L 8 U 2987/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 1872/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2987/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.07.2018 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eine Untätigkeitsklage streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Verbescheidung seines mit Schriftsatz vom 09.04.2018 bei der Beklagten gestellten Antrags auf Anerkennung von insgesamt 6 Berufskrankheiten und Gewährung von Verletztenrente hat.

Der 1953 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, war bis zum 31.12.1999 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten (vgl. Urteil des Sozialgerichts (SG) Karlsruhe vom 04.09.2014 - S 3 U 3327/13). Er bezieht bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg aufgrund eines vor dem SG geschlossenen Vergleichs vom 12.04.2010 (Blatt 183 der Beklagtenakte).

Über die Anerkennung von Berufskrankheiten (BK) nach Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) wurde wie folgt entschieden:
- BK Nr. 2101 BKV: Abweisung der Klage mit rechtskräftigem Urteil des SG vom 03.07.2015 (S 3 U 3425/14; zuvor schon Urteil des SG vom 05.09.2012, S 15 U 780/12, Blatt 534 der Beklagtenakte). - BK Nr. 2102 BKV: Abweisung der Klage mit rechtskräftigem Urteil des SG vom 05.09.2012 (S 15 U 780/12; Bescheid vom 24.08.2011, Blatt 409 der Beklagtenakte, zuvor schon Bescheid vom 23.11.2010, Blatt 285 der Beklagtenakte, Widerspruchsbescheid vom 13.01.2011, Blatt 296 der Beklagtenakte). - BK Nr. 2103 BKV: Abweisung der Klage mit rechtskräftigem Urteil des SG vom 20.02.2012 (S 15 U 936/11; Bescheid vom 10.11.2010, Widerspruchsbescheid vom 23.01.2011, vgl. Blatt 307 der Beklagtenakte). - BK Nr. 2105 BKV: Berufung des Klägers zurückgewiesen mit rechtskräftigem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 24.03.2016 (L 10 U 3959/14). - BK Nr. 2108 BKV: Ablehnung mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15.02.2012 (Blatt 569, 605 der Beklagtenakte, Bescheid vom 24.08.2011, Blatt 409 der Beklagtenakte, zuvor schon Bescheid vom 22.07.2009, Blatt 203 der Beklagtenakte, Widerspruchsbescheid vom 12.05.2010, vgl. Blatt 307 der Beklagtenakte). - BK Nr. 2112 BKV: Berufung des Klägers zurückgewiesen mit rechtskräftigem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 20.11.2014 (L 10 U 4171/12, Blatt 643 der Beklagtenakte; Urteil des SG vom 05.09.2012, S 15 U 780/12, Blatt 534 der Beklagtenakte, Bescheid vom 24.08.2011, Blatt 409 der Beklagtenakte, Widerspruchsbescheid vom 20.09.2011, Blatt 479 der Beklagtenakte, zuvor schon Bescheid vom 23.11.2010, Blatt 285 der Beklagtenakte, Widerspruchsbescheid vom 13.01.2011, vgl. Blatt 307 der Beklagtenakte). - BK Nr. 4301 und 4302: Ablehnung mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15.08.2012. - BK Nr. 5101 BKV: Ablehnung mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19.06.2012.

Mit Schreiben vom 22.02.2017 (Blatt 662 der Beklagtenakte) beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf einen Bescheid des Landratsamtes R. vom 05.03.2015 (GdB 30, Blatt 663 der Beklagtenakte) sowie Berichten des Dr. L. vom 27.09.2012 und des Dr. K. vom 30.03.2010 (Blatt 666, 667 der Beklagtenakte) Rentenleistungen seit 16.01.2015.

Auf die Frage der Beklagten mit Schreiben vom 03.07.2017 (Blatt 670 der Beklagtenakte), hinsichtlich welcher anerkannter BK er eine Rentenzahlung beantrage, verwies der Kläger mit Schreiben vom 09.04.2018 (Blatt 671 der Beklagtenakte) auf BK nach Nr. 2112, 2108, 2105, 2102, 2101 und 4301 und legte u.a. den Bescheid über einen GdB von 50 vom 26.03.2018 (Blatt 675 der Beklagtenakte) vor. Er setzte eine Frist zur Bescheidung bis zum 23.04.2018.

Am 07.06.2018 hat der Kläger beim SG Klage erhoben, weil die Beklagte auf sein Schreiben vom 09.04.2018 nicht reagiert habe. Trotz Aufforderung zur Bescheidung bis 23.04.2018 habe die Beklagte bisher keinen Bescheid erlassen, was ihn zur Klage zwinge. Mit Schreiben vom 18.06.2018 (Blatt 12 der SG-Akte) hat der Kläger das Ruhen des Verfahrens beantragt, nach seinen Ermittlungen (Blatt 20 der SG-Akte) sei die Wartefrist des § 88 Abs.1 SGG wegen des Schreibens vom 22.02.2017 mehr als erfüllt.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 26.07.2018 die Klage abgewiesen, die Klage sei unzulässig, da die Wartefrist von 6 Monaten nach Eingang des Antrags vom 09.04.2018 bei der Beklagten noch nicht abgelaufen sei und das Verfahren auch nicht bis zum Erlass eines Verwaltungsaktes auszusetzen sei.

Der Gerichtsbescheid war der Beklagten am 02.08.2018 zugestellt worden. Bereits mit Bescheid vom 01.08.2018 (Blatt 692 der Beklagtenakte) hat diese die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt.

Gegen den ihm am 27.07.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.08.2018 beim LSG Berufung erhoben und beantragt: 1. Den Bescheid vom 26.07.2018 aufzuheben wegen Formfehler (fehlender Unterschrift des Vorsitzenden) und Begünstigung der Beklagtenpartei usw. 2. Anerkennung der ärztlichen Gutachten des Sozialamtes als Berufskrankheit. 3. Anerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente rückwirkend laut Schriftverkehr.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die Berufung nach Ergehen des Bescheids vom 01.08.2018 für unzulässig.

Auf den Hinweis des Senats vom 30.08.2018, die Beklagte habe mit Bescheid vom 01.08.2018 über die Ansprüche des Klägers entschieden, sein Bescheidungsbegehren sei erledigt, hat der Kläger mit Schreiben vom 15.09.2018 unter Vorlage von Unterlagen mitgeteilt, es fänden sich weitere schwerwiegende Gesundheitseinbußen, die eine Ausübung des Berufes als Fliesenleger verhinderten. Somit gelte als wahrscheinlich, dass der Versicherungsfall eingetreten sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist zwar form- und fristgerecht eingelegt und an sich statthaft, die Berufung ist jedoch unzulässig. Es fehlt dem Kläger an einem rechtlich geschützten Interesse an der Durchführung des Berufungsverfahrens (sog. Rechtsschutzinteresse).

1. Soweit der Kläger rügt (Antrag 1), der ihm zugestellte Gerichtsbescheid sei vom Vorsitzenden nicht unterschrieben, begründet dies keinen Anspruch auf Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 26.07.2018. Zwar ist das Urteil bzw. der Gerichtsbescheid (vgl. §§ 134 Abs. 1, 105 SGG) vom Vorsitzenden selbst zu unterschreiben. Da der vorliegende Gerichtsbescheid im Rahmen einer elektronisch geführten Akte erstellt ist und sich aus der Gerichtsakte des SG die qualifizierte Signatur des Vorsitzenden für das elektronische Dokument des Gerichtsbescheids ergibt, ersetzt dessen Signatur die Unterschrift (§ 65 a Abs. 7 SGG in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung). Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines als elektronisches Dokument vorliegenden Urteils/Gerichtsbescheid können von einem Urteilausdruck gemäß § 65 b Abs. 6 SGG (in der Fassung ab 01.01.2018) erteilt werden. Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO werden Urteile/Gerichtsbescheide in Abschrift den Beteiligten zugestellt. Eine Ausfertigung des Urteils/Gerichtsbescheid wird nur auf Antrag erteilt (§ 202 SGG i.V.m. § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO - BGH VersR 85,551; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl., § 317 Rn. 2). Dass aber die dem Kläger zugestellte Abschrift oder Ausfertigung nicht diesen Maßstäben genügt, hat weder er selbst vorgetragen noch ist dies den Akten zu entnehmen. Einer Unterschrift des Vorsitzenden bedarf es weder bei Zustellung einer Abschrift noch bei Zustellung einer Ausfertigung.

2. Die Berufung ist unzulässig.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) voraus. Diese Sachentscheidungsvoraussetzung begründet sich aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben, dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte und dem Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns; prozessuale Rechte dürfen nicht zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats missbraucht werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg 23.08.2018 – L 32 AS 1023/18 B PKH – juris). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt u.a. dann, wenn der Kläger bereits klaglos gestellt ist (Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage, vor § 51, RdNr. 16a; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg 23.08.2018 – L 32 AS 1023/18 B PKH – juris).

Vorliegend hat der Kläger beim SG wegen einer angeblichen Untätigkeit der Beklagten auf sein Schreiben vom 09.04.2018 Untätigkeitsklage nach § 88 SGG erhoben. Auf dieses Schreiben vom 09.04.2018 und sein Schreiben vom 22.02.2017 hat die Beklagte mit Bescheid vom 01.08.2018 reagiert und die darin geltend gemachten Ansprüche verbeschieden. Damit hat der Kläger alles erreicht, was er mit seiner Klage vom 07.06.2018 beim SG begehrt hatte. Er ist damit klaglos gestellt, das Begehren auf Bescheidung seiner Anträge ist erledigt (vgl. auch § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG), worüber der Kläger durch Hinweis des Senats belehrt wurde, sodass er an der Fortführung seines Begehrens auf Verurteilung der Beklagten zur Bescheidung seiner mit Schreiben vom 09.04.2018 geltend gemachten Ansprüchen kein rechtlich geschütztes Interesse mehr hat. Ihm fehlt es daher an der Sachurteilsvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses, ohne das ein Urteil in der Sache nicht ergehen darf, weshalb die Berufung vorliegend unzulässig ist.

3. Soweit der Kläger im vorliegenden Gerichtsverfahren nunmehr erstmals im Berufungsverfahren mit seinen Anträgen 2 und 3 – im SG-Verfahren hat er nur die Verurteilung zur Bescheidung seines Antrags begehrt - die Anerkennung von BKen und die Gewährung einer Verletztenrente begehrt, ist die Berufung ebenfalls unzulässig, denn hierüber hat das SG mangels entsprechender Klage keine erstinstanzliche, mit der Berufung anfechtbare Entscheidung getroffen, sodass der Senat im Rahmen des Berufungsverfahrens hierüber nicht entscheiden kann.

Eine Änderung der Klage – auch im Berufungsverfahren - ist nach § 99 Abs. 1 SGG nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Beklagte hat weder ausdrücklich in eine Änderung der Klage von einer Untätigkeitsklage zu einer Feststellungs- und Leistungs- bzw. einer Verpflichtungs- und Leistungsklage eingewilligt, noch hat sie sich i.S.d. § 99 Abs. 2 SGG auf die geänderte Klage rügelos eingelassen. Vielmehr hat die Beklagte mit Schreiben vom 28.08.2018 klargestellt, dass sie die Berufung für unzulässig hält, weil der Kläger durch Erlass des Bescheids vom 01.08.2018 das bekommen habe, was er vor dem SG erstreiten wollte. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit den nunmehr im Berufungsverfahren erhobenen Ansprüchen des Klägers war nicht erfolgt, sodass auch eine rügelose Einlassung nicht vorliegt.

Eine Änderung der Klage im Berufungsverfahren von der Untätigkeitsklage hin zu einer Feststellungs- und Leistungs- bzw. Verpflichtungs- und Leistungsklage ist auch nicht sachdienlich. Denn ob BKen und die Rentenvoraussetzung anzunehmen sind, bedarf medizinischer Bewertungen, zu denen ggf. weitere Ermittlungen erforderlich sind. Zur Überprüfung eines von der Behörde erlassenen Verwaltungsaktes sieht das Gesetz aber zunächst das Widerspruchsverfahren, erst dann das Klage- und anschließend ein Berufungsverfahren vor. Würde daher in einem Berufungsverfahren als dem letztinstanzlichen Tatsachenverfahren erstmals und auch nach einer vorhergehend geführten Untätigkeitsklage grds. abschließend inhaltlich über die Tatsachengrundlagen der nach Klageänderung geltend gemachten Feststellungs- und Leistungsansprüche entschieden, so würde dies den Rechtsschutz des Klägers und der Beklagten, wie auch die Ermittlungsmöglichkeiten der Beklagten in erheblichem Umfang einschränken. Das ist – jedenfalls im Berufungsverfahren - nicht sachdienlich, sodass eine Klageänderung i.S.d. § 99 Abs. 1 SGG vorliegend nicht zulässig ist.

Auch ist die Änderung der Untätigkeitsklage nach Erlass des Bescheids nicht i.S.d. § 99 Abs. 3 SGG nicht als eine Änderung der Klage anzusehen. Das wäre nur der Fall, wenn der Klagegrund nicht verändert würde, wie sich aus § 99 Abs. 3 ergibt. Vorliegend wird durch die Änderung der Klage aber der Klagegrund geändert, als nun nicht mehr eine Untätigkeit, also eine fehlende Behördenentscheidung, Grund der Klage ist, sondern die angebliche Rechtswidrigkeit einer ergangenen Behördenentscheidung. Es liegt auch kein Fall des § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG vor, denn der Kläger begehrt vorliegend nicht statt einer ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung. Vielmehr hat der Kläger zunächst schon keine Leistung i.S.d. § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG, sondern die Bescheidung seines Begehrens verlangt, was aber keine Leistung der Behörde darstellt.

4. Ist vorliegend die Berufung nicht zulässig, ist auch eine Änderung der Klage im Berufungsverfahren vorliegend nicht zulässig und liegt auch kein Fall des § 99 Abs. 3 SGG vor, so ist das vom Kläger erhobene Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 26.07.2018 insgesamt nicht zulässig.

Auch soweit der Kläger eine Voreingenommenheit des SG zugunsten der Beklagten annimmt, führt dies nicht zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels bzw. zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids (vgl. § 159 SGG), zumal der Senat auch in der Sache insoweit nicht feststellen kann, dass aus Sicht eines objektiven, neutralen Beobachters, aber auch subjektiv aus Sicht des Klägers durch die Verfahrensweise des SG und dessen Entscheidung die Besorgnis einer Befangenheit entstanden ist. Gründe oder Anhaltspunkte dafür hat auch der Kläger nicht dargelegt, solche konnte der Senat auch nicht feststellen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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