L 20 SO 527/18 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SO 84/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 527/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln geändert. Dem Kläger wir für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, C, beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt S, C, für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Übernahme von Kosten für eine Anschlussheilbehandlung.

Der 1974 geborene Kläger war jedenfalls bis zum 30.04.2015 Mitglied der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland. Am 01.05.2015 brach er eine Rehabilitationsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit ab. Am 12.07.2015 trat er eine Haftstrafe in der JVA L an, aus der er am 11.05.2016 entlassen wurde. Eine weitere Rehabilitationsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund trat er nicht an; sein Aufenthalt war in der Folge unbekannt. Am 17.05.2016 erlitt er auf Grund einer Heroinüberdosis einen Herzstillstand und wurde im Gemeinschaftskrankenhaus C notfallmäßig versorgt und reanimiert. Als Folge leidet der Kläger nunmehr an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom, einem teraspastischen Syndrom mit schwerer Stand- und Gangataxie sowie einer Dysarthrophonie.

Am 15.06.2016 wurde er zur Durchführung einer Anschlussrehabilitation in das Neurologische Rehabilitationszentrum H aufgenommen, für die er am 20.06.2016 bei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland die Übernahme der Kosten beantragte. Letztgenannte leitete den Antrag am 22.06.2016 an die Beklagte weiter, weil weder eine Weiter- noch eine Familienversicherung bei der AOK festgestellt werden konnte und die Prüfung einer Pflichtversicherung kurzfristig nicht möglich war.

Mit Bescheiden vom 06.07.2016, 16.08.2016 und 11.10.2016 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme bzw. deren (zweimalige) Verlängerung für eine medizinische stationäre Anschlussrehabilitation. Den weiteren Verlängerungsantrag vom 18.10.2016 für die Zeit ab dem 22.10.2016 bis zum 15.11.2016 lehnte die Beklagte hingegen mit Bescheid vom 07.11.2016 ab. Grund für diese Entscheidung war eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, wonach die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungserbringung nicht erfüllt seien. Auf Grund des Stagnierens des bisherigen Rehabilitationsverlaufs reiche eine kurative Versorgung des Klägers mit verordnungsfähigen Heilmitteln aus.

Am 19.04.2017 wurde der Kläger schließlich aus dem Neurologischen Rehabilitationszentrum H entlassen und zog in eine Senioren- und Pflegeeinrichtung in C. Mit Beschluss vom 27.06.2017 bestellte das Amtsgericht Bergisch Gladbach für den Kläger einen Betreuer für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern.

Den gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Widerspruch wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2018 zurück. Die Beklagte sei gemäß § 14 SGB IX für die Entscheidung über den Antrag des Klägers zuständig geworden. Eine weitere Verlängerung der Anschlussheilbehandlung sei hier aus medizinischen Gründen nicht dringend erforderlich i.S.d. § 40 SGB V gewesen, weil die stationäre Rehabilitationsmaßnahme nach den Feststellungen des MDK nicht mehr notwendig gewesen sei. Auch ein Anspruch nach den §§ 48 ff. SGB XII bestehe nicht, weil Leistungen der Krankenbehandlung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des SGB V erbracht würden. Entsprechendes gelte für Leistungen der Eingliederungshilfe.

Hiergegen hat der Kläger am 05.03.2018 Klage erhoben, die er gegen das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz gerichtet hat. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Auf den Hinweis, dass die Klage gegen den Oberbürgermeister der Stadt L als die den Bescheid erlassende Stelle zu richten sei, hat der Kläger seine Klage am 09.05.2018 umgestellt und gegen den jetzige Beklagten gerichtet.

Mit Beschluss vom 03.07.2018 hat das Sozialgericht Köln den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt S abgelehnt. Die Klage sei bereits unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden sei. Die am 05.03.2018 eingegangene Klage habe sich gegen das passiv nicht legitimierte Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung gerichtet. Erst mit anwaltlichem Schriftsatz vom 09.05.2018, also nach Ablauf der Klagefrist, sei eine Änderung des Passivrubrums auf die jetzige Beklagte beantragt worden. Hierin liege eine Klageänderung. Für die neu erhobene Klage müssten die allgemeinen Prozessvoraussetzungen ebenfalls vorliegen. Diese sei aber nicht in der Frist des § 87 SGG eingelegt worden.

Gegen den dem Kläger am 05.07.2018 zugestellten Beschluss hat dieser am 06.08.2018 (Montag) Beschwerde eingelegt und zugleich für das Beschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er meint, eine Klageänderung in Gestalt eines Parteiwechsels habe nicht stattgefunden. Das Sozialgericht hätte überdies auf die (angebliche) Unzulässigkeit der Klage hinweisen müssen.

Die Beklagte hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Die Klage sei außerdem auch unbegründet. Denn nach dem Gutachten des MDK Nordrhein sei die Fortführung der Rehabilitationsmaßnahme nicht "dringend erforderlich" gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Leistungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1.) Die statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 172, 173 SGG) Beschwerde des Klägers gegen den die Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Klageverfahren ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Bewilligung von PKH und Beiordnung des Bevollmächtigten des Klägers zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine solche Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt eines Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Hält das Gericht etwa eine Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig, so kann in der Regel eine Erfolgsaussicht nicht verneint werden (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 73a Rn. 7a m.w.N.). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Deswegen darf das Gericht über schwierige Rechtsfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entscheiden; vielmehr ist die Frage - im Anschluss an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren zu klären (vgl. Schmidt a.a.O. Rn. 7b).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht dem (bedürftigen) Kläger für das erstinstanzliche Verfahren gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu; denn im Hinblick auf die zu beurteilenden Rechtsfragen kann der Klage eine gewisse Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden.

a) Die Klage ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes nicht unzulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht erhoben. Dass die Klage zunächst gegen das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung als überörtlichen Träger der Sozialhilfe erhoben wurde und eine Umstellung auf die richtige Beklagte erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist erfolgte, führt nicht zu einer Unzulässigkeit der Klage. Denn es handelt sich nicht - wie das SG meint - um einen gewillkürten Parteiwechsel auf Beklagtenseite im Sinne einer Klageänderung nach § 99 Abs. 1 und 2 SGG, sondern nur um eine schlichte Berichtigung des Passivrubrums im Verhältnis von Widerspruchs- und Ausgangsbehörde, die auch noch nach Ablauf der Klagefrist zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2011 - B 3 P 1/10 R Rn. 12 sowie Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 23/11 R Rn. 9; vgl. auch Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 99 Rn. 6a). Als Datum der Klageerhebung ist damit nicht das Datum der Rubrumsberichtigung (Schreiben vom 09.05.2018), sondern der ursprünglichen Klageerhebung (05.03.2018) anzusehen. Die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 SGG wurde hierdurch gewahrt, weil der Widerspruchsbescheid am 21.02.2018 erlassen wurde.

b) Die Klage erscheint auch nicht von vornherein aussichtslos. Die streitentscheidende Frage, ob bei einem Weiterführen der Rehabilitationsbehandlungen weitere relevante Fortschritte durch den Kläger zu erwarten waren, kann nicht allein mit dem Gutachten des MDK Nordrhein beantwortet werden. Vielmehr sind weitere medizinische Ermittlungen angezeigt. Steht das Ergebnis dieser Ermittlungen aber noch nicht fest, so können der Klage die Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden.

2.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO.

3.) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kommt nicht in Betracht. Denn § 114 Abs. 1 ZPO sieht Prozesskostenhilfe nur für den Fall vor, dass der Betroffene die Kosten der "Prozessführung" nicht aufbringen kann. Das Verfahren betreffend die Überprüfung der Ablehnung von Prozesskostenhilfe ist aber - anders als das ihm zu Grunde liegende Streitverfahren - kein Prozess im Sinne von § 114 ZPO, sondern lediglich ein gerichtliches Verfahren, in dem über die Gewährung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist (so bereits BGH, Beschluss vom 30.05.1984 - VIII ZR 298/83 Rn. 3 m.w.N.). Auch eine Kostenerstattung (§ 127 Abs. 4 ZPO) ist hierfür nicht vorgesehen (vgl. ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.03.2011 - L 6 R 131/11 B Rn. 7; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.03.2013 - L 11 AS 1495/12 B Rn. 10; LSG NRW, Beschluss vom 17.01.2014 - L 1 KR 536/13 B Rn. 12 f.; Thür. LSG, Beschluss vom 20.04.2015 - L 6 KR 1935/12 B Rn. 17; Bayerisches LSG, Beschluss vom 15.10.2015 - L 7 AS 588/15 B PKH Rn. 11; Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 73a Rn. 2b).

Die vereinzelt gebliebene, gegenteilige Auffassung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12.01.2012 - L 15 AS 305/11 B Rn. 18 f.) teilt der Senat nicht. Zwar trifft es zu, dass die durch den Rechtsanwalt abrechenbare Gebühr für das Beschwerdeverfahren (vgl. Nr. 3501 VV RVG) nicht von dem Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse für das erstinstanzliche Verfahren umfasst wird. Allerdings ist für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Landessozialgericht eine anwaltliche Vertretung gesetzlich nicht verpflichtend vorgesehen. Daraus wird allgemein geschlossen, dass somit auch die Bewilligung von PKH nicht erforderlich ist. Ein anderslautender Beschluss des Bundesgerichtshofs (vom 19.12.2002 - III ZB 33/02 Rn. 10) sei nur deshalb erfolgt, weil für das dortige Beschwerdeverfahren eine anwaltliche Vertretung vorgeschrieben gewesen sei (h.M., vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.03.2013 - L 11 AS 1495/12 B Rn. 10; LSG NRW, Beschluss vom 17.01.2014 - L 1 KR 536/13 B Rn. 12 f.; Thür. LSG, Beschluss vom 20.04.2015 - L 6 KR 1935/12 B Rn. 17). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Denn die Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens - und damit auch über die Erfolgsaussichten eines PKH-Antrags - wird bereits mit den Kosten für das erstinstanzliche Verfahren abgedeckt. Der Kläger (bzw. sein Betreuer) wird damit in die Lage versetzt, das Beschwerdeverfahren auch unabhängig von der Einschaltung seines Prozessbevollmächtigten zu führen, indem er zur Begründung der Erfolgsaussichten auf den erstinstanzlichen Vortrag in der Sache verweist (so für das erstinstanzliche PKH-Bewilligungsverfahren unter Verweis auf die Möglichkeit der Beratungshilfe bereits BGH, Beschluss vom 30.05.1984 - VIII ZR 298/83 Rn. 4). Sinn und Zweck der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe gebieten damit eine Gewährung von PKH für das Beschwerdeverfahren nicht, weil dem bedürftigen Kläger auch ohne diese die Möglichkeit gegeben wird, sein Recht vor Gericht zu verfolgen (vgl. BGH a.a.O.).

Nimmt der Kläger dennoch für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens anwaltliche Hilfe in Anspruch, so muss er die ihm daraus ggf. entstehende Kostenfolge selbst tragen. Zwar wäre eine rechtliche Möglichkeit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durchaus denkbar. Die derzeitige gesetzliche Regelung des § 114 ZPO bzw. deren langjährige Auslegung durch die Gerichte (s.o.) lässt für die Gewährung von Prozesskostenhilfe allerdings derzeit keinen Raum. Eine Änderung wäre allenfalls durch den Gesetzgeber möglich.

4.) Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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