L 9 R 4685/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2768/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4685/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig, hierbei insbesondere, ob die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Der 1968 geborene Kläger besuchte die Sonderschule, absolvierte im Anschluss hieran im elterlichen Gartenbaubetrieb vom 02.09.1985 bis 26.08.1988 eine Berufsausbildung zum Gärtner/Gartenbaufachwerker und schloss diese mit der Gesellenprüfung ab (vgl. Zeugnis des Regierungspräsidiums F. vom 26.08.1988). Im Anschluss hieran war der Kläger vom 01.09.1988 bis 30.11.2003 in diesem erlernten Beruf im elterlichen Gartenbaubetrieb versicherungspflichtig beschäftigt. Dieser Beschäftigung ging er nach Angaben der Eltern acht Stunden täglich im Rahmen einer Fünftagearbeitswoche nach. In den Wintermonaten war der Kläger arbeitslos gemeldet, so vom 02.12.1988 bis 31.01.1989, vom 01.12.1989 bis 31.01.1990, vom 01.12.1990 bis 31.01.1991 und vom 02.12. bis 31.12.1991. Ab 01.12.2003 war er nach betriebsbedingter Kündigung arbeitslos gemeldet und absolvierte vom 13.09.2004 bis 12.05.2005 eine über die Bundesagentur für Arbeit geförderte Umschulung zum Maschinenbediener. Mit Ausnahme der Arbeitslosigkeitszeiten in den Wintermonaten sind im Versicherungsverlauf des Klägers vom 31.08.2017 (Bl. 33 ff. der LSG-Akte) für die Zeit vom 02.09.1985 bis 29.06.2005 durchgehend Pflichtbeitragszeiten hinterlegt. Vom 30.06. bis 31.12.2005 war der Kläger arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug. Ab 01.10.2005 bis 30.09.2007 übte er eine geringfügige, nicht versicherungspflichtige Beschäftigung mit 50 Stunden pro Monat als Gärtner aus. Für die Zeit vom 01.10.2007 bis 30.04.2011 sind im Versicherungsverlauf des Klägers keinerlei rentenrechtliche Zeiten hinterlegt. Der Kläger war vom 23.04.2009 bis 17.06.2009 in der Justizvollzugsanstalt H. in Haft, dabei war er vom 30.04. bis 24.05.2009 im Justizvollzugskrankenhaus H. untergebracht. Der Kläger trat erneut am 23.09.2009 eine Haftzeit an, aufgrund derer er vom 10.12.2009 bis 14.12.2011 nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) im Zentrum für Psychiatrie R., Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie untergebracht war. Im Rahmen der am 11.04.2011 beginnenden extramuralen Belastungserprobung war der Kläger ab 01.05.2011 bis zuletzt 30.11.2012 im elterlichen Gartenbaubetrieb als Gärtner versicherungspflichtig beschäftigt, nach Auskunft der Eltern des Klägers mit fünf Stunden täglich im Rahmen einer Fünftagewoche. Die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 30.11.2012 erfolgte wegen Geschäftsaufgabe des elterlichen Betriebes. Ab 01.12.2012 war der Kläger arbeitslos bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Seit 12.12.2012 ist er wegen orthopädischer Beschwerden (Knieprobleme) und psychischer Beschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Er bezog vom 01.12.2012 bis 22.01.2013 Arbeitslosengeld I, vom 23.01.2013 bis 10.06.2014 Krankengeld und im Anschluss hieran erneut Arbeitslosengeld I bis 10.06.2015. Im Versicherungsverlauf vom 31.08.2017 sind für die Zeit vom 01.12.2012 bis 10.06.2015 durchgehend Pflichtbeitragszeiten hinterlegt.

Der Kläger beantragte am 05.09.2014 wegen psychischer Beschwerden sowie Kniegelenks-, Hüftgelenks- und Wirbelsäulenbeschwerden die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In seinem Rentenantrag gab er an, dass er sich seit 2007 erwerbsgemindert fühle.

Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte verschiedene medizinische Unterlagen bei, u.a. das Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie Dr. S. vom 27.05.2009, der beim Kläger während der Unterbringung im Justizvollzugskrankenhaus H. am 23.05.2009 folgenden psychopathologischen Status erhob: Die Stimmung wirkte subdepressiv, die Psychomotorik und der Antrieb wirkten gemindert. Psychopathologische Symptome des formalen Gedankenganges und des Gedankeninhaltes bestanden im Sinne einer Verlangsamung des formalen Denkens mit Umstellungserschwernis, Weitschweifigkeit und Umständlichkeit, häufigem Vorbeireden und einem ausweichenden Antwortverhalten ohne konkrete Beantwortung gestellter Fragen. Die Intelligenzstruktur wirkte unter durchschnittlich differenziert. Das Verhalten war einerseits situationsadäquat, freundlich, offen, kooperativ und zugewandt, andererseits aber auch überangepasst, devot, gleichzeitig aber auch anspruchsvoll. Die psychische Belastbarkeit, die soziale Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, die soziale Konfliktfähigkeit, die Stress- und Frustrationstoleranz, die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sowie die emotionale Widerstandskraft wirkten eingeschränkt, eine Kritikfähigkeit war nicht nachweisbar, es bestanden weder Schuld- noch Unrechtsbewusstsein noch Opferempathie (Anmerkung des Senats: Wegen eines dem Kläger vorgeworfenen Stalkingverhaltens). Zudem fehlten eine Krankheitseinsicht, ein Leidensdruck, eine Therapiemotivation und eine wesentliche Veränderungsbereitschaft. Introspektionsfähigkeit und Reflektionsbereitschaft waren nicht nachweisbar, auch das Abstraktionsvermögen wirkte reduziert. Im Rahmen der testpsychologischen Untersuchung habe der Gesamtscore der Beeinträchtigungs-Schwere-Scores den Ausdruck einer ausgeprägten, schwer beeinträchtigten Erkrankung und Störung im Sinne einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit anankastischen selbstunsicheren und emotional instabilen Persönlichkeitszügen gehabt, die mit einer latenten Aggressionsbereitschaft, einer Einschränkung der sozialen Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, der Stress- und Frustrationstoleranz, der sozialen Konfliktfähigkeit sowie einer Störung der affektiven Impulskontrolle verbunden sei. Zudem liege eine Lese- und Rechtschreibstörung vor. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung entspreche vom Ausprägungsgrad her dem Merkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Die Prognose sei in medizinischer Hinsicht ungünstig, nachdem der Kläger bisher nicht an einer ambulanten, teilstationären oder stationären Therapie teilgenommen habe und bei ihm keinerlei intrinsische Behandlungsbereitschaft und Therapiemotivation habe eruiert werden können. Es sei eine konsequente Psychotherapie, teilweise auch im Sinne einer intensivierten Psychotherapie unter stationären Bedingungen erforderlich.

Nach den von der A. beigezogenen Gutachten des Dr. S., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung, vom 20.02.2013 und 25.06.2013 sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht sicher beurteilbar, die weitere Arbeitsunfähigkeit könne aufrechterhalten werden. Es bestünden qualitative Leistungseinschränkungen dahingehend, dass keine besonderen Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, keine vermehrte Arbeitsverdichtung, keine häufig wechselnden Arbeitszeiten, keine Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, keine emotional belastenden Tätigkeiten, kein Schichtdienst, kein Akkord und keine besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit gestellt werden dürften. Richtig sei, dass der Kläger bislang im Betrieb seiner Eltern halbtags habe arbeiten können und diese Nische durch die Aufgabe des elterlichen Betriebes nun weggefallen sei. Es bestehe eine erhebliche Fähigkeitsstörung im Bereich der Sozialkommunikation. Zudem bestünden Zweifel, dass der Kläger in einer fremden Gärtnerei klarkäme, da er auch im elterlichen Betrieb zuletzt nur inkonstant gearbeitet habe. Die Durchhaltefähigkeit und Flexibilität sei erheblich eingeschränkt. Auch Dr. S. stellte die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie Lese- und Rechtschreibstörung.

Nach dem beigezogenen Bericht der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 05.06.2013 leide der Kläger an einer blanden Psychose. Er sei aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage, am ersten Arbeitsmarkt eine Arbeit anzunehmen. Ziel sei eine Beschäftigung in der V.-Werkstatt, wobei dem Kläger die Krankheitseinsicht fehle. Ihres Erachtens nach sei die Erwerbsfähigkeit gefährdet und es seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen. Dass der Kläger am ersten Arbeitsmarkt tätig sein könne, sei nur der Tatsache zu verdanken, dass er halbtags im elterlichen Gartenbaubetrieb gearbeitet habe.

Mit Bescheid vom 14.01.2015 lehnte die Beklagte die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger sei seit dem 23.05.2009 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Ausgehend hiervon sei die Mindestzahl von 36 Monaten Pflichtbeiträgen in dem Zeitraum von fünf Jahren vor diesem Zeitpunkt, mithin vom 01.09.2003 bis 22.05.2009 nicht erfüllt. Der Kläger habe in diesem Zeitraum nur 22 Monate Pflichtbeiträge

Hiergegen erhob der rechtskundig vertretene Kläger am 19.01.2015 Widerspruch, der im Wesentlichen damit begründet wurde, dass er unter einer erheblichen Komorbidität von frühkindlicher Hirnschädigung, einer Zwangsstörung und schizotype Störung bei Verdacht auf blande Psychose leide und diese Gesundheitsstörung erst in den letzten Jahren an Ausprägung und Beeinträchtigung zugenommen habe. Aufgrund der Entwicklung seiner Erkrankung sei er frühestens ab August 2014 nicht mehr in der Lage, vollschichtig erwerbstätig zu sein. Zur Begründung legte der Kläger ein ärztliches Attest von Frau S. vom 15.10.2014 vor, die darin diese Diagnosen mitteilte und ausführte, dass der Kläger anhaltend über eine Minderbelastbarkeit und Kontrollzwänge klage und in seinem Handeln und Denken extrem weitschweifig haftend und misstrauisch sei. Er sei in seinem Antrieb, in seiner Stresstoleranz, im Konzentrationsvermögen und im Umstellungsvermögen eingeschränkt. Der Kläger habe im Laufe der Jahre zunehmend Zwänge entwickelt, zudem sei es weiter zu einer paranoiden Symptomatik mit anhaltendem Misstrauen und manieriertem Verhalten gekommen. Was die schizotype Störung betreffe, bestehe keinerlei Krankheitseinsicht, aus diesem Grund nehme er auch keine Medikation. Aufgrund der Komorbidität sei es zu einer Verurteilung wegen Stalking und Nachstellung gekommen. Seinem auffälligen Verhalten sei damals kein ausreichender Krankheitswert zugeordnet worden. Seit er durch das Gerichtsurteil zu zwei Jahren forensischer Psychiatrie verurteilt worden sei, sei er völlig traumatisiert. Die Erkrankung habe in den letzten Jahren an Ausprägung und Beeinträchtigung zugenommen. Auch im früher tätig gewordenen elterlichen Betrieb sei er häufig arbeitsunfähig geworden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er nicht mehr leistungsfähig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei nur noch unter drei Stunden täglich fähig, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Diese Beeinträchtigung bestehe seit Beginn der letzten Arbeitsunfähigkeit am 12.12.2012. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Widerspruchsverfahren ergäben sich keine Hinweise, dass die Erwerbsminderung später, insbesondere erst im August 2014 eingetreten sei. Auch ausgehend von einer am 12.12.2012 eingetretenen Erwerbsminderung lägen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vor, da der Kläger in dem dann maßgeblichen Zeitraum vom 12.12.2007 bis 11.12.2012 lediglich 20 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen habe. Darüber hinaus sei auch der Zeitraum vom 01.01.1984 bis November 2012 nicht durchgehend mit Anwartschafterhaltungszeiten belegt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nur erfüllt, wenn der Leistungsfall spätestens im August 2014 eingetreten sei.

Hiergegen richtet sich die vom Kläger zum Sozialgericht (SG) Reutlingen am 04.11.2015 erhobene Klage, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. S. hat unter dem 02.05.2016 mitgeteilt, den Kläger von 2008 bis 2013 einmal wegen Wirbelsäulenbeschwerden und Kniegelenksbeschwerden behandelt zu haben. Der Kläger sei vollschichtig leistungsfähig. Der Allgemeinmediziner Dr. H. hat mit Schreiben vom 23.05.2016 mitgeteilt, den Kläger zuletzt im Jahr 2013 gesehen zu haben. Er behandle ihn seit 2007 wegen psychischer Beschwerden. Der Kläger sei, seit er ihn kenne, ein psychisch auffälliger Mensch, neurotisch und zwanghaft. Die psychischen Beeinträchtigungen hätten ihm schon vor Jahren eine regelmäßige Arbeit unmöglich gemacht. Dr. H. hat Karteikarteneinträge für die Behandlung seit 06.11.2004 übersandt, aus denen sich ergibt, dass er am 03.12.2007 eine Depression diagnostizierte, am 24.05.2011 eine Neurose, am 01.02.2012 eine Neurose, am 12.12.2012 eine neurotische Persönlichkeitsstörung und am 10.07.2013 eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Frau S. hat mit Schreiben vom 20.08.2016 ausgeführt, dass der Kläger jeweils einmal im Februar, Mai, Juli und August 2016 in ihrer Sprechstunde vorstellig gewesen sei und sie eine schwere Panikstörung und schizotype Störung diagnostiziert habe. Der Zustand des Klägers sei gleichbleibend schlecht. Eine weitere Verschlechterung sei durch die massiven Zwänge eingetreten. Auch das Festhalten an den Gedanken, ein Justizopfer zu sein, trage zu einer weiteren Verschlechterung bei. Seit Herbst 2014 bestehe eine Verschlechterung mit deutlich eingeengterem Denken, paranoider Verarbeitung und sozialem Rückzug. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auch leichtester Art in einem Umfang von mehr als drei Stunden täglich zu verrichten.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.11.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls nicht erfüllt gewesen seien. Ausgehend vom Gutachten von Dr. S. vom 27.05.2009 bestehe jedenfalls seit dem Jahr 2009 eine derart gravierende psychische Beeinträchtigung des Klägers, dass Tätigkeiten des ersten Arbeitsmarktes, mithin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch in einem unter dreistündigen Umfang nicht als leidensgerecht angesehen werden könnten. Aufgrund der beim Kläger seit diesem Gutachten wiederholt dokumentierten Einschränkungen der Konzentrations- und psychischen Belastungsfähigkeit, der erheblich limitierten Kritikfähigkeit und Flexibilität bestehe allenfalls eine Leistungsfähigkeit im Rahmen einer geschützten Einrichtung des zweiten Arbeitsmarktes. Hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts der Leistungsminderung sei festzustellen, dass nicht von einem Einbringen der Erwerbsminderung in das Erwerbsleben ausgegangen werden könne, da der Kläger jedenfalls in der Lage gewesen sei, eine Berufsausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt und auch später einer Umschulung in einem nicht geschützten Bereich erfolgreich zu absolvieren. Nach den vorliegenden medizinischen Erkenntnissen spreche vieles für einen Eintritt des Leistungsfalles im Jahr 2009, gegebenenfalls sogar in den Jahren zuvor, da Dr. S. die leistungsbeeinträchtigenden Einschränkungen im Mai 2009 feststellen und bereits auf eine längere Krankheitsgeschichte des Klägers habe zurückblicken können. Zudem habe der Kläger im Rentenantrag selbst erklärt, sich seit dem Jahr 2007 auch wegen psychischer Beeinträchtigungen für erwerbsgemindert zu halten. Der Allgemeinarzt Dr. H. habe berichtet, dass es dem Kläger bereits vor dem Jahr 2013 unmöglich gewesen sei, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Die Psychiaterin S., welche den Kläger seit dem Jahr 2011 behandle, habe erklärt, dass der Zustand des Klägers gleichbleibend schlecht sei. Dem stehe nicht entgegen, dass sie von einer Verschlechterung im Herbst 2014 ausgehe. Zum einen folge hieraus nicht, dass zuvor keine Erwerbsminderung bestanden habe, zum anderen mangele es der beschriebenen Verschlechterung an einer nachvollziehbaren Grundlage. Dem Bericht selbst vom 15.10.2014 lasse sich keine gravierende Verschlechterung zu vorherigen Feststellungen entnehmen. Im Hinblick auf die vom Kläger bis Ende November 2012 ausgeübte Teilzeittätigkeit erscheine allerdings für den Zeitraum ab dem 01.05.2011 eine vorübergehende Besserung nicht ausgeschlossen. Der Tatsache, dass ein Versicherter eine Tätigkeit ausüben könne, komme ein stärkerer Beweiswert zu als medizinischen Befunden. Hierbei sei jedoch fraglich, ob die dortige Tätigkeit des Klägers als solche des allgemeinen Arbeitsmarktes eingestuft werden könne oder nicht, da sie in besonders geschützter Umgebung des elterlichen Betriebes stattgefunden habe. Im letzterem Fall stünde dies der Annahme einer durchgängig bestehenden vollen Erwerbsminderung nicht entgegen. Diese Frage könne im Ergebnis aber offenbleiben, da der Kläger diese Tätigkeit im November 2012 beendet habe und seit Mitte Dezember 2012, wenn auch aus orthopädischen Gründen, arbeitsunfähig gewesen und seither keinerlei Tätigkeit mehr nachgegangen sei. Da die Erwerbsminderung somit entweder auf den Mai 2009 oder den Dezember 2012 anzusetzen sei, könne eine letztgültige Beantwortung der Frage offenbleiben, da in beiden Fällen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Bei Eintritt der Erwerbsminderung im Mai 2009 habe der Kläger lediglich eine Vorversicherungszeit von 22 Monaten Pflichtbeiträgen belegt, bei einem Leistungsfall im Dezember 2012 lediglich 20 Monate. Für eine tatsächliche überdauernde Besserung des Gesundheitszustandes und den Eintritt einer Erwerbminderung erst ab August 2014 ergäben sich keine belastbaren Anhaltspunkte.

Der Kläger hat am 19.12.2016 gegen den ihm am 01.12.2016 zugestellte Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur weiteren Begründung vorgetragen, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung erst im Herbst 2014 eingetreten sei und insoweit auf die Auskunft von Dr. S. verwiesen.

Der Senat hat das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse vom 08.03.2018 beigezogen, aus der sich durchgehende Arbeitsunfähigkeit vom 12.12.2012 bis 10.06.2014 wegen einer Tendinitis der Patellarsehne und einer schweren depressiven Episode und Schizophrenie ergibt.

Zudem hat der Senat den Entlassbericht von Prof. Dr. H., Zentrum für Psychiatrie R. vom 20.02.2012 über die Unterbringung des Klägers vom 10.12.2009 bis 14.12.2011 beigezogen und diesen schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. In seiner Auskunft vom 30.04.2018 hat dieser mitgeteilt, dass der Kläger ausweislich des Entlassberichtes deutlich distanzgemindert, misstrauisch und formalgedanklich gestört gewesen sei. Dies habe sich langsam im Verlauf der lang andauernden, stationären psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung verändert. Wie dem Entlassbrief zu entnehmen sei, sei die Besserung klinisch langsam, aber deutlich gewesen. Ein genauer Zeitpunkt lasse sich nicht ausmachen. Aus dem Entlassbericht ergibt sich, dass der Kläger durch ein sehr schwieriges Sozialverhalten, eine geringe Anpassungsbereitschaft sowie phasenweise ein recht aggressives Verhalten aufgefallen sei. Im Laufe des Aufenthaltes sei es zunehmend möglich gewesen, zum Kläger einen therapeutischen Kontakt aufzubauen. Auch seien im Laufe der Behandlung die Erfahrungen des Klägers als Sonderschüler und ausgegrenzte Person zum Tragen gekommen, wie er sie in seiner Jugend erlebt habe, verbunden mit den Erwartungen, während der Behandlung eine Art Sonderstatus zu erhalten. Es sei im Alltag darum gegangen, dem Kläger in den alltäglichen Interaktionen immer wieder sein unangemessenes egozentrisches und zum Teil auch nötigendes Verhalten zu spiegeln. Es sei eine deutliche Kritikminderung sowie ein phasenweise histrionisches Verhalten im Alltag sowie keinerlei Krankheitseinsicht aufgefallen. Im Verlauf der Behandlung habe er eine deutliche Abnahme der sozial auffälligen Verhaltensweisen im Stationsalltag gezeigt. Aufgrund seines oft sehr zwanghaften Verhaltens sei es immer wieder zu kurzen Verspätungen gekommen. In der Phase der beginnenden extramuralen Erprobung sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger die Arbeiten im Rahmen der elterlichen Gärtnerei zufriedenstellend ausführe und in dem ihm bekannten Rahmen zurechtkomme. Im Rahmen des sozialen Gefüges der elterlichen Gärtnerei habe der Kläger einen sicheren Arbeitsplatz. Allerdings erfahre er durch die Eltern zu wenig Eingrenzung. Die Fähigkeit, sich im zwischenmenschlichen Bereich adäquat zu verhalten, sowie Konflikte verbal zu lösen, sei aufgrund der kombinierten Persönlichkeitsstörung in der Situation als Sonderschüler eher begrenzt.

Der Senat hat des Weiteren die Psychiaterin S. schriftlich als sachverständige Zeugin befragt, die in ihrer Auskunft vom 31.08.2018 mitgeteilt hat, dass sie den Kläger seit 2011 behandle. Er sei jeweils dreimal im Jahr 2016 und 2017 in Behandlung gewesen, zuletzt am 03.01.2018. Beim Kläger liege eine schwere Zwangsstörung und der Verdacht auf eine blande Psychose sowie eine Minderbegabung vor. Die Stresstoleranz, der Antrieb, die allgemeine Belastbarkeit und das Durchhaltevermögen, das Umstellungsvermögen sowie das Konzentrationsvermögen seien eingeschränkt. Da der Kläger nicht einsichtig und auch minderbegabt sei, sei eine Behandlung unmöglich. Das Krankheitsbild sei chronifiziert.

Die Berichterstatterin des Senats hat am 09.10.2018 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. November 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. September 2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 24.11.2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2015 sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren ist für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Anrechnungszeiten sind u. a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) oder arbeitslos (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) gewesen sind, wenn dadurch u. a. eine versicherte Tätigkeit unterbrochen ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit 1. Beitragszeiten 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 01. Januar 1992 (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 01.01.1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Der Nachweis für die den Anspruch begründenden Tatsachen muss hierbei im Wege des sog. Vollbeweises erfolgen. Dies erfordert, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann. Dies bedeutet, das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können; es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen. Von dem Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen muss insoweit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R -, Bayerisches LSG, Urteil vom 26.07.2006 - L 16 R 100/02 -, jeweils juris). Können die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte. Für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erwerbsminderung trägt insoweit der Versicherte die Darlegungs- und objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.1996 - 4 RA 1/96 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben steht für den Senat fest, dass der Kläger jedenfalls seit 23.05.2009 voll erwerbsgemindert ist, ihm mithin jedenfalls seit diesem Zeitpunkt keine Erwerbstätigkeit in einem Umfang von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr möglich ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger zwar grundsätzlich durchaus in der Lage ist, einer leichten körperlichen Erwerbtätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche nachzugehen. Jedoch ergibt sich die volle Erwerbsminderung zur Überzeugung des Senats aus dem Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung.

Zur Überzeugung des Senats leidet der Kläger an einer psychischen Erkrankung, die von den Gutachtern und Ärzten zwar diagnostisch unterschiedlich eingeordnet wird, jedoch in Übereinstimmung aller dazu führt, dass der Kläger in seinem Konzentrationsvermögen und seiner psychischen Belastungsfähigkeit sowie in seiner Kritik- und Konfliktfähigkeit, seiner Flexibilität und seinem Umstellungs- sowie Anpassungsvermögen erheblich eingeschränkt ist. Das SG hat diesbezüglich zutreffend ausgeführt, dass es für die Erwerbsminderung entscheidend auf die sie beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ankommt und nicht auf die Diagnose als solche.

Diese qualitativen Leistungseinschränkungen entsprechen gerade nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, weshalb ein Seltenheitsfall nach Nr. 1 des vom BSG (Urteil vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 137, Juris m.w.N.) aufgestellten sog. Verschlossenheitskatalogs vorliegt, für den eine konkrete Verweisungstätigkeit auf dem ersten und damit allgemeinen Arbeitsmarkt benannt werden muss. Eine geeignete Verweisungstätigkeit wurde von der Beklagten nicht benannt und ist auch sonst für den Senat nicht ersichtlich, weshalb eine volle Erwerbsminderung vorliegt.

Unter den üblichen Bedingungen ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelt-erzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Dazu gehören neben rechtlichen Bedingungen (Dauer und Verteilung der Arbeitszeit etc.) auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, also kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, juris). Aus den beim Kläger vorliegenden, oben genannten Funktionseinschränkungen ergibt sich zur Überzeugung des Senats eine Einschränkung für Tätigkeiten mit unmittelbarem Publikumskontakt, mit erhöhter kognitiver Inanspruchnahme (hohe Daueraufmerksamkeit) sowie mit hoher Verantwortung für Personen und Sachwerte. Zudem besteht eine Minderung der Flexibilität und des Umstellungsvermögens bezüglich der Einstellung auf neue Arbeitsbeziehungen sowie eine verminderte psychovegetative Stressbelastbarkeit, woraus sich vor allem Einschränkungen für Tätigkeiten mit erhöhter Stressbelastung (erhöhter Zeitdruck, Akkord, Nachtarbeit) sowie Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit (an gefährlichen laufenden Maschinen, mit Notwendigkeit umgehenden Intervenierens, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge) ergeben.

Vor allem auf Grund der Minderung der Flexibilität und des Umstellungsvermögens sowie der verminderten Konflikt- und Kritikfähigkeit bleibt dem Kläger zur Überzeugung des Senats wegen der damit verbundenen verminderten Fähigkeit zur Einstellung auf neue Arbeitsbeziehungen gerade ein typischer Arbeitsplatz für körperlich und geistig einfache Arbeiten versperrt. Insoweit sieht der Senat eine schwere spezifische Leistungsbehinderung als gegeben an (vgl. zur schweren spezifischen Leistungsbehinderung vor allem bei besonderen Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, juris, Rdnr. 28 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 104, juris).

Diese schwere spezifische Leistungsbehinderung besteht nachweislich seit 23.05.2009. Dies ergibt sich zur Überzeugung aus dem Gutachten von Dr. S. vom Mai 2009, dem Entlassbericht des Zentrums für Psychiatrie R. sowie den Auskünften der behandelnden Ärzte H. und S. Sofern Prof. Dr. H. in seiner Auskunft mitgeteilt hat, dass sich der psychopathologische Befund im Verlauf der stationären Unterbringung langsam deutlich gebessert habe, führt dies ebenso wenig wie die Tatsache, dass der Kläger vom 01.05.2011 bis 30.11.2012 halbtags im elterlichen Betrieb als Gärtner tätig war, zu einem wieder eingetretenen Leistungsvermögen. Denn dass der Kläger auch ab der extramuralen Belastungserprobung am 01.05.2011 und nach Aussetzung der Unterbringung ab 14.12.2011 unter einer deutlich verminderten Flexibilität, einem verminderten Umstellungsvermögen, deutlicher verminderter Konflikt- und Kritikfähigkeit litt, ergibt sich sowohl aus dem Entlassbericht selbst, wonach auch zuletzt ein adäquates Sozialverhalten und eine Konfliktfähigkeit nur begrenzt war als auch aus der Auskunft der seit 2011 behandelnden Psychiaterin S. und der Auskunft von Dr. H., der im Mai 2011 beim Kläger das Vorliegen einer Neurose diagnostiziert hatte. Überdies wurde im Entlassbericht des Zentrums für Psychiatrie ausgeführt, dass der Kläger die Beschäftigung im elterlichen Betrieb gerade in dem ihm bekannten Rahmen ausüben kann und die Fortführung dieser Beschäftigung überdies zur Auflage der Aussetzung der Unterbringung gemacht war. Dass die Ausübung dieser Beschäftigung im elterlichen Betrieb nicht unter den arbeitsmarktüblichen Bedingungen erfolgte, was Voraussetzung für die Annahme eines wiedereingetretenen Leistungsvermögens wäre, ergibt sich sowohl aus der Auskunft der Psychiaterin S. vom 05.06.2013 als auch aus den Gutachten von Dr. S. aus dem Jahr 2013. Vielmehr geht der Senat auf Grund der Auskunft von Frau S., den Gutachten von Dr. S. sowie den ärztlichen Ausführungen im Entlassbericht des Zentrums für Psychiatrie R. davon aus, dass der elterliche Betrieb für den Kläger in dieser Zeit einen geschützten Rahmen darstellte, der nicht den arbeitsmarktüblichen Bedingungen entsprach, weshalb diese Tätigkeit auch nicht als zumutbare Verweisungstätigkeit auf dem ersten und damit allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommt.

Sofern Frau S. in ihrem Attest vom 15.10.2014 ausführt, die erhebliche psychische Komorbidität habe in den letzten Jahren an Ausprägung und Beeinträchtigung zugenommen und sofern sie dann in ihrer Auskunft vom 20.08.2016 ausführt, dass eine weitere Verschlechterung seit Herbst 2014 eingetreten sei, mag dies durchaus zutreffen. Ihre Ausführungen führen zur Überzeugung des Senats indes nicht dazu, dass damit davon auszugehen wäre, dass die beim Kläger im Mai 2009 eingetretene schwere spezifische Leistungsbehinderung zwischenzeitlich beseitigt und dann (erst) im Herbst 2014 wieder erneut eingetreten war. Hierfür gibt es nämlich keinerlei Anhaltspunkte. Ganz im Gegenteil: Frau S. hat selbst ausgeführt, dass der Zustand des Klägers von Anbeginn ihrer Behandlung im Jahr 2011 bis Herbst 2014 gleichbleibend schlecht war. Sie hat vor allem erklärt, dass der Kläger seit dem Gerichtsurteil, mit dem seine Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie angeordnet wurde, völlig traumatisiert sei. Dieses Gerichtsurteil wurde aber gerade (schon) im Jahr 2009 gesprochen. Auch Dr. H. hat mitgeteilt, dass es dem Kläger bereits vor dem Jahr 2013 unmöglich gewesen sei, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen und er seit dessen Behandlung psychisch auffällig sei. Dies deckt sich im Ergebnis mit den von ihm am 24.05.2011, 01.02.2012 und 12.12.2012 gestellten Diagnosen Neurose und neurotische Persönlichkeitsstörung sowie der ab 12.12.2012 von der Krankenkasse gemeldeten Arbeitsunfähigkeit wegen einer schweren depressiven Episode und Schizophrenie.

Dass die volle Erwerbsminderung bereits vor Mai 2009 eingetreten ist, lässt sich trotz der umfangreich durchgeführten medizinischen Ermittlungen nicht nachweisen und wird auch vom Kläger selbst nicht mehr geltend gemacht.

Der Umstand, dass der Kläger die psychische Störung möglicherweise ins Erwerbsleben eingebracht hat (hiervon wäre auszugehen, wenn es zu einer frühkindlichen Hirnschädigung gekommen ist, wie von der Psychiaterin S. angenommen) und seine berufliche Tätigkeit, vor allem auch eine erfolgreiche Ausbildung und Umschulung auf dem ersten Arbeitsmarkt bis zur Inhaftierung im Jahr 2009 nicht verhindert hat, steht einer eingetretenen Erwerbsminderung auf Grund dieser Erkrankung nicht entgegen. Denn Versicherte werden mit allen Krankheiten, Gebrechen, Behinderungen, Wesenseigentümlichen, Sozialisations- und Bildungsdefiziten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen, und es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen sog. "eingebrachter" Leiden, Behinderungen oder sonstiger Defizite (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1, juris, Rdnr. 30 m.w.N., LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2017 - L 13 R 1079/16 -, juris, Rdnr. 21), es sei denn, es hat bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit bestanden. Für letzteres gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Kommen bei einem regulär Versicherten im Verlaufe des Erwerbslebens weitere Leistungseinschränkungen hinzu oder nimmt nur mit zunehmendem Alter die Kompensationsfähigkeit "eingebrachter" Leiden bis zur Erwerbsunfähigkeit ab bzw. kommt es zu einem für das "eingebrachte" Leiden typischen Leistungsabbau in einem bestimmten Lebensalter, spielt es für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit keine Rolle, wann und in welcher Reihenfolge die einzelnen ggf. "eingebrachten" Defizite und Leistungseinschränkungen aufgetreten sind (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R -, a.a.O.). Zur Überzeugung des Senats hatte die Kompensationsfähigkeit des Klägers hinsichtlich der mit der Persönlichkeitserkrankung verbundenen funktionellen/psychischen Einschränkungen jedenfalls mit der Verurteilung derart abgenommen, dass er seitdem mit der ggf. ins Erwerbsleben eingebrachten und auch versicherten Persönlichkeitserkrankung gerade seit 2009 nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann.

Ausgehend von einer am 23.05.2009 eingetretenen vollen Erwerbsminderung liegen die oben dargestellten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, vor allem der sog. Drei-Fünftel-Belegung (§ 43 Abs. 1 und 2 SGB VI) nicht vor, da im Versicherungskonto des Klägers Pflichtbeitragszeiten vor dem Leistungsfall letztmals bis 29.06.2005 hinterlegt sind, wobei Teilmonate nach dem Monatsprinzip (§ 122 Abs. 1 SGB VI) als volle Monate zählen. Im hier maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vor dem Leistungsfall (01.06.2004 bis 22.05.2009) sowie unter Berücksichtigung von rentenrechtlichen Zeiten auf Grund der geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 43 Abs. 4 SGB VI), die zu einem verlängerten zu berücksichtigendem Zeitraum ab 01.09.2003 bis 22.05.2009 führen, hat der Kläger lediglich 22 statt der erforderlichen 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt.

Da der Kläger mangels Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat, war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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