S 14 KR 77/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 77/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 02.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 verurteilt, die Klägerin ab dem 01.07.2003 als freiwilliges Mitglied zu versichern. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die freiwillige Krankenversicherung der Klägerin.

Die am 01.08.1959 in B/Kasachstan geborene Klägerin ist Abkömmling eines anerkannten Spätaussiedlers (F X, geb. am 23.08.1936, als Bezugsperson). Sie übersiedelte am 25.12.2001 in die Bundesrepublik und war hier aufgrund Bezuges von Eingliederungshilfe pflichtversichert und Mitglied der Beklagten. Derzeit erhält sie Sozialhilfe.

Die Klägerin beantragte im Juni 2003 bei der Beklagten den Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung. Mit Bescheid vom 02.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, weder erfülle sie die erforderliche Vorversicherungszeit noch ergäbe sich ein Beitrittsrecht aus § 10 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FARG), da sie nicht anerkannte Spätaussiedlerin im Sinne des § 4 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) sei; Abkömmling von Spätaussiedlern seien diesen nicht gleichzusetzen.

Hiergegen richtet sich die am 22.12.2003 erhobene Klage, mit welcher die Klägerin geltend macht, entgegen der Auffassung der Beklagten zählten auch Abkömmlinge eines Spätaussiedlers zu dem begünstigten Personenkreis. Da sie auch bis unmittelbar vor ihrer Übersiedlung im Aussiedelungsgebiet als Gynäkologin beschäftigt und krankenversichert gewesen sei, sei sie als freiwilliges Mitglied von der Beklagten aufzunehmen. Klageunterstützend bezieht sie sich auf ein an die Gemeinde Extertal gerichtetes Schreiben des Landesversicherungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 05.09.2000, in welchem dieses die grundsätzliche Rechtsauffassung der Klägerin für rechtlich vertretbar erachtete.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 zu verurteilen, sie ab dem 01.07.2003 als freiwilliges Mitglied aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer Rechtsauffassung.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Beklagte ist verpflichtet, die freiwillige Versicherung der Klägerin ab dem 01.07.2003 durchzuführen. Der entgegenstehende Bescheid vom 03.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 war insoweit aufzuheben, weil er die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- beschwert. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Versicherungsberechtigung der Klägerin liegen vor. Die Klägerin erfüllt zwar nicht die Beitrittsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB V-, wonach der freiwilligen Versicherung beitreten können Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren; diese Vorversicherungszeiten können nämlich nur mit Versicherungszeiten erfüllt werden, die bei einem inländischen Versicherungsträger zurückgelegt sind, da nach der Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 das Recht zur Weiterversicherung vom Ausscheiden als "Mitglied" abhängig gemacht wird, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die beitrittsberechtigten Personen aus einer Krankenkasse im Geltungsbereich des SGB V ausgeschieden sein müssen (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 9 SGB V Anm. 15, 17).

Das Beitrittsrecht ergibt sich jedoch aus § 10 Abs. 1 Satz 1 FARG (BGBl. I, Seite 848, 853) in der Fassung des Gesetzes über die Verwaltung der Mittel der Träger der Krankenversicherung (KVMG) vom 15.12.1979 (BGBl. I, Seite 2241, 2246). Hiernach können die in den §§ 1 bis 4 des BVFG bezeichneten Personen, die bis zum Verlassen ihres früheren Aufenthaltsbereiches bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren, ihre frühere Krankenversicherung (Pflicht- oder freiwillige Versicherung) auf Antrag innerhalb von 6 Monaten nach dem in Abs. 2 bezeichneten Zeitpunkt fortsetzen (Artikel 8 Nr. 1 KVMG). Nach § 10 Abs. 2 FARG beginnt insoweit die Frist von 6 Monaten mit dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat folgt, indem der Aufenthalt genommen wird.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin war bis unmittelbar (schädlich sind hier nur Unterbrechungszeiten von mehr als 4 Wochen -vgl. Hauck/Haines, Gesetzliche Krankenversicherung, § 9 SGB V-) vor ihrer Übersiedelung krankenversichert und hat auch fristgemäß noch vor dem 30.06.2003 die Fortsetzung ihrer früheren Versicherung beantragt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten gehört die Klägerin auch zum beitrittsberechtigten Personenkreis; dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin selbst nicht als Spätaussiedlerin im Sinne der §§ 4, 15 BVFG anerkannt ist, vielmehr Abkömmling eines Spätaussiedlers ist, da § 10 Abs. 1 Satz 1 FARG in der Fassung des KVMG eine Unterscheidung zwischen Spätaussiedlern und deren Abkömmlingen nicht zu entnehmen ist, vielmehr uneingeschränkt auf die in den §§ 1 bis 4 BVFG bezeichneten Personen verweist. Ebenso wie das Sozialgericht Duisburg in dem den Beteiligten bekannt gegebenen Urteil vom 22.02.2002 (S 9 KR 2005/00) vertritt insoweit die Kammer die Auffassung, dass diejenigen Personen, deren Status in den genannten Normen der §§ 1 bis 4 BVFG geregelt wird, ohne weitere Beschränkungen dem Anwendungsbereich des § 10 FARG unterfallen; insbesondere § 4 BVFG befasst sich nicht nur mit den Spätaussiedlern, sondern ausdrücklich auch mit deren Abkömmlingen. Anhaltspunkte dafür, dass diese vom Anwendungsbereich des § 10 FARG ausgeschlossen sein sollen, finden sich nicht. Auch bestimmt § 7 Abs. 2 Nr. 1 BVFG, dass die Abkömmlinge des Spätaussiedlers in wesentlichen Bereichen, auch wenn sie die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht erfüllen, gleichgestellt werden sollen. Insoweit stellt sich die Bezugnahme des § 10 Abs. 1 FARG auf die §§ 1 bis 4 BVFG allgemein als Fortführung dieser Gleichstellungsabsicht, bezogen auf Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung, dar. Hätte der Gesetzgeber eine der Auffassung der Beklagten entsprechende Regelung gewollt, hätte er dies deutlich machen können und müssen; allein die Formulierung "bezeichnete Personen" lässt eine Auslegung der maßgebenden Vorschriften im Sinne der Beklagten, lediglich der in den Überschriften der §§ 1 bis 4 BVFG (hier: § 4 BVFG "Spätaussiedler") erfasste Personenkreis habe das Recht zur Weiterversicherung nicht zu, zumal zu vergegenwärtigen ist, dass § 2 Abs. 2 des 1. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB I- den Auftrag einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte statuiert, so dass eine Pflicht zur teleologischen, bürgerfreundlichen Interpretation sämtlicher Normen des SGB, im Zweifel auch zugunsten des potentiellen Anspruchsinhabers, besteht (vgl. Kasseler Kommentar, § 2 SGB I Anm. 10).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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