Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 BK 33/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 BK 11/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31.05.2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Kinderzuschlag für die Zeit von April 2011 bis Februar 2012 iHv 3.080 EUR.
Die am 00.00.1989 geborene Klägerin ist die Mutter von zwei am 00.00.2008 und 00.00.2009 geborenen Kindern. Im streitigen Zeitraum lebte die Klägerin zusammen mit den Kindern und dem Vater der Kinder, ihrem Ehemann, in einem Haushalt. Die Familie lebte in einer Mietwohnung. Der Ehemann verfügte über Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis. Bis zum 30.09.2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Am 11.10.2010 beantragte die Klägerin Kinderzuschlag. Sie gab eine Erklärung über die Unterkunftskosten, eine Erklärung, nicht über Vermögen zu verfügen sowie eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers des Ehemannes (1.650 EUR regelmäßiger Brutto-Monatsverdienst) ab. Aufgrund dieser Unterlagen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 20.10.2010 Kinderzuschlag von Oktober 2010 bis März 2011 iHv monatlich 240 EUR. Die Beklagte stellte den Bescheid unter einen Rückforderungsvorbehalt sobald feststehe, welches Einkommen im Bewilligungszeitraum tatsächlich erzielt worden ist. Mit Schreiben vom 14.04.2011 forderte die Beklagte zur Prüfung eines Anspruchs auf Kinderzuschlag ua Einkommensnachweise von Oktober 2010 bis März 2011 sowie weitere Nachweise. Außerdem übersandte die Beklagte einen Fragebogen zum Anspruch auf Kinderzuschlag ab April 2011. Die Klägerin übersandte die angeforderten Unterlagen.
Mit Bescheid vom 13.05.2011 bewilligte die Beklagte Kinderzuschlag für beide Kinder iHv monatlich insgesamt 280 EUR für April 2011 bis März 2012. Im Gegensatz zu dem Bescheid vom 20.10.2010 enthielt der Bescheid keinen Rückforderungsvorbehalt, sondern nur die Formulierung "Die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlung und für eine evtl. Weiterzahlung werden Ihnen rechtzeitig vor Ablauf des o. g. Bewilligungsabschnitts unaufgefordert übersandt."
Im März 2012 endete die Beschäftigung des Ehemanns, daher bezog die Klägerin ab 01.03.2012 Arbeitslosengeld II.
Am 27.02.2012 und mit Erinnerungen vom 12.04.2012 und vom 24.04.2012 forderte die Beklagte bei der Klägerin folgende Unterlagen an: "Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs, Lohnabrechnungen des Ehemanns ab April 2011 bis laufend, Nachweis über den Bezug weiterer Sozialleistungen, Erklärung zu den KdU mit Nachweisen für 2012".
Nachdem die Klägerin nicht reagiert hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2012 den Kinderzuschlag von April 2011 bis Februar 2012 gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf und forderte gem. § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung von 3.080 EUR. Der Bescheid wurde mit einfacher Post abgeschickt.
Da die Klägerin keine Zahlung leistete, betrieb die Beklagte die Vollstreckung des Erstattungsbetrags. Im Rahmen dieses Verfahrens teilte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten im April 2014 mit, ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid sei der Klägerin nicht zugegangen. Sie habe zudem zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf Kinderzuschlag gehabt, da sie seit der Geburt der Kinder immer Arbeitslosengeld II bezogen habe.
Mit Schreiben vom 08.09.2014 übersandte die Beklagte den Bescheid vom 09.05.2012 an die Klägerin. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 21.09.2014 Widerspruch ein. Sie habe keinen Zugriff auf das Konto gehabt, das allein der mittlerweile getrennt lebende Ehemann geführt habe. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Ehemann als Berechtigten anzusehen und allenfalls von diesem Leistungen zurückzufordern. Die Mitwirkungsaufforderung vom 12.04.2012 habe sie nicht erhalten. Da sie mittlerweile getrennt lebe und ein Ehescheidungsverfahren laufe, sei sie jetzt nicht mehr in der Lage, die Unterlagen vorzulegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da die Klägerin ihre Anzeigepflicht verletzt habe, lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 19.12.2014 bei dem Sozialgericht Aachen erhobene Klage. Die Klägerin hat wiederholt, sie habe kein eigenes Konto geführt und keinen Zugriff auf das Konto des Ehemannes gehabt. Deshalb sei sie nicht als Zahlungsempfängerin anzusehen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, aufgrund einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin bei der Überprüfung des Bescheides zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt zu sein.
Mit Urteil vom 31.05.2016 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid. Es sei nicht bewiesen, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iSd § 48 SGB X eingetreten sei. Die Beweislast dafür läge bei der Beklagten. Eine Umkehr der Beweislast sei nicht anzunehmen, da die Beklagte vorbehaltslos Leistungen bewilligt habe, ohne von der vom BSG eingeräumten Möglichkeit einer Vorwegzahlung Gebrauch gemacht zu haben.
Gegen das am 27.06.2016 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 07.07.2016. Sie hält die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 31.05.2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat ergänzend ausgeführt, bei der Trennung von ihrem Ehemann habe es sich um eine höchst problematische Trennung mit Durchführung eines Gewaltschutzverfahrens gehandelt. Sie habe nie einen Zugriff auf das Konto des Ehemannes gehabt und sei nicht in der Lage, die geforderten Unterlagen vorzulegen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Beklagte kann das Rückforderungsverlangen nicht auf einen Rückforderungsvorbehalt im Bescheid vom 13.05.2011 stützen.
Wenn ein Anspruch auf Kinderzuschlag sich im Nachhinein als nicht bestehend herausstellte, konnte in dem im streitigen Zeitraum, in dem im Recht des Kinderzuschlags eine den § 41a SGB II bzw. § 328 SGB III entsprechende Regelung fehlte, eine Rückforderung Rechtsfolge einer Befugnis zur Vorwegzahlung gemäß § 32 Abs. 1 SGB X sein. § 11 Abs. 5 BKGG, der eine Rechtsgrundlage für die vorläufige Bewilligung von Kinderzuschlag mit Erstattungspflicht bei nicht zustehenden Leistungen in entsprechender Anwendung von § 41a SGB II enthält, ist erst mWv 01.08.2016 durch das 9. SGB II-ÄndG (BGBl I, 1824) eingefügt worden und für den vorliegenden Fall noch nicht relevant.
Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf nach § 32 Abs. 1 SGB X mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Sicherstellung in diesem Sinne bedeutet, dass ein Verwaltungsakt vor Eintritt der gesetzlichen Voraussetzungen der in ihm getroffenen Regelung mit einer Nebenbestimmung ergehen darf, wenn eine abschließende Entscheidung dem Grunde nach noch nicht möglich ist, so dass durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden muss, dass diese Regelung nur bei Eintritt dieser Voraussetzungen wirksam wird oder wirksam bleibt. Aus der Zulässigkeit von Nebenbestimmungen zur Sicherstellung der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen folgt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung die Befugnis einräumt, Verwaltungsakte bereits dann zu erlassen, wenn noch nicht alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu ihrer Überzeugung erfüllt sind. Im Bereich der gebundenen Entscheidungen lässt sich daher eine Befugnis zu Vorwegzahlungen in engen Grenzen aus § 32 Abs. 1 SGB X herleiten. Dabei darf die Nebenbestimmung allerdings nicht zu dem Zweck erlassen werden, die Leistungsbewilligung nur für den Fall aufrecht erhalten zu wollen, dass die Voraussetzungen für die Leistung erfüllt bleiben. Eine spätere Entwicklung kann regelmäßig nicht mit Nebenbestimmungen geregelt werden, wenn sie sich nicht bereits konkret abzeichnet, denn andernfalls würde die Regelung des § 48 SGB X umgangen. Die Nebenbestimmung muss zudem hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X sein, dh sie muss nach ihrem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sein und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen, die in ihr getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken, müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X mitgeteilt werden. Aus dem Text des Bewilligungsbescheides muss deutlich werden, dass der Bewilligung die Berücksichtigung einer Einkommenssituation zugrunde gelegt worden ist, die nicht der realen Einkommenssituation für den Bewilligungszeitraum entsprach, weil die Höhe des Einkommens noch unbekannt und davon auszugehen war, dass die Prognose der Einkommensentwicklung zwar eine Bewilligung zuließ, gleichwohl eine einen Vorbehalt rechtfertigende Unsicherheit bestand. Nicht ausreichend ist, dass sich dem Adressanten zwar die Möglichkeit einer späteren Überprüfung, nicht jedoch einer nur vorläufigen Leistungsgewährung erschließt. Es muss sich um eine klare und eindeutige Regelung der "Vorwegzahlung" handeln (grundlegend BSG Urteil vom 02.11.2012 - B 4 KG 2/11 R).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist bereits fraglich, ob sich zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 13.05.2011 konkret abzeichnete, dass mit schwankendem Einkommen des Ehemanns zu rechnen ist. Die Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers für den vorangegangenen Zeitraum weist ein konstantes monatliches Bruttoeinkommen iHv 1.650 EUR aus, Anhaltspunkte dafür, dass sich dies in der Zukunft ändern wird, sind nicht aktenkundig. Zudem genügt der in dem Bescheid vom 13.05.2011 enthaltene Zusatz nicht im Ansatz den Anforderungen an einen hinreichend bestimmten Vorläufigkeitsvorbehalt. Der Bescheid ist nicht klar und deutlich als Vorwegzahlungsbescheid, der im Hinblick auf eine unklare Einkommensentwicklung ergeht, gekennzeichnet. Der in dem vorherigen Bescheid vom 20.10.2010 erteilte, möglicherweise ausreichende Vorläufigkeitshinweis ist für den durch den Bescheid vom 13.05.2011 umfassten Bewilligungszeitraum nicht relevant.
Zu Unrecht hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf § 48 SGB X gestützt. Diese Vorschrift ist für den hier vorliegenden Sachverhalt - selbst wenn die Annahme der Beklagten zuträfe und von der Erzielung anspruchshindernden Einkommens auszugehen wäre - nicht einschlägig. Denn dann wäre der Bescheid vom 13.05.2011, mit dem die Beklagte den ungeminderten Gesamtkinderzuschlag für den Zeitraum April 2011 bis März 2012 bewilligt hat, von Beginn an rechtswidrig iSd § 45 SGB X. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - ggfs. nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.11.2017 - L 18 AS 2067/16).
Der auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X gestützte Bescheid kann nicht in einen Bescheid umgedeutet werden, der seine Rechtsgrundlage in § 45 SGB X findet. Gem. § 43 Abs. 3 SGB X kann eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Wäre die vom Beklagten angenommene Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X einschlägig, bestünde von atypischen Fällen abgesehen ("Soll-Ermessen") eine Verpflichtung des Beklagten, den Bescheid den geänderten Verhältnissen anzupassen. Demgegenüber räumt § 45 SGB X im Recht des Kinderzuschlags der Behörde Ermessen ein (§ 45 Abs. 1 SGB X "darf nur"). Zudem hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid kein Ermessen ausgeübt, weshalb der Bescheid auch mit einem umgedeuteten Inhalt rechtswidrig wäre.
Etwas anderes folgt nicht aus §§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III. Diese Regelung ist für die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag nicht anwendbar. Das BKGG enthält keine § 40 SGB II entsprechende Verweisungsnorm auf § 330 SGB III. Auch eine entsprechende Anwendung ist nicht geboten. Zwar ist der Normzweck von § 330 SGB III auch für den Kinderzuschlag einschlägig. Diese Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Agenturen für Arbeit - anders als andere Sozialversicherungsträger - Leistungen zumeist kurzfristig zu erbringen und vielfach ebenso kurzfristig wieder zu beenden haben, so dass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind (BT-Drucks. 12/5502 S. 37 zur Vorgängerregelung des § 152 AFG). Eine ähnliche Interessenlage besteht im Rahmen des SGB II, so dass § 40 Abs. 2 SGB II die entsprechende Anwendung von § 330 Abs. 2 SGB III anordnet. Da der Kinderzuschlag nach Sinn und Zweck an die Stelle ansonsten zustehender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts tritt, würde es ggfs. nahe liegen, die Geltung von § 330 Abs. 2 SGB III auch für § 6a BKGG anzuordnen. Eine entsprechende Regelung ist jedoch trotz zwischenzeitlicher Änderungen des § 6a BKGG nicht erfolgt, so dass - insbesondere angesichts der erwähnten gesetzlichen Anordnung der Geltung von § 41a SGB II ab 01.08.2016 durch § 11 Abs. 5 BKGG - nicht von einer unbewussten Regelungslücke, die im Wege der entsprechenden Anwendung von § 330 Abs. 2 SGB III im Recht des Kinderzuschlags geschlossen werden muss, ausgegangen werden kann. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst den Kinderzuschlag als Teil des BKGG ausgestaltet und diesen (nur) den verfahrensrechtlichen Regelungen des BKGG unterworfen (so auch SG Cottbus Gerichtsbescheid vom 16.12.2013 - S 9 BK 16/10), soweit dieses keine ausdrückliche Verweisung in andere Bücher enthält.
Zudem liegen die Voraussetzungen einer Aufhebung der Bewilligung vom 13.05.2011 auch bei Anwendung von § 45 SGB X nicht vor. Die Beklagte hat den hiernach erforderlichen Nachweis der anfänglichen Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 13.05.2011 nicht erbracht. Vielmehr ist unklar, ob die Voraussetzungen für den Bezug von Kinderzuschlag im streitigen Zeitraum vorlagen. Die Folgen hiervon gehen zu Lasten der Beklagten. Diese trägt grundsätzlich die Beweislast für die Voraussetzungen einer Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X. Eine Umkehr der Beweislast ist nur gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu dem Adressaten des Bescheides besteht. Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung erschwert oder verhindert wird (BSG Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R; Urteil des Senats vom 12.04.2018 - L 7 AS 2073/15). Hiernach ist eine Beweislastumkehr im vorliegenden Fall nicht geboten. Die Klägerin hat nachvollziehbar und glaubhaft vortragen lassen, dass sie aufgrund der Trennungssituation mit dem Ehemann nicht in der Lage war und ist, die geforderten Einkommensnachweise zu erbringen. Eine gezielte Beweisvereitelung ist ihr daher nicht vorzuwerfen. Dass die Beklagte von der § 32 Abs. 1 SGB X bestehenden Befugnis zur Vorwegzahlung keinen Gebrauch gemacht hat, geht bei der Abwägungsentscheidung zur Beweislastverteilung - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - zu deren Lasten.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Weigerung, für die nachträgliche Überprüfung bereits Leistungen erforderliche Angaben zu machen, einen Ausschluss von Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X nicht rechtfertigt. Hiernach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Bei einer Verweigerung von Angaben in einem Überprüfungsverfahren nach Erlass des Bescheides beruht dieser nicht auf evtl. fehlenden oder fehlerhaften Angaben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Kinderzuschlag für die Zeit von April 2011 bis Februar 2012 iHv 3.080 EUR.
Die am 00.00.1989 geborene Klägerin ist die Mutter von zwei am 00.00.2008 und 00.00.2009 geborenen Kindern. Im streitigen Zeitraum lebte die Klägerin zusammen mit den Kindern und dem Vater der Kinder, ihrem Ehemann, in einem Haushalt. Die Familie lebte in einer Mietwohnung. Der Ehemann verfügte über Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis. Bis zum 30.09.2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Am 11.10.2010 beantragte die Klägerin Kinderzuschlag. Sie gab eine Erklärung über die Unterkunftskosten, eine Erklärung, nicht über Vermögen zu verfügen sowie eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers des Ehemannes (1.650 EUR regelmäßiger Brutto-Monatsverdienst) ab. Aufgrund dieser Unterlagen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 20.10.2010 Kinderzuschlag von Oktober 2010 bis März 2011 iHv monatlich 240 EUR. Die Beklagte stellte den Bescheid unter einen Rückforderungsvorbehalt sobald feststehe, welches Einkommen im Bewilligungszeitraum tatsächlich erzielt worden ist. Mit Schreiben vom 14.04.2011 forderte die Beklagte zur Prüfung eines Anspruchs auf Kinderzuschlag ua Einkommensnachweise von Oktober 2010 bis März 2011 sowie weitere Nachweise. Außerdem übersandte die Beklagte einen Fragebogen zum Anspruch auf Kinderzuschlag ab April 2011. Die Klägerin übersandte die angeforderten Unterlagen.
Mit Bescheid vom 13.05.2011 bewilligte die Beklagte Kinderzuschlag für beide Kinder iHv monatlich insgesamt 280 EUR für April 2011 bis März 2012. Im Gegensatz zu dem Bescheid vom 20.10.2010 enthielt der Bescheid keinen Rückforderungsvorbehalt, sondern nur die Formulierung "Die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlung und für eine evtl. Weiterzahlung werden Ihnen rechtzeitig vor Ablauf des o. g. Bewilligungsabschnitts unaufgefordert übersandt."
Im März 2012 endete die Beschäftigung des Ehemanns, daher bezog die Klägerin ab 01.03.2012 Arbeitslosengeld II.
Am 27.02.2012 und mit Erinnerungen vom 12.04.2012 und vom 24.04.2012 forderte die Beklagte bei der Klägerin folgende Unterlagen an: "Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs, Lohnabrechnungen des Ehemanns ab April 2011 bis laufend, Nachweis über den Bezug weiterer Sozialleistungen, Erklärung zu den KdU mit Nachweisen für 2012".
Nachdem die Klägerin nicht reagiert hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2012 den Kinderzuschlag von April 2011 bis Februar 2012 gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf und forderte gem. § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung von 3.080 EUR. Der Bescheid wurde mit einfacher Post abgeschickt.
Da die Klägerin keine Zahlung leistete, betrieb die Beklagte die Vollstreckung des Erstattungsbetrags. Im Rahmen dieses Verfahrens teilte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten im April 2014 mit, ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid sei der Klägerin nicht zugegangen. Sie habe zudem zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf Kinderzuschlag gehabt, da sie seit der Geburt der Kinder immer Arbeitslosengeld II bezogen habe.
Mit Schreiben vom 08.09.2014 übersandte die Beklagte den Bescheid vom 09.05.2012 an die Klägerin. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 21.09.2014 Widerspruch ein. Sie habe keinen Zugriff auf das Konto gehabt, das allein der mittlerweile getrennt lebende Ehemann geführt habe. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Ehemann als Berechtigten anzusehen und allenfalls von diesem Leistungen zurückzufordern. Die Mitwirkungsaufforderung vom 12.04.2012 habe sie nicht erhalten. Da sie mittlerweile getrennt lebe und ein Ehescheidungsverfahren laufe, sei sie jetzt nicht mehr in der Lage, die Unterlagen vorzulegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da die Klägerin ihre Anzeigepflicht verletzt habe, lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 19.12.2014 bei dem Sozialgericht Aachen erhobene Klage. Die Klägerin hat wiederholt, sie habe kein eigenes Konto geführt und keinen Zugriff auf das Konto des Ehemannes gehabt. Deshalb sei sie nicht als Zahlungsempfängerin anzusehen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, aufgrund einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin bei der Überprüfung des Bescheides zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt zu sein.
Mit Urteil vom 31.05.2016 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid. Es sei nicht bewiesen, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iSd § 48 SGB X eingetreten sei. Die Beweislast dafür läge bei der Beklagten. Eine Umkehr der Beweislast sei nicht anzunehmen, da die Beklagte vorbehaltslos Leistungen bewilligt habe, ohne von der vom BSG eingeräumten Möglichkeit einer Vorwegzahlung Gebrauch gemacht zu haben.
Gegen das am 27.06.2016 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 07.07.2016. Sie hält die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 31.05.2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat ergänzend ausgeführt, bei der Trennung von ihrem Ehemann habe es sich um eine höchst problematische Trennung mit Durchführung eines Gewaltschutzverfahrens gehandelt. Sie habe nie einen Zugriff auf das Konto des Ehemannes gehabt und sei nicht in der Lage, die geforderten Unterlagen vorzulegen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Beklagte kann das Rückforderungsverlangen nicht auf einen Rückforderungsvorbehalt im Bescheid vom 13.05.2011 stützen.
Wenn ein Anspruch auf Kinderzuschlag sich im Nachhinein als nicht bestehend herausstellte, konnte in dem im streitigen Zeitraum, in dem im Recht des Kinderzuschlags eine den § 41a SGB II bzw. § 328 SGB III entsprechende Regelung fehlte, eine Rückforderung Rechtsfolge einer Befugnis zur Vorwegzahlung gemäß § 32 Abs. 1 SGB X sein. § 11 Abs. 5 BKGG, der eine Rechtsgrundlage für die vorläufige Bewilligung von Kinderzuschlag mit Erstattungspflicht bei nicht zustehenden Leistungen in entsprechender Anwendung von § 41a SGB II enthält, ist erst mWv 01.08.2016 durch das 9. SGB II-ÄndG (BGBl I, 1824) eingefügt worden und für den vorliegenden Fall noch nicht relevant.
Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf nach § 32 Abs. 1 SGB X mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Sicherstellung in diesem Sinne bedeutet, dass ein Verwaltungsakt vor Eintritt der gesetzlichen Voraussetzungen der in ihm getroffenen Regelung mit einer Nebenbestimmung ergehen darf, wenn eine abschließende Entscheidung dem Grunde nach noch nicht möglich ist, so dass durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden muss, dass diese Regelung nur bei Eintritt dieser Voraussetzungen wirksam wird oder wirksam bleibt. Aus der Zulässigkeit von Nebenbestimmungen zur Sicherstellung der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen folgt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung die Befugnis einräumt, Verwaltungsakte bereits dann zu erlassen, wenn noch nicht alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu ihrer Überzeugung erfüllt sind. Im Bereich der gebundenen Entscheidungen lässt sich daher eine Befugnis zu Vorwegzahlungen in engen Grenzen aus § 32 Abs. 1 SGB X herleiten. Dabei darf die Nebenbestimmung allerdings nicht zu dem Zweck erlassen werden, die Leistungsbewilligung nur für den Fall aufrecht erhalten zu wollen, dass die Voraussetzungen für die Leistung erfüllt bleiben. Eine spätere Entwicklung kann regelmäßig nicht mit Nebenbestimmungen geregelt werden, wenn sie sich nicht bereits konkret abzeichnet, denn andernfalls würde die Regelung des § 48 SGB X umgangen. Die Nebenbestimmung muss zudem hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X sein, dh sie muss nach ihrem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei sein und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen, die in ihr getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken, müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X mitgeteilt werden. Aus dem Text des Bewilligungsbescheides muss deutlich werden, dass der Bewilligung die Berücksichtigung einer Einkommenssituation zugrunde gelegt worden ist, die nicht der realen Einkommenssituation für den Bewilligungszeitraum entsprach, weil die Höhe des Einkommens noch unbekannt und davon auszugehen war, dass die Prognose der Einkommensentwicklung zwar eine Bewilligung zuließ, gleichwohl eine einen Vorbehalt rechtfertigende Unsicherheit bestand. Nicht ausreichend ist, dass sich dem Adressanten zwar die Möglichkeit einer späteren Überprüfung, nicht jedoch einer nur vorläufigen Leistungsgewährung erschließt. Es muss sich um eine klare und eindeutige Regelung der "Vorwegzahlung" handeln (grundlegend BSG Urteil vom 02.11.2012 - B 4 KG 2/11 R).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist bereits fraglich, ob sich zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 13.05.2011 konkret abzeichnete, dass mit schwankendem Einkommen des Ehemanns zu rechnen ist. Die Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers für den vorangegangenen Zeitraum weist ein konstantes monatliches Bruttoeinkommen iHv 1.650 EUR aus, Anhaltspunkte dafür, dass sich dies in der Zukunft ändern wird, sind nicht aktenkundig. Zudem genügt der in dem Bescheid vom 13.05.2011 enthaltene Zusatz nicht im Ansatz den Anforderungen an einen hinreichend bestimmten Vorläufigkeitsvorbehalt. Der Bescheid ist nicht klar und deutlich als Vorwegzahlungsbescheid, der im Hinblick auf eine unklare Einkommensentwicklung ergeht, gekennzeichnet. Der in dem vorherigen Bescheid vom 20.10.2010 erteilte, möglicherweise ausreichende Vorläufigkeitshinweis ist für den durch den Bescheid vom 13.05.2011 umfassten Bewilligungszeitraum nicht relevant.
Zu Unrecht hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf § 48 SGB X gestützt. Diese Vorschrift ist für den hier vorliegenden Sachverhalt - selbst wenn die Annahme der Beklagten zuträfe und von der Erzielung anspruchshindernden Einkommens auszugehen wäre - nicht einschlägig. Denn dann wäre der Bescheid vom 13.05.2011, mit dem die Beklagte den ungeminderten Gesamtkinderzuschlag für den Zeitraum April 2011 bis März 2012 bewilligt hat, von Beginn an rechtswidrig iSd § 45 SGB X. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - ggfs. nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.11.2017 - L 18 AS 2067/16).
Der auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X gestützte Bescheid kann nicht in einen Bescheid umgedeutet werden, der seine Rechtsgrundlage in § 45 SGB X findet. Gem. § 43 Abs. 3 SGB X kann eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Wäre die vom Beklagten angenommene Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X einschlägig, bestünde von atypischen Fällen abgesehen ("Soll-Ermessen") eine Verpflichtung des Beklagten, den Bescheid den geänderten Verhältnissen anzupassen. Demgegenüber räumt § 45 SGB X im Recht des Kinderzuschlags der Behörde Ermessen ein (§ 45 Abs. 1 SGB X "darf nur"). Zudem hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid kein Ermessen ausgeübt, weshalb der Bescheid auch mit einem umgedeuteten Inhalt rechtswidrig wäre.
Etwas anderes folgt nicht aus §§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III. Diese Regelung ist für die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag nicht anwendbar. Das BKGG enthält keine § 40 SGB II entsprechende Verweisungsnorm auf § 330 SGB III. Auch eine entsprechende Anwendung ist nicht geboten. Zwar ist der Normzweck von § 330 SGB III auch für den Kinderzuschlag einschlägig. Diese Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Agenturen für Arbeit - anders als andere Sozialversicherungsträger - Leistungen zumeist kurzfristig zu erbringen und vielfach ebenso kurzfristig wieder zu beenden haben, so dass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind (BT-Drucks. 12/5502 S. 37 zur Vorgängerregelung des § 152 AFG). Eine ähnliche Interessenlage besteht im Rahmen des SGB II, so dass § 40 Abs. 2 SGB II die entsprechende Anwendung von § 330 Abs. 2 SGB III anordnet. Da der Kinderzuschlag nach Sinn und Zweck an die Stelle ansonsten zustehender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts tritt, würde es ggfs. nahe liegen, die Geltung von § 330 Abs. 2 SGB III auch für § 6a BKGG anzuordnen. Eine entsprechende Regelung ist jedoch trotz zwischenzeitlicher Änderungen des § 6a BKGG nicht erfolgt, so dass - insbesondere angesichts der erwähnten gesetzlichen Anordnung der Geltung von § 41a SGB II ab 01.08.2016 durch § 11 Abs. 5 BKGG - nicht von einer unbewussten Regelungslücke, die im Wege der entsprechenden Anwendung von § 330 Abs. 2 SGB III im Recht des Kinderzuschlags geschlossen werden muss, ausgegangen werden kann. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst den Kinderzuschlag als Teil des BKGG ausgestaltet und diesen (nur) den verfahrensrechtlichen Regelungen des BKGG unterworfen (so auch SG Cottbus Gerichtsbescheid vom 16.12.2013 - S 9 BK 16/10), soweit dieses keine ausdrückliche Verweisung in andere Bücher enthält.
Zudem liegen die Voraussetzungen einer Aufhebung der Bewilligung vom 13.05.2011 auch bei Anwendung von § 45 SGB X nicht vor. Die Beklagte hat den hiernach erforderlichen Nachweis der anfänglichen Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 13.05.2011 nicht erbracht. Vielmehr ist unklar, ob die Voraussetzungen für den Bezug von Kinderzuschlag im streitigen Zeitraum vorlagen. Die Folgen hiervon gehen zu Lasten der Beklagten. Diese trägt grundsätzlich die Beweislast für die Voraussetzungen einer Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X. Eine Umkehr der Beweislast ist nur gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu dem Adressaten des Bescheides besteht. Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung erschwert oder verhindert wird (BSG Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R; Urteil des Senats vom 12.04.2018 - L 7 AS 2073/15). Hiernach ist eine Beweislastumkehr im vorliegenden Fall nicht geboten. Die Klägerin hat nachvollziehbar und glaubhaft vortragen lassen, dass sie aufgrund der Trennungssituation mit dem Ehemann nicht in der Lage war und ist, die geforderten Einkommensnachweise zu erbringen. Eine gezielte Beweisvereitelung ist ihr daher nicht vorzuwerfen. Dass die Beklagte von der § 32 Abs. 1 SGB X bestehenden Befugnis zur Vorwegzahlung keinen Gebrauch gemacht hat, geht bei der Abwägungsentscheidung zur Beweislastverteilung - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - zu deren Lasten.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Weigerung, für die nachträgliche Überprüfung bereits Leistungen erforderliche Angaben zu machen, einen Ausschluss von Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X nicht rechtfertigt. Hiernach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Bei einer Verweigerung von Angaben in einem Überprüfungsverfahren nach Erlass des Bescheides beruht dieser nicht auf evtl. fehlenden oder fehlerhaften Angaben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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