Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3290/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es mangelt an einem notwendigen Bestandteil eines Sachverständigengutachtens bei fehlender Anamneseerhebung.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Gründe:
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus im Streit.
Die am 19 geborene Klägerin absolvierte eine Berufsausbildung als Friseurin. Zuletzt war sie als Pflegeperson ihrer von 2008 bis September 2009 versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem ist sie arbeitslos. Sie erlitt am 2009 bei einem Verkehrsunfall während der Arbeitszeit als Beifahrerin zahlreiche Verletzungen. Sie bezieht deshalb eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v. H.
Im Zeitraum vom 01. Juli 2010 bis zum 31. Mai 2016 bezog sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auf den Antrag der Klägerin vom 11. Januar 2016 auf Weitergewährung dieser Rente ließ die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie Dr. R. untersuchen und begutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, die Klägerin verfüge für die Tätigkeit als Friseurin über ein unter dreistündiges Leistungsvermögen und für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen über ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen.
Die Beklagte lehnte die Weiterbewilligung der bislang gewährten gestützt auf das eingeholte Gutachten durch Bescheid vom 12. Mai 2016 ab. Die Klägerin leide unter folgenden Krankheiten oder Behinderungen: Z.n. Polytrauma ( 2009); Pseudoarthrosenbildung rechter Femur nach Femurfraktur/Ostheosynthese; Z.n. knöcherner konsolidierter Acetabulamfraktur rechts; Z.n. Beckenfraktur; Z.n. knöchernder Konsolidierung, Unterarmschaftfraktur rechts mit Osteosynthese Radius und verheiltem Weichteildefekt nach Strecksehnenverletzung; Knöchern ausgheilte Scapulafraktur rechts. Gleichwohl sei sie in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit in einem Umfang von arbeitstäglich mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nachzugehen.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin im Wesentlichen vor, das Gutachten des Dr. R. erfasse nicht im Ansatz ihren Gesundheitszustand und deshalb müsse eine Korrektur des Bescheides erfolgen. Sie sei auf den Rollstuhl angewiesen und könne keine längeren Wegstrecken zu Fuß zurücklegen. Ständiges Sitzen sei keinesfalls erreichbar. Eine Nutzung des PKW könne ihr nicht zugemutet werden, da mögliche auftretende Muskelkrämpfe die Fahrsicherheit beeinträchtigen würden.
Dr. H. –L. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nahm hierzu Stellung und führte aus, es liege ein ausführliches orthopädisches Gutachten vor. Auf die dortigen plausiblen Ausführungen werde Bezug genommen. Die Beklagte wies sodann den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15. September 2016 als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung der festgestellten Erkrankungen oder Behinderungen seien ihr seit dem 01. Juni 2016 zumindest körperlich leichte Tätigkeiten wieder mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.
Deswegen hat die Klägerin am 29. September 2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Klagebegründung bekräftigt sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. hat unter Vorlage medizinscher Befundunterlagen ausgeführt, die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt in seiner Behandlung gewesen. Er habe sie lediglich mehrmals im Auftrag der Unfallkasse Baden-Württemberg untersucht. Der Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin Dr. H. hat mitgeteilt, die Klägerin leide unter starken Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am rechten Bein und Arm und in der Beckenregion. Im Laufe der Behandlung im Jahr 2016 habe sich keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben. Hinsichtlich der unfallbedingten Beschwerden sei keine Verbesserung eingetreten. Das Leistungsvermögen der Klägerin liege bei drei bis unter sechs Stunden. Seiner Aussage hat er weitere ärztliche Unterlagen beigefügt.
Das Gericht hat von Amts wegen eine Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. C. veranlasst. Dieser hat in seinem am 17. März 2017 erstatteten Gutachten eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes nach knöchern verheiltem Bruch des Schulterblattes, ein funktionell unbedeutendes Streckdefizit am rechten Ellenbogen, eine Einschränkung der Unterarmumwendbewegungen rechts mit leichter Minderung der groben Kraft der rechten Hand, ein Verschleiß des rechten Hüftgelenks mit Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung sowie ein massives Übergewicht festgestellt. Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Das Gericht hat auf Kostenrisiko der Klägerin eine Begutachtung durch den Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Re. veranlasst. Dr. Re. hat mitgeteilt, die von der Klägerin vorgeführten Funktionseinschränkungen und Beschwerden würden sich seitens des unfallchirurgisch-orthopädischen Fachgebiets nicht annähernd mit dem unfallbedingten Erstkörperschaden erklären lassen. Die Beweisfragen des Gerichts könnten nicht valide beantwortet werden. Der Klägerin seien noch leichte körperliche Arbeiten drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Diese Einschätzung begründe sich aufgrund der objektivierbaren Verletzungsfolgen, so dass eine mehr als knapp 6-stündige Tätigkeit nicht leidensgerecht sei. Betriebsunübliche Pausen seien erforderlich nach jeweils zweistündiger Verrichtung einer Tätigkeit für jeweils 30 Minuten aufgrund einer unfallbedingt und konstitutionsbedingt herabgesetzten dauerhaften Leistungsfähigkeit der Klägerin. Ob eine Wegefähigkeit vorliege, könne nicht valide beantwortet werden. Die abweichende Leistungseinschätzung zu Dr. C. ergebe sich aus einer Ermessensfrage, die man nicht näher begründen könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bislang bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend und verweist auf die versorgungsärztliche Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist unbegründet. Der Bescheid vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Weiterbewilligung der Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus.
1. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung sind in § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelt. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die Klägerin ist aber weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Maßgeblich ist allein die Beurteilung der medizinischen Situation zum Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung; bei erfolgtem Ablauf einer befristeten Rentengewährung sieht die rechtliche Regelung nicht etwa einen Vergleich zur vorherigen Situation vor, so dass auch kein Nachweis erforderlich ist, dass sich die Situation tatsächlich gebessert hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2017 – L 19 R 500/16 –, Rn. 43, nach juris).
Gemessen an diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte zu Recht durch Bescheid vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15. September 2016 die Weiterbewilligung der Rente über den 31. Mai 2016 hinaus abgelehnt.
Nach den Feststellungen der Kammer verfügt die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche. Die bei ihr bestehenden Erkrankungen führen nicht zur Einschränkung ihres arbeitstäglichen quantitativen Leistungsvermögens für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Eine zeitliche Leistungsminderung besteht insbesondere nicht mehr auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet.
Die im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ermittelten Gesundheitsstörungen mit Schwerpunkt auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet schränken das qualitative Leistungsvermögen der Klägerin ein, berühren aber ihre quantitative körperliche und geistige Leistungsfähigkeit für die Verrichtung leichter Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. Die Kammer macht sich diesbezüglich die Einschätzung der Dres. C. und R. nach eigener kritischer Urteils- und Überzeugungsbildung zu eigen. Das im Verwaltungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. R. verwertet die Kammer im Wege des Urkundsbeweises.
Dabei geht die Kammer von folgendem Leistungsbild aus: Der Klägerin kann noch leichte körperliche Tätigkeiten in überwiegend sitzender Körperhaltung mit gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ausüben. Auszuschließen sind häufiges Treppensteigen, Arbeiten in tiefer Hocke, ausschließlich stehende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und in Hanglagen sowie schweres Tragen und Heben sowie häufige Unterarmumwendebewegungen und das häufige und feste Zupacken von Gegenständen.
a) Eine rentenberechtigte Leistungseinschränkung lässt sich auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet zur Überzeugung der Kammer für die Zeit ab Juni 2016 nicht feststellen. Für diese Überzeugung stützt sich das erkennende Gericht auf die überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten der Dres. R. und C ... Die Gutachter haben nachvollziehbar anhand der erhobenen Befunde herausgearbeitet, dass auf orthopädischem Fachgebiet lediglich qualitative Einschränkungen vorliegen und das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin nicht eingeschränkt ist. Bezogen auf den Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung und die Folgezeit sind die Gutachter der Auffassung gewesen, dass die Klägerin - unter Berücksichtigung eingeschränkter Arbeitsbedingungen - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab Juni 2016 wieder ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig ist.
Soweit die Klägerin eine rentenberechtigende Erwerbsminderung weiterhin mit den Verletzungsfolgen aus dem im Jahr 2009 erlittenen Verkehrsunfall begründet, überzeugt dies nicht. Ausweislich der erhobenen Befunde durch Dr. C. leidet die Klägerin an einer eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes nach knöchern verheiltem Bruch des Schulterblattes, einem funktionell unbedeutenden Streckdefizit am rechten Ellenbogen, einer Einschränkung der Unterarmumwendbewegungen rechts mit leichter Minderung der groben Kraft der rechten Hand, einem Verschleiß des rechten Hüftgelenks mit Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung sowie einem massiven Übergewicht. Hieraus ergeben sich jedoch lediglich qualitative Einschränkungen, die das zeitliche Leistungsvermögen nicht beeinträchtigen. Auch hat die Kammer sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch nicht davon überzeugen können, dass ihr eine Fortbewegung außer Haus nur mit dem Rollstuhl oder ihrem Elektrorollstuhl möglich ist. So hat Dr. C. insbesondere nachvollziehbar ausgeführt, die erhobenen klinischen und radiologischen Befunde würden weder die Notwendigkeit einer Rollstuhlbenutzung noch die eines Elektrorollstuhls begründen. Zudem sei es auch nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin nach eigenanamnestischen Angaben das Autofahren nur noch über kürzere Strecken ein- bis zweimal im Monat möglich sein solle. Ebenso hat Dr. R. in seinem Gutachten anhand des orthopädischen Befundes dargestellt, dass eine Rollstuhlpflichtigkeit nicht erforderlich sei. Die orthopädischen und neurologischen Befunde würden im Hinblick auf die Funktion der oberen und unteren Extremitäten als auch des Gehvermögens für eine Adaption im Alltag sprechen. Für die Kammer ist diese Einschätzung plausibel, da die beiden Gutachter ausweislich des orthopädischen und neurologischen Befundes keine relevanten Paresen im Bereich der unteren Extremitäten haben feststellen können.
Soweit sich die Klägerin auf die abweichende Leistungsbeurteilung des Gutachters Dr. Re. in dessen Gutachten vom 07. Juni 2017 stützt, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung. Der Gutachter hat ein auf täglich drei bis unter sechs Stunden reduziertes Leistungsvermögen beschrieben. Die Leistungseinschätzung anhand der von ihm erhobenen Befunde ist für das Gericht weder nachvollziehbar noch schlüssig. Das Gutachten des Dr. Re. vermag die Kammer aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. So mangelt es bereits an einem notwendigen Bestandteil des Gutachtens, nämlich der Anamneseerhebung. Denn Grundlage jedes Gutachtens, das eine umfassende Beurteilung des Leistungsvermögens enthalten soll, ist eine sorgfältige Anamnese (vgl. auch Francke, Gagel, Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, § 9, Rn. 19). Im Übrigen ist die Leistungseinschätzung des Gutachters auch nicht plausibel. So hat Dr. Rether selbst ausgeführt, die von der Klägerin vorgeführten und angegebenen Funktionseinschränkungen und Beschwerden würden sich seitens des unfallchirurgisch-orthopädischen Fachgebietes nicht annähernd mit dem unfallbedingten Erstkörperschaden erklären lassen. Die Klägerin habe ein Funktionsdefizit vorgeführt, welches auch unter Annahme denkbar ungünstiger struktureller Heilungsverläufe nicht mit dem Erstkörperschaden vereinbar sei. Die von der Klägerin aufgelisteten Beschwerden seien auf seinem Fachgebiet nur sehr eingeschränkt nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar seien insbesondere die angegebenen Muskel- und Nervenschmerzen im rechten Arm und rechten Bein, in der rechten Hüfte sowie die genannten Muskelkrämpfe und Dauerschmerzen im Bereich des Armes. Die gegenüber dem Vorgutachter abweichende Leistungseinschätzung reflektiere eine Ermessensfrage, die nicht näher begründet werden könne. Die von dem Gutachter getroffene sozialmedizinische Leistungseinschätzung ist aus dem Gutachten heraus nicht nachvollziehbar dargestellt. Die alleinige Begründung, es handele sich bei der Leistungseinschätzung um eine Ermessensfrage und eine weitergehende Begründung sei nicht möglich, lässt gerade nicht erkennen, worauf der Gutachter die Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens stützt. Die quantitative Beurteilung der Leistungsfähigkeit setzt aber eine abwägende Entscheidung voraus, die sich aus dem klinischen Gesamtbild ergeben und nachvollziehbar begründet sein muss (vgl. Cibis "Das sozialmedizinische Gutachten" in Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, hrs. Deutsche Rentenversicherung Bund, 7. Auflage 2011, S. 95). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.
Der gegenläufigen Einschätzung des die Klägerin behandelnden Dr. H. hat sich die Kammer bereits deshalb nicht anschließen können, da dieser die Klägerin nicht unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten untersucht und begutachtet hat.
Schließlich ergibt sich aus den bei der der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen zur Überzeugung der Kammer keine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch stellen diese qualitativen Einschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar.
Die Klage war demgemäß abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus im Streit.
Die am 19 geborene Klägerin absolvierte eine Berufsausbildung als Friseurin. Zuletzt war sie als Pflegeperson ihrer von 2008 bis September 2009 versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem ist sie arbeitslos. Sie erlitt am 2009 bei einem Verkehrsunfall während der Arbeitszeit als Beifahrerin zahlreiche Verletzungen. Sie bezieht deshalb eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v. H.
Im Zeitraum vom 01. Juli 2010 bis zum 31. Mai 2016 bezog sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auf den Antrag der Klägerin vom 11. Januar 2016 auf Weitergewährung dieser Rente ließ die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie Dr. R. untersuchen und begutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, die Klägerin verfüge für die Tätigkeit als Friseurin über ein unter dreistündiges Leistungsvermögen und für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen über ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen.
Die Beklagte lehnte die Weiterbewilligung der bislang gewährten gestützt auf das eingeholte Gutachten durch Bescheid vom 12. Mai 2016 ab. Die Klägerin leide unter folgenden Krankheiten oder Behinderungen: Z.n. Polytrauma ( 2009); Pseudoarthrosenbildung rechter Femur nach Femurfraktur/Ostheosynthese; Z.n. knöcherner konsolidierter Acetabulamfraktur rechts; Z.n. Beckenfraktur; Z.n. knöchernder Konsolidierung, Unterarmschaftfraktur rechts mit Osteosynthese Radius und verheiltem Weichteildefekt nach Strecksehnenverletzung; Knöchern ausgheilte Scapulafraktur rechts. Gleichwohl sei sie in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit in einem Umfang von arbeitstäglich mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nachzugehen.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin im Wesentlichen vor, das Gutachten des Dr. R. erfasse nicht im Ansatz ihren Gesundheitszustand und deshalb müsse eine Korrektur des Bescheides erfolgen. Sie sei auf den Rollstuhl angewiesen und könne keine längeren Wegstrecken zu Fuß zurücklegen. Ständiges Sitzen sei keinesfalls erreichbar. Eine Nutzung des PKW könne ihr nicht zugemutet werden, da mögliche auftretende Muskelkrämpfe die Fahrsicherheit beeinträchtigen würden.
Dr. H. –L. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nahm hierzu Stellung und führte aus, es liege ein ausführliches orthopädisches Gutachten vor. Auf die dortigen plausiblen Ausführungen werde Bezug genommen. Die Beklagte wies sodann den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15. September 2016 als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung der festgestellten Erkrankungen oder Behinderungen seien ihr seit dem 01. Juni 2016 zumindest körperlich leichte Tätigkeiten wieder mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.
Deswegen hat die Klägerin am 29. September 2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Klagebegründung bekräftigt sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. hat unter Vorlage medizinscher Befundunterlagen ausgeführt, die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt in seiner Behandlung gewesen. Er habe sie lediglich mehrmals im Auftrag der Unfallkasse Baden-Württemberg untersucht. Der Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin Dr. H. hat mitgeteilt, die Klägerin leide unter starken Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am rechten Bein und Arm und in der Beckenregion. Im Laufe der Behandlung im Jahr 2016 habe sich keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben. Hinsichtlich der unfallbedingten Beschwerden sei keine Verbesserung eingetreten. Das Leistungsvermögen der Klägerin liege bei drei bis unter sechs Stunden. Seiner Aussage hat er weitere ärztliche Unterlagen beigefügt.
Das Gericht hat von Amts wegen eine Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. C. veranlasst. Dieser hat in seinem am 17. März 2017 erstatteten Gutachten eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes nach knöchern verheiltem Bruch des Schulterblattes, ein funktionell unbedeutendes Streckdefizit am rechten Ellenbogen, eine Einschränkung der Unterarmumwendbewegungen rechts mit leichter Minderung der groben Kraft der rechten Hand, ein Verschleiß des rechten Hüftgelenks mit Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung sowie ein massives Übergewicht festgestellt. Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Das Gericht hat auf Kostenrisiko der Klägerin eine Begutachtung durch den Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Re. veranlasst. Dr. Re. hat mitgeteilt, die von der Klägerin vorgeführten Funktionseinschränkungen und Beschwerden würden sich seitens des unfallchirurgisch-orthopädischen Fachgebiets nicht annähernd mit dem unfallbedingten Erstkörperschaden erklären lassen. Die Beweisfragen des Gerichts könnten nicht valide beantwortet werden. Der Klägerin seien noch leichte körperliche Arbeiten drei bis unter sechs Stunden täglich möglich. Diese Einschätzung begründe sich aufgrund der objektivierbaren Verletzungsfolgen, so dass eine mehr als knapp 6-stündige Tätigkeit nicht leidensgerecht sei. Betriebsunübliche Pausen seien erforderlich nach jeweils zweistündiger Verrichtung einer Tätigkeit für jeweils 30 Minuten aufgrund einer unfallbedingt und konstitutionsbedingt herabgesetzten dauerhaften Leistungsfähigkeit der Klägerin. Ob eine Wegefähigkeit vorliege, könne nicht valide beantwortet werden. Die abweichende Leistungseinschätzung zu Dr. C. ergebe sich aus einer Ermessensfrage, die man nicht näher begründen könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bislang bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend und verweist auf die versorgungsärztliche Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist unbegründet. Der Bescheid vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Weiterbewilligung der Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 31. Mai 2016 hinaus.
1. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung sind in § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelt. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die Klägerin ist aber weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Maßgeblich ist allein die Beurteilung der medizinischen Situation zum Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung; bei erfolgtem Ablauf einer befristeten Rentengewährung sieht die rechtliche Regelung nicht etwa einen Vergleich zur vorherigen Situation vor, so dass auch kein Nachweis erforderlich ist, dass sich die Situation tatsächlich gebessert hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2017 – L 19 R 500/16 –, Rn. 43, nach juris).
Gemessen an diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte zu Recht durch Bescheid vom 12. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15. September 2016 die Weiterbewilligung der Rente über den 31. Mai 2016 hinaus abgelehnt.
Nach den Feststellungen der Kammer verfügt die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche. Die bei ihr bestehenden Erkrankungen führen nicht zur Einschränkung ihres arbeitstäglichen quantitativen Leistungsvermögens für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Eine zeitliche Leistungsminderung besteht insbesondere nicht mehr auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet.
Die im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ermittelten Gesundheitsstörungen mit Schwerpunkt auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet schränken das qualitative Leistungsvermögen der Klägerin ein, berühren aber ihre quantitative körperliche und geistige Leistungsfähigkeit für die Verrichtung leichter Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. Die Kammer macht sich diesbezüglich die Einschätzung der Dres. C. und R. nach eigener kritischer Urteils- und Überzeugungsbildung zu eigen. Das im Verwaltungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. R. verwertet die Kammer im Wege des Urkundsbeweises.
Dabei geht die Kammer von folgendem Leistungsbild aus: Der Klägerin kann noch leichte körperliche Tätigkeiten in überwiegend sitzender Körperhaltung mit gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ausüben. Auszuschließen sind häufiges Treppensteigen, Arbeiten in tiefer Hocke, ausschließlich stehende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und in Hanglagen sowie schweres Tragen und Heben sowie häufige Unterarmumwendebewegungen und das häufige und feste Zupacken von Gegenständen.
a) Eine rentenberechtigte Leistungseinschränkung lässt sich auf orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgebiet zur Überzeugung der Kammer für die Zeit ab Juni 2016 nicht feststellen. Für diese Überzeugung stützt sich das erkennende Gericht auf die überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten der Dres. R. und C ... Die Gutachter haben nachvollziehbar anhand der erhobenen Befunde herausgearbeitet, dass auf orthopädischem Fachgebiet lediglich qualitative Einschränkungen vorliegen und das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin nicht eingeschränkt ist. Bezogen auf den Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung und die Folgezeit sind die Gutachter der Auffassung gewesen, dass die Klägerin - unter Berücksichtigung eingeschränkter Arbeitsbedingungen - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab Juni 2016 wieder ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig ist.
Soweit die Klägerin eine rentenberechtigende Erwerbsminderung weiterhin mit den Verletzungsfolgen aus dem im Jahr 2009 erlittenen Verkehrsunfall begründet, überzeugt dies nicht. Ausweislich der erhobenen Befunde durch Dr. C. leidet die Klägerin an einer eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes nach knöchern verheiltem Bruch des Schulterblattes, einem funktionell unbedeutenden Streckdefizit am rechten Ellenbogen, einer Einschränkung der Unterarmumwendbewegungen rechts mit leichter Minderung der groben Kraft der rechten Hand, einem Verschleiß des rechten Hüftgelenks mit Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung sowie einem massiven Übergewicht. Hieraus ergeben sich jedoch lediglich qualitative Einschränkungen, die das zeitliche Leistungsvermögen nicht beeinträchtigen. Auch hat die Kammer sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch nicht davon überzeugen können, dass ihr eine Fortbewegung außer Haus nur mit dem Rollstuhl oder ihrem Elektrorollstuhl möglich ist. So hat Dr. C. insbesondere nachvollziehbar ausgeführt, die erhobenen klinischen und radiologischen Befunde würden weder die Notwendigkeit einer Rollstuhlbenutzung noch die eines Elektrorollstuhls begründen. Zudem sei es auch nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin nach eigenanamnestischen Angaben das Autofahren nur noch über kürzere Strecken ein- bis zweimal im Monat möglich sein solle. Ebenso hat Dr. R. in seinem Gutachten anhand des orthopädischen Befundes dargestellt, dass eine Rollstuhlpflichtigkeit nicht erforderlich sei. Die orthopädischen und neurologischen Befunde würden im Hinblick auf die Funktion der oberen und unteren Extremitäten als auch des Gehvermögens für eine Adaption im Alltag sprechen. Für die Kammer ist diese Einschätzung plausibel, da die beiden Gutachter ausweislich des orthopädischen und neurologischen Befundes keine relevanten Paresen im Bereich der unteren Extremitäten haben feststellen können.
Soweit sich die Klägerin auf die abweichende Leistungsbeurteilung des Gutachters Dr. Re. in dessen Gutachten vom 07. Juni 2017 stützt, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung. Der Gutachter hat ein auf täglich drei bis unter sechs Stunden reduziertes Leistungsvermögen beschrieben. Die Leistungseinschätzung anhand der von ihm erhobenen Befunde ist für das Gericht weder nachvollziehbar noch schlüssig. Das Gutachten des Dr. Re. vermag die Kammer aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. So mangelt es bereits an einem notwendigen Bestandteil des Gutachtens, nämlich der Anamneseerhebung. Denn Grundlage jedes Gutachtens, das eine umfassende Beurteilung des Leistungsvermögens enthalten soll, ist eine sorgfältige Anamnese (vgl. auch Francke, Gagel, Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, § 9, Rn. 19). Im Übrigen ist die Leistungseinschätzung des Gutachters auch nicht plausibel. So hat Dr. Rether selbst ausgeführt, die von der Klägerin vorgeführten und angegebenen Funktionseinschränkungen und Beschwerden würden sich seitens des unfallchirurgisch-orthopädischen Fachgebietes nicht annähernd mit dem unfallbedingten Erstkörperschaden erklären lassen. Die Klägerin habe ein Funktionsdefizit vorgeführt, welches auch unter Annahme denkbar ungünstiger struktureller Heilungsverläufe nicht mit dem Erstkörperschaden vereinbar sei. Die von der Klägerin aufgelisteten Beschwerden seien auf seinem Fachgebiet nur sehr eingeschränkt nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar seien insbesondere die angegebenen Muskel- und Nervenschmerzen im rechten Arm und rechten Bein, in der rechten Hüfte sowie die genannten Muskelkrämpfe und Dauerschmerzen im Bereich des Armes. Die gegenüber dem Vorgutachter abweichende Leistungseinschätzung reflektiere eine Ermessensfrage, die nicht näher begründet werden könne. Die von dem Gutachter getroffene sozialmedizinische Leistungseinschätzung ist aus dem Gutachten heraus nicht nachvollziehbar dargestellt. Die alleinige Begründung, es handele sich bei der Leistungseinschätzung um eine Ermessensfrage und eine weitergehende Begründung sei nicht möglich, lässt gerade nicht erkennen, worauf der Gutachter die Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens stützt. Die quantitative Beurteilung der Leistungsfähigkeit setzt aber eine abwägende Entscheidung voraus, die sich aus dem klinischen Gesamtbild ergeben und nachvollziehbar begründet sein muss (vgl. Cibis "Das sozialmedizinische Gutachten" in Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, hrs. Deutsche Rentenversicherung Bund, 7. Auflage 2011, S. 95). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.
Der gegenläufigen Einschätzung des die Klägerin behandelnden Dr. H. hat sich die Kammer bereits deshalb nicht anschließen können, da dieser die Klägerin nicht unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten untersucht und begutachtet hat.
Schließlich ergibt sich aus den bei der der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen zur Überzeugung der Kammer keine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch stellen diese qualitativen Einschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar.
Die Klage war demgemäß abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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