S 5 R 1714/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 R 1714/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig, ob der am 00.00.1967 geborene Kläger Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der Kläger besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er arbeitete bis April 2003 in ungelernten Tätigkeiten. Seitdem ist er arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II.

Der Kläger beantragte erstmals am 09.10.2008 Rente wegen Erwerbsminderung. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 05.02.2009 abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30.03.2011 zurückgewiesen. Am 08.04.2011 hatte der Kläger Klage erhoben. In dem Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie T (Gutachten vom 19.11.2012) eingeholt. Da ein aufgehobenes Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht festgestellt werden konnte, wurde die Klage durch rechtskräftiges Urteil vom 17.05.2013 abgewiesen.

Am 12.11.2014 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte ließ den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie I sozialmedizinischen begutachten. In seinem Gutachten vom 13.02.2015 führt der Gutachter die folgenden Diagnosen an:

Rezidivierende depressive Störung mit Panikanteilen, gegenwärtig allenfalls leichten Ausprägungsgrades. Vorbeschriebene Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und impulsiven Anteilen. Schädlicher Gebrauch von Zoplicon. Vorbeschriebene somatoforme autonome Funktionsstörung des Gastrointestinal-Trakts. Vorbeschriebenes Asthma bronchiale ohne gravierende Funktionseinschränkung.

Zum Leistungsvermögen führt der Gutachter aus, der Kläger könne noch als Lagerhelfer/Regal-Auffüller für 6 Stunden und mehr berufstätig sein. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung könnten in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht für 6 Stunden und mehr ausgeübt werden. Nachtdiensttätigkeiten und solche, die hohe Anforderung an die Umstellungsfähigkeit stellten, seien nicht mehr zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei ein sechs- und mehrstündiges Leistungsvermögen bei nicht voll ausgeschöpften therapeutischen Möglichkeiten zu bejahen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2015 den Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung erneut ab. Der Kläger könne noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 27.04.2015 Widerspruch ein. Er sei nicht in der Lage, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen, da erhebliche Einsatzbeschränkungen vorliegen würden. Die Auswirkungen der festgestellten Erkrankungen auf seine Leistungsfähigkeit seien vollständig unterschätzt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach der durchgeführten medizinischen Sachverhaltsaufklärung könne der Kläger noch mit Einschränkungen angepasste leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes regelmäßig 6 Stunden und mehr verrichten.

Am 21.08. 2015 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger ist nach wie vor der Auffassung, nicht in der Lage zu sein, einer gewinnbringenden Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können. Auch der gerichtliche Sachverständige habe die Auswirkungen der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen verkannt. Nach der Einschätzung seiner behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie X1-L1 sei eine tägliche Arbeitsleistung von 6 Stunden in Form einer körperlich leichten Tätigkeit für ihn nicht möglich.

Der Kläger beantragt nach seinen erkennbaren Interessen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.04.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2015 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung nach einem Leistungsfall vom 09.04.2015 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Verwaltungsentscheidung nach wie vor für rechtmäßig und beruft sich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme.

Das Gericht hat zunächst einen Befundbericht von der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie X1-L1 (Institutsambulanz der Klinik L2, L3) vom 05.11.2015 eingeholt. Dort wird der Kläger seit dem Jahr 2008 behandelt. Die Ärztin führt unter anderem aus, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei insoweit eingeschränkt, dass er nicht in der Lage sei, regelmäßig eine vollschichtige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Er könne von Seiten des psychiatrischen Fachgebiets keine 6 Stunden arbeitstäglich einer körperlich leichten Arbeit nachgehen. Der Gesundheitszustand habe sich im Wesentlichen nicht geändert.

Das Gericht hat zunächst zur weiteren Sachverhaltsaufklärung einen Sachverständigen in E zur Begutachtung des Klägers ernannt. Daraufhin teilte der Kläger mit, er könne nicht nach E kommen, da er wegen Panikattacken keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könne und bat, einen Sachverständigen in L3 zu benennen. Dieser Bitte hat das Gericht entsprochen und den Beweisbeschluss entsprechend geändert und den Arzt für Psychiatrie X2 in L3 zum Sachverständigen ernannt. Nunmehr teilte der Kläger mit, dass er einer Einbestellung durch den Sachverständigen in L3 nicht habe Folge leisten können, da er aufgrund von Panik-und Angstattacken seine Wohnung nicht verlassen könne.

Das Gericht hat sodann den Arzt für Nervenheilkunde S zum Sachverständigen ernannt und diesen beauftragt, den Kläger in häuslicher Umgebung zu begutachten.

In seinem Gutachten vom 13.09.2016 nennt der Sachverständige die folgenden Diagnosen:

Angst- und Panikstörung. Somatoforme Störung des Gastrointestinaltraktes. Kombinierte Persönlichkeitsstörung. Medikamentenabhängigkeit (Zopliclon).

Zum Leistungsvermögen führt der Sachverständige aus, der Kläger sei zumindest in der Lage, leichte Tätigkeiten zu verrichten. Die Arbeiten können sowohl im Sitzen, als auch im Gehen und Stehen erfolgen. Im Freien solle der Kläger unter Witterungsschutz arbeiten oder Tätigkeiten in geschlossenen Räumen verrichten. Tätigkeiten unter Zeitdruck, in Wechselschicht und Nachtschicht seien nicht mehr abzuverlangen. Gleiches gelte für Zwangshaltungen, häufiges Bücken und Knien sowie einseitige körperliche Belastungen. Auch der Einwirkung von Lärm solle der Kläger nicht ausgesetzt sein. Staub, Gas, Dämpfe oder Rauch seien ebenfalls zu meiden. Im Rahmen der Begutachtungssituationen hätten wesentliche Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Übersicht sowie Konzentration nicht herausgearbeitet werden können. Auch seien Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit nicht relevant gemindert. Der Kläger verfüge noch über ein genügendes Umstellungsvermögen, um betriebsfremde Arbeiten mit den erwähnten Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen auszuüben. Die Vorstellung des Klägers, nicht ausreichend leistungsfähig zu sein, sei durchaus in seiner psychischen Erkrankung begründet. Er sei jedoch in der Lage, durch eine Intensivierung der ärztlichen Behandlung mit entsprechender Hilfe dieses zu überwinden. Unter Beachtung der Einschränkungen könne der Kläger noch täglich 6 Stunden und mehr einer leidensgerechten Tätigkeit nachgehen. Im Übrigen führt der Sachverständige aus, dass die therapeutischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Für Heilmaßnahmen sei die Therapiemotivation nicht hinreichend gegeben. Mit der Einschätzung im Gutachten von I aus dem Verwaltungsverfahren vom 13.02.2015 sowie mit dem Gutachten von T vom 17.11.2009 aus dem vorangegangenen Gerichtsverfahren bestünde Übereinstimmung hinsichtlich der Beurteilung des sozialmedizinischen Leistungsvermögens.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich der Befunderhebung, Diagnostik und Beurteilung der Leistungsfähigkeit wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens, das den Beteiligten in Kopie übermittelt worden ist, verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte S 52 R 1169/11 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten über den Kläger, die vorgelegen haben Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, vollinhaltlich verwiesen. Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.11.2017 weder selbst erschienen noch vertreten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte im Termin vom 25. 11. 2017 einseitig verhandeln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (§§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG-) ist der Kläger in der Terminsmitteilung hingewiesen worden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 09.04.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2015 nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 SGG verletzt, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen werden von dem Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, erfüllt.

Die Kammer konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger voll oder teilweise erwerbsgemindert ist.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 3 S. 3 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sieht es die Kammer nicht als erwiesen an, dass das Leistungsvermögen des Klägers für die Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter 6 Stunden täglich gesunken ist.

Limitierend für das Leistungsvermögen des Klägers sind Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Diese hat der Sachverständige S in seinem Gutachten, wie im Tatbestand dargestellt, aufgeführt. Aufgrund dieser Leiden ist der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Er kann jedoch noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der Einschränkungen, wie der Sachverständige sie in seinem Gutachten beschrieben hat und die ebenfalls im Tatbestand wiedergegeben sind, für wenigstens 6 Stunden arbeitstäglich verrichten.

Die Kammer folgt damit der Einschätzung zum Leistungsvermögen des Klägers durch den Sachverständigen S. Der Sachverständige hat den Kläger in häuslicher Umgebung untersucht. Dabei hat er die aktenkundigen Vorbefunde in seine Begutachtung einfließen lassen. Das Gutachten, das in häuslicher Umgebung aufgrund einer umfassenden Untersuchung des Klägers erstellt wurde, überzeugt die Kammer.

Die den Kläger behandelnde Ärztin für Psychiatrie X1-L1 vertritt in ihrem Befundbericht vom 05.11.2015 zwar die Auffassung, der Kläger sei nicht in der Lage, einer körperlich leichten Tätigkeit für sechs Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Ferner führt sie aber aus, eine wesentliche Veränderung im Gesundheitszustand des Klägers sei nicht eingetreten, wobei die Behandlung dort im Jahre 2008 begann.

Der Einschätzung zum quantitativen Leistungsvermögen des Klägers durch die behandelnde Ärztin vermag die Kammer sich nicht anzuschließen. Bei einem im Wesentlichen gleichbleibenden Krankheitsbild ist davon auszugehen, dass die im Wesentlichen gleiche Beurteilung durch den Sachverständigen T in seinem Gutachten aus dem Vorprozess vom 19.11.2012 die Einschätzung von S stützt. Denn auch T konnte mit überzeugender Begründung kein aufgehobenes Leistungsvermögen beim Kläger objektivieren. Auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von I kommt zum gleichen Ergebnis. In Anbetracht dessen sieht die Kammer sich nicht veranlasst, der Beurteilung der Leistungsfähigkeit beim Kläger im Gutachten von S nicht zu folgen. Der Kläger ist dreimal psychiatrisch begutachtet worden. Dabei wurde jeweils festgestellt, dass der Kläger noch mit qualitativen Einschränkungen in der Lage ist, einer gewinnbringenden Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können. Einer zwischenzeitlich eingetretenen biografischen Veränderung (Tod der Mutter) ist lediglich eine vorübergehende Akzentuierung beizumessen, wie der Sachverständige S in seinem Gutachten dargelegt. Hinzu kommt, dass durch eine Intensivierung der (Psycho-) Therapie, die dem Kläger zumutbar ist, eine Besserung des Leidensbildes erzielt werden kann. Die therapeutischen Möglichkeiten sind nach den Darlegungen des Sachverständigen S nicht ausgeschöpft.

Damit erweisen sich die im Urteil vom 17.05.2013 –S 52 R 1169/11- dargelegten klageabweisenden Gründe, denen sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt, nach wie vor als zutreffend.

Allein die subjektive Einschätzung des Klägers, nicht ausreichend leistungsfähig zu sein, rechtfertigt nicht die Annahme, der Kläger sei im rentenberechtigten Grade in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt.

Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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