L 7 AS 1097/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 439/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1097/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 21.06.2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Sanktionsbescheid des Antragsgegners.

Der im Jahr 1973 geborene Antragsteller ist diplomierter Wirtschaftsingenieur. Er ist alleinstehend und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner. Kosten für Unterkunft und Heizung macht er gegenüber dem Antragsgegner nicht geltend.

Mit Eingliederungsbescheiden vom 14.09.2016 und 30.03.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.09.2016 und 05.05.2017 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller, in den Zeiträumen vom 14.09.2016 bis zum 13.03.2017 und vom 30.03.2017 bis zum 29.09.2017 Bewerbungsbemühungen zu unternehmen. Der Bescheid vom 14.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.201 ist nach der Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG (Beschluss vom 19.10.2017 - B 14 AS 360/17 B) bestandskräftig. Gegen den Bescheid vom 30.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2017 hat der Antragsteller erfolglos geklagt (SG Aachen Urteil vom 22.03.2018 - S 2 AS 418/17), die hiergegen eingelegte Berufung vom 27.04.2018 ist unter dem Aktenzeichen L 7 AS 682/18 beim Senat anhängig.

Der Antragsteller kam den ihm auferlegten Obliegenheiten durchgehend nicht nach. Mit Bescheiden vom 11.04.2016 und 12.10.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.05.2016 und 18.10.2016 stellte der Antragsgegner Sanktionen iHv 30 bzw 60 Prozent des Regelbedarfs des Antragstellers und mit Bescheid vom 14.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers fest. Zuletzt stellte er mit Sanktionsbescheid vom 23.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 und mit Sanktionsbescheid vom 15.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.10.2017 bis zum 31.12.2017 fest. Beide Sanktionen begründete der Antragsgegner damit, dass der Antragsteller entgegen den Verpflichtungen aus dem Eingliederungsbescheid vom 30.03.2017 keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen habe. Gegen den Sanktionsbescheid vom 23.06.2017 hat der Antragsteller am 02.08.2017 bei dem SG Aachen Klage erhoben (S 4 AS 595/17), gegen den Sanktionsbescheid vom 15.09.2017 hat der Kläger am 08.11.2017 bei dem SG Aachen Klage erhoben. Dieses hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2018 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die beim Senat am 27.04.2018 erhobene Berufung L 7 AS 683/18.

Mit Bescheid vom 14.09.2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2018 in Gestalt des Regelbedarfs in Höhe von monatlich 409 EUR.

Mit Schreiben vom 11.10.2017 lud der Antragsgegner den Antragsteller zu einem Beratungsgespräch am 26.10.2017 ein. Der Antragsteller erschien zu diesem Gespräch nicht und erklärte mit Schreiben vom 07.11.2017, er nehme entsprechende Einladungen nicht an und sei nicht an Beratungsdienstleistungen des Antragsgegners interessiert.

Am 19.12.2017 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller wiederum einen Eingliederungsbescheid. Dieser bezog sich auf den Zeitraum vom 19.12.2017 bis zum 18.06.2018, soweit nichts anderes bestimmt wurde, längstens jedoch bis zum Ende des Leistungsanspruchs. Der Antragsgegner führte aus, der Bescheid entspreche im Wesentlichen dem Inhalt einer mit dem Antragsteller zu schließenden Eingliederungsvereinbarung. Hauptziel sei die Aufnahme einer Beschäftigung des Antragstellers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Antragsgegner bot dem Antragsteller Bewerbungsgespräche an und sicherte ihm zu, ihn pro schriftlicher Bewerbung mit einem Betrag von 5 EUR (bis zu 300 EUR insgesamt im Jahr) und mit Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen zu unterstützen, das Bewerberprofil des Antragstellers mit Stellenangeboten abzugleichen und ihn für geeignete Stellen vorzuschlagen sowie bei entsprechenden Voraussetzungen über einen Eingliederungszuschuss oder Einstiegsgeld zu unterstützen. Unter "Aufgaben des Kunden" heißt es unter anderem: "Ich reiche eine vollständige aktualisierte Bewerbungsmappe bis zum 05.01.2018 ein", "Ich bemühe mich regelmäßig um eine Arbeitsstelle ( ...) und bewerbe mich mindestens 5 mal kalendermonatlich ( ...)", "Ich halte meine Eigenbemühungen vollständig (d.h. alle Sparten werden ausgefüllt) auf dem beigefügten Aktionsplan fest und lege den Aktionsplan der job-com unaufgefordert jeweils bis zum 3. des Folgemonats vor." In der Rechtsfolgenbelehrung führt der Antragsgegner aus: "Sollten Sie ohne wichtigen Grund gegen eine Ihnen aufgrund dieses Verwaltungsaktes auferlegten Pflichten verstoßen - insbesondere Eigenbemühungen nachzuweisen - werden die in ihrem letzten Leistungsbescheid gewährten Alg II-Leistungen für die Dauer von drei Monaten um 100% gemindert. In diesem Falle erhalten Sie weder Regelbedarfe, Mehrbedarfe noch Unterkunftskosten." Der Auszahlungsanspruch mindere sich mit Anfang des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Sanktionsbescheides folge.

Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.01.2018 zurück. Gegen das klageabweisende Urteil des SG Aachen vom 26.02.2018 richtet sich die am 10.04.2018 bei dem Senat erhobene Berufung L 7 AS 562/18.

Der Antragsteller wies in den Folgemonaten keine Bewerbungsbemühungen beim Antragsgegner nach. Mit Schreiben vom 08.01.2018 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zum Erlass einer Sanktion an. Dieser habe bis zum 03.01.2018 keinen Aktionsplan eingereicht. Der Antragsteller führte mit Schreiben vom 22.01.2018 aus, er werde nie einen Arbeitsvertrag unterschreiben, solange er vom Gesetzgeber gezwungen werde, "ein staatsmonopolistisches, inflationierbares Zwangsgeld mit einem intrinsischen Wert von Null (Fiat-Money) als Entlohnung für seine Arbeitsleistung zu akzeptieren" und solange er gezwungen werde, über Steuern und Abgaben völkerrechtswidrige Angriffskriege zu finanzieren.

Mit Bescheid vom 01.02.2018 stellte der Antragsgegner eine Minderung der Leistungen des Antragstellers für den Zeitraum vom 01.03.2018 bis zum 31.05.2018 um 100 Prozent fest. Er hob den "vorangegangenen Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheid" insofern auf. Der Antragsteller habe am 03.01.2018 keinen Aktionsplan und zum 05.01.2018 keine aktualisierte Bewerbungsmappe eingereicht. Die im Anhörungsverfahren vorgebrachten Gründe führten zu keiner anderen Entscheidung. Sofern der Antragsteller sich nachträglich dazu bereit erkläre, seinen Pflichten nachzukommen, könne die Minderung der Leistungen auf 60 Prozent des Regelbedarfs begrenzt werden. Bei einer Minderung um mehr als 30 Prozent sei es möglich, ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen. Der Krankenversicherungsschutz erlösche aufgrund der Sanktion, könne durch die Gewährung von Sachleistungen aber wieder ausgelöst werden.

Am 08.02.2018 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen diesen Bescheid. Dieser verstoße gegen sein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2018 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Da der Antragsteller den ihm mit dem Eingliederungsbescheid auferlegten Pflichten nicht nachgekommen sei, lägen die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II vor. Zweifel an einer Vereinbarkeit der Sanktionsvorschriften mit dem Grundgesetz ergäben sich nicht.

Am 04.05.2018 hat der Antragsteller beim SG Aachen Klage gegen den Bescheid vom 01.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2018 (S 4 AS 440/18) erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen. Weiter bezieht er sich auf seinen Vortrag im Berufungsverfahren L 7 AS 562/18. Dort führt er unter anderem aus: "Auch ist es mir unmöglich, einen Antrag auf ergänzende Sachleistungen bei dem Beklagten zu stellen. Bei Menschen, die mich unter Sanktionsandrohung gegen meinen geäußerten Willen als freier Mensch zum Lügen zwingen wollen, mich befehligen und bevormunden, Gutscheine erbetteln zu müssen, weil ich mich weigere zu lügen und auf meine o.g. Grundrechte zu verzichten, ist für mich undenkbar."

Mit Beschluss vom 21.06.2018 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Insbesondere widersprächen die Sanktionsregelungen der §§ 31 ff. SGB II nicht dem Grundgesetz. Der dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Teilhabeleistungen eingeräumte Spielraum ermögliche abgesenkte Leistungen bei Pflichtverletzungen und stehe einem Sanktionssystem nicht schlechthin entgegen. Aus dem Grundgesetz lasse sich kein Anspruch auf das vom Kläger begehrte bedingungslose Grundeinkommen ableiten. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sei außer aus Art. 1 Abs.1 GG auch aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten. Es verbiete sich, einen absoluten, nicht einschränkbaren Geltungsanspruch einzufordern.

Am 30.06.2018 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den ihm am 23.06.2018 zugestellten Beschluss erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.07.2018 hat das SG die Klage im Wesentlichen mit der Begründung des Beschlusses vom 21.06.2018 abgewiesen. Am 19.07.2018 hat der Kläger Berufung gegen den ihm am 18.07.2018 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid vom 01.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2018.

Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier gem. § 39 Nr. 1 SGB II - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da § 39 Nr. 1 SGB II das Vollzugsrisiko bei Sanktionsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 02.03.2017 - L 7 AS 57/17 B ER, vom 24.03.2016 - L 7 AS 372/16 B ER und vom 19.03.2014 - L 7 AS 321/14 B ER; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 12a ff mwN).

Hier überwiegt das Aussetzungsinteresse nicht das Vollzugsinteresse. Der angefochtene Bescheid ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Antragsteller festgestellte Sanktion ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Indem der Antragsteller nach dem Erlass des Eingliederungsbescheides vom 19.12.2017 keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen hat, hat er sich geweigert, in dem Eingliederungsbescheid festgelegte Pflichten zu erfüllen.

Der der Sanktion zugrundeliegende Eingliederungsbescheid vom 19.12.2017 ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig.

Eine Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides, nicht nur seine Wirksamkeit und Vollziehbarkeit, ist grundsätzlich Voraussetzung für die Annahme einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II:

Zwar ist u.a. im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht anerkannt, dass ein Verwaltungsakt bereits befolgt werden muss, wenn er wirksam ist, für eine Befolgungspflicht kommt es grundsätzlich nicht auf die Rechtsmäßigkeit des Bescheides an. Dieser Grundsatz gilt jedoch unstreitig bereits nur im Bereich der Verwaltungsvollstreckung. Ist - wie hier - die Rechtmäßigkeit von Sanktionen zu prüfen, ist auch im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht umstritten, ob die Wirksamkeit eines anordnenden Bescheides ausreicht oder eine Rechtmäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.03.1998, 1Ss 367/97). Im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist darüber hinaus maßgeblich, dass die mit deren Bewilligung einhergehenden Pflichten nach § 31, 32 SGB II der Sache nach keine echten Rechtspflichten, sondern (nur) Obliegenheiten darstellen, die nicht - wie zB im Polizei- und Ordnungsrecht - im Interesse der Allgemeinheit Handlungsgebote festlegen, sondern (nur) im jeweiligen Leistungsverhältnis wirken sollen. Das deutsche Recht kennt grundsätzlich keine Arbeitspflicht. Art. 12 Abs. 2 GG verbietet eine solche außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Obliegenheiten begründen für den Begünstigten - hier den Antragsgegner - weder einen primären Erfüllungsanspruch noch bei Verletzung einen sekundären Schadensersatzanspruch. Rechtsnachteile für den durch die Obliegenheit Belasteten entstehen nur dadurch, dass dieser einen ansonsten bestehenden Anspruch verliert. Verletzt der Betroffene eine Obliegenheit, so schmälert dies seine Rechtsposition. Das fehlende primäre Erfüllungsinteresse der Allgemeinheit rechtfertigt es, abweichend zB zum Polizei- und Ordnungsrecht, die Befolgungspflicht von der Rechtmäßigkeit der Handlungsaufforderung abhängig zu machen und eine Sanktion nur bei einer Rechtmäßigkeit der Handlungsaufforderung zuzulassen. So ist es auch im Rahmen der systematisch als Vorläufer der §§ 31 ff. SGB II zu sehenden Sperrzeitenregelung des § 159 SGB III anerkannt, das eine Sperrzeit wegen eines Meldeversäumnisses gemäß § 159 Abs.1 Satz 2 Nr. 6 SGB III nur festgestellt werden kann, wenn die Meldeaufforderung rechtmäßig war (Karmanski in Brand, SGB III, 8. Auflage 2017, § 159 Rn. 109).

Die abweichende Auffassung, die einen wirksamen Eingliederungsbescheid für die Rechtmäßigkeit einer Sanktion ausreichen lässt (vgl. ua SG Berlin, Urteil vom 09.07.2014 - S 205 AS 30970/13) führt auch zu problematischen prozessualen Konsequenzen: Auch wenn ein rechtswidriger Eingliederungsbescheid nach Widerspruch und Klage aufgehoben würde, müsste es bei einer Sanktionierung bleiben, denn auch in diesem Fall hätte der Hilfebedürftige zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Pflichtverletzung einer ihm durch wirksamen und vollziehbaren Verwaltungsakt auferlegten Handlungspflicht nicht genügt. Die Wirksamkeit einer durch den Eingliederungsbescheid auferlegten Obliegenheit könnte nur durch ein Eilverfahren nach § 86b Abs. 1 SGG gehindert werden. Im einem solchen Eilverfahren hätte das zuständige Gericht die Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsbescheides zu prüfen, die aber für die Feststellung einer Sanktion gar nicht relevant wäre. Eine auf einer nur summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides beruhende gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsbescheid könnte den Vorwurf der Pflichtverletzung und einer Sanktionierung verhindern, die vollständige Aufhebung desselben im Hauptsacheverfahren aber nicht. Die Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt, würde allein von der Entscheidung des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen den Eingliederungsbescheid abhängig gemacht. Zudem wäre das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen einen Eingliederungsbescheid in Ermangelung einer Relevanz für ein gegen die Sanktion gerichtetes Verfahren problematisch.

Offen bleiben kann, ob und ggfs. in welchem Umfang die Bestandskraft eines Eingliederungsbescheides für die Rechtmäßigkeit einer Sanktion maßgeblich ist, denn der Bescheid vom 19.12.2017 ist noch nicht bestandkräftig.

Ermächtigungsgrundlage für den Eingliederungsbescheid sind §§ 15 Abs. 2, 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II. Hiernach sollen die in einer Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Regelungen durch Verwaltungsakt getroffen werden, wenn eine Vereinbarung nach § 15 Abs.2 SGB II nicht zustande kommt. Der Antragsgegner war befugt, einen Eingliederungsbescheid zu erlassen. Nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II sollen die Regelungen einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Der Senat lässt offen, ob es sich hierbei um eine reine Verfahrensvorschrift handelt und der Grundsicherungsträger selbst entscheiden kann, welchen Weg er zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wählt (so BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 13/09 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.05.2011 - L 19 AS 344/11 B ER, L 19 AS 345/11 B ER) oder die Regelung einen Vorrang der konsensualen Lösung durch eine in gegenseitigem Einvernehmen geschlossene Vereinbarung vor dem Ersatz der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt anordnet (so BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R; vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 29.01.2015 - L 7 AS 1305/14). Auch nach letztgenannter Ansicht wären die Voraussetzungen für den Erlass des Eingliederungsbescheides gegeben, denn der Antragsteller hat nach Einladungen zu Beratungsgesprächen beim Antragsgegner mit Schreiben vom 07.11.2017 erklärt, dass er die Termine nicht wahrnehmen werde und an Beratungsdienstleistungen des Antragsgegners nicht interessiert sei.

Auch der Inhalt des Eingliederungsbescheides ist rechtmäßig. Der Eingliederungsbescheid ist an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden Eingliederungsvereinbarung verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der Eingliederungsvereinbarung zu wahren sind. Auch die Regelungen eines Eingliederungsbescheides müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind (BSG, Urteil vom 23. 06.2016 - B 14 AS 42/15 R). Auch für den Eingliederungsbescheid sind die für den öffentlich-rechtlichen Vertrag in § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X formulierten Maßgaben entscheidend, d.h. einem an den Hilfebedürftigen gerichteten zumutbaren Verlangen muss eine mit diesem in Zusammenhang stehende, angemessene und konkret bestimmte Gegenleistung der Behörde gegenüberstehen. Dies war hier der Fall. Gemäß dem Vorspann des Eingliederungsbescheides dient dieser einer Eingliederung des Antragstellers in Arbeit und entspricht damit dem auch für den Abschluss einer möglichen Eingliederungsvereinbarung maßgeblichen Grundgedanken. Gemessen hieran waren zunächst die in dem Eingliederungsbescheid für den Antragsteller formulierten Aufgaben angemessen, sinnvoll und zumutbar. Die Einreichung einer aktualisierten Bewerbungsmappe beim Antragsgegner diente dazu, die beim Antragsteller vorhandenen Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen festzustellen und mit Angeboten auf dem Stellenmarkt abzugleichen. Es ist dem Antragsteller überdies zumutbar, pro Monat fünf Bewerbungen - ggf. auch telefonisch - zu tätigen. Die Zahl der zu fertigenden Bewerbungen entzieht sich schematischen Betrachtungen (BSG Urteil vom 23. 06.2016 - B 14 AS 42/15 R). Im Falle des Antragstellers sind seine berufliche Qualifikation als diplomierter Wirtschaftsingenieur und die aus zahlreichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erkennbare Fähigkeit zur Formulierung zu berücksichtigen. Gegen die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides ist auch nicht einzuwenden, dass in Eingliederungsvereinbarungen grundsätzlich nicht starr an Zielen festgehalten werden darf, die sich als erfolglos erwiesen haben (BSG Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 42/15 R), denn die Erfolglosigkeit der vom Antragsgegner verfolgten Vermittlungsstrategie beruht nicht auf ihrer Fehlerhaftigkeit, sondern auf der dauerhaften Weigerung des Antragstellers, sich auf Eingliederungsbemühungen jedweder Natur einzulassen. Weiter ist es zumutbar, dass der Antragsteller seine Bewerbungsbemühungen zu dokumentieren und dem Antragsgegner monatlich vorzulegen hat, denn nur so können diese kontrolliert und ggf. durch weitere Hinweise des Antragsgegners optimiert werden.

Die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides scheitert nicht an unzureichenden Gegenleistungen des Antragsgegners. Die Übernahme von Kosten für Bewerbungen und Fahrtkosten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den dem Antragstellerauferlegten Obliegenheiten. Der pauschal gewährte Betrag von 5 EUR für eine Bewerbung scheint ausreichend, zumal Bewerbungen auch telefonisch oder per E-Mail erfolgen können und Fahrtkosten gesondert übernommen werden. Die Verpflichtungen des Antragsgegner, das Bewerberprofil des Antragstellers mit Stellenangeboten abzugleichen und ihm geeignete Vorschläge zu machen sowie ihn gegebenenfalls mit einem Eingliederungszuschuss oder einem Einstiegsgeld zu unterstützensind nicht zu schematisch, denn die durch die Regelungen des § 15 SGB II angestrebte maßgeschneiderte Ausrichtung der Eingliederungsleistungen (BSG Urteil vom 23. 06. 2016 - B 14 AS 42/15 R) kann nicht unabhängig von der Mitwirkung des Hilfebedürftigen gesehen werden. Verwehrt dieser sich den Eingliederungsbemühungen vollständig und arbeitet er nicht an der Erstellung eines Bewerberprofils mit, kann der Träger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur mit den ihm zur Verfügung stehenden Informationen eher allgemeiner Natur arbeiten und seine Bemühungen hieran ausrichten.

Eine ausreichende schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen liegt vor. Der Antragsteller wird im Eingliederungsbescheid vom 19.12.2017 ausdrücklich und in hinreichendem Maße darauf hingewiesen, dass sein Arbeitslosengeld II bei einer nochmaligen Pflichtverletzung ohne wichtigen Grund vollständig entfällt.

Ein wichtiger Grund des Antragstellers dafür, keine Bewerbungsbemühungen vorzulegen, ist nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gibt es kein Grundrecht, sich aus Gewissengründen der Steuerzahlung verweigern zu können und deshalb keine bezahlte Tätigkeit anzunehmen (BVerfG Beschluss vom 26.08.1992 - 2 BvR 478/92).

Zu Recht hat der Antragsgegner auch eine weitere wiederholte Pflichtverletzung gemäß § 31 a Abs. 1 Satz 3 SGB II angenommen und einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II festgestellt. Aufgrund der mit den Sanktionsbescheiden vom 23.06.2017 und 15.09.2017 festgestellten Pflichtverletzungen lagen jedenfalls zwei Pflichtverletzungen innerhalb der Jahresfrist des § 31 a Abs. 1 Satz 5 SGB II vor.

Auch weitere Zweifel an Rechtmäßigkeit des Bescheides ergeben sich nicht, insbesondere hat der Antragsgegner den Sanktionszeitraum gemäß § 31 b Abs.1 SGB II zutreffend festgestellt.

Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der den vorliegenden Bescheiden zugrundeliegenden Sanktionsvorschriften.

Der Vorlagebeschluss des SG Gotha vom 02.08.2016 - S 15 AS 5157/14 führt nicht zu einer anderweitigen Bewertung. Dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Wahrung des menschenwürdigen Existenzminimums, (Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG) sowie von Freiheitsrechten, namentlich dem Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG (hierzu nur Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 4. Aufl., § 31 Rn. 2) ist durch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung der zu einer Sanktion führenden Obliegenheiten (§ 31 SGB II) zu genügen. Sind diese eingehalten, stellt es weder einen Verstoß gegen die Menschenwürde iVm dem Sozialstaatsprinzip noch gegen Freiheitsrechte dar, wenn auf eine ungerechtfertigte Weigerung, zumutbare Obliegenheiten zu erfüllen, ein Leistungsanspruch wegfällt. Die Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 06.05.2016 - 1 BvL 1/15 führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Das Bundesverfassungsgericht hat keine konkreten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Sanktionensystems geäußert, sondern nur festgestellt, dass gewichtige verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen bereits deutlich gemacht, dass es keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums annimmt, wenn der Gesetzgeber den Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung an zumutbare Bedingungen knüpft. Es nimmt keinen von dem Hilfebedürftigen möglichen Mitwirkungshandlungen losgelösten, allein aus der Hilfebedürftigkeit resultierenden Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums an. Der faktische Zwang, die bisherige Lebensführung zur Sicherung des Existenzminimums ändern zu müssen, führt nicht zur Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sondern berührt vielmehr das Grundrecht, das diese vom Hilfebedürftigen anvisierte Lebensgestaltung schützt (BVerfG Beschluss vom 08.10.2014, 1 BvR 886/11). Die vorliegend betroffene Entscheidung des Antragstellers, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu wollen, ist zwar durch das Grundrecht der (negativen) Berufsfreiheit geschützt, dies führt aber nicht zu einem Anspruch auf Finanzierung dieser Entscheidung durch die Allgemeinheit. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner dem Antragsteller Sachleistungen angeboten hat, die auch seinen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz herstellen, so dass ihm trotz der 100-Prozent-Sanktion die unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (hierzu BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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