Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 17 R 425/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 18/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 21.12.2017 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 wird angeordnet, soweit mit diesem Säumniszuschläge in Höhe von 7.774,00 Euro festgesetzt werden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragstellerin zu 5/6 und die Antragsgegnerin zu 1/6, jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 13.095,94 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die am 26.1.2018 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen schriftlich erhobene Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 27.12.2017 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Münster vom 21.12.2017 ist zulässig, insbesondere gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG) eingelegt worden.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. zu Letzteren: Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER; Beschluss v. 11.3.2016, L 8 R 506/14 B ER, jeweils juris). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; Beschluss v. 11.3.2016, a.a.O., jeweils juris).
Nach diesen Maßstäben hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, der D (im Folgenden: P), gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 hinsichtlich der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 44.609,76 Euro zu Recht abgelehnt (I.). Bezüglich der darüber hinaus erfolgten Festsetzung von Säumniszuschläge in Höhe von 7.774,00 Euro ist die aufschiebende Wirkung des Anfechtungsrechtsbehelfs in der Hauptsache dagegen anzuordnen, da nach derzeitigem Erkenntnisstand überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 als erfolgreich erweisen wird (II.)
I. Derzeit ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Bescheid vom 4.4.2016 in Bezug auf die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Beigeladene zu 1) als rechtwidrig erweisen wird.
1. Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern.
2. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die P vor Erlass des sie belastenden Prüfungsbescheides unter dem 3.3.2016 ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört worden.
3. Nach summarischer Beurteilung spricht gegenwärtig nicht mehr dagegen als dafür, dass der Bescheid vom 4.4.2016 materiell-rechtlich zu beanstanden ist. In Streit steht insoweit nur die Beitragspflicht für die Beigeladene zu 1).
Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d Sätze 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch).
a) Es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass die Beigeladene zu 1) bei der P im Streitzeitraum in diesem Sinne gegen Entgelt beschäftigt gewesen ist. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob und ggf. auf welchem Wege das Vertragsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Einzelkaufmann B U auf die P übergegangen ist. Denn es ist unstreitig, dass es danach zu denselben Bedingungen wie vorher weitergeführt worden ist. Auch wenn kein Übergang im Rechtssinne (z.B. aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), stattgefunden haben sollte, ließe die nahtlose Weiterführung auf einen konkludenten Vertragsschluss mit entsprechendem Inhalt schließen. Dass der Vollzug dieses Vertrages zu einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV gegen Entgelt (§ 14 Abs. 1 SGB IV) geführt hat, hat das SG im Einzelnen dargelegt. Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung und Meinungsbildung der Beurteilung des SG an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen zutreffende Ausführungen (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
b) Der Feststellung einer in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) ab dem 1.5.2013 steht aller Voraussicht nach auch der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 2.11.2011 nicht entgegen. Zwar hat die Beigeladene zu 2) in diesem Bescheid in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle (§ 28h Abs. 2 SGB IV) Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1) in den vom Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfassten Versicherungszweigen der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (§§ 28h Abs. 1 Satz 1, 28d Satz 1 und 2 SGB IV) festgestellt. Diese Feststellung ist jedoch gegenüber dem Einzelkaufmann B U erfolgt. Es sind derzeit keine Umstände dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich auch die P bzw. in ihrer Rechtsnachfolge die Antragstellerin auf diesen Bescheid berufen dürften, sodass es auch keiner vorherigen Aufhebung des Bescheides (z.B. nach §§ 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 3 SGB X) durch die Antragsgegnerin bedurfte:
aa) Inzwischen trägt auch die Antragstellerin nicht mehr vor, dass die Voraussetzungen einer Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Umwandlungsgesetz (UmwG) erfüllt seien. Denn es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass ein Umwandlungstatbestand (insbesondere eine Ausgliederung zur Aufnahme in der OHG; vgl. § 152 Satz 1 UmwG), wie gemäß §§ 125 Satz 1, 20 Abs. 1 UmwG erforderlich, ins Handelsregister eingetragen worden ist.
bb) Ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB (i.V.m. § 4 Abs. 4 des Vertrages über die Einbringung des Einzelunternehmens B U e.K. in die P [Einbringungsvertrag]) scheidet zur Begründung einer Rechtsnachfolge der P in die durch die Bestandskraft des Bescheides ausgelösten Rechtswirkungen ebenfalls aus. Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt bei einem Betriebsübergang der neue Inhaber "in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen" ein. Schutzzweck der Vorschrift mit Blick auf die Konsequenzen des Betriebsübergangs auf das einzelne Arbeitsverhältnis ist damit in erster Linie der Schutz der Arbeitnehmer (ausführlich Kliemt/Teusch in jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 613a Rdnr. 1 m.w.N.). Damit wäre es unvereinbar, die Rechtswirkungen eines Bescheides auf den Betriebserwerber übergehen zu lassen, der gerade das Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinne und damit denklogisch auch eines Arbeitsverhältnisses (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV: "insbesondere in einem Arbeitsverhältnis") feststellt.
cc) Der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 2.11.2011 hat schließlich auch keine nach §§ 398, 413 BGB i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 3 und 4 Einbringungsvertrag abtretbaren Rechte begründet.
c) Nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung bestehen auch keine überwiegenden Bedenken dagegen, dass die Antragsgegnerin die Beitragspflicht der Antragstellerin zu Recht mit dem 1.5.2013 hat beginnen lassen. Maßgeblich für den Zeitpunkt des Arbeitgeberwechsels ist weder der Abschluss des Gesellschaftsvertrages der P noch der im Einbringungsvertrag gewählte Stichtag, sondern allein die Aufnahme der Geschäftstätigkeit seitens der P, ab welcher die Beigeladene zu 1) bei der P (tatsächlich) beschäftigt war. Die Antragstellerin ist der - durch die unverzügliche Eintragung ins Handelsregister gestützten - Annahme der Antragsgegnerin, dass die P ihre Geschäftstätigkeit mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages aufgenommen habe, bislang nicht substantiiert entgegengetreten. Dass insoweit möglicherweise im Hauptsacheverfahren noch ergänzender Sachvortrag erfolgen kann und daran anknüpfend ggf. weitere Ermittlungen durchzuführen sind, begründet keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
II. Es spricht allerdings Überwiegendes dafür, dass sich die Erhebung von Säumniszuschlägen als rechtswidrig erweisen wird. Eine rückwirkende Erhebung von Säumniszuschlägen scheidet nach § 24 Abs. 2 SGB IV nämlich aus, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).
Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob erst bedingter Vorsatz oder schon einfache Fahrlässigkeit ein "Verschulden" im Sinne dieser Bestimmung begründen (vgl. hierzu eingehend Senat, Urteil v. 30.8.2017, L 8 R 822/14, m.w.N., juris). Denn weder der P noch der Antragstellerin kann nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand auch nur der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden.
Ist - wie vorliegend - eine Personengesellschaft Beitragsschuldner, ist in erster Linie auf die Kenntnis ihrer Gesellschafter abzustellen. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV bevollmächtigt sind. Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000, V ZR 349/99, NJW 2001, 359; BSG, Urteil v.16.12.2015, a.a.O.). Hierzu sind indessen jeweils einzelfallbezogene Feststellungen zu treffen.
Die Antragsgegnerin begründet die Festsetzung von Säumniszuschlägen damit, dass die Lohn- und Gehaltsabrechnung im Betrieb der Antragstellerin von eigenem fachkundigem Personal bzw. von einer gewerbsmäßig tätigen Abrechnungsstelle im Sinne des § 28p Abs. 6 SGB IV vorgenommen worden sei und die Antragstellerin sich bei Zweifeln an die zuständige Einzugsstelle bzw. bei Statusfeststellungen an die Clearingstelle der DRV Bund hätte wenden und vergewissern müssen, dass Versicherungs-/Beitragspflicht nicht vorlag. Mit dieser Begründung wird den Anforderungen der Rechtsprechung an einzelfallbezogene Feststellungen nicht genüge getan, weil schon nicht dargetan ist, das Wissen welcher Personen individuell-konkret aus welchen Gründen der Antragstellerin zugerechnet wird.
Im Gegenteil lag aber der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vor, der an den Einzelkaufmann U adressiert und damit gegenüber einem späteren Gesellschafter der P ergangen war, dessen Wissen der Gesellschaft zuzurechnen ist. Der bestandskräftige und ausführlich begründete Bescheid stützte sich auf eine Auslegung des mit der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Vertrages sowie auf den Aspekt der familienhaften Rücksichtnahme. Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag auch nach dem Inhaberwechsel auf die P unverändert gelebt wurde, wobei die P ebenfalls durch die vorbestehenden familiären Strukturen geprägt war. Vor diesem Hintergrund musste sich weder den Gesellschaftern der P noch deren Mitarbeitern die Notwendigkeit einer erneuten Statusfeststellung aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Streitwert ist gem. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz entsprechend der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R, juris) einschließlich etwaiger Säumniszuschläge (Senat, Beschlüsse v. 31.8.2009, L 8 B 11/09 R, und v. 3.9.2009, L 8 B 12/09 R, jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de) auszugehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die am 26.1.2018 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen schriftlich erhobene Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 27.12.2017 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Münster vom 21.12.2017 ist zulässig, insbesondere gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG) eingelegt worden.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. zu Letzteren: Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER; Beschluss v. 11.3.2016, L 8 R 506/14 B ER, jeweils juris). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; Beschluss v. 11.3.2016, a.a.O., jeweils juris).
Nach diesen Maßstäben hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, der D (im Folgenden: P), gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 hinsichtlich der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 44.609,76 Euro zu Recht abgelehnt (I.). Bezüglich der darüber hinaus erfolgten Festsetzung von Säumniszuschläge in Höhe von 7.774,00 Euro ist die aufschiebende Wirkung des Anfechtungsrechtsbehelfs in der Hauptsache dagegen anzuordnen, da nach derzeitigem Erkenntnisstand überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 als erfolgreich erweisen wird (II.)
I. Derzeit ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Bescheid vom 4.4.2016 in Bezug auf die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Beigeladene zu 1) als rechtwidrig erweisen wird.
1. Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern.
2. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.4.2016 ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die P vor Erlass des sie belastenden Prüfungsbescheides unter dem 3.3.2016 ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört worden.
3. Nach summarischer Beurteilung spricht gegenwärtig nicht mehr dagegen als dafür, dass der Bescheid vom 4.4.2016 materiell-rechtlich zu beanstanden ist. In Streit steht insoweit nur die Beitragspflicht für die Beigeladene zu 1).
Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d Sätze 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch).
a) Es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass die Beigeladene zu 1) bei der P im Streitzeitraum in diesem Sinne gegen Entgelt beschäftigt gewesen ist. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob und ggf. auf welchem Wege das Vertragsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Einzelkaufmann B U auf die P übergegangen ist. Denn es ist unstreitig, dass es danach zu denselben Bedingungen wie vorher weitergeführt worden ist. Auch wenn kein Übergang im Rechtssinne (z.B. aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), stattgefunden haben sollte, ließe die nahtlose Weiterführung auf einen konkludenten Vertragsschluss mit entsprechendem Inhalt schließen. Dass der Vollzug dieses Vertrages zu einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV gegen Entgelt (§ 14 Abs. 1 SGB IV) geführt hat, hat das SG im Einzelnen dargelegt. Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung und Meinungsbildung der Beurteilung des SG an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen zutreffende Ausführungen (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
b) Der Feststellung einer in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) ab dem 1.5.2013 steht aller Voraussicht nach auch der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 2.11.2011 nicht entgegen. Zwar hat die Beigeladene zu 2) in diesem Bescheid in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle (§ 28h Abs. 2 SGB IV) Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1) in den vom Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfassten Versicherungszweigen der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (§§ 28h Abs. 1 Satz 1, 28d Satz 1 und 2 SGB IV) festgestellt. Diese Feststellung ist jedoch gegenüber dem Einzelkaufmann B U erfolgt. Es sind derzeit keine Umstände dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich auch die P bzw. in ihrer Rechtsnachfolge die Antragstellerin auf diesen Bescheid berufen dürften, sodass es auch keiner vorherigen Aufhebung des Bescheides (z.B. nach §§ 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1, 44 Abs. 3 SGB X) durch die Antragsgegnerin bedurfte:
aa) Inzwischen trägt auch die Antragstellerin nicht mehr vor, dass die Voraussetzungen einer Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Umwandlungsgesetz (UmwG) erfüllt seien. Denn es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass ein Umwandlungstatbestand (insbesondere eine Ausgliederung zur Aufnahme in der OHG; vgl. § 152 Satz 1 UmwG), wie gemäß §§ 125 Satz 1, 20 Abs. 1 UmwG erforderlich, ins Handelsregister eingetragen worden ist.
bb) Ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB (i.V.m. § 4 Abs. 4 des Vertrages über die Einbringung des Einzelunternehmens B U e.K. in die P [Einbringungsvertrag]) scheidet zur Begründung einer Rechtsnachfolge der P in die durch die Bestandskraft des Bescheides ausgelösten Rechtswirkungen ebenfalls aus. Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt bei einem Betriebsübergang der neue Inhaber "in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen" ein. Schutzzweck der Vorschrift mit Blick auf die Konsequenzen des Betriebsübergangs auf das einzelne Arbeitsverhältnis ist damit in erster Linie der Schutz der Arbeitnehmer (ausführlich Kliemt/Teusch in jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 613a Rdnr. 1 m.w.N.). Damit wäre es unvereinbar, die Rechtswirkungen eines Bescheides auf den Betriebserwerber übergehen zu lassen, der gerade das Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinne und damit denklogisch auch eines Arbeitsverhältnisses (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV: "insbesondere in einem Arbeitsverhältnis") feststellt.
cc) Der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 2.11.2011 hat schließlich auch keine nach §§ 398, 413 BGB i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 3 und 4 Einbringungsvertrag abtretbaren Rechte begründet.
c) Nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung bestehen auch keine überwiegenden Bedenken dagegen, dass die Antragsgegnerin die Beitragspflicht der Antragstellerin zu Recht mit dem 1.5.2013 hat beginnen lassen. Maßgeblich für den Zeitpunkt des Arbeitgeberwechsels ist weder der Abschluss des Gesellschaftsvertrages der P noch der im Einbringungsvertrag gewählte Stichtag, sondern allein die Aufnahme der Geschäftstätigkeit seitens der P, ab welcher die Beigeladene zu 1) bei der P (tatsächlich) beschäftigt war. Die Antragstellerin ist der - durch die unverzügliche Eintragung ins Handelsregister gestützten - Annahme der Antragsgegnerin, dass die P ihre Geschäftstätigkeit mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages aufgenommen habe, bislang nicht substantiiert entgegengetreten. Dass insoweit möglicherweise im Hauptsacheverfahren noch ergänzender Sachvortrag erfolgen kann und daran anknüpfend ggf. weitere Ermittlungen durchzuführen sind, begründet keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
II. Es spricht allerdings Überwiegendes dafür, dass sich die Erhebung von Säumniszuschlägen als rechtswidrig erweisen wird. Eine rückwirkende Erhebung von Säumniszuschlägen scheidet nach § 24 Abs. 2 SGB IV nämlich aus, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).
Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob erst bedingter Vorsatz oder schon einfache Fahrlässigkeit ein "Verschulden" im Sinne dieser Bestimmung begründen (vgl. hierzu eingehend Senat, Urteil v. 30.8.2017, L 8 R 822/14, m.w.N., juris). Denn weder der P noch der Antragstellerin kann nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand auch nur der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden.
Ist - wie vorliegend - eine Personengesellschaft Beitragsschuldner, ist in erster Linie auf die Kenntnis ihrer Gesellschafter abzustellen. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV bevollmächtigt sind. Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000, V ZR 349/99, NJW 2001, 359; BSG, Urteil v.16.12.2015, a.a.O.). Hierzu sind indessen jeweils einzelfallbezogene Feststellungen zu treffen.
Die Antragsgegnerin begründet die Festsetzung von Säumniszuschlägen damit, dass die Lohn- und Gehaltsabrechnung im Betrieb der Antragstellerin von eigenem fachkundigem Personal bzw. von einer gewerbsmäßig tätigen Abrechnungsstelle im Sinne des § 28p Abs. 6 SGB IV vorgenommen worden sei und die Antragstellerin sich bei Zweifeln an die zuständige Einzugsstelle bzw. bei Statusfeststellungen an die Clearingstelle der DRV Bund hätte wenden und vergewissern müssen, dass Versicherungs-/Beitragspflicht nicht vorlag. Mit dieser Begründung wird den Anforderungen der Rechtsprechung an einzelfallbezogene Feststellungen nicht genüge getan, weil schon nicht dargetan ist, das Wissen welcher Personen individuell-konkret aus welchen Gründen der Antragstellerin zugerechnet wird.
Im Gegenteil lag aber der Bescheid der Beigeladenen zu 2) vor, der an den Einzelkaufmann U adressiert und damit gegenüber einem späteren Gesellschafter der P ergangen war, dessen Wissen der Gesellschaft zuzurechnen ist. Der bestandskräftige und ausführlich begründete Bescheid stützte sich auf eine Auslegung des mit der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Vertrages sowie auf den Aspekt der familienhaften Rücksichtnahme. Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag auch nach dem Inhaberwechsel auf die P unverändert gelebt wurde, wobei die P ebenfalls durch die vorbestehenden familiären Strukturen geprägt war. Vor diesem Hintergrund musste sich weder den Gesellschaftern der P noch deren Mitarbeitern die Notwendigkeit einer erneuten Statusfeststellung aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Streitwert ist gem. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz entsprechend der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R, juris) einschließlich etwaiger Säumniszuschläge (Senat, Beschlüsse v. 31.8.2009, L 8 B 11/09 R, und v. 3.9.2009, L 8 B 12/09 R, jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de) auszugehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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