten bei Herrn Dr. C. ein. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.11.2010 diagnostizierte der Gutachter:
1. Degeneratives LWS-Syndrom bei Rezidiv -NPP L ¾ links, Leichte Knie- und Unterschenkelstreckerschwäche links, BSV L5/S1 mit geringer Großzehenheberschwäche
2. Degeneratives Cervico-brachiales Syndrom mit rezidivierenden Pseudo-Cervicobrachialgien bei paramedianem BSV HWK 4/5 rechts
3. MFK Basisnaher Bruch mit Pseudoarthrose rechts
4. Chronische Metatarsalgie beidseits, Vorfußdeformität beidseits
5. Leichtes Impingementsyndrom beider Schultergelenke
6. diverse internistische Diagnosen
Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger sowohl als Bankkaufmann als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in leichten Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig arbeiten könne.

Unter dem 29.11.2010 erging ein Ergänzungsbescheid durch die Beklagte, wonach nach Feststellung der gesundheitlichen Einschränkungen im Rahmen einer Begutachtung der Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich arbeiten könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch schließlich zurück.

Mit seiner am 23.02.2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter und beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat Beweis erhoben und Befundberichte der behandelnden Ärzte D., E. und F. sowie ein neurologisches Gutachten bei Herrn Dr. G. eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 17.04.2012 konnte der Gutachter keine definitive neurologische Diagnose stellen. Der elektromyographische Befund habe eine frischere neurogene Schädigung der Unterschenkelmuskeln durch eine Erkrankung der Beinnerven gezeigt. Dieser Erkrankung der Beinnerven komme erwerbsmindernder Dauereinfluss zu. Allerdings könne der Kläger (seit Rentenantragstellung) zumindest sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten. Er verwies auf die orthopädischerseits festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Er empfahl ein weiteres endokrinologisch-internistisches Gutachten wegen der Neigung zu Knochenbrüchen.

Das Gericht hat sodann ein endokrinologisch-internistisches Gutachten bei Herrn Dr. H. eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 21.09.2012 diagnostizierte der Gutachter Osteoporose, primären Hypogonadismus, chronisches Schmerzsyndrom Stadium III, Zustand nach wiederholter Varikozelen-OP mit Entfernung des Nebenhodens links und Nikotinabusus. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass lang dauernder Geschlechtshormonmangel zur Osteoporose mit erhöhtem Knochenbruchrisiko geführt habe. Leistungsschwäche und nachlassende Kraft seien eine Folge der abnehmenden Muskelmasse, da die muskelanabole Wirkung der Androgene fehle. Der Gutachter schätzte ein, dass der Kläger seit Rentenantragstellung noch drei bis sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten könne. Die Wegefähigkeit sei aufgrund des erhöhten Sturzrisikos nicht gegeben. Die Osteoporose und der Hypogonadismus sollten behandelt werden.

Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten folgte dem Gutachten des Herrn Dr. H. nicht. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit und eine aufgehobene Wegefähigkeit seien nicht zu begründen. Das Gericht hat daher eine ergänzende Stellungnahme des Herrn Dr. H. eingeholt.

Das Gericht hat die Beteiligten unter dem 30.10.2013 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Im Rahmen der nach § 105 Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Anhörung haben die Beteiligten keine begründeten Einwände gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorgebracht.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 29.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2011 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (Arbeitsmarktrente) ab Antragstellung gemäß § 43 SGB VI. Der Kläger ist teilweise erwerbsgemindert, hat keinen Teilzeitarbeitsplatz inne und erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Leistungsfalls 17.05.2010 (Rentenantragstellung).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten nicht streitig und liegen vor. Nach den gutachterlichen Feststellungen des Herrn Dr. H. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger aufgrund der Osteoporose und des Hypogonadismus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten nur noch drei bis sechs Stunden täglich verrichten kann. Zuvor waren zwar die Sachverständigen Dr. C. und Dr. G. zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger zumindest sechs Stunden täglich arbeiten könne. Allerdings sah Dr. G. die Notwendigkeit einer internistischen Begutachtung wegen der Neigung zu Knochenbrüchen. Und Dr. H. konnte diese Neigung in seinem Gutachten diagnostizieren und bewerten. Die Leistungseinschätzung des Sachverständigen Dr. H. basiert auf einer ausführlichen Anamnese sowie einer umfangreichen Untersuchung und Befunderhebung und ist für das Gericht in sich geschlossen und widerspruchsfrei sowie mit nachvollziehbaren Argumenten in dem vorliegenden Gutachten dargestellt. Sie bewegt sich im Rahmen des einem Arzt einzuräumenden Beurteilungsspielraumes, so dass sich das Gericht diese Bewertungen zu Eigen machen kann. Zwar folgte der medizinische Dienst der Beklagten diesem Gutachten nicht (ohne den Kläger gesehen zu haben). Allerdings vermag die Stellungnahme nicht zu überzeugen. Die im Gutachten erhobenen medizinischen Befunde wurden nicht substantiiert angegriffen bzw. bewertet. Fehlende Behandlung in den letzten vier Jahren und Behandlungsbedarf begründen noch keine vollschichtige Leistungsfähigkeit.

Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Nach Satz 2 erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Nach Satz 3 kann sie verlängert werden. Diese Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (Satz 5). Gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Erwerbsminderung geleistet.

Vorliegend beantragte der Kläger am 17.05.2010 Erwerbsminderungsrente. Seit diesem Zeitpunkt ist er nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Herrn Dr. H. teilweise erwerbsgemindert. Da er keinen Teilzeitarbeitsplatz innehat und es keinen Teilzeitarbeitsmarkt gibt, erhält der Kläger eine volle Erwerbsminderungsrente, welche grundsätzlich zu befristen ist. Diese wird ab dem siebten Kalendermonat geleistet, mithin ab Dezember 2010. Die Kammer hielt eine Befristung von drei Jahren bis November 2013 für angemessen, und da der erste Dreijahreszeitraum bereits abgelaufen ist, weiter bis November 2016, um das Leistungsvermögen nach begonnener Osteoporose- und Hormonbehandlung erneut zu beurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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