L 3 R 1052/15

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 14 R 2922/14
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 3 R 1052/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 16. Juli 2015 sowie der Bescheid vom 2. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Witwenrente nach § 46 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 1. Oktober 2013 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Witwenrente nach § 46 SGB VI.

Die 1950 geborene Klägerin ist die Ehefrau des ebenfalls 1950 geborenen und am 27. September 2013 verstorbenen L. H. K. (nachfolgend Versicherter genannt).

Die Klägerin und der Versicherte lebten in langjähriger Lebensgemeinschaft zusammen. Seit dem 30. Dezember 1998 war der Versicherte Dialysepatient und litt daneben an schwerer Osteoporose und Morbus Crohn. Seit 1. Oktober 2011 bezog der Versicherte Altersrente für schwerbehinderte Menschen (zuletzt in Höhe von monatlich 1015,90 Euro).

In der Zeit vom 19. September 2013 bis zu seinem Tod am 27. September 2013 wurde der Versicherte, der langjähriger Dialysepatient war, stationär im Kreiskrankenhaus G. behandelt. Diagnostiziert wurde dort laut Bericht vom 17. Oktober 2013 an das Dialyszentrum G. eine dekompensierte Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen mit akuter Blutung, Morbus Crohn des Dünn- und Dickdarmes, chronische Niereninsuffizienz bei polyzystischer Leber- und Nierenerkrankung, arterielle Hypertonie und Zustand nach Myocardinfarkt 2009. Der Versicherte sei wegen oberen gastrointestinalen Blutungen eingewiesen worden. Am 22. September 2013 habe er früh morgens massiv Blut erbrochen. Gastrokopisch habe sich eine Ösophagusvarizenblutung gezeigt, welche habe geclippt werden können. Er sei vorübergehend auf die Intensivstation des Hauses gekommen. Am nächsten Tag habe er auf die Normalstation zurückverlegt werden können. Er sei zusehends verfallen. Sein Zustand habe sich weiter verschlechtert.

Am 26. September 2013 schlossen die Klägerin und der Versicherte im Krankenhaus im Rahmen einer Nottrauung die Ehe. Am Folgetag, dem 27. September 2013, verstarb der Versicherte in der Klinik.

Die Klägerin beantragte am 6. November 2013 die Gewährung von Witwenrente.

Die Beklagte lehnte die Rentengewährung mit Bescheid vom 2. Januar 2014 ab, weil die Ehe kein Jahr bestanden habe. Der Rentengewährung stehe die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe im Wege. In diesen Fällen gehe der Gesetzgeber davon aus, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, den Anspruch auf die Hinterbliebenenversorgung in Form einer Witwenrente zu begründen (§ 46 Abs. 2 a SGB VI).

Hiergegen ging die Klägerin mit dem Widerspruch vor. Sie habe bereits im Rentenantrag ihre Beweggründe für die Eheschließung dargelegt, insbesondere zur Motivation ihres Ehemannes. Sie selbst habe schon seit langem den Wunsch gehabt zu heiraten, eigentlich seit dem Zeitpunkt des Kennenlernens. Für sie hätten die tiefen Gefühle für ihn die entscheidende Rolle gespielt. Erst durch seine schwere Erkrankung und die damit erforderliche Pflege habe ihr Ehemann seine bisherige, zögerliche und unentschlossene Haltung zu einer Eheschließung aufgegeben. Er habe Pflege und Unterstützung gebraucht, ganz besonders ihren Beistand, um Sicherheit zu haben. Zu Hause gepflegt zu werden, nicht in ein Pflegeheim zu müssen, habe ihn sehr motiviert, angespornt und Mut gemacht. Sie hätten beide die Hoffnung gehabt, dass sich sein Zustand zu Hause noch bessern werde. Für die Eheschließung habe ihr Mann einen Termin im Oktober ausgesucht. Sie seien so voller Hoffnung gewesen, dass bis dahin durch die Therapie nochmals eine Besserung eintrete. Mit einem erneuten Krankenhausaufenthalt habe man damals nicht gerechnet. Die Heirat im Krankenhaus habe ihrem Ehemann neuen Mut geben und sie beide für immer verbinden sollen.

Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte ärztliche Unterlagen des Versicherten bei und wies mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 den Widerspruch der Klägerin zurück. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe im Sinne eines Vollbeweises sei nicht widerlegt. Der Versicherte habe bereits im Zeitpunkt der Eheschließung an einer lebensbedrohlichen Krankheit gelitten, was sowohl der Klägerin als auch ihm bewusst gewesen sei. Eine Aussicht auf Heilung habe zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr bestanden. Sonstige Anhaltspunkte, welche die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen könnten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere die Einlassung, die Heirat habe zur Verstärkung der emotionalen Bindung und damit zur Unterstützung der Genesung und zur Sicherstellung der Pflege gedient, könnte nicht dazu führen, den überwiegenden Versorgungsgedanken der Eheschließung zu widerlegen. Der Versicherte habe über einen langen Zeitraum an einer schweren und behandlungsintensiven Erkrankung gelitten. Langwierige Behandlungen hätten sich nach Diagnosestellung angeschlossen. Folge man der Argumentation, so wäre eine Eheschließung zur Verstärkung der emotionalen Bindung und Unterstützung der Genesung und zur Sicherstellung der Pflege bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt naheliegend gewesen. Letztendlich habe die Ehe nur einen Tag bestanden. Auch die angeführte langjährige Beziehung in einem gemeinsamen Haushalt sei nicht geeignet, den überwiegenden Versorgungsgedanken der Eheschließung zu widerlegen. Eine zeitlich in diesem Umfang bestehende Beziehung ohne Eheschließung zeige vielmehr, dass der Rechtsstand der Ehe keine emotionale oder in sonstiger Hinsicht wesentliche Bedeutung für das Zusammenleben gehabt habe. Vielmehr sei es nach langjähriger Beziehung erst dann zur Eheschließung gekommen, als die lebensbedrohliche Erkrankung bereits bekannt und erheblich fortgeschritten gewesen sei. Die sehr kurze Ehedauer von nur einem Tag spreche insgesamt dafür, dass die Heirat im Angesicht der Sicherheit über den naheliegenden Tod habe stattfinden sollen.

Die dagegen eingelegte Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 16. Juli 2015 abgewiesen und ausgeführt, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe nicht widerlegt sei. Der Versicherte sei zum Zeitpunkt der Eheschließung an einer lebensbedrohlichen Erkrankung erkrankt gewesen. Die inneren und äußeren Umstände, die ausschlaggebend für die Eheschließung im Krankenhaus am 26. September 2013 - von der Klägerin vorgetragen - gewe-sen sein sollten, könnten nicht mit der dafür erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahr-scheinlichkeit davon überzeugen, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe der Ehegatten bei der Eheschließung im Krankenhaus insgesamt überwogen hätten oder zumindest gleichwertig gewesen seien. Soweit die Klägerin vortrage, dass sie mit dem Versicherten vor der Eheschließung seit vielen Jahren (14 Jahren) ununterbrochen in häuslicher und eheähnlicher Gemeinschaft gelebt habe, widerlege dies nicht die Vermutung der Versorgungsehe. Die Klägerin habe auch sonst keinen nachvollziehbaren Grund genannt, warum die Eheschließung nicht schon früher erfolgt sei. Dazu sei sie bei dem hier vorliegenden Sachverhalt eines langjährigen Zusammenlebens ohne Trauschein aber verpflichtet, um die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Wenn vorgetragen werde, dass man den Aufwand einer Eheschließung gescheut habe, weil die späteren Eheleute im Wesentlichen mit anderen Dingen im Rahmen der gemeinsamen Lebensführung beschäftigt gewesen seien, sei dieser Vortrag widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Zum einen sei der Aufwand für eine Eheschließung während des vollstationären Aufenthaltes des Versicherten vor der Eheschließung im Krankenhaus am 26. September 2013 auf einmal dann doch nicht mehr zu hoch. Zum anderen hätte eine Eheschließung jeder Zeit in kleinem Rahmen, also auch schon früher, erfolgen können. Auch das Argument der Klägerin, dass sie zum Zeitpunkt der Eheschließung über eine wirtschaftliche Absicherung durch eigene Mittel verfügt habe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Gewährung einer großen Witwenrente verbessere in jedem Fall die wirtschaftliche Situation, sodass dieses Argument im vorliegenden Einzelfall nicht zur Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe herangezogen werden könne.

Mit der dagegen eingelegten Berufung hält die Klägerin an ihrem Begehren fest. Sie ist der Auffassung, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegt sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 16. Juli 2015 sowie den Bescheid vom 2. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Witwenrente nach § 46 SGB VI ab dem 1. Okto-ber 2013 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Vertreterin der Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe nicht widerlegt sei. Der überwiegende Zweck der Eheschließung sei die Versorgung der Klägerin gewesen. Daran ändere auch nichts die Befragung der Klägerin in den Erörterungsterminen sowie die Beweisaufnahme.

Im Rahmen der Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes haben mehrere Erörterungstermine stattgefunden und die Krankenakte des Versicherten ist beigezogen worden. Auch wurden die Standesbeamtin (Stadt R./Thüringen - Standesamt - Schreiben vom 12. Januar 2016, Bl. 102 der Gerichtsakte) und die Weiterbildungsassistentin M. W. befragt, die als Trauzeugin hinzugezogen wurde (Bl. 103 der Gerichtsakte), schriftlich gehört.

Im Erörterungstermin vom 28. Juni 2016 ist die Klägerin befragt worden. Auf Bl. 124 der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Insbesondere hat die Klägerin dort vorgetragen, dass die Durchführung der Nottrauung am Hochzeitstag durch Schwester G. initiiert worden sei.

In einem weiteren Erörterungstermin vom 12. April 2017 hat die Klägerin hinsichtlich des Erbes des Versicherten ausgeführt, dass sie 60.000,00 EUR geerbt habe, den gleichen Erbteil wie die Geschwister des Versicherten. Dies sei testamentarisch schon vor der Ehe verfügt gewesen und die Eheschließung habe daran nichts geändert.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes und zur Beweisaufnahme am 15. November 2017 sind die Zeuginnen G. B. und K. A. gehört worden, die im Wesentlichen die Initiierung der Trauung durch Schwester G. bestätigt haben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf Bl. 177/178 und Bl. 180/181 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet. Die erstinstanzliche Entscheidung war aufzuheben. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes L. K ...

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des Versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, unter anderem dann Anspruch auf Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 27. September 2013 verstorbenen Versicherten L. K., der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Die Klägerin hatte ferner zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten das 45. Lebensjahr vollendet.

Der Anspruch der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen. Nach dieser, mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Alters-vermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403) eingeführten Vorschrift, die für alle seit dem 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen gilt (§ 242 a Abs. 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, und zwar nur einen Tag. Der Tatbestand des § 46 Abs. 2 a Abs. 1 SGB VI ist insoweit erfüllt. Die sehr kurze Ehedauer von nur einem Tag spricht zwar dafür, dass die Heirat im Angesicht der Sicherheit über den naheliegenden Tod habe stattfinden sollen, belegt aber für sich gesehen und unter Beachtung der Gesamtumstände - entgegen der Auffassung der Beklagten - gerade nicht, dass die Versorgung durch Witwenrente das alleinige oder überwiegende Motiv eines der beiden Ehegatten war.

Die entsprechende Rechtsfolge (Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente) tritt dann nicht ein, wenn "besondere Umstände" vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI).

Den Begriff der "besonderen Umstände" in § 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbe-stimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (BSG G 60, 204, 207).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. BSG 103, 99-106), der sich der Senat anschließt, ergibt sich aus § 46 Abs. 2a SGB VI nicht ohne weiteres, was unter "den besonderen Umständen des Falles" zu verstehen ist, die geeignet sind, die Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften bzw. eine Ausnahme vom gesetzlichen Ausschluss einer Witwenrente bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr zuzulassen. Da der Gesetzgeber bewusst § 46 Abs. 2 a SGB VI den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 des 7. Buches Sozialgesetzbuch - SGB VII) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes) nachgebildet hat, kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der besonderen Umstände in diesen Bestimmungen angeknüpft werden (BSG 103, 99-106).

Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen (BSGE 35, 272, 274). Dabei kommt es auf die ggf. auch voneinander abweichenden Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst hat (BSGE 35, 272, 275f.).

Die "Annahme" des anspruchausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder - da der Wortlaut auf den "alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat" abhebt - zumindest gleichwertig sind. Es ist dann auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle ge-spielt hat (vgl. BSGE 35, 272, 276).

Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 a SGB VI zwingt den Hinterbliebenen aber nicht, seine inneren Gründe für die Eheschließung oder die des verstorbenen Ehegatten zu offenbaren. Der hinterbliebene Ehegatte kann sich auch auf die Darlegung von äußeren (objektiv nach außen tretenden) Umständen beschränken, die seiner Ansicht nach auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. So bleibt es ihm unbenommen, keinerlei Auskünfte über den Zweck der Heirat zu geben. Es soll nicht gegen seinen Willen zu einem Eingriff in seiner Intimsphäre kommen, indem der Hinterbliebene genötigt wird, auch seine allerpersönlichsten, innersten Gedanken und Motive für die Eheschließung mit dem verstorbenen Versicherten mitzuteilen. Denn die gesetzestechnische Ausgestaltung des § 46 Abs. 2 a SGB VI als Regel-/Ausnahmetatbestand erfolgt gerade zum Zweck, die Träger der Rentenversicherung und der Sozialgerichte von der Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung zu entbinden (vgl. BSGE 60, 204, 206).

Dies bedeutet aber nicht, dass es dem hinterbliebenen Ehegatten untersagt ist, seine (höchst) persönlichen Gründe und die des Verstorbenen für die Eheschließung darzulegen. Vielmehr kann er selbst abwägen, ob er derartige private Details preisgeben will, um die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr zu entkräften. Macht der Hinterbliebene von sich aus oder auf Befragen entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese persönlichen Gründe in die abschließende Gesamtbetrachtung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falles zu würdigen. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der Ermittlung der Beweggründe für die Heirat bzw. des Zwecks der Heirat würde jedenfalls in einem solchen Fall die Möglichkeit des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschneiden. Lediglich wenn der Hinterbliebene keine - glaubhaften - Angaben über die inneren Umstände macht, darf sich die Ermittlung, welche Gründe für die Eheschließung ausschlaggebend waren, und die Prüfung, ob es sich dabei um anspruchsbegründende besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI handelt, auf nach außen tretende objektive Tatsachen beschränken (BSGE 103, 99-106).

Allerdings ist eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen ("besonderen") Gründe im Rahmen des § 46 Abs. 2 a SGB VI ange-sichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen.

Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. dem Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu.

Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt (plötzlich und unerwartet) eingetreten ist. Denn in einem solchen Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, den Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen (BSG aaO).

Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungewissen Verlaufsprognose entsprechend der Erkenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren Umstände), die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher von hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden.

Der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI wird nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) der volle Beweis erbracht wird (vgl. BSGE 60, 204, 206). Dies erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG SozR - 3900, § 15 Nr. 9). Das Vorliegen von besonderen Umständen im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten von Amts wegen zu prüfen; es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Der Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist daher vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten nachzugehen (BSGE 60, 204, 206). Zu prüfen ist zunächst, ob die Eheschließungsmotive der Ehegatten in irgendeiner Form durch objektive Tatsachen nach außen getreten sind. Ermittlungen im Bereich der privaten Lebenssphäre der Ehegatten und zu deren höchstpersönlichen inneren Motiven für die Heirat sind grundsätzlich nicht anzustellen, es sei denn, der Hinterbliebene, der hierüber naturgemäß Angaben machen kann, beruft sich hierauf und ist zur Auskunft bereit (BSGE 60, 204, 206, 208).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin und (auch) der Versicherte überwiegend oder zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet haben.

Der Senat berücksichtigt bei seiner Einschätzung, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung wegen der aktuen Ösophagusvarizenblutungen an einer lebensbedrohlichen Erkrankung litt, an der er auch verstorben ist. Zudem war er schon zuvor langjähriger Dialy-sepatient und hatte auch noch weitere, schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zwar konnte man zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht unbedingt davon ausgehen, dass der Versicherte schon am Folgetag verstirbt, es war aber ersichtlich, dass die Erkrankung lebensbedrohlich und der Gesundheitszustand äußerst schlecht war ("der Patient verfiel zusehends").

Der Senat verkennt auch nicht, dass die Klägerin und der Versicherte schon lange Jahre zusammen waren und auch zuvor hätten heiraten können. Der Versicherte war während dieser Zeit aber auch schon schwer erkrankt und bereits Dialysepatient. Würde ein Versorgungs-wunsch im Vordergrund stehen, dann hätte man erwarten können, dass schon früher die Ehe geschlossen worden wäre, weil Erkrankung und Risiken bei dem Versicherten während der Beziehung immer präsent waren.

Zwar wünschte die Klägerin - nach eigenem Vortrag - schon zu einem früheren Zeitpunkt zu heiraten und ist auch im Oktober 2012 im Standesamt vorstellig geworden, ohne jedoch einen Termin abzusprechen (so schriftliche Auskunft des Standesamtes). Der Versicherte wollte lange Zeit wegen negativer Erfahrungen aus einer früheren Ehe nicht heiraten. Später sind immer wieder gesundheitliche Probleme des Versicherten aufgetreten, die aus Sicht der Klägerin (und des Versicherten) eine Heirat verhindert haben. Der Senat sieht keinen Grund, an diesen Einlassungen der Klägerin zu zweifeln. Das zeigt aber gerade, dass beide Eheleute trotz aller gesundheitlichen Einschränkungen bei dem Versicherten eine Heirat gerade nicht forciert haben, obwohl die Schwere der Erkrankungen über Jahre bekannt war und die Hin-dernisse für eine Ehe zu überwinden gewesen wären, wenn wirklich eine Versorgung ge-wünscht gewesen wäre oder im Vordergrund gestanden hätte.

Dem Senat ist bewusst, dass die Ehedauer von nur einem Tag in Anbetracht einer bestehenden lebensbedrohlichen Erkrankung ein absoluter Einzel-/Ausnahmefall bei der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Versorgungsehe ist. Entscheidend bei der Gesamtabwägung ist dabei für den Senat in erster Linie die durch die Zeugenaussagen belegten Umstände und Geschehnisse, die zur Nottrauung geführt haben. Die Trauung ist gerade nicht auf Betreiben der späteren Eheleute erfolgt (auch nicht gegen deren Willen, wie seitens der Beklagten im Termin in Anbetracht dieser Bewertung eingeworfen wurde), sondern durch andere Personen, für die die Versorgung der Klägerin wirtschaftlich keine Rolle spielt. Letztlich ist es zur Umsetzung der Eheschließung nur deshalb gekommen, weil eine dritte Person von außen, die Zeugin G. B., die Durchführung der Eheschließung in die Wege geleitet hat. Sie kannte den Versicherten, weil er mehrfach im Krankenhaus stationär in Behandlung war, jeweils begleitet durch die Klägerin, die ihrerseits einen guten Kontakt zu den Krankenschwestern pflegte. Dabei war - so die Zeugin - auch immer Thema, dass die beiden heiraten wollten und dies schon seit einiger Zeit. Es hatte aber nie geklappt, weil sein Gesundheitszustand es nicht zuließ oder andere Dinge dazwischen kamen. Nicht die Klägerin, sondern die Zeugin B., hatte die Idee mit einer Nottrauung im Krankenhaus. Die Zeugin B. hat die Klägerin gefragt, ob sie möchte, dass seitens des Hauses eine Trauung in die Wege geleitet wird. Das hat die Klägerin bejaht. Die Zeugin B. hat daraufhin der Überleitungsschwester, also der Sozialschwester, die die Kontakte zu anderen Behörden hält, Bescheid gegeben. Ohne die Intervention der Zeugin B., davon ist der Senat überzeugt, wäre es nicht mehr zur Trauung gekommen. Letztlich belegt dieser Umstand aber, dass auch zu diesem Zeitpunkt die Klägerin selbst nicht in der Lage war, sich um die Trauung zu kümmern, so dass man nachvollziehen kann, dass es nicht schon früher zur Hochzeit gekommen ist, weil immer "Dinge dazwischen kamen", obwohl der Wunsch zur Eheschließung nachvollziehbar da war. Versorgungsgesichtspunkte oder finanzielle Aspekte spielten dabei in den Gesprächen mit den Schwestern keine Rolle, was die beiden Zeuginnen bestätigt haben.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Versorgungsgedanke (in Form der Witwenrente) weder bei der Klägerin noch bei dem Versicherten eine Rolle gespielt hat. Die Klägerin hatte der Versicherte bereits vor der Eheschließung versorgt. Sie hat - wie bereits zuvor testamentarisch verfügt - zu gleichen Teilen neben den Geschwistern des Versicherten (60.000 Euro bei 3 Geschwistern mit jeweils ebenfalls 60.000 Euro) geerbt. An dieser Regelung wurde auch nach der Eheschließung nichts geändert. Als Ehefrau, in Zugewinngemeischaft lebend, hätte ihr die Hälfte des Nachlasses (120.000 Euro) gesetzlich zugestanden, wenn nicht sogar alles, wenn der Versicherte sie zur Alleinerbin gemacht hätte. Der Versicherte wollte laut Testament seine Lebensgefährtin bedenken, aber seine Geschwister auch nicht unberücksichtigt lassen. Eine gesteigerte Versorgungsabsicht bis hin zur Eheschließung einen Tag vor dem Tod, um der Klägerin "die Witwenrente zu verschaffen", lässt sich mit einem solchen Verhalten nur schwerlich vereinbaren.

Im Übrigen verfügt die Klägerin über eigenes Einkommen.

Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Ehe letztlich nur einen Tag gedauert hat, ist dies nicht untrennbar mit einer finanziellen Versorgungsabsicht verbunden. Keiner der beiden Eheleute konnte damit rechnen, dass es überhaupt noch bzw. während des Krankenhausauf-enthaltes zur Eheschließung kommt. Keiner der beiden hat die Initiative diesbezüglich übernommen. Die Eheschließung, von beiden zwar länger gewünscht und immer von der Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten abhängig gemacht, wurde nur umgesetzt, weil es die Umstände zuließen, indem eine ambitionierte Krankenschwester die Initiative ergriffen hat. Die Klägerin und der Versicherte waren zwar die Hauptpersonen der Zeremonie, ihre Rolle bei der Umsetzung war aber eher passiver Natur.

Die vorstehend bezeichnenden "besonderen Umstände" sind zur Überzeugung des Senates vollbeweislich belegt und widerlegen die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe. Die Klägerin hat sich ausführlich über ihre inneren Beweggründe geäußert, dies konnte verwertet werden, zumal das Vorbringen auch bei einer Gesamtwürdigung schlüssig und glaubhaft ist. Zudem ist es durch die Aussagen der Zeuginnen bestätigt, die von einer innigen Beziehung des Versicherten und der Klägerin sprachen. Gerade diese "besondere" Situation hat Schwester G., die Zeugin B., dazu bewogen, über ihren eigentlichen Zuständigkeitsbereich hinaus, den beiden Personen die Heirat zu ermöglichen (ihre Kollegin, die Zeugin K. A. hat ausgesagt, für so etwas hätte sie nicht die Zeit gehabt). Dabei war auch die Zeugin B. nur Außenstehende. Es bestand keine freundschaftliche Beziehung, ebenso wenig ein wirtschaftliches oder anderweitiges Interesse an der Heirat der Klägerin mit dem Versicherten.

Weiterer Befragungen, etwa der Standesbeamtin oder der Trauzeugin bedarf es nicht. Die Beklagte behauptet keinen anderen Sachverhalt, sondern zieht lediglich aus dem Sachverhalt andere rechtliche Schlüsse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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