S 11 SO 182/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SO 182/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 9 Satz 1, 28 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) in Verbindung mit §§ 8 Nr. 5, 19 Abs. 3, 61 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in der Zeit vom 25.02.2015 bis zum 30.06.2015 zu gewähren.

Die am 00.00.1926 geborene Klägerin übertrug mit notariellem Vertrag vom 07.03.1994 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann das Eigentum an ihrem Hof (landwirtschaftli-cher Betrieb) mit einer Größe von ca. 16,2 ha an ihren Sohn. Unter II dieses notariellen Vertrages heißt es: "Der Übertragsnehmer ist verpflichtet, die Kosten einer standesgemä-ßen Beerdigung des Übertragsgebers zu tragen und die Grabpflege zu besorgen. Zahlun-gen durch Sterbegeldversicherungen gebühren dem Übertragsnehmer."

Am 02.02.2014 schloss die Klägerin mit dem Bestattungshaus K. I., W.-S., einen Bestat-tungsvorsorgevertrag sowie mit der E. C. U. Aktiengesellschaft einen Bestattungsvorsor-ge-Treuhandvertrag mit einem Volumen von 4500,00 Euro. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die jeweiligen Verträge (Bl. 47 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten). Am 24.02.2015 stellte sie bei dem Beklagten einen Antrag auf Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege. Seit dem 25.02.2015 erhielt sie stationäre Pflege im St. Q. Heim in H ...

Mit Bescheid vom 20.04.2015 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 3 SGB XII. Bei der Berechnung der Sozialhilfe seien sowohl Einkommen im Sinne der §§ 83 ff. SGB XII als auch Vermögen (§ 90 SGB XII) des Hilfesuchenden zu berücksichtigen. Daher komme eine Gewährung von Sozialhilfe nicht in Betracht. Zum Vermögen gehöre insbe-sondere auch der Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag der Klägerin. Dieser sei nicht ge-schützt im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII.

Mit Schreiben vom 24.04.2015, bei dem Beklagten eingegangen am 28.04.2015, erhob die Klägerin Widerspruch.

Zum 18.05.2015 zog sie in das Haus St. X., W.-S ... Auch dort erhält sie seit dieser Zeit stationäre Pflege. Den Wechsel des Pflegeheims teilte sie dem Beklagten am 10.06.2015 mit. Mit einem mit "Sicherungsabtretung" überschriebenen Vertrag vom 16.06.2015 über-trug die Klägerin der Seniorenwohn- und Pflegeeinrichtung Haus St. X. in W. "das Gutha-ben von 4500,00 Euro auf einem Treuhandkonto bei der E. C. AG." Daher leistet der Be-klagte nunmehr (Bescheid vom 28.07.2015) ab dem 01.07.2015 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2015 wies er den Widerspruch vom 24.04.2015 (im Übrigen) zurück.

Die Klägerin hat am 03.09.2015 Klage erhoben. Ihr seien Leistungen der Sozialhilfe in Ge-stalt der Hilfe zur Pflege als Zuschuss sowohl für die Zeit vom 25.02.2015 bis zum 17.05.2015 (Aufenthalt im St. Q. Heim in H.) in Höhe von 2307,02 Euro als auch in der Zeit vom 18.05.2015 bis zum 30.06.2015 (Aufenthalt im Haus St. X. in W.) in Höhe von 1803,61 Euro zu gewähren.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2015 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 25.02.2015 bis zum 30.06.2015 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege sowie Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe der gesetzli-chen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid vom 20.04.2015 weiterhin für rechtmäßig. Hinsicht-lich seiner Rechtsauffassung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des übrigen Vorbrin-gens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwal-tungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Ver-handlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 20.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2015 nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichts-gesetz (SGG) beschwert. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Klägerin stand gemäß §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit §§ 61 ff. SGB XII (a.F.) gegen den Be-klagten kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII in Gestalt der Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Zeit vom 25.02.2015 bis zum 30.06.2015 als Zuschuss zu.

Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich durch Einsatz seines Einkom-mens und Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von ande-ren, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII wird Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhn-lichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße oder hö-herem Maße der Pflege bedürfen, ist Hilfe zur Pflege zu leisten (§ 61 Abs. 1 SGB XII a.F.). Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (a.F.) umfasst die Hilfe zur Pflege auch die stati-onäre Pflege.

Im Sinne dieser Bestimmungen konnte sich die Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit durch Einsatz ihres Vermögens selbst helfen. Der Leistungsgewährung stand insoweit das den Schonvermögensbetrag übersteigende Vermögen bzw. der Rückabwicklungsanspruch nach Kündigung des Bestattungsvorsorgevertrag (siehe dazu im Einzelnen BSG, Urteil vom 18.03.2008, Az.: B 8 / 9 b SO 9/06 R) entgegen. Insbesondere das in den Bestat-tungsvorsorgevertrag geflossene Vermögen der Klägerin in Höhe von 4500,00 Euro steht dem Leistungsanspruch entgegen. Dieser ist nicht auf der Grundlage von § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt.

Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Auf-rechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde (§ 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII). Bei der Auslegung dieser Normen ist zum Einen auf die Leitvor-stellungen des Gesetzes für die Verschonungen zurückzugreifen, zum Anderen sind auch Wertungen aus anderen Bestimmungen des SGB XII zu berücksichtigen, da es Sinn und Zweck des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist, als Härtevorschrift für andere als die in § 90 Abs. 2 SGB XII aufgeführten Verschonungsfälle zu dienen (vgl. Bundesverwaltungsge-richt [BVerwG], Urteil vom 11.12.2003, Az.: 5 C 84/02 zur Vorgängerregelung § 88 Abs. 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]). In Ansehung dessen ist dem Wunsch der Men-schen, für die Zeit nach ihrem Tod vorzusorgen, in der Form Rechnung zu tragen, dass ihnen die Mittel für eine angemessene Bestattung und Grabpflege erhalten bleiben, die sie zu diesem Zweck zurückgelegt haben (BSG, Urteil vom 18.03.2008, Az.: B 8 / 9 b SO 9/06 R; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 5. Auflage, 2014, § 90, Rn. 80). Aus dem durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich fun-dierten Anspruch einer würdigen Bestattung folgt, dass eine Bestattungsvorsorge vom Träger der Sozialhilfe bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII zu respek-tieren ist. In verfassungskonformer Auslegung ist das angesammelte, der Bestattung und Grabpflege dienende Vermögen durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt.

Zwar geht die Kammer vorliegend von einem angemessenen Bestattungsvorsorgevertrag im o.g. Sinne aus (siehe dazu Sozialgericht [SG] Münster, Urteil vom 26.06.2014, Az.: S 8 SO 121/11). Allerdings entfällt der Schutz des § 90 Abs. 3 SGB XII hier, da sich der Sohn der Klägerin mit notariellem Vertrag verpflichtet hat, im Falle des Todes der Klägerin diese standesgemäß bestatten zu lassen. Nach Auffassung der Kammer ist dadurch bereits ei-ne angemessene Bestattungsvorsorge seitens der Klägerin erfolgt. Die Klägerin muss sich auf diese verweisen lassen. Eine darüber hinaus gehende finanzielle Absicherung der Be-stattungskosten ist nicht notwendig. Die Kammer gibt ausdrücklich ihre bisherige Recht-sprechung (siehe dazu Urteil vom 26.04.2014, Az.: S 8 SO 121/11) auf. Soweit sie bisher angenommen hat, dass die Unsicherheit, ob der sich zur Bestattung verpflichtende Part-ner des Hilfesuchenden tatsächlich an den notariellen Vertrag hält, dem Hilfesuchenden nicht zuzumuten sei, so hält sie daran nicht mehr fest. Hierbei handelt es sich um ein all-gemeines Lebensrisiko.

Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des Beklagten im Wider-spruchsbescheid vom 27.08.2015 (§ 136 Abs. 3 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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