S 23 AS 632/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 632/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Überprüfung sämtlicher Bescheide, die im Zusammenhang mit der Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 ergangen sind.

Der Kläger war im Jahr 2012 als Außenrequisiteur und Ausstatter selbstständig tätig und erzielte hieraus Einnahmen in unterschiedlicher Höhe. Der Beklagte bewilligte ihm zunächst vorläufig mit Bescheid vom 31. Oktober 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013. Im Zeitraum 1. Dezember 2012 bis 31. Dezember 2012 bewilligte der Beklagte Leistungen in Höhe von monatlich 1.112,58 EUR, im Zeitraum 1. Januar 2013 bis 31. Mai 2013 Leistungen in Höhe von 1.116,58 EUR monatlich. Dieser vorläufigen Bewilligung zugrunde gelegt waren die vom Kläger für diesen Zeitraum prognostizierten Einnahmen. Nachdem der Kläger am 10. Juni 2013 abschließende Angaben zu seinen Einkünften im Bewilligungszeitraum gemacht hatte, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2014 Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 in Höhe von 0,00 EUR. Hierbei berücksichtigte der Beklagte monatliche Einnahmen in Höhe von 2.049,14 EUR. Mit Erstattungsbescheid ebenfalls vom 20. März 2014 setzte der Beklagte eine Erstattungssumme in Höhe von 6.862,93 EUR für die in dem Bewilligungszeitraum zu viel bezahlten Leistungen fest.

Am 20. Juni 2014 beantragte der Kläger die Überprüfung sämtlicher Bescheide ab dem 20. Juni 2013, ohne diesen Antrag weiter zu begründen. Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 23. Juni 2014 ab. Den hiergegen gerichteten, wiederum nicht begründeten Widerspruch vom 25. Juli 2014 lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2015, dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 21. Januar 2015 zugestellt, ab.

Hiergegen hat der Kläger am 21. Februar 2015 Klage erhoben. Die Bescheide seien unbestimmt, da nicht erkennbar sei, in welcher Höhe Abzüge in Ansatz gebracht worden seien. Er habe in dem Bewilligungszeitraum nicht gearbeitet. Ihm hätten die vollen Leistungen für den Lebensunterhalt und die Kosten der Unterkunft zugestanden. Die Versicherungspauschale sei nicht berücksichtigt worden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2015 zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat den Beteiligten im Rahmen eines am 6. Juni 2016 durchgeführten Erörterungstermins mitgeteilt, dass es beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und den Beteiligten insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden, § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG.

II. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 20. März 2014 gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X); der Beklagte hat zu Recht den Antrag des Klägers vom 20. Juni 2014 auf Überprüfung des Bewilligungsbescheids vom 20. März 2014 abgelehnt.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Die insoweit erforderliche objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts muss bei seinem Erlass und damit im Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit des Verwaltungsakts durch seine Bekanntgabe, § 39 SGB X, bestanden haben. Hierfür ist eine rückschauende Betrachtungsweise erforderlich, im Rahmen derer die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht bewertet wird (Schütze/von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10).

Erfolgt die Überprüfung – wie hier – aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich die Pflicht des Leistungsträgers zur Überprüfung aus. Deren Umfang ist aber von dem Antrag und dessen Begründung abhängig. Der Antrag muss daher konkretisierbar und der Umfang der Prüfpflicht bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens entweder aus dem (ggf. auszulegenden) Antrag selbst oder aber aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers hin erkennbar sein (BSG, Urt. v. 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, juris – Rn. 15). Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach "im Einzelfall" beim Vorliegen der Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsakts erfolgen soll. Dies setzt voraus, dass der Überprüfungsantrag einen oder ggf. mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret ausführen muss. Dies ist nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne weiteres zu ermitteln ist (BSG, Urt. v. 28.10.2014, ebenda). Für diese Auslegung spricht zudem der Sinn und Zweck des § 44 SGB X, der die Konfliktsituation der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer auflösen will. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt ist (BSG, Urt. v. 28.10.2014, ebenda).

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger mit dem am 20. Juni 2014 eingegangen Schreiben keinen Überprüfungsantrag gestellt, der zu einer inhaltlichen Überprüfung einzelner Verwaltungsakte führen musste. Vielmehr ist dieser Antrag zu Recht von dem Beklagten mangels eines hinreichend bestimmten und konkretisierten Antrags abgelehnt worden. Denn der Kläger hat pauschal und "rein vorsorglich" Anträge auf Überprüfung gemäß § 44 SGB X "in Hinblick auf alle Bescheide des letzten Jahres, d.h. ab 20.06.2013" gestellt. Es erfolgte weder eine konkrete Benennung der zu überprüfenden Bescheide noch eine Konkretisierung der zu überprüfenden Umstände. Eine Konkretisierung der zu überprüfenden Umstände erfolgte trotz Gelegenheit hierzu auch im Widerspruchsverfahren nicht, obwohl der Kläger nunmehr – infolge der durch den Beklagten erfolgten Benennung der verschiedenen Bewilligungszeiträume in den Ablehnungsbescheiden vom 23. Juni 2015 (die weiteren sind – jeweils in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides – Gegenstand der Klageverfahren S 23 AS 631/15, S 23 AS 633/15 und S 23 AS 634/15) – hierzu imstande gewesen wäre.

Auf die im Klageverfahren erfolgte Konkretisierung der zu überprüfenden Umstände kommt es nach der Überzeugung der Kammer nicht an, sodass dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger mit seinen nur oberflächlich und pauschal hinsichtlich sämtlicher Bescheide vorgetragenen Prüfungspunkte – mangelnde Bestimmtheit der Bescheide, Grund und Höhe der Abzüge, Versicherungspauschale, Fehlen von Einkommen – überhaupt eine ausreichende Konkretisierung der zu überprüfenden Umstände vorgenommen hat. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insofern der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über den Überprüfungsantrag, mithin der Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch (BSG, Urt. v. 28.10.2014, aaO, Rn. 19f). Nur durch das Abstellen auf diesen Zeitpunkt wird sichergestellt, dass die inhaltliche Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts, einschließlich möglicher Ermittlungen, bei der Verwaltung verbleibt und nicht auf die Gerichte verlagert wird. Die Möglichkeit eines erneuten Überprüfungsantrags bei einer späteren Änderung der Sachlage, die unter Umständen eine andere Beurteilung der einmal getroffenen Entscheidung rechtfertigen kann, bleibt dem Kläger unbenommen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG) lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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