Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 U 147/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 477/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 14. Mai 2008 in Gestalt des Bescheides vom 16. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bei dem am 15.01.2006 verstorbenen Ehemann der Klägerin im Wege einer Zugunstenentscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) streitig.
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin und Witwe des bei der Beklagten Versicherten. Noch zu Lebzeiten des Verstorbenen hatte die Beklagte ein Verwaltungsverfahren unter anderem betreffend die Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) eingeleitet.
Nach den Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten war der Verstorbene von 1973 bis zur Krankschreibung und nachfolgenden Berentung 1997 im H. AG Käsewerk in H. als Molkereimeister in der Produktentwicklung tätig. Der Verstorbene begleitete den von dem Arbeitgeber beauftragten Schädlingsbekämpfer außerhalb der Regelarbeitszeit für ca. drei Stunden in Abstand von 2 Monaten, um diesen den Zutritt zu den Werksräumen zu verschaffen, wobei ca. 1,5 Stunden jeweils auf das Ausbringen und Kontrollieren von Ködern im Rahmen der Nagetierbekämpfung entfielen.
Außerdem wurden Insektizide verschiedener Stoffklassen und in unterschiedlichen Verfahren ausgebracht. Dabei wurden Naturstoff-Pyrethroide im Spritzverfahren mit einer Technik, die Aerosolbildungen verhinderte, aus kurzer Entfernung eingesetzt. Vernebelungen mit Natur-Pyrethrum haben sich auf verschlossene Schaltschränke und ein Rückstellmusterlager, das anschließend gesperrt wurde, beschränkt. Nach Angaben des Schädlingsbekämpfers hielt sich der Verstorbene beim Ausbringen der Insektizide nicht in dem entsprechenden Arbeitsbereich auf und hatte bei Arbeiten in kleinen Räumen keinen Zutritt.
Auf Grundlage eines bei Prof. Dr. G. eingeholten Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2008 die Anerkennung der Multisystemarthrophieerkrankung (MSA) des verstorbenen Ehemanns der KIägerin als BK nach der Nr. 1302 der Anlage zur BKV ab.
Die Klägerin legte hiergegen am 29.05.2008 Widerspruch ein. Unter dem Aktenzeichen S 5 U 223/07, in welchem die Ablehnung der BK nach Nr. 1317 durch Bescheid vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 streitgegenständlich war, wurden auf Vorschlag des Vorsitzenden der 5. Kammer mit Einverständnis der Beteiligten die Entscheidungen der Beklagten zu den BKen Nr. 1302, 1303, 1307 aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 96 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens.
Der in diesem Verfahren nach § 106 SGG gehörte Arbeitsmediziner Prof. Dr. N. gelangte in dem Gutachten vom 25.03.2010 zu der Einschätzung, dass eine BK im Sinne der Nr. 1302 bereits deswegen schon nicht vorläge, weil es keine Informationen über den Einsatz von unter der BK-Nr. 1302 erfassten Substanzen in Form von Halogenkohlenwasserstoffen gebe.
Die in diesem gerichtlichen Verfahren nach § 109 SGG gehörte PD Dr. R. hingegen kam in ihrem toxikologischen Gutachten vom 05.09.2011 zum Ergebnis, dass es - wenn man bestimmte Wirkstoffe der vom Verstorbenen verwendeten Pestizide unter das Tatbestandsmerkmal "Halogenkohlenwasserstoffe" der BK Nr. 1302 subsumiere - Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen BK gebe. Das Verfahren S 5 U 223/07wurde durch die Rücknahme der Klage beendet und die Übernahme der Kosten für das Gutachten PD Dr. R. wurde abgelehnt.
Die Klägerin beantragte am 20.09.2011 die Wiederaufnahme des Verfahrens zur BK Nr.1302 und die Vornahme von Überprüfungen, insbesondere unter Bezugnahme auf die Ausführungen der PD Dr. R ...
In dem von der Beklagten veranlassten Gutachten nach Aktenlage vom 18.02.2013 kommt der von der Klägerin benannte Neurologe Dr. S. zum Ergebnis, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin an einer MSA verstarb, die "möglich" ursächlich mit der langjährigen Mischexposition gegenüber Organophosphaten/Carbamaten und Pyrethoiden verknüpft sei.
Der Arbeitsmediziner Dr. K. von der Regierung von Schwaben stellte am 13.05.2013 demgegenüber fest, dass der Zusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung nicht mit der vom Gesetzgeber geforderten Wahrscheinlichkeit erkennbar ist.
Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2008 über die Ablehnung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV gemäß § 44 SGB X ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2014 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Auf die am 21.05.2014 erhobene Klage hat das Gericht der Klägerin unter dem 10.07.2014 mitgeteilt, dass es keine Erfolgsaussichten für die Klage sehe und eine Rücknahme anrege. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG beauftragte das Gericht den Neurologen und Psychiater Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens. Den weiteren Antrag der Klägerin nach § 109 SGG auf Einholung eines zusätzlichen toxikologischen Gutachtens bei Dr. C. hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 10.09.2014 zurückgenommen. Dr. D. kommt in seinem Gutachten vom 27.10.2014 und der ergänzenden Stellungnahme vom 24.11.2014 zu dem Ergebnis, dass die MSA nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Halogenkohlenwasserstoffen verursacht worden sei.
Als Reaktion auf das gerichtliche Schreiben vom 04.02.2015, in welchem eine erneute Fristverlängerung mit Blick auf § 109 SGG verweigert wurde und eine Aufklärung der Klägerin über die Folgen nach § 192 SGG gebeten wurde, stellte der Bevollmächtigte einen Befangenheitsantrag unter dem Aktenzeichen S 3 SF 34/15 AB. Diesen Antrag nahm der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 04.03.2015 zurück.
Die Klägerin hat in Anlage zum Schriftsatz vom 18.02.2015 eine ärztliche Stellungnahme des Dr. M. vom 08.02.2015 zu dem Gutachten des Dr. D. und eine Stellungnahme des Dr. K. übersendet. Weiterhin hat der Bevollmächtigte als Anlage zu dessen Schriftsatz vom 13.10.2015 den Aufsatz "Das heutige Berufskrankheitenrecht - ein sozialer Missstand für die Gesamtbevölkerung" in der Zeitschrift Umwelt-Medizin-Gesell-schaft, Heft 3/2015, S.221 ff beigefügt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14.05.2008 in Gestalt des ablehnenden Überprüfungsbescheides der Beklagten vom 16.01.2014 in der Fassung des ergangenen Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 24.04.2014 aufzuheben und festzustellen, dass beim verstorbenen Ehegatten der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorlag.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 3, 57 SGG) ist zulässig.
Die auf Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft (vgl. Bundessozialgericht - BSG - vom 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr. 9) und zulässig. Insbesondere liegen entsprechende Verwaltungsakte (VA) der Beklagten vor, mit welchen sie die Anerkennung dieser Berufskrankheit als Arbeitsunfall abgelehnt hat.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2008, über die Ablehnung einer BK nach Ziffer 1302 der Anlage zur BKV gemäß § 44 SGB X abgelehnt.
Nach § 44 Abs.1 S.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs.1 S.1 SGB X sind vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts keinen Anspruch darauf, festzustellen, dass bei dem verstorbenen Ehemann eine BK nach Ziffer 1302 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Der Nachweis für das Vorliegen einer derartige Berufskrankheit konnte trotz umfassender Aufklärung von Seiten der Beklagten und Gerichts nicht geführt werden.
Nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R -, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, juris Rn. 12 m.w.N.). Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit-) Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Die hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38).
Unter Zugrundelegung der schlüssigen Ausführungen des Arbeitsmediziners Prof. Dr. N. in dessen Gutachten vom 25.03.2010 fehlt es bereits an dem Vollbeweis der relevanten Einwirkungen einer BK Nr. 1302.
Die streitgegenständliche BK 1302 erfasst "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". Als Gefahrenquelle kommen u.a. Lösemittel und bestimmte Schädlingsbekämpfungsmittel (d.h. Pestizide, wie z.B. Brommethan, Lindan, Aldrin und DDT, vgl. Merkblatt zur BK 1302, abgedruckt bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 1302, 1.2) in Betracht.
Zunächst ist festzustellen, dass die Exposition des Verstorbenen mit Schädlingsbekämpfungsstoffen sehr gering war.
Der Verstorbene begleitete den von dem Arbeitgeber beauftragten Schädlingsbekämpfer außerhalb der Regelarbeitszeit für ca. drei Stunden im Abstand von 2 Monaten seit 1982. Dabei entfielen ca. 1,5 Stunden jeweils auf das Ausbringen und Kontrollieren von Ködern im Rahmen der Nagetierbekämpfung.
Die dabei verwendeten Köder enthielten gemäß den Sicherheitsdatenblättern unterschiedliche Cumarinderivate, die blutgerinnungshemmend wirken und nicht von neurotoxikologischer Relevanz waren. Eine etwaige Exposition bezüglich dieser Substanzen ist daher für die hier angeschuldigte Berufskrankheit irrelevant.
Die Vernebelungen mit Natur-Pyrethrum hingegen haben sich auf verschlossene Schaltschränke und ein Rückstellmusterlager, das anschließend gesperrt wurde, beschränkt. Nach Angaben des Schädlingsbekämpfers hielt sich der Verstorbene beim Ausbringen der Insektizide nicht in dem entsprechenden Arbeitsbereich auf und hatte bei Arbeiten in kleinen Räumen keinen Zutritt. Ein relevanter inhalativer oder gar dermaler Kontakt mit Pyrethroiden kann daher nicht als nachgewiesen angesehen werden.
Im Gutachten des Prof. Dr. N. wird Bezug genommen auf einen Brief des Verstorbenen aus dem Jahre 2004 an dessen Hausarzt, wonach der Verstorbene angab, die Räume nach der Behandlung nicht betreten zu haben, keinen eigenen Umgang mit Insektiziden oder Befindlichkeitsstörungen während der Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen gehabt zu haben.
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Technischen Aufsichtsdienstes und der nachvollziehbaren Ausführungen des Prof. Dr. N. kam der Verstorbene nicht nachgewiesenermaßen mit im Sinne der BK Nr. 1302 relevanten chemischen Verbindungen wie Lindan (Hexachlorcyclohexan), chlorierte Naphtaline und Brommethan (Methylbromid), die unter das Tatbestandmerkmal "Halogenkohlenwasserstoffe" subsumiert werden können, in Kontakt.
Dies wird auch nicht durch die Aussage der Gutachterin nach § 109 SGG PD Dr. R. negiert, die lediglich Anhaltspunkte für eine BK Nr. 1302 sieht, wenn man die verwendeten Insektizide bzw. die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe Cyfluthrin und Delthamethrin unter Halogenkohlenwasserstoffe subsumiert. Eine Begründung bzw. Subsumtion, ob diese Wirkstoffe Halogenkohlenwasserstoffe im Sinne der BK Nr. 1302 darstellen, erfolgt jedoch nicht. Ferner stützt diese Gutachterin ihre Thesen auf die Behauptung einer "maximal beruflichen Exposition", bei welcher der Verstorbene "weder Handschuhe noch Mundschutz" trug. Dies ist durch die (unwiderlegten) gründlichen Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes jedoch nicht belegt.
Dies kann letztlich dahingestellt bleiben, insbesondere unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Gutachters Dr. D. nach § 109 SGG. Selbst wenn entsprechende Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 1302 unterstellt würden, ist für die Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die unstreitig bestehende MSA wesentlich durch ggf. im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verwendeten Halogenkohlenwasserstoffe mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit verursacht worden ist.
Es gibt keine herrschende Lehrmeinung, die eine Kausalität des Krankheitsbildes der MSA mit toxischen Einwirkungen befürwortet. Dies bestätigten sowohl Prof. Dr. N. wie auch Dr. D. unmissverständlich. Vielmehr ist es so, dass die Ätiologie der MSA nach wie vor ungeklärt ist. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nahm im Jahr 2006 Stellung zum Thema Pestizidexposition und Parkinson: "Die ausgewerteten epidemiologischen Untersuchungen weisen auf einen Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber Pestiziden und einer Parkinsonerkrankung hin. Jedoch konnte bisher weder ein einzelnes Pestizid noch eine Kombination verschiedener Pestizide als Auslöser identifiziert werden. Selbst wenn einzelne Pestizide den Dopaminhaushalt beeinflussen können, kann eine biologische Plausibilität experimentell nicht hinreichend abgeleitet werden, die das Entstehen von Parkinson erklären könnte" (Stellungnahme Nr. 033/2006 des BfR vom 27. Juni 2006).
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass es derzeit, bis auf ein Urteil des Sozialgerichtes Duisburg (vgl. SG Duisburg vom 08.01.2013, S 6 U 140/11 WA) keine rechtskräftige Entscheidung gibt, welche einen ursächlichen Zusammenhang einer Pestizidbelastung mit Parkinson oder Parkinson-ähnlichen Erkrankungen annimmt. Der Entscheidung des SG Duisburg liegt eine erhebliche Exposition mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Lindan zugrunde, welches unstreitig den Halogenkohlenwasserstoffen zuzuordnen ist. Der Verstorbene war dieser Substanz im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nach den Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes jedoch nicht ausgesetzt.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung des Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. S. Zunächst nimmt dieser nicht Stellung, ob es sich bei den beruflich veranlassten Einwirkungen um solche im Sinne der Nr. 1302 zur BKV handelt und ob diese nachgewiesen sind. Dieser stützt seine weiteren Schlussfolgerungen auf "mögliche" berufliche Belastungen. Auf dieser Grundlage kommt er zu dem Ergebnis, dass eine ursächliche Verknüpfung "möglich" ist, obwohl er einräumt, dass ein statistisch signifikanter Bezug zwischen beruflicher Exposition durch neurotoxische Insektizide und neurodegenerativer Erkrankungen schwer zu demonstrieren ist.
Hierzu ist festzustellen, dass ein nur möglicher Ursachenzusammenhang nicht den erforderlichen Beweismaßstab genügt. Zum einen müssen die Einwirkungen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen, was vorliegend bereits nicht der Fall ist. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R -, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, juris Rn. 12 m.w.N.). Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit-) Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Die hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Unter Gesamtschau aller erstellten Gutachten, Befunde und Ermittlungen liegt zur Überzeugung der Kammer eine derart erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht vor.
Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV ist daher nicht festzustellen. Die Klage hat daher keine Aussicht auf Erfolg und ist daher abzuweisen.
II.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bei dem am 15.01.2006 verstorbenen Ehemann der Klägerin im Wege einer Zugunstenentscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) streitig.
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin und Witwe des bei der Beklagten Versicherten. Noch zu Lebzeiten des Verstorbenen hatte die Beklagte ein Verwaltungsverfahren unter anderem betreffend die Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) eingeleitet.
Nach den Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten war der Verstorbene von 1973 bis zur Krankschreibung und nachfolgenden Berentung 1997 im H. AG Käsewerk in H. als Molkereimeister in der Produktentwicklung tätig. Der Verstorbene begleitete den von dem Arbeitgeber beauftragten Schädlingsbekämpfer außerhalb der Regelarbeitszeit für ca. drei Stunden in Abstand von 2 Monaten, um diesen den Zutritt zu den Werksräumen zu verschaffen, wobei ca. 1,5 Stunden jeweils auf das Ausbringen und Kontrollieren von Ködern im Rahmen der Nagetierbekämpfung entfielen.
Außerdem wurden Insektizide verschiedener Stoffklassen und in unterschiedlichen Verfahren ausgebracht. Dabei wurden Naturstoff-Pyrethroide im Spritzverfahren mit einer Technik, die Aerosolbildungen verhinderte, aus kurzer Entfernung eingesetzt. Vernebelungen mit Natur-Pyrethrum haben sich auf verschlossene Schaltschränke und ein Rückstellmusterlager, das anschließend gesperrt wurde, beschränkt. Nach Angaben des Schädlingsbekämpfers hielt sich der Verstorbene beim Ausbringen der Insektizide nicht in dem entsprechenden Arbeitsbereich auf und hatte bei Arbeiten in kleinen Räumen keinen Zutritt.
Auf Grundlage eines bei Prof. Dr. G. eingeholten Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2008 die Anerkennung der Multisystemarthrophieerkrankung (MSA) des verstorbenen Ehemanns der KIägerin als BK nach der Nr. 1302 der Anlage zur BKV ab.
Die Klägerin legte hiergegen am 29.05.2008 Widerspruch ein. Unter dem Aktenzeichen S 5 U 223/07, in welchem die Ablehnung der BK nach Nr. 1317 durch Bescheid vom 15.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 streitgegenständlich war, wurden auf Vorschlag des Vorsitzenden der 5. Kammer mit Einverständnis der Beteiligten die Entscheidungen der Beklagten zu den BKen Nr. 1302, 1303, 1307 aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 96 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens.
Der in diesem Verfahren nach § 106 SGG gehörte Arbeitsmediziner Prof. Dr. N. gelangte in dem Gutachten vom 25.03.2010 zu der Einschätzung, dass eine BK im Sinne der Nr. 1302 bereits deswegen schon nicht vorläge, weil es keine Informationen über den Einsatz von unter der BK-Nr. 1302 erfassten Substanzen in Form von Halogenkohlenwasserstoffen gebe.
Die in diesem gerichtlichen Verfahren nach § 109 SGG gehörte PD Dr. R. hingegen kam in ihrem toxikologischen Gutachten vom 05.09.2011 zum Ergebnis, dass es - wenn man bestimmte Wirkstoffe der vom Verstorbenen verwendeten Pestizide unter das Tatbestandsmerkmal "Halogenkohlenwasserstoffe" der BK Nr. 1302 subsumiere - Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen BK gebe. Das Verfahren S 5 U 223/07wurde durch die Rücknahme der Klage beendet und die Übernahme der Kosten für das Gutachten PD Dr. R. wurde abgelehnt.
Die Klägerin beantragte am 20.09.2011 die Wiederaufnahme des Verfahrens zur BK Nr.1302 und die Vornahme von Überprüfungen, insbesondere unter Bezugnahme auf die Ausführungen der PD Dr. R ...
In dem von der Beklagten veranlassten Gutachten nach Aktenlage vom 18.02.2013 kommt der von der Klägerin benannte Neurologe Dr. S. zum Ergebnis, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin an einer MSA verstarb, die "möglich" ursächlich mit der langjährigen Mischexposition gegenüber Organophosphaten/Carbamaten und Pyrethoiden verknüpft sei.
Der Arbeitsmediziner Dr. K. von der Regierung von Schwaben stellte am 13.05.2013 demgegenüber fest, dass der Zusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung nicht mit der vom Gesetzgeber geforderten Wahrscheinlichkeit erkennbar ist.
Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2008 über die Ablehnung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV gemäß § 44 SGB X ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2014 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Auf die am 21.05.2014 erhobene Klage hat das Gericht der Klägerin unter dem 10.07.2014 mitgeteilt, dass es keine Erfolgsaussichten für die Klage sehe und eine Rücknahme anrege. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG beauftragte das Gericht den Neurologen und Psychiater Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens. Den weiteren Antrag der Klägerin nach § 109 SGG auf Einholung eines zusätzlichen toxikologischen Gutachtens bei Dr. C. hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 10.09.2014 zurückgenommen. Dr. D. kommt in seinem Gutachten vom 27.10.2014 und der ergänzenden Stellungnahme vom 24.11.2014 zu dem Ergebnis, dass die MSA nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Halogenkohlenwasserstoffen verursacht worden sei.
Als Reaktion auf das gerichtliche Schreiben vom 04.02.2015, in welchem eine erneute Fristverlängerung mit Blick auf § 109 SGG verweigert wurde und eine Aufklärung der Klägerin über die Folgen nach § 192 SGG gebeten wurde, stellte der Bevollmächtigte einen Befangenheitsantrag unter dem Aktenzeichen S 3 SF 34/15 AB. Diesen Antrag nahm der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 04.03.2015 zurück.
Die Klägerin hat in Anlage zum Schriftsatz vom 18.02.2015 eine ärztliche Stellungnahme des Dr. M. vom 08.02.2015 zu dem Gutachten des Dr. D. und eine Stellungnahme des Dr. K. übersendet. Weiterhin hat der Bevollmächtigte als Anlage zu dessen Schriftsatz vom 13.10.2015 den Aufsatz "Das heutige Berufskrankheitenrecht - ein sozialer Missstand für die Gesamtbevölkerung" in der Zeitschrift Umwelt-Medizin-Gesell-schaft, Heft 3/2015, S.221 ff beigefügt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14.05.2008 in Gestalt des ablehnenden Überprüfungsbescheides der Beklagten vom 16.01.2014 in der Fassung des ergangenen Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 24.04.2014 aufzuheben und festzustellen, dass beim verstorbenen Ehegatten der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorlag.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 3, 57 SGG) ist zulässig.
Die auf Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft (vgl. Bundessozialgericht - BSG - vom 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr. 9) und zulässig. Insbesondere liegen entsprechende Verwaltungsakte (VA) der Beklagten vor, mit welchen sie die Anerkennung dieser Berufskrankheit als Arbeitsunfall abgelehnt hat.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2008, über die Ablehnung einer BK nach Ziffer 1302 der Anlage zur BKV gemäß § 44 SGB X abgelehnt.
Nach § 44 Abs.1 S.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs.1 S.1 SGB X sind vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts keinen Anspruch darauf, festzustellen, dass bei dem verstorbenen Ehemann eine BK nach Ziffer 1302 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Der Nachweis für das Vorliegen einer derartige Berufskrankheit konnte trotz umfassender Aufklärung von Seiten der Beklagten und Gerichts nicht geführt werden.
Nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R -, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, juris Rn. 12 m.w.N.). Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit-) Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Die hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38).
Unter Zugrundelegung der schlüssigen Ausführungen des Arbeitsmediziners Prof. Dr. N. in dessen Gutachten vom 25.03.2010 fehlt es bereits an dem Vollbeweis der relevanten Einwirkungen einer BK Nr. 1302.
Die streitgegenständliche BK 1302 erfasst "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". Als Gefahrenquelle kommen u.a. Lösemittel und bestimmte Schädlingsbekämpfungsmittel (d.h. Pestizide, wie z.B. Brommethan, Lindan, Aldrin und DDT, vgl. Merkblatt zur BK 1302, abgedruckt bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 1302, 1.2) in Betracht.
Zunächst ist festzustellen, dass die Exposition des Verstorbenen mit Schädlingsbekämpfungsstoffen sehr gering war.
Der Verstorbene begleitete den von dem Arbeitgeber beauftragten Schädlingsbekämpfer außerhalb der Regelarbeitszeit für ca. drei Stunden im Abstand von 2 Monaten seit 1982. Dabei entfielen ca. 1,5 Stunden jeweils auf das Ausbringen und Kontrollieren von Ködern im Rahmen der Nagetierbekämpfung.
Die dabei verwendeten Köder enthielten gemäß den Sicherheitsdatenblättern unterschiedliche Cumarinderivate, die blutgerinnungshemmend wirken und nicht von neurotoxikologischer Relevanz waren. Eine etwaige Exposition bezüglich dieser Substanzen ist daher für die hier angeschuldigte Berufskrankheit irrelevant.
Die Vernebelungen mit Natur-Pyrethrum hingegen haben sich auf verschlossene Schaltschränke und ein Rückstellmusterlager, das anschließend gesperrt wurde, beschränkt. Nach Angaben des Schädlingsbekämpfers hielt sich der Verstorbene beim Ausbringen der Insektizide nicht in dem entsprechenden Arbeitsbereich auf und hatte bei Arbeiten in kleinen Räumen keinen Zutritt. Ein relevanter inhalativer oder gar dermaler Kontakt mit Pyrethroiden kann daher nicht als nachgewiesen angesehen werden.
Im Gutachten des Prof. Dr. N. wird Bezug genommen auf einen Brief des Verstorbenen aus dem Jahre 2004 an dessen Hausarzt, wonach der Verstorbene angab, die Räume nach der Behandlung nicht betreten zu haben, keinen eigenen Umgang mit Insektiziden oder Befindlichkeitsstörungen während der Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen gehabt zu haben.
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Technischen Aufsichtsdienstes und der nachvollziehbaren Ausführungen des Prof. Dr. N. kam der Verstorbene nicht nachgewiesenermaßen mit im Sinne der BK Nr. 1302 relevanten chemischen Verbindungen wie Lindan (Hexachlorcyclohexan), chlorierte Naphtaline und Brommethan (Methylbromid), die unter das Tatbestandmerkmal "Halogenkohlenwasserstoffe" subsumiert werden können, in Kontakt.
Dies wird auch nicht durch die Aussage der Gutachterin nach § 109 SGG PD Dr. R. negiert, die lediglich Anhaltspunkte für eine BK Nr. 1302 sieht, wenn man die verwendeten Insektizide bzw. die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe Cyfluthrin und Delthamethrin unter Halogenkohlenwasserstoffe subsumiert. Eine Begründung bzw. Subsumtion, ob diese Wirkstoffe Halogenkohlenwasserstoffe im Sinne der BK Nr. 1302 darstellen, erfolgt jedoch nicht. Ferner stützt diese Gutachterin ihre Thesen auf die Behauptung einer "maximal beruflichen Exposition", bei welcher der Verstorbene "weder Handschuhe noch Mundschutz" trug. Dies ist durch die (unwiderlegten) gründlichen Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes jedoch nicht belegt.
Dies kann letztlich dahingestellt bleiben, insbesondere unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Gutachters Dr. D. nach § 109 SGG. Selbst wenn entsprechende Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 1302 unterstellt würden, ist für die Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die unstreitig bestehende MSA wesentlich durch ggf. im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verwendeten Halogenkohlenwasserstoffe mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit verursacht worden ist.
Es gibt keine herrschende Lehrmeinung, die eine Kausalität des Krankheitsbildes der MSA mit toxischen Einwirkungen befürwortet. Dies bestätigten sowohl Prof. Dr. N. wie auch Dr. D. unmissverständlich. Vielmehr ist es so, dass die Ätiologie der MSA nach wie vor ungeklärt ist. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nahm im Jahr 2006 Stellung zum Thema Pestizidexposition und Parkinson: "Die ausgewerteten epidemiologischen Untersuchungen weisen auf einen Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber Pestiziden und einer Parkinsonerkrankung hin. Jedoch konnte bisher weder ein einzelnes Pestizid noch eine Kombination verschiedener Pestizide als Auslöser identifiziert werden. Selbst wenn einzelne Pestizide den Dopaminhaushalt beeinflussen können, kann eine biologische Plausibilität experimentell nicht hinreichend abgeleitet werden, die das Entstehen von Parkinson erklären könnte" (Stellungnahme Nr. 033/2006 des BfR vom 27. Juni 2006).
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass es derzeit, bis auf ein Urteil des Sozialgerichtes Duisburg (vgl. SG Duisburg vom 08.01.2013, S 6 U 140/11 WA) keine rechtskräftige Entscheidung gibt, welche einen ursächlichen Zusammenhang einer Pestizidbelastung mit Parkinson oder Parkinson-ähnlichen Erkrankungen annimmt. Der Entscheidung des SG Duisburg liegt eine erhebliche Exposition mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Lindan zugrunde, welches unstreitig den Halogenkohlenwasserstoffen zuzuordnen ist. Der Verstorbene war dieser Substanz im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nach den Erhebungen des Technischen Aufsichtsdienstes jedoch nicht ausgesetzt.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung des Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. S. Zunächst nimmt dieser nicht Stellung, ob es sich bei den beruflich veranlassten Einwirkungen um solche im Sinne der Nr. 1302 zur BKV handelt und ob diese nachgewiesen sind. Dieser stützt seine weiteren Schlussfolgerungen auf "mögliche" berufliche Belastungen. Auf dieser Grundlage kommt er zu dem Ergebnis, dass eine ursächliche Verknüpfung "möglich" ist, obwohl er einräumt, dass ein statistisch signifikanter Bezug zwischen beruflicher Exposition durch neurotoxische Insektizide und neurodegenerativer Erkrankungen schwer zu demonstrieren ist.
Hierzu ist festzustellen, dass ein nur möglicher Ursachenzusammenhang nicht den erforderlichen Beweismaßstab genügt. Zum einen müssen die Einwirkungen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen, was vorliegend bereits nicht der Fall ist. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R -, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, juris Rn. 12 m.w.N.). Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit-) Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Die hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Unter Gesamtschau aller erstellten Gutachten, Befunde und Ermittlungen liegt zur Überzeugung der Kammer eine derart erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht vor.
Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV ist daher nicht festzustellen. Die Klage hat daher keine Aussicht auf Erfolg und ist daher abzuweisen.
II.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.
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