S 20 R 2937/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 2937/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4841/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Zahlung von Mindestbeiträgen in Höhe von 30% des Regelpflichtbeitrages an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk i.S.d. § 231 Abs. 4b s. 4 SGB VI.
1. Der Bescheid vom 03.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin ab dem 01.02.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien und die zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.03.2014 zu erstatten. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die rückwirkende Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht.

Die Klägerin ist seit dem 17.04.2008 als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom 31.07.2008 wurde sie ab dem 17.4.2008 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Die Befreiung erfolgte damals aufgrund ihrer Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin bei D ... Ab dem 01.02.2011 arbeitete die Klägerin als Legal Counsel im Bereich Administration bei der Fa. S. Die Tätigkeit war zunächst befristet bis zum 31.01.2013. Mit Schreiben vom 09.03.2011 teilte die Beklagte mit, dass sich die Befreiung vom 31.07.2008 auf die Beschäftigung als Legal Counsel bei der Fa. S. erstrecke.

Nachdem das Arbeitsverhältnis in ein Unbefristetes umgewandelt wurde, beantragte die Klägerin am 29.01.2013 erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 03.03.2013 lehnte die Beklagte die Befreiung ab, da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um keine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 02.08.2013 Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde aufgrund eines zu dieser Frage beim BSG anhängigen Verfahrens zum Ruhen gebracht.

Mit Schreiben vom 16.03.2016 beantragte die Klägerin aufgrund der mittlerweile eingetretenen Rechtsänderung die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge. Mit Bescheid vom 14.09.2016 ließ die Rechtsanwaltskammer die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der Fa. S. zu. Die Urkunde über die Zulassung erhielt sie am 23.09.2016. Mit Bescheid vom 15.11.2016 wurde die Klägerin daraufhin ab dem 23.09.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

Mit Bescheid vom 03.03.2017 befreite die Beklagte die Klägerin rückwirkend vom 01.04.2014 bis 22.09.2016 für ihre Tätigkeit bei der Fa. S. von der Rentenversicherungspflicht. Mit Bescheid ebenfalls vom 03.03.2017 lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.03.2014 ab. Die Klägerin habe bis 31.03.2014 keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 03.03.2017 legte die Klägerin mit Schreiben vom 26.03.2017 Widerspruch ein. Sie habe Mindestbeiträge in Höhe von 30% des Regelpflichtbeitrages geleistet. Dabei handele es sich auch um einkommensbezogene Pflichtbeiträge i.S.d. § 231 Abs. 4b SGB VI.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI fordere die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk für die zu befreiende Beschäftigung vor dem 01.04.2016. Das Versorgungswerk für Rechtsanwälte Baden-Württemberg habe nicht ausdrücklich bestätigt, dass für den Zeitraum 01.02.2013 bis 31.03.2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge aufgrund der Beschäftigung die der Fa. S. gezahlt worden seien. Mindestbeiträge, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen hätten, sondern sich pauschal auf Grundlage des Höchstbetrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelbetrages ergäben, seine keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge.

Daraufhin erhob die Klägerin am 03.08.2017 Klage zum Sozialgericht Freiburg. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 19.07.2016 die Rechtsauffassung vertreten, dass es sich bei den Mindestbeiträgen um einkommensbezogene Pflichtbeiträge handele.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 03.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die durch die Klägerin beantragte Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung rückwirkend ab dem 01.02.2013 zu erteilen; die Beklagte zu verpflichten, zu Unrecht erhaltene Pflichtbeiträge aus der Zeit vom 01.02.2013 bis 31.03.2014 an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das BVerfG habe in seinen Beschlüssen keine materiell-rechtliche Entscheidung getroffen. Zudem knüpfe § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI an, welcher ebenfalls als eine Voraussetzung der Befreiung zugunsten einer berufsständischen Versorgungseinrichtung die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge erfordere. Es sei unbestritten, dass dazu nicht Mindestbeiträge zählten, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen hätten. Die Rechtfertigung für die Befreiung von der Versicherungspflicht sei die Vermeidung doppelter Beitragspflichten. Dies setze jedoch voraus, dass an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig sei, was bei einer Zahlung von Mindestbeiträgen nicht gewährleistet wäre.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz statthaft. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits ab dem 01.02.2013 und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge.

Gemäß § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand (S. 2). Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014 (S. 3). Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (S. 4). Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt auf Grund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde (S. 5). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden (S. 6).

Die Klägerin ist als Syndikusrechtsanwältin bei der Fa. S. zugelassen. Der Bescheid vom 03.03.2013, mit dem die Beklagte die Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht abgelehnt hatte, war aufgrund des ruhenden Widerspruchsverfahrens nicht bestandskräftig geworden. Den Antrag auf rückwirkende Befreiung hat die Klägerin am 16.03.2016 und somit vor dem 01.04.2016 gestellt.

Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.03.2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt. Sie hat an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg in dieser Zeit Mindestbeiträge in Höhe von 30% des Regelpflichtbeitrages gezahlt. Bei diesen Mindestbeiträgen handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge i.S.v. § 231 Abs. 4b s. 4 SGB VI (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.07.2016, Az. 1 BvR 2584/14, Rn. 16; SG Berlin, Urt. v. 11.01.2017, Az. S 11 R 645/16 WA, juris).

Damit hat die Klägerin die Voraussetzungen für die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits ab dem 01.02.2013 erfüllt mit der Folge, dass ihr auch die im Zeitraum 01.02.2013 bis 31.03.2014 zu Unrecht gezahlten Beiträge zu erstatten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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