Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 655/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 417/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 33/55 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 21.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Bescheids über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, nachdem nachträglich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts bewilligt wurde.
Die 1956 geborene Klägerin war zuletzt tätig als Verkäuferin bis April 2010. Jedenfalls seit 9.07.2010 war sie arbeitsunfähig (69 VA). Ihr Arbeitsverhältnis wurde zum 1.09.2010 beendet (59 VA).
Am 18.10.2010 stellte sie einen Antrag auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Aus der Rehabilitationsmaßahme, die vom 17.11.2010 bis 8.12.2010 stattfand, wurde sie bei den Diagnosen Psoriasisarthritis, multiple Insertionstendinosen und Tendomyopathien, rezidivierendes HWS-Syndrom, depressive Reaktion und medikamentös eingestellte arterielle Hypertonie arbeitsunfähig mit einem Leistungsvermögen von unter 6 Stunden in der letzten Tätigkeit und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen.
Am 14.03.2011 stellte sie einen Antrag auf die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nachträglich wurde ihr Rehabilitationsantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag umgedeutet.
Mit Schreiben vom 29.03.2011 (69 VA) meldete die Krankenkasse der Klägerin einen Erstattungsanspruch wegen der Zahlung von Krankengeld bei der Beklagten an.
Nach einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. C. aufgrund Untersuchung vom 8.7.2011 besteht bei der Klägerin ein unter dreistündiges Leistungsvermögen arbeitstäglich (110). Nach einem internistischen Gutachten des Dr. D. aufgrund Untersuchung vom 6.08.2011 besteht bei der Klägerin ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab 9.07.2010.
Mit Bescheid vom 19.09.2011 wurde der Klägerin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.02.2011 bewilligt in Höhe von 394,29 Euro monatlich. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab 9.07.2010 erfüllt. Der Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund verschlossenen Teilzeit-Arbeitsmarkts werde noch geprüft (190 VA II). Die Nachzahlung für die Zeit ab 1.02.2011 bis 31.10.2011 betrage 3529,26 EUR. Die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, die medizinischen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung lägen vor. Auch stehe ein Teilzeitarbeitsplatz für die Klägerin nicht zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 23.09.2011 wandte sich die Beklagte an die Agentur für Arbeit mit der Bitte um Mitteilung, ob die Klägerin innerhalb eines Jahres ab Rentenantragstellung in ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis vermittelt werden könne. Die Jahresfrist für die Prüfung der Vermittlungsmöglichkeiten ende am 31.03.2012 (177 VA).
Mit Schreiben vom 30.09.2011 bezifferte die Krankenkasse der Klägerin ihren Erstattungsanspruch (180), der in der Folge durch die Beklagte erfüllt wurde.
Mit Bescheid vom 23.01.2012 (236 VA II) wurde der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.02.2011 bis 30.09.2013 bewilligt (monatliche Höhe: 788,58 EUR). Für die Zeit vom 1.2.2011 bis 29.02.2012 betrage die Nachzahlung 10212,79 EUR, die vorläufig nicht ausgezahlt werde. Zunächst sind Ansprüche anderer Stellen zu klären. Bei der Berechnung der Nachzahlung sei zunächst unberücksichtigt geblieben, dass die Klägerin bereits eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten habe, die wegen des zeitgleichen Anspruchs auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zu leisten gewesen wäre.
In der Folge wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.09.2011 zurückgenommen.
Weitere Erstattungsansprüche der Krankenkasse der Klägerin sowie der Agentur für Arbeit wurden in der Folge angemeldet (240, 248 VA II) und von der Beklagten erfüllt.
Mit Bescheid der Beklagten vom 21.05.2012 (4 f. GA) wurde der Bescheid vom 19.09.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.2.2011 bis 30.09.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben. Für die Zeit vom 1.2.2011 bis 29.02.2012 ergebe sich eine Überzahlung von 5106,42 EUR. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Der zu erstattende Betrag sei mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente zu verrechnen, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben sei. Die restliche Überzahlung betrage noch 1305,56 EUR. Dieser Betrag sei von der Klägerin zurückzuzahlen. Die wesentliche Änderung ergebe sich durch die nachträgliche Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung, denn hierdurch entfalle nach § 89 SGB VI der Anspruch auf die niedrigere Rente. Soweit es um die Aufhebung für die Vergangenheit gehe, seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegeben. Die mit Bescheid vom 23.01.2012 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle Einkommen im Sinne der Vorschrift dar (so BSG, 7.09.2010, B 5 KN 4/08 R).
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, der nicht begründet wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Er sei nicht begründet worden, neue Tatsachen seien nicht vorgetragen worden. Eine Überprüfung sei daher nur nach der bekannten Sachlage möglich gewesen.
Am 5.12.2012 hat die Klägerin beim SG Darmstadt Klage eingereicht. Sie führt an, es sei nicht erkennbar, warum der Bescheid über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgehoben werden musste und aus welchem Grund dieser nach § 48 SGB X aufzuheben war. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Die wesentliche Änderung könne nicht darin liegen, dass der Klägerin ein Teilzeitarbeitsplatz nicht vermittelt werden konnte. Eine Überzahlung an Rente sei nicht eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 21.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 war rechtswidrig und daher aufzuheben.
Denn zutreffende Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids war nicht § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, sondern § 45 SGB X, da der Bescheid vom 19.09.2011 anfänglich rechtswidrig war. Eine Umdeutung des erlassenen Bescheids in einen Bescheid nach § 45 SGB X scheitert an der fehlenden Ermessensausübung.
Es trifft zu, dass das Bundessozialgericht in der von der Beklagten im Widerspruchsbescheid zitierten Entscheidung (BSG, 7.09.2010, B 5 KN 4/08 R) die Auffassung vertreten hat, bei nachträglicher Bewilligung einer höheren Rente nach § 89 SGB VI richte sich die Aufhebung der zuerst bewilligten niedrigeren Rente nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch anders rechtlich zu würdigen als der vom BSG entschiedene Fall, wo der Bescheid über die Bewilligung der niedrigeren Rente rechtmäßig war.
1. Der Bescheid vom 19.09.2011 war anfänglich rechtswidrig, denn die Beklagte hätte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits zu diesem Zeitpunkt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bewilligen müssen.
Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur noch weniger als täglich sechs Stunden, wenngleich jedenfalls täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, ist ausschlaggebend, ob für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. In diesem Zusammenhang wurde zunächst noch gefordert, dass Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres ab Stellung des Rentenantrags erfolglos geblieben waren (vgl. BSG, Urt. v. 10. Mai 1977 11 RA 8/76 - veröffentlicht bei Juris). Seit vielen Jahren ist jedoch nach der Rechtsprechung des BSG zur Feststellung der vollen Erwerbsminderung eines nur unter sechsstündig einsatzfähigen Versicherten bei rückwirkender Prüfung der Arbeitsmarktlage der Nachweis solcher konkreter Vermittlungsbemühungen nicht mehr erforderlich. Bei der sog. arbeitsmarktabhängigen vollen Erwerbsminderung wird die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts daher bei jeder quantitativen Leistungseinschränkung berücksichtigt (BSG, Urteil v. 8. September 2005 - B 13 RJ 10/04 R - SozR 4-2600 § 101 Nr 2 m.w.N.; vgl. zur Fortgeltung der Rechtsgrundsätze über die sog. Arbeitsmarktrenten auch BSG, U.v. 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 16; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. September 2013 – L 2 R 236/13 –, juris).
Ausgehend davon, dass von der Beklagten ein Leistungsfall eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens arbeitstäglich im Juli 2010 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit) angenommen wurde, war zum Zeitpunkt der Entscheidung über die – zunächst – Bewilligung der teilweisen Erwerbsminderungsrente bereits ein Jahr verstrichen, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin ihren Teilzeitarbeitsplatz erst im September 2010 verlor. Dass die Beklagte eine Entscheidung über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bereits im September 2011 hätte treffen können, ergibt sich auch daraus, dass die Beklagte diese Entscheidung dann im Februar 2012 traf, ohne dass zu diesem Zeitpunkt neue Erkenntnisse über den Teilzeitarbeitsmarkt vorgelegen hätten, denn eine Antwort der Agentur für Arbeit war zwischenzeitlich nicht eingegangen.
2. Die Aufhebung anfänglich rechtswidriger begünstigender Dauerverwaltungsakte richtet sich nach § 45 SGB X, nicht nach § 48 SGB X. § 48 SGB X ist für bereits anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakte nur dann anwendbar, wenn sich die nachträgliche Änderung der Verhältnisse auf Umstände bezieht, auf denen die anfängliche Rechtswidrigkeit nicht beruht (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 02. Juli 2013 – L 2 R 97/12 –, juris). Da die anfängliche Rechtswidrigkeit hier darauf beruht, dass der Klägerin aus Rechtsgründen eine volle Erwerbsminderungsrente bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes statt der bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zustand, stellt die nachträgliche Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes keine Änderung in den Verhältnissen dar, die zu einer Anwendung des § 48 SGB X führen kann.
3. Ein Austausch der Rechtsgrundlage/eine Umdeutung des nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X erlassenen Bescheids vom 21.05.2012 in einen Bescheid nach § 45 SGB X ist grundsätzlich möglich. Die Umdeutung einer als gebundene Entscheidung getroffenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung scheidet jedoch aus, da eine Ermessensentscheidung nur rechtmäßig ist, wenn die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt hat (vgl. von Wulffen/Schütze, 8. Aufl., § 43 SGB X Rz. 12). § 45 SGB X stellt hinsichtlich der Aufhebung für die Vergangenheit im Bereich des Rentenrechts eine Ermessensnorm dar. In dem angegriffenen Bescheid hat die Beklagte kein Ermessen ausgeübt. Anhaltspunkte dafür, dass das Ermessen der Beklagten vorliegend ausnahmsweise auf Null geschrumpft sein könnte, vermag das Gericht nicht zu erkennen (vgl. hierzu v. Wulffen/Schütze, a.a.O., § 45 SGB X Rz. 91).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Zulässigkeit der Berufung auf §§ 143, 144 SGG.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Bescheids über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, nachdem nachträglich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts bewilligt wurde.
Die 1956 geborene Klägerin war zuletzt tätig als Verkäuferin bis April 2010. Jedenfalls seit 9.07.2010 war sie arbeitsunfähig (69 VA). Ihr Arbeitsverhältnis wurde zum 1.09.2010 beendet (59 VA).
Am 18.10.2010 stellte sie einen Antrag auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Aus der Rehabilitationsmaßahme, die vom 17.11.2010 bis 8.12.2010 stattfand, wurde sie bei den Diagnosen Psoriasisarthritis, multiple Insertionstendinosen und Tendomyopathien, rezidivierendes HWS-Syndrom, depressive Reaktion und medikamentös eingestellte arterielle Hypertonie arbeitsunfähig mit einem Leistungsvermögen von unter 6 Stunden in der letzten Tätigkeit und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen.
Am 14.03.2011 stellte sie einen Antrag auf die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nachträglich wurde ihr Rehabilitationsantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag umgedeutet.
Mit Schreiben vom 29.03.2011 (69 VA) meldete die Krankenkasse der Klägerin einen Erstattungsanspruch wegen der Zahlung von Krankengeld bei der Beklagten an.
Nach einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. C. aufgrund Untersuchung vom 8.7.2011 besteht bei der Klägerin ein unter dreistündiges Leistungsvermögen arbeitstäglich (110). Nach einem internistischen Gutachten des Dr. D. aufgrund Untersuchung vom 6.08.2011 besteht bei der Klägerin ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab 9.07.2010.
Mit Bescheid vom 19.09.2011 wurde der Klägerin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.02.2011 bewilligt in Höhe von 394,29 Euro monatlich. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab 9.07.2010 erfüllt. Der Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund verschlossenen Teilzeit-Arbeitsmarkts werde noch geprüft (190 VA II). Die Nachzahlung für die Zeit ab 1.02.2011 bis 31.10.2011 betrage 3529,26 EUR. Die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, die medizinischen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung lägen vor. Auch stehe ein Teilzeitarbeitsplatz für die Klägerin nicht zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 23.09.2011 wandte sich die Beklagte an die Agentur für Arbeit mit der Bitte um Mitteilung, ob die Klägerin innerhalb eines Jahres ab Rentenantragstellung in ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis vermittelt werden könne. Die Jahresfrist für die Prüfung der Vermittlungsmöglichkeiten ende am 31.03.2012 (177 VA).
Mit Schreiben vom 30.09.2011 bezifferte die Krankenkasse der Klägerin ihren Erstattungsanspruch (180), der in der Folge durch die Beklagte erfüllt wurde.
Mit Bescheid vom 23.01.2012 (236 VA II) wurde der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.02.2011 bis 30.09.2013 bewilligt (monatliche Höhe: 788,58 EUR). Für die Zeit vom 1.2.2011 bis 29.02.2012 betrage die Nachzahlung 10212,79 EUR, die vorläufig nicht ausgezahlt werde. Zunächst sind Ansprüche anderer Stellen zu klären. Bei der Berechnung der Nachzahlung sei zunächst unberücksichtigt geblieben, dass die Klägerin bereits eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten habe, die wegen des zeitgleichen Anspruchs auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zu leisten gewesen wäre.
In der Folge wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.09.2011 zurückgenommen.
Weitere Erstattungsansprüche der Krankenkasse der Klägerin sowie der Agentur für Arbeit wurden in der Folge angemeldet (240, 248 VA II) und von der Beklagten erfüllt.
Mit Bescheid der Beklagten vom 21.05.2012 (4 f. GA) wurde der Bescheid vom 19.09.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.2.2011 bis 30.09.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben. Für die Zeit vom 1.2.2011 bis 29.02.2012 ergebe sich eine Überzahlung von 5106,42 EUR. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Der zu erstattende Betrag sei mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente zu verrechnen, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben sei. Die restliche Überzahlung betrage noch 1305,56 EUR. Dieser Betrag sei von der Klägerin zurückzuzahlen. Die wesentliche Änderung ergebe sich durch die nachträgliche Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung, denn hierdurch entfalle nach § 89 SGB VI der Anspruch auf die niedrigere Rente. Soweit es um die Aufhebung für die Vergangenheit gehe, seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegeben. Die mit Bescheid vom 23.01.2012 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle Einkommen im Sinne der Vorschrift dar (so BSG, 7.09.2010, B 5 KN 4/08 R).
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, der nicht begründet wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Er sei nicht begründet worden, neue Tatsachen seien nicht vorgetragen worden. Eine Überprüfung sei daher nur nach der bekannten Sachlage möglich gewesen.
Am 5.12.2012 hat die Klägerin beim SG Darmstadt Klage eingereicht. Sie führt an, es sei nicht erkennbar, warum der Bescheid über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgehoben werden musste und aus welchem Grund dieser nach § 48 SGB X aufzuheben war. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Die wesentliche Änderung könne nicht darin liegen, dass der Klägerin ein Teilzeitarbeitsplatz nicht vermittelt werden konnte. Eine Überzahlung an Rente sei nicht eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 21.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 war rechtswidrig und daher aufzuheben.
Denn zutreffende Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids war nicht § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, sondern § 45 SGB X, da der Bescheid vom 19.09.2011 anfänglich rechtswidrig war. Eine Umdeutung des erlassenen Bescheids in einen Bescheid nach § 45 SGB X scheitert an der fehlenden Ermessensausübung.
Es trifft zu, dass das Bundessozialgericht in der von der Beklagten im Widerspruchsbescheid zitierten Entscheidung (BSG, 7.09.2010, B 5 KN 4/08 R) die Auffassung vertreten hat, bei nachträglicher Bewilligung einer höheren Rente nach § 89 SGB VI richte sich die Aufhebung der zuerst bewilligten niedrigeren Rente nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch anders rechtlich zu würdigen als der vom BSG entschiedene Fall, wo der Bescheid über die Bewilligung der niedrigeren Rente rechtmäßig war.
1. Der Bescheid vom 19.09.2011 war anfänglich rechtswidrig, denn die Beklagte hätte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits zu diesem Zeitpunkt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bewilligen müssen.
Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur noch weniger als täglich sechs Stunden, wenngleich jedenfalls täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, ist ausschlaggebend, ob für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. In diesem Zusammenhang wurde zunächst noch gefordert, dass Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres ab Stellung des Rentenantrags erfolglos geblieben waren (vgl. BSG, Urt. v. 10. Mai 1977 11 RA 8/76 - veröffentlicht bei Juris). Seit vielen Jahren ist jedoch nach der Rechtsprechung des BSG zur Feststellung der vollen Erwerbsminderung eines nur unter sechsstündig einsatzfähigen Versicherten bei rückwirkender Prüfung der Arbeitsmarktlage der Nachweis solcher konkreter Vermittlungsbemühungen nicht mehr erforderlich. Bei der sog. arbeitsmarktabhängigen vollen Erwerbsminderung wird die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts daher bei jeder quantitativen Leistungseinschränkung berücksichtigt (BSG, Urteil v. 8. September 2005 - B 13 RJ 10/04 R - SozR 4-2600 § 101 Nr 2 m.w.N.; vgl. zur Fortgeltung der Rechtsgrundsätze über die sog. Arbeitsmarktrenten auch BSG, U.v. 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 16; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. September 2013 – L 2 R 236/13 –, juris).
Ausgehend davon, dass von der Beklagten ein Leistungsfall eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens arbeitstäglich im Juli 2010 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit) angenommen wurde, war zum Zeitpunkt der Entscheidung über die – zunächst – Bewilligung der teilweisen Erwerbsminderungsrente bereits ein Jahr verstrichen, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin ihren Teilzeitarbeitsplatz erst im September 2010 verlor. Dass die Beklagte eine Entscheidung über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bereits im September 2011 hätte treffen können, ergibt sich auch daraus, dass die Beklagte diese Entscheidung dann im Februar 2012 traf, ohne dass zu diesem Zeitpunkt neue Erkenntnisse über den Teilzeitarbeitsmarkt vorgelegen hätten, denn eine Antwort der Agentur für Arbeit war zwischenzeitlich nicht eingegangen.
2. Die Aufhebung anfänglich rechtswidriger begünstigender Dauerverwaltungsakte richtet sich nach § 45 SGB X, nicht nach § 48 SGB X. § 48 SGB X ist für bereits anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakte nur dann anwendbar, wenn sich die nachträgliche Änderung der Verhältnisse auf Umstände bezieht, auf denen die anfängliche Rechtswidrigkeit nicht beruht (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 02. Juli 2013 – L 2 R 97/12 –, juris). Da die anfängliche Rechtswidrigkeit hier darauf beruht, dass der Klägerin aus Rechtsgründen eine volle Erwerbsminderungsrente bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes statt der bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zustand, stellt die nachträgliche Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes keine Änderung in den Verhältnissen dar, die zu einer Anwendung des § 48 SGB X führen kann.
3. Ein Austausch der Rechtsgrundlage/eine Umdeutung des nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X erlassenen Bescheids vom 21.05.2012 in einen Bescheid nach § 45 SGB X ist grundsätzlich möglich. Die Umdeutung einer als gebundene Entscheidung getroffenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung scheidet jedoch aus, da eine Ermessensentscheidung nur rechtmäßig ist, wenn die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt hat (vgl. von Wulffen/Schütze, 8. Aufl., § 43 SGB X Rz. 12). § 45 SGB X stellt hinsichtlich der Aufhebung für die Vergangenheit im Bereich des Rentenrechts eine Ermessensnorm dar. In dem angegriffenen Bescheid hat die Beklagte kein Ermessen ausgeübt. Anhaltspunkte dafür, dass das Ermessen der Beklagten vorliegend ausnahmsweise auf Null geschrumpft sein könnte, vermag das Gericht nicht zu erkennen (vgl. hierzu v. Wulffen/Schütze, a.a.O., § 45 SGB X Rz. 91).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Zulässigkeit der Berufung auf §§ 143, 144 SGG.
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