S 13 AL 638/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 13 AL 638/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die am xxxxx 1971 geborene Klägerin begehrt Arbeitslosengeld nach dem SGB III ab dem 1. Juli 2014 und wendet sich gegen die Ablehnung wegen mangelnder Erfüllung der Anwartschaftszeit.

Die Klägerin beantragte zum 1. Juli 2014 Arbeitslosengeld nach dem SGB III bei der Beklagten. Sie stand zuvor vom 15. Februar 2008 bis 30. Juni 2014 in einem Arbeitsverhältnis beim Axel- Springer- Verlag. Vom 1. Juli 2009 bis zum 30. September 2010 befand sich die Klägerin in Elternzeit und in der Zeit vom 17. März 2012 bis 31. Dezember 2013 in unbezahltem Urlaub. Zum 1. Januar 2014 wurde die Antragstellerin unwiderruflich unter Fortzahlung von Arbeitsentgelt freigestellt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines Aufhebungsvertrages am 30. Juni 2014.

Mit Bescheid vom 4. August 2014 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab. Sie führte aus, die Klägerin habe in den letzten zwei Jahren vor dem 1. Juli 2014 keine 12 Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die Anwartschaftszeit sei nicht erfüllt. Die Entscheidung beruhe auf den §§ 142, 143 SGB III.

Hiergegen legte die Klägerin am 4. September 2014 Widerspruch ein. Sie wies darauf hin, dass sie vom 17. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 projektbezogen freigestellt worden sei. Sie habe ein Sachbuch verfasst. Die Merkmale einer Anstellung seien aber nach wie vor gegeben gewesen. Unterbrechungen im Vollzug von Arbeitsverhältnissen seien dann unerheblich, wenn und solange das Arbeitsverhältnis nach dem Willen der Vertragsparteien fortgesetzt werden soll. Dies sei hier der Fall. Ob tatsächlich die Versicherungsbeiträge gezahlt würden, sei dagegen nicht relevant. Es seien die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. Februar 1984 (7 RAr 8/83) und vom 15. Dezember 1999 (B 11 AL 51/99 R) und des LSG Niedersachsen vom 13. Dezember 2001 (L 8 AL 368/00) zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie führte die Gründe aus, die bereits im Ablehnungsbescheid benannt waren, und ergänzte, dass die von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidungen nicht dem vorliegenden Sachverhalt entsprechen würden. Die Klägerin habe § 142 SGB III nicht erfüllt. Sie habe in der Rahmenfrist von zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit keine zwölf Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die Rahmenfrist umfasse den Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014. In dieser Zeit sei die Klägerin nur ab dem 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2014 versicherungspflichtig im Sinne der §§ 24, 25 SGB III tätig gewesen. In der Zeit des unbezahlten Urlaubs habe die Klägerin kein Arbeitsentgelt bezogen. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts beziehe sich auf § 104 Abs. 1 Satz 3 AFG, wonach Zeiten ohne Arbeitsentgelt, die vier Wochen nicht überschreiten, als versicherungspflichtig anzusehen gewesen waren. Die Entscheidung des LSG Niedersachsen betreffe einen anderen Sachverhalt, nämlich der Beschäftigungslosigkeit bei Weiterzahlung von Arbeitsentgelt. Genau aber hieran fehle es im Falle der Klägerin.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. Oktober 2014 Klage erhoben. Sie bezieht sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und beantragt,

den Bescheid vom 4. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab dem 1. Juli 2014 Arbeitslosengeld in Höhe der gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Dem Gericht haben neben der Gerichtsakte auch die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Für weitere Einzelheiten zum Sachverhalt wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klage ist zulässig; sie wurde form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 4. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Anspruchsvoraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat insbesondere im Widerspruchsbescheid die Sach- und Rechtslage zutreffend wiedergegeben. Das Gericht nimmt hierauf ausdrücklich Bezug und sieht insoweit von einer eigenen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung in den § 24 und § 25 SGB III geregelt ist. Nach § 24 Abs. 1 SGB III stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Nach § 25 Abs. 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Diese Voraussetzungen sind für die Zeit vom 17. März 2012 bis 31. Dezember 2013 nicht erfüllt. Die Klägerin war in dieser Zeit nicht als Beschäftigte tätig, denn sie hat nicht gegen Arbeitsentgelt gearbeitet.

An diesem Merkmal der Fortzahlung des Arbeitsentgelts fehlt es insbesondere in der Zeit des unbezahlten Urlaubs, denn die Klägerin hat in dieser Zeit kein Arbeitsentgelt ihres Arbeitgebers erhalten. Dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch ausgeführt. Sie hat angegeben, dass sie in der Zeit des unbezahlten Urlaubs ein Buch verfasst und von den Vorschüssen des (Buch-)Verlags gelebt habe. Sie habe auch ein paar Artikel für ihren Arbeitgeber geschrieben, allerdings wisse sie nicht, wie und ob dies überhaupt abgerechnet worden sei. Sie habe dies möglicherweise wie eine freie Mitarbeiterin abrechnen können. Hieraus geht zur Überzeugung der Kammer hervor, dass jedenfalls kein Arbeitsentgelt des Axel-Springer-Verlages während der Zeit des unbezahlten Urlaubs gezahlt worden ist.

Die Zeit des unbezahlten Urlaubs ist aber ohne Entgelt nicht als Beschäftigungszeit im Sinne der Versicherungspflicht anzusehen. Im vorliegenden Fall ist bedeutsam, dass die Zeit des unbezahlten Urlaubs eine Zeitspanne von über einem Jahr umfasste. Unter Berücksichtigung von § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV gilt ein Arbeitsverhältnis als solange fortbestehend, wie es ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Damit hat der Gesetzgeber bereits eine zeitliche Grenze gesetzt für Beschäftigungszeiten ohne Arbeitsentgelt. Auf die Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses allerdings hat der Gesetzgeber nicht verzichtet. Die hier zitierte Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV gilt mit diesem Wortlaut seit dem 1. Januar 1999. Auch die vor dieser Zeit ergangene Rechtsprechung hatte bereits eine nur kurze Zeit ohne Arbeitsentgelt dem Beschäftigungsverhältnis als nicht entgegenstehend angesehen. So hat bereits das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 13. Februar 1964 (3 RK 94/59) im Zusammenhang mit Mutterschutz und anschließender Beurlaub auf unbestimmte Zeit entschieden, dass eine Beurlaubung ohne Arbeitsentgelt vor dem Mutterschutz das Versicherungsverhältnis jedenfalls beende, wenn die Beurlaubung länger als drei Wochen umfasse. Auch am 21. Juni 1960 urteilte das Bundessozialgericht (3 RK 71/57), dass ein unbezahlter Urlaub von verhältnismäßig kurzer Dauer (fünf Tage) das Beschäftigungsverhältnis nicht beende. Schließlich hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1999 (B 11 AL 51/99 R) ausgeführt, dass kurze Unterbrechungen im Vollzug des Arbeitsverhältnisses für die Anwartschaftszeit nach § 104 Abs. 1 Satz 3 AFG unerheblich wären. Hierin bezog sich das Bundessozialgericht auf ein Urteil vom 3. Dezember 1998 (B 7 AL 108/97 R), in welchem Zwischenzeiten ohne Arbeitsentgelt, die vier Wochen nicht überschreiten, auch zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen. Die hier zu betrachtende Zeit vom 17. März 2012 bis zum 31. Dezember 2013 überschreitet einen Zeitrahmen von vier Wochen deutlich, so dass diese Zeit nicht als zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienliche Zeit herangezogen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass der nur auf so kurze Zeit beschränkte Rahmen eines für die Versicherungspflicht unschädlichen Arbeitsverhältnisses ohne Entgelt zu kurz gegriffen wäre, bestehen nicht. Zweck der nur für einen Zeitraum von vier Wochen unschädlichen Entgeltausfalls während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses ist, den Betroffenen für nur einen sehr überschaubaren Zeitraum den Wechsel in andere Versicherungssysteme zu ersparen.

Sofern die Bevollmächtigte der Klägerin auf die Entscheidungen vom 13. Dezember 2001 des LSG Niedersachsen (L 8 AL 368/00) und 22. Februar 1984 des Bundesozialgerichts (7 RAr 8/83) Bezug nimmt, kann sich das Gericht lediglich der Ansicht der Beklagten anschließen. Diese Entscheidungen betreffen andere Fallkonstellationen. Dem Fall aus Niedersachsen lag die Konstellation zugrunde, dass eine Freistellung ohne Arbeitsleistung aber mit Entgelt vorlag. Im Fall des BSG lag ein Studium mit berufspraktischen Anteilen vor, bei dem die Frage im Raum stand, ob es sich hierbei um eine anwartschaftszeitbegründende versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt hat. Auch hier war in der Zeit des berufspraktischen Teils Arbeitsentgelt gezahlt worden. Im Falle der Klägerin geht es gerade um die Frage, ob bei bestehendem Arbeitsverhältnis ohne Entgeltzahlung für mehr als 4 Wochen noch ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Soweit die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass sie jahrelang eingezahlt habe und nun durch die Maschen des Systems falle, vermag dies ein anderes Ergebnis nicht zu rechtfertigen. Es ist dem Gesetzgeber, der in der Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips frei ist, nicht verwehrt, den Anspruch auf Arbeitslosengeld zeitlich eng mit dem Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses zu verknüpfen, wie es durch das Erfordernis der Erfüllung der Anwartschaftszeit von 360 versicherungspflichtigen Beschäftigungstagen innerhalb von 2 Jahren vor Beginn des Leistungsfalles geschehen ist. Dass die Klägerin durch die Maschen des Systems gefallen wäre, lässt sich nicht feststellen, denn im schlimmsten Fall einer Unterdeckung ihres Lebensbedarfs, die nicht durch Einkünfte und Vermögen zu beseitigen gewesen wäre, wären Leistungen nach dem SGB II in Betracht gekommen, um den Lebensunterhalt der Klägerin und ihres Kindes zu sichern.

Auch vermag die mangelnde Aufklärung der Klägerin über die Konsequenzen des unbezahlten Urlaubs in Bezug auf einen Arbeitslosengeldanspruch nichts an der getroffenen Entscheidung zu ändern. Die Bundesagentur für Arbeit war nicht involviert, als die Klägerin den unbezahlten Urlaub nahm. Auch ein ggfls. durch die Krankenkasse unterlassener Hinweis auf die fehlende Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung für die Zeit des unbezahlten Urlaubs kann nicht zu einem Beratungsverschulden durch Sozialversicherungsträger führen und den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Zum einen hätte die Klägerin selbst erkennen müssen, dass sie während der Zeit des unbezahlten Urlaubs keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abführt. Zum anderen wäre ein solcher Anspruch ohnehin nur auf eine rechtmäßige Amtshandlung gerichtet, die jedenfalls eine gesetzwidrige Arbeitslosengeldbewilligung nicht wäre. Darüber hinaus dürfte aber auch der Krankenkasse nicht ersichtlich gewesen sein, dass die Klägerin mit dem unbezahlten Urlaub einen Anspruch auf Arbeitslosengeld gefährden könnte. Zur Zeit der Beurlaubung ohne Arbeitsentgelt und dem Wechsel der Klägerin aus der gesetzlichen in die freiwillige Krankenversicherung dürfte nicht sicher absehbar gewesen sein, dass nach Beendigung des unbezahlten Urlaubs das Arbeitsverhältnis gegen Arbeitsentgelt nicht lange genug wieder aufgenommen werden würde, um ggfls. Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen zu können. Eine Beratung ins Blaue hinein ist kein Versicherungsträger zu führen verpflichtet. Auch die Klägerin selbst hat nicht vorhersehen können, dass nach der Rückkehr aus dem unbezahlten Urlaub am 31. Dezember 2013 das Arbeitsverhältnis im Grunde nicht wieder aufgenommen würde. Zum 1. Januar 2014 wurde ein Aufhebungsvertrag mit Freistellung bis zum 30. Juni 2014 geschlossen. Wenn schon für die Klägerin kein Anlass bestanden hat, sich Fragen um die soziale Absicherung während und nach der Zeit des unbezahlten Urlaubs zu stellen, weil sie von einer Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses ausging, so dürfte auch für keinen Sozialleistungsträger ein Anlass gesetzt gewesen sein, auf den möglichen Verlust der Risikoabsicherung durch die Arbeitslosenversicherung hinzuweisen. Dass daran ein Verlust weiterer möglicher Ansprüche, zum Beispiel auf Gründungszuschuss, geknüpft ist, dürfte ein Ergebnis des für einen Leistungsanspruch ungünstigen Verlaufs, insbesondere wegen der nicht vorhersehbaren Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits zum 30. Juni 2014, sein. Ob die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2014 als anwartschaftszeitbegründend anzusehen ist, in der die Klägerin von der Arbeit gegen Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellt war, muss nicht entschieden werden.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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