Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 225/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 9/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen, wobei der Kostentenor des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2017 wie folgt neu gefasst wird: Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Verfahrens. 2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das ursprüngliche Hauptsacheverfahren durch einen Prozessvergleich beendet wurde.
Die Klägerin hat am 10. März 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen S 40 U 68/11 (S 40 U 225/16 WA) erhoben und in dem Überprüfungsverfahren die Änderung der Veranlagung des Unternehmens der Klägerin zu den Gefahrklassen geltend gemacht. Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 hat die Beklagte das Unternehmen der Klägerin an die Berufsgenossenschaft für Handels- und Warendistribution (BGHW) überwiesen.
Das Sozialgericht Hamburg hat am 6. Februar 2015 einen Erörterungstermin durchgeführt. Im gemeinsamen Protokoll der Verfahren S 40 U 68/11 und S 40 U 276/11 ist u.a. Folgendes festgehalten:
"Nach langer und ausführlicher Diskussion schließen die Beteiligten zur Erledigung der Rechtsstreitigkeiten folgenden Vergleich:
1. Die Verfahren werden übereinstimmend für erledigt erklärt. 2. Die Klägerseite kann der Beklagten die Veranlagung der BGHW für das Jahr 2012 in der Weise vorlegen und nachweisen, dass bei der BGHW der Imbiss als Hilfsunternehmen veranlagt wurde (Gefahrtarif Klasse 4,2 und nicht 7,7, als Nebenunternehmen). In diesem Fall würde die Beklagte die Beiträge für die Jahre 2009, 2010 und 2011 entsprechend korrigieren und der Klägerseite erstatten. 3. In Anbetracht des Prozessrisikos für beide Beteiligten werden die Kosten von Beiden jeweils zur Hälfte getragen. 4. Nach Diskussion verzichten beide Beteiligten auf ein Rücktrittsrecht vom Vergleich.
Laut diktiert und genehmigt, auf Vorspielen wird verzichtet."
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin seine Kostennote bei Gericht eingereicht und die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. März 2015 mitgeteilt, dass gegen die Festsetzung der Kosten keine Bedenken bestünden. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. April 2015 sind die Kosten von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle entsprechend festgesetzt und von der Beklagten beglichen worden.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2016 – Eingang bei Gericht am 2. Mai 2016 – hat die Beklagte die Fortführung des Verfahrens mit der Begründung beantragt, dass das Verfahren nicht wirksam mittels Prozessvergleich beendet worden sei. Die Prüfung habe auch keine Gründe ergeben, die darüber hinaus eine Bindung der Beklagten an die Vereinbarung vom 6. Februar 2015 bedingen würde. Die Nichtigkeit des Vergleichs ergebe sich aus formalen Gründen. Nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) seien Vergleiche im Protokoll, also auch in der Niederschrift im Sinne des § 101 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), festzustellen. Nach § 162 Abs. 1 ZPO sei das Protokoll insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO enthalte, den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Bei einer vorläufigen Aufzeichnung genüge das Vorlesen oder Abspielen der Aufzeichnung. Wie sich aus dem Protokoll über den Termin vom 6. Februar 2015 ergebe, sei die dortige Vereinbarung nur "laut diktiert und genehmigt" worden. Auf das Vorlesen sei verzichtet worden. Dies widerspreche der Regelung des § 162 Abs. 1 ZPO. Der Verzicht auf das Vorlesen des Diktats sei gemäß dieser Vorschrift ausschließlich in den Fällen des § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 ZPO zulässig. Durch die nicht ordnungsgemäße Protokollierung sei insoweit kein prozessbeendender Vergleich geschlossen worden, daher müsse das Verfahren fortgesetzt werden. Die Rechtsprechung und Literatur verträten zwar, dass ein unwirksamer Prozessvergleich nicht zwangsläufig die Unwirksamkeit des materiell-rechtlich geschlossenen Vergleichs nach sich ziehe. Dem stehe jedoch entgegen, dass ein derartiger Vergleichsvertrag nach § 56 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) das Schriftformerfordernis erfüllen müsse, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben sei. Im Ergebnis sei damit die für einen außergerichtlichen Vergleich zwingend erforderliche Schriftform nicht eingehalten. Dies habe grundsätzlich zur Folge, dass der Vergleich nichtig sei. Das Schriftformerfordernis solle in Fällen gelockert werden, in welchen alle Vertragspartner trotz Formmangels zum Ausdruck brächten, dass sie am Vertrag festhalten wollten, indem sie ihn lebten. Die Beklagte habe aber nicht am Vertrag festhalten wollen und habe ihn bisher auch nicht gelebt. Es liege auch kein Fall vor, in dem eine Rückabwicklung des durchgeführten Vertrags gegen Treu und Glauben verstoße und der Formmangel deswegen unbeachtlich sei. Die Beklagte habe den Vergleich nur zur Prozessbeendigung geschlossen. Da dieses Ziel nicht erreicht worden sei, sei auch ein Festhalten am Vergleich obsolet geworden. Zudem bestehe Uneinigkeit über die inhaltliche Interpretation des Vergleichstextes. Die Klägerin habe die BGHW durch unvollständige Auskünfte und teilweise unterlassene Teilinformationen zur für die Klägerin genehmen Veranlagung veranlasst. Es werde deutlich, dass die Klägerin versuche, den geschlossenen Vergleich durch nachweislich unvollständige Auskünfte zu beeinflussen. Dass die Beklagte aufgrund des Verhaltens der Klägerin nicht an Vereinbarungen im Rahmen eines nachweislich nichtigen Vergleichs festhalte, dürfte nachvollziehbar sein. Die Beklagte bezwecke keine Anfechtung des Vergleichstextes wegen Täuschung, sondern sie wolle nur verdeutlichen, weshalb sie keinen sachlichen Grund für ein Festhalten an einem Vergleich habe, der wegen Formmangels nichtig sei. Die Beklagte bestreite nicht, dass die Erklärungen, wie in der Niederschrift ersichtlich, abgegeben worden seien. Sie bestreite lediglich, dass diese Erklärungen mangels Erfüllung der Formerfordernisse eine Wirksamkeit entfalteten. Die Beklagte verhalte sich auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Nichtigkeit des Vergleichs berufe. Die Klägerin sei von einem Volljuristen vertreten worden, so dass sie gewusst haben müsse, dass der Vergleich formwidrig sei. Auf der Beklagtenseite habe erst im Nachhinein eruiert werden können, dass der Prozessvergleich nicht den zwingend erforderlichen Formvorschriften entsprochen habe. Es sei daher kein Raum für die Anwendung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Eine Fortführung des Verfahrens würde selbst bei Obsiegen der Beklagten nicht zu untragbaren Ergebnissen führen.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass das Verfahren durch den geschlossenen Vergleich im gerichtlichen Termin am 6. Februar 2015 beendet worden sei. Die Beklagte habe auch, wie im Vergleich vereinbart, 50 Prozent der Kosten an die Klägerin erstattet. Zumindest sei aber ein außergerichtlicher materiell-rechtlicher Vergleich zustande gekommen, da dies dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprochen habe. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2015 sei entsprechend den zivilprozessualen Vorschriften erstellt worden. Der Umstand, dass das Protokoll nicht noch einmal vom Aufnahmegerät vorgespielt worden sei, betreffe das Protokoll selbst nicht.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 3. Februar 2017 im schriftlichen Verfahren festgestellt, dass der geschlossene Prozessvergleich vom 6. Februar 2015 das Verfahren S 40 U 68/11 beendet habe. Ein gerichtlicher Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG könne auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht annähmen. Der Prozessvergleich sei wirksam und habe das gerichtliche Ausgangsverfahren beendet. Nach der herrschenden Rechtsprechung und Literatur habe ein gerichtlicher Vergleich eine Doppelnatur. Er sei sowohl ein öffentlich-rechtlicher Vertrag als auch eine Prozesshandlung der Beteiligten. Aufgrund einer möglichen bestehenden Ungewissheit über den Anspruch der Beteiligten solle durch gegenseitiges Nachgeben – sowohl materieller und oder prozessualer Art – über den Streitgegenstand eine Regelung zur Beendigung des Rechtsstreites getroffen werden. Nach § 162 Abs. 1 ZPO sei das Protokoll insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 1 Nummer 3 enthalte, den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Sei der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeichnet, so genüge es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt würden. In dem Protokoll sei zu vermerken, dass dies geschehen und die Genehmigung erteilt oder welcher Einwand erhoben worden sei. Zwar weise die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die vorläufige Aufzeichnung des protokollierten Vergleiches nicht abgespielt worden sei, dies führe jedoch nicht zur formellen Unwirksamkeit des geschlossenen Vergleichs. Das Gericht habe im Termin am 6. Februar 2015 den gerichtlichen Vergleich als vorläufige Aufzeichnung laut diktiert und sich dieses "laute Diktat" von den rechtskundigen Beteiligten genehmigen lassen. Die Beteiligten hätten auf ausdrückliches Nachfragen des Gerichts auf das Vorspielen der vorläufigen Aufzeichnung verzichtet. Damit seien gerade keine Einwendungen im Sinne des § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO erhoben worden. Weder die Klägerin noch die Beklagte hätten hinsichtlich des geschlossenen Vergleichs inhaltliche oder formelle Bedenken geäußert, sondern ausdrücklich auf ein Vorspielen, welches vom Gericht angefragt worden sei, verzichtet. Dieser ausdrückliche Verzicht könne nach Auffassung der Kammer gerade im vorliegenden Fall nicht dazu führen, dass die Beklagte, als rechtskundige Beteiligte, nach knapp 15 Monaten "nach reiflicher Überlegung" zu dem Ergebnis komme, sich auf eine Rechtsunwirksamkeit des geschlossenen (Prozess-)Vergleichs zu berufen. Die rechtskundigen Beteiligten hätten bewusst auf ihr prozessuales Recht "des nochmaligen Vorspielens der vorläufigen Aufzeichnung" verzichtet. Mit diesem formalen Erfordernis sollten Missverständnisse und Protokollierungsfehler vermieden werden (Richtigkeitsgewähr). Vorliegend könne in keiner Weise von Missverständnissen oder sonstigen Fehlern ausgegangen werden, denn die Beteiligten hätten sich gerade auf diesen Inhalt des Vergleiches – nach langen Verhandlungen – verständigt. Zu Recht weise Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Kommentar zur Zivilprozessordnung, 73. Aufl. 2017, § 162 ZPO Rn 1) darauf hin, dass man den Formalismus des § 162 nicht übertreiben sollte. Dieser Auffassung schließe sich die Kammer an. Gerade der vorliegende Fall zeige, dass das Berufen auf einen möglichen "formellen Mangel" zu schnell in eine Rechtsmissbräuchlichkeit führen könne. Es sei mit der herrschenden Meinung klar darauf abzustellen, dass die Formvorschrift des § 162 ZPO eine Richtigkeitsgewähr mit der Überprüfungsmöglichkeit des wesentlichen Protokollinhaltes durch die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung garantieren solle. Nach langen Verhandlungen vor Gericht sei es nicht Sinn und Zweck der (Form-)Vorschrift, dass sich ein Beteiligter lange nach Abschluss eines – schwierigen – Rechtsstreites auf formelle Mängel berufen könne, wenn diese tatsächlich nicht vorlägen. Sei ein vorläufig aufgezeichneter Vergleich inhaltlich nicht identisch mit dem, was tatsächlich "Vergleichsgegenstand" der Prozesserklärung vor Gericht gewesen sei, dann könne und müsse ein Beteiligter das (formelle) Recht haben, den Inhalt und die Form zu rügen, wenn der Vergleich nicht vorgespielt worden sei und die abgegebene prozessuale Erklärung nicht dem entspreche. So liege der Fall hier aber nicht. Es würde dem Sinn und Zweck der Norm zuwiderlaufen, wenn ein (möglicher) Formmangel nicht unverzüglich, sondern Wochen oder Monate, sogar Jahre später gerügt und zu einer Fortführung eines abgeschlossenen Verfahrens führen würde. Im vorliegenden Fall verstoße es im Übrigen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sich die Beklagte nach knapp 15 Monaten auf die formelle Unwirksamkeit des Vergleichs berufe.
Gegen das ihr am 8. Februar 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. März 2017 Berufung eingelegt. Die Veranlagung im Sinne von Punkt 2 des Vergleichs beruhe auf unrichtigen Angaben der Klägerin, so dass selbst bei Annahme, es handele sich um einen wirksamen Vergleich, äußerst fraglich sei, ob die Klägerin überhaupt einen Anspruch aus Punkt 2 des Vergleichs ableiten könne. Gleichwohl sei die Beklagte im Rahmen von ab November 2015 durchgeführten, umfangreichen Nachforschungen unter Heranziehung diverser Kommentierungen und der bisher ergangenen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gekommen, dass der am 6. Februar 2015 protokollierte Vergleich unwirksam und mangels Schriftform nichtig sei. Im Rahmen ihrer Nachforschungen habe die Beklagte auch festgestellt, dass der unwirksame Prozessvergleich auch nicht im Sinne eines außergerichtlichen Vergleichs das Verfahren beendet habe und ein Berufen auf die Nichtigkeit des Vergleichs nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Nach Abschluss der zeitaufwändigen rechtlichen Überprüfung des Sachverhalts und eines ebenso aufwändigen internen Entscheidungsprozesses habe die Klägerin die Fortführung des Verfahrens beantragt. Die Beklagte sei sich durchaus bewusst, dass nach dem Vergleichsabschluss und der Zahlung der festgesetzten Kosten ihr Verhalten objektiv als widersprüchlich qualifizierbar sei. Es mache das Verhalten jedoch noch lange nicht treuwidrig, da die hierfür laut Rechtsprechung erforderlichen besonderen Umstände nicht vorlägen. Insbesondere seien die Interessen der Gegenpartei im Hinblick auf dieses widersprüchliche Verhalten nicht als vorrangig schutzwürdig zu betrachten. Auch die Gegenpartei als Rechtskundige habe damit rechnen müssen, dass der Prozessvergleich mangels Erfüllung der prozessualen Voraussetzungen unwirksam oder nichtig sei. Weiterhin habe die Beklagte kein weiteres Verhalten an den Tag gelegt, das einen Vertrauensschutz hätte bedingen können. Die Beklagte habe in keiner Weise die Hauptforderung aus dem Vergleich, nämlich die vereinbarte Beitragserstattung, gewährt. Sie habe als nächste Reaktion auf die Aufforderung, den Vergleich zu erfüllen, ihren Antrag auf Fortführung des Verfahrens gestellt. Der Zeitraum von 15 Monaten sei in diesem Zusammenhang irrelevant. Es ergäben sich aus der Rechtsprechung keine Anhaltspunkte, dass ein reiner Zeitablauf bereits zur Treuwidrigkeit führe. Eine Fortführung des Verfahrens führe auch zu keinen schwersten unerträglichen Folgen für die Klägerin.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Berufung bereits unzulässig sei, weil die Berufungsschrift nur mit einer "geschlängelten Linie" unterzeichnet worden sei, die keinen hinreichenden individuellen Schriftzug erkennen lasse. Sie weist zudem darauf hin, dass die BGHW trotz Intervention der Beklagten die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif nicht abgeändert habe. Das erstinstanzliche Gericht habe überzeugend begründet, dass die Beklagte als rechtskundiger Beteiligter auf das Recht verzichtet habe, sich den abgeschlossenen und zum Protokoll diktierten Vergleich noch einmal vorspielen zu lassen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler sei festgestellt worden, dass man den Formalismus nicht übertreiben sollte. Der Verweis auf § 295 ZPO gehe fehl. Die Vorschrift gelte lediglich bei der Verletzung einer Verfahrensvorschrift, d.h. einer Vorschrift, die den äußeren Prozessablauf betreffe. Auf Normen, die den Inhalt von Parteihandlungen oder Gerichtshandlungen beträfen, wie z.B. §§ 139, 286, 287, 308 ZPO, sei § 295 ZPO nicht anwendbar. Vor diesem Hintergrund sei die Erklärung von rechtskundigen Beteiligten eines Rechtsstreits dahingehend, dass auf das nochmalige Abspielen eines laut diktierten und auf Tonträger aufgenommenen Prozessvergleichs verzichtet werde, möglich, da kein öffentliches Interesse daran bestehe, bei einem derartigen Fall diese Verzichtserklärung für unzulässig zu erachten. Die Behauptung, dass bei Abschluss des Vergleichs allein die Beendigung des Prozesses im Vordergrund gestanden habe, sei falsch. Es sei darum gegangen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Die Beklagte hätte rechtzeitig kundtun können, dass sie sich nicht an den Vergleich binden lassen wolle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Sitzungsniederschrift vom 24. September 2018 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung, die insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt worden ist (§ 151 SGG), ist unbegründet. Das Berufungsschreiben genügt dem Formerfordernis, da trotz unleserlicher Unterschrift die Urheberschaft nicht in Zweifel steht. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Verfahren S 40 U 68/11 durch den Vergleich im Erörterungstermin vom 6. Februar 2015 beendet worden ist.
Der Vergleich wurde zwar nicht formwirksam geschlossen, es verstößt aber gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte das Verfahren fortsetzen will und sich auf den Formmangel beruft. Die für einen wirksamen Prozessvergleich erforderlichen Formvorschriften wurden nicht eingehalten. Nach § 122 SGG i. V. m. 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sind im Protokoll Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich festzustellen. Das Protokoll ist insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO enthält, nach § 162 Abs. 1 S. 2 ZPO den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Ist der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeichnet worden, so genügt es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt werden. In dem Protokoll ist zu vermerken, dass dies geschehen und die Genehmigung erteilt oder welche Einwendungen erhoben worden sind. Das Vorspielen ist dabei Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vergleich (BGH, Urteil vom 18. Januar 1984 – IVb ZB 53/83, NJW 1984, 1465; BAG, Urteil vom 26. November 1959 – 2 AZR 242/57, BAGE 8, 228; Schutzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 162 Rn. 6). Im vorliegenden Fall ist der Vergleich nicht noch einmal verlesen worden, sondern die Beteiligten haben laut Protokoll auf ein Verlesen verzichtet. Ein Vergleich ist damit nicht formwirksam zustande gekommen. Ein Verzicht der Beteiligten auf das nochmalige Vorlesen oder die Vorlage zur Durchsicht ist nicht möglich (a. A. wohl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018, § 162 Rn. 3), wie ein Vergleich mit § 162 Abs. 2 S. 2 ZPO zeigt, der ausdrücklich regelt, dass soweit Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 in Gegenwart der Beteiligten diktiert worden sind, das Abspielen, das Vorlesen oder die Vorlage zur Durchsicht unterbleiben können, wenn die Beteiligten nach der Aufzeichnung darauf verzichten. Die Beklagte hat ihr Recht zur Verfahrensrüge auch nicht nach § 295 ZPO verloren. Hiernach kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Dies gilt jedoch nach § 295 Abs. 2 ZPO nicht, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann. Auf das nochmalige Vorlesen eines Vergleichs kann gerade nicht wirksam verzichtet werden.
Auch ein in dem Prozessvergleich aufgrund seiner Doppelnatur enthaltener materiell-rechtlicher Vergleich ist wegen eines Verstoßes gegen Formvorschriften nicht wirksam zustande gekommen. Ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag bedarf nach § 56 SGB X der Schriftform. Die Schriftform kann zwar nach § 126 Abs. 4 BGB durch eine notarielle Beurkundung ersetzt werden. Nach § 127a BGB wird die notarielle Beurkundung bei einem gerichtlichen Vergleich aber nur durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der ZPO errichtetes Protokoll ersetzt. Hier ist das Protokoll aber gerade nicht nach den Vorschriften der ZPO zustande gekommen.
Die Beklagte kann sich aber aufgrund von Treu und Glauben nicht auf die Nichtigkeit des Vergleichs berufen und das Verfahren mit dieser Begründung fortsetzen. Nach allgemeiner Rechtsprechung unterliegt jede Rechtsausübung dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99, NJW 2002, 2456, m.w.N.). Die Beklagte hat den Vergleich in der mündlichen Verhandlung genehmigt, das Protokoll der mündlichen Verhandlung erhalten und erst nach 15 Monaten erklärt, dass sie sich auf die Formnichtigkeit des Vertrages berufe. Spätestens nach Übersendung des Protokolls hatte die Beklagte die Möglichkeit, den Wortlaut des Vergleichs noch einmal zu überprüfen und Einwendungen zu erheben. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Vergleichs ist auch schutzwürdig. Denn die Beklagte ist, bevor sie sich auf die Formunwirksamkeit des Vergleichs berufen hat, bereits einem Teil ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich nachgekommen, indem sie die festgesetzten außergerichtlichen Kosten erstattet hat. Selbst wenn die Klägerin die Formnichtigkeit gekannt haben sollte, durfte sie ab diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Beklagte an dem Vergleich festhalten wird. Erst als es bei der Umsetzung des Vergleichs zu Unstimmigkeiten gekommen ist, hat sich die Beklagte auf die Formnichtigkeit berufen. Es ist jedoch nicht Sinn und Zweck der Formvorschriften demjenigen, der den Abschluss des Vergleichs bereut, nachträglich noch eine Rücktrittsmöglichkeit zu bieten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Vergleich bereits eine Kostenregelung enthält und das Gericht somit nur noch über die weiteren durch die Fortsetzung des Verfahrens entstandenen Kosten zu entscheiden hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das ursprüngliche Hauptsacheverfahren durch einen Prozessvergleich beendet wurde.
Die Klägerin hat am 10. März 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen S 40 U 68/11 (S 40 U 225/16 WA) erhoben und in dem Überprüfungsverfahren die Änderung der Veranlagung des Unternehmens der Klägerin zu den Gefahrklassen geltend gemacht. Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 hat die Beklagte das Unternehmen der Klägerin an die Berufsgenossenschaft für Handels- und Warendistribution (BGHW) überwiesen.
Das Sozialgericht Hamburg hat am 6. Februar 2015 einen Erörterungstermin durchgeführt. Im gemeinsamen Protokoll der Verfahren S 40 U 68/11 und S 40 U 276/11 ist u.a. Folgendes festgehalten:
"Nach langer und ausführlicher Diskussion schließen die Beteiligten zur Erledigung der Rechtsstreitigkeiten folgenden Vergleich:
1. Die Verfahren werden übereinstimmend für erledigt erklärt. 2. Die Klägerseite kann der Beklagten die Veranlagung der BGHW für das Jahr 2012 in der Weise vorlegen und nachweisen, dass bei der BGHW der Imbiss als Hilfsunternehmen veranlagt wurde (Gefahrtarif Klasse 4,2 und nicht 7,7, als Nebenunternehmen). In diesem Fall würde die Beklagte die Beiträge für die Jahre 2009, 2010 und 2011 entsprechend korrigieren und der Klägerseite erstatten. 3. In Anbetracht des Prozessrisikos für beide Beteiligten werden die Kosten von Beiden jeweils zur Hälfte getragen. 4. Nach Diskussion verzichten beide Beteiligten auf ein Rücktrittsrecht vom Vergleich.
Laut diktiert und genehmigt, auf Vorspielen wird verzichtet."
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin seine Kostennote bei Gericht eingereicht und die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. März 2015 mitgeteilt, dass gegen die Festsetzung der Kosten keine Bedenken bestünden. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. April 2015 sind die Kosten von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle entsprechend festgesetzt und von der Beklagten beglichen worden.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2016 – Eingang bei Gericht am 2. Mai 2016 – hat die Beklagte die Fortführung des Verfahrens mit der Begründung beantragt, dass das Verfahren nicht wirksam mittels Prozessvergleich beendet worden sei. Die Prüfung habe auch keine Gründe ergeben, die darüber hinaus eine Bindung der Beklagten an die Vereinbarung vom 6. Februar 2015 bedingen würde. Die Nichtigkeit des Vergleichs ergebe sich aus formalen Gründen. Nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) seien Vergleiche im Protokoll, also auch in der Niederschrift im Sinne des § 101 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), festzustellen. Nach § 162 Abs. 1 ZPO sei das Protokoll insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO enthalte, den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Bei einer vorläufigen Aufzeichnung genüge das Vorlesen oder Abspielen der Aufzeichnung. Wie sich aus dem Protokoll über den Termin vom 6. Februar 2015 ergebe, sei die dortige Vereinbarung nur "laut diktiert und genehmigt" worden. Auf das Vorlesen sei verzichtet worden. Dies widerspreche der Regelung des § 162 Abs. 1 ZPO. Der Verzicht auf das Vorlesen des Diktats sei gemäß dieser Vorschrift ausschließlich in den Fällen des § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 ZPO zulässig. Durch die nicht ordnungsgemäße Protokollierung sei insoweit kein prozessbeendender Vergleich geschlossen worden, daher müsse das Verfahren fortgesetzt werden. Die Rechtsprechung und Literatur verträten zwar, dass ein unwirksamer Prozessvergleich nicht zwangsläufig die Unwirksamkeit des materiell-rechtlich geschlossenen Vergleichs nach sich ziehe. Dem stehe jedoch entgegen, dass ein derartiger Vergleichsvertrag nach § 56 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) das Schriftformerfordernis erfüllen müsse, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben sei. Im Ergebnis sei damit die für einen außergerichtlichen Vergleich zwingend erforderliche Schriftform nicht eingehalten. Dies habe grundsätzlich zur Folge, dass der Vergleich nichtig sei. Das Schriftformerfordernis solle in Fällen gelockert werden, in welchen alle Vertragspartner trotz Formmangels zum Ausdruck brächten, dass sie am Vertrag festhalten wollten, indem sie ihn lebten. Die Beklagte habe aber nicht am Vertrag festhalten wollen und habe ihn bisher auch nicht gelebt. Es liege auch kein Fall vor, in dem eine Rückabwicklung des durchgeführten Vertrags gegen Treu und Glauben verstoße und der Formmangel deswegen unbeachtlich sei. Die Beklagte habe den Vergleich nur zur Prozessbeendigung geschlossen. Da dieses Ziel nicht erreicht worden sei, sei auch ein Festhalten am Vergleich obsolet geworden. Zudem bestehe Uneinigkeit über die inhaltliche Interpretation des Vergleichstextes. Die Klägerin habe die BGHW durch unvollständige Auskünfte und teilweise unterlassene Teilinformationen zur für die Klägerin genehmen Veranlagung veranlasst. Es werde deutlich, dass die Klägerin versuche, den geschlossenen Vergleich durch nachweislich unvollständige Auskünfte zu beeinflussen. Dass die Beklagte aufgrund des Verhaltens der Klägerin nicht an Vereinbarungen im Rahmen eines nachweislich nichtigen Vergleichs festhalte, dürfte nachvollziehbar sein. Die Beklagte bezwecke keine Anfechtung des Vergleichstextes wegen Täuschung, sondern sie wolle nur verdeutlichen, weshalb sie keinen sachlichen Grund für ein Festhalten an einem Vergleich habe, der wegen Formmangels nichtig sei. Die Beklagte bestreite nicht, dass die Erklärungen, wie in der Niederschrift ersichtlich, abgegeben worden seien. Sie bestreite lediglich, dass diese Erklärungen mangels Erfüllung der Formerfordernisse eine Wirksamkeit entfalteten. Die Beklagte verhalte sich auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Nichtigkeit des Vergleichs berufe. Die Klägerin sei von einem Volljuristen vertreten worden, so dass sie gewusst haben müsse, dass der Vergleich formwidrig sei. Auf der Beklagtenseite habe erst im Nachhinein eruiert werden können, dass der Prozessvergleich nicht den zwingend erforderlichen Formvorschriften entsprochen habe. Es sei daher kein Raum für die Anwendung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Eine Fortführung des Verfahrens würde selbst bei Obsiegen der Beklagten nicht zu untragbaren Ergebnissen führen.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass das Verfahren durch den geschlossenen Vergleich im gerichtlichen Termin am 6. Februar 2015 beendet worden sei. Die Beklagte habe auch, wie im Vergleich vereinbart, 50 Prozent der Kosten an die Klägerin erstattet. Zumindest sei aber ein außergerichtlicher materiell-rechtlicher Vergleich zustande gekommen, da dies dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprochen habe. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2015 sei entsprechend den zivilprozessualen Vorschriften erstellt worden. Der Umstand, dass das Protokoll nicht noch einmal vom Aufnahmegerät vorgespielt worden sei, betreffe das Protokoll selbst nicht.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 3. Februar 2017 im schriftlichen Verfahren festgestellt, dass der geschlossene Prozessvergleich vom 6. Februar 2015 das Verfahren S 40 U 68/11 beendet habe. Ein gerichtlicher Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG könne auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht annähmen. Der Prozessvergleich sei wirksam und habe das gerichtliche Ausgangsverfahren beendet. Nach der herrschenden Rechtsprechung und Literatur habe ein gerichtlicher Vergleich eine Doppelnatur. Er sei sowohl ein öffentlich-rechtlicher Vertrag als auch eine Prozesshandlung der Beteiligten. Aufgrund einer möglichen bestehenden Ungewissheit über den Anspruch der Beteiligten solle durch gegenseitiges Nachgeben – sowohl materieller und oder prozessualer Art – über den Streitgegenstand eine Regelung zur Beendigung des Rechtsstreites getroffen werden. Nach § 162 Abs. 1 ZPO sei das Protokoll insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 1 Nummer 3 enthalte, den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Sei der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeichnet, so genüge es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt würden. In dem Protokoll sei zu vermerken, dass dies geschehen und die Genehmigung erteilt oder welcher Einwand erhoben worden sei. Zwar weise die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die vorläufige Aufzeichnung des protokollierten Vergleiches nicht abgespielt worden sei, dies führe jedoch nicht zur formellen Unwirksamkeit des geschlossenen Vergleichs. Das Gericht habe im Termin am 6. Februar 2015 den gerichtlichen Vergleich als vorläufige Aufzeichnung laut diktiert und sich dieses "laute Diktat" von den rechtskundigen Beteiligten genehmigen lassen. Die Beteiligten hätten auf ausdrückliches Nachfragen des Gerichts auf das Vorspielen der vorläufigen Aufzeichnung verzichtet. Damit seien gerade keine Einwendungen im Sinne des § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO erhoben worden. Weder die Klägerin noch die Beklagte hätten hinsichtlich des geschlossenen Vergleichs inhaltliche oder formelle Bedenken geäußert, sondern ausdrücklich auf ein Vorspielen, welches vom Gericht angefragt worden sei, verzichtet. Dieser ausdrückliche Verzicht könne nach Auffassung der Kammer gerade im vorliegenden Fall nicht dazu führen, dass die Beklagte, als rechtskundige Beteiligte, nach knapp 15 Monaten "nach reiflicher Überlegung" zu dem Ergebnis komme, sich auf eine Rechtsunwirksamkeit des geschlossenen (Prozess-)Vergleichs zu berufen. Die rechtskundigen Beteiligten hätten bewusst auf ihr prozessuales Recht "des nochmaligen Vorspielens der vorläufigen Aufzeichnung" verzichtet. Mit diesem formalen Erfordernis sollten Missverständnisse und Protokollierungsfehler vermieden werden (Richtigkeitsgewähr). Vorliegend könne in keiner Weise von Missverständnissen oder sonstigen Fehlern ausgegangen werden, denn die Beteiligten hätten sich gerade auf diesen Inhalt des Vergleiches – nach langen Verhandlungen – verständigt. Zu Recht weise Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Kommentar zur Zivilprozessordnung, 73. Aufl. 2017, § 162 ZPO Rn 1) darauf hin, dass man den Formalismus des § 162 nicht übertreiben sollte. Dieser Auffassung schließe sich die Kammer an. Gerade der vorliegende Fall zeige, dass das Berufen auf einen möglichen "formellen Mangel" zu schnell in eine Rechtsmissbräuchlichkeit führen könne. Es sei mit der herrschenden Meinung klar darauf abzustellen, dass die Formvorschrift des § 162 ZPO eine Richtigkeitsgewähr mit der Überprüfungsmöglichkeit des wesentlichen Protokollinhaltes durch die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung garantieren solle. Nach langen Verhandlungen vor Gericht sei es nicht Sinn und Zweck der (Form-)Vorschrift, dass sich ein Beteiligter lange nach Abschluss eines – schwierigen – Rechtsstreites auf formelle Mängel berufen könne, wenn diese tatsächlich nicht vorlägen. Sei ein vorläufig aufgezeichneter Vergleich inhaltlich nicht identisch mit dem, was tatsächlich "Vergleichsgegenstand" der Prozesserklärung vor Gericht gewesen sei, dann könne und müsse ein Beteiligter das (formelle) Recht haben, den Inhalt und die Form zu rügen, wenn der Vergleich nicht vorgespielt worden sei und die abgegebene prozessuale Erklärung nicht dem entspreche. So liege der Fall hier aber nicht. Es würde dem Sinn und Zweck der Norm zuwiderlaufen, wenn ein (möglicher) Formmangel nicht unverzüglich, sondern Wochen oder Monate, sogar Jahre später gerügt und zu einer Fortführung eines abgeschlossenen Verfahrens führen würde. Im vorliegenden Fall verstoße es im Übrigen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sich die Beklagte nach knapp 15 Monaten auf die formelle Unwirksamkeit des Vergleichs berufe.
Gegen das ihr am 8. Februar 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. März 2017 Berufung eingelegt. Die Veranlagung im Sinne von Punkt 2 des Vergleichs beruhe auf unrichtigen Angaben der Klägerin, so dass selbst bei Annahme, es handele sich um einen wirksamen Vergleich, äußerst fraglich sei, ob die Klägerin überhaupt einen Anspruch aus Punkt 2 des Vergleichs ableiten könne. Gleichwohl sei die Beklagte im Rahmen von ab November 2015 durchgeführten, umfangreichen Nachforschungen unter Heranziehung diverser Kommentierungen und der bisher ergangenen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gekommen, dass der am 6. Februar 2015 protokollierte Vergleich unwirksam und mangels Schriftform nichtig sei. Im Rahmen ihrer Nachforschungen habe die Beklagte auch festgestellt, dass der unwirksame Prozessvergleich auch nicht im Sinne eines außergerichtlichen Vergleichs das Verfahren beendet habe und ein Berufen auf die Nichtigkeit des Vergleichs nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Nach Abschluss der zeitaufwändigen rechtlichen Überprüfung des Sachverhalts und eines ebenso aufwändigen internen Entscheidungsprozesses habe die Klägerin die Fortführung des Verfahrens beantragt. Die Beklagte sei sich durchaus bewusst, dass nach dem Vergleichsabschluss und der Zahlung der festgesetzten Kosten ihr Verhalten objektiv als widersprüchlich qualifizierbar sei. Es mache das Verhalten jedoch noch lange nicht treuwidrig, da die hierfür laut Rechtsprechung erforderlichen besonderen Umstände nicht vorlägen. Insbesondere seien die Interessen der Gegenpartei im Hinblick auf dieses widersprüchliche Verhalten nicht als vorrangig schutzwürdig zu betrachten. Auch die Gegenpartei als Rechtskundige habe damit rechnen müssen, dass der Prozessvergleich mangels Erfüllung der prozessualen Voraussetzungen unwirksam oder nichtig sei. Weiterhin habe die Beklagte kein weiteres Verhalten an den Tag gelegt, das einen Vertrauensschutz hätte bedingen können. Die Beklagte habe in keiner Weise die Hauptforderung aus dem Vergleich, nämlich die vereinbarte Beitragserstattung, gewährt. Sie habe als nächste Reaktion auf die Aufforderung, den Vergleich zu erfüllen, ihren Antrag auf Fortführung des Verfahrens gestellt. Der Zeitraum von 15 Monaten sei in diesem Zusammenhang irrelevant. Es ergäben sich aus der Rechtsprechung keine Anhaltspunkte, dass ein reiner Zeitablauf bereits zur Treuwidrigkeit führe. Eine Fortführung des Verfahrens führe auch zu keinen schwersten unerträglichen Folgen für die Klägerin.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Berufung bereits unzulässig sei, weil die Berufungsschrift nur mit einer "geschlängelten Linie" unterzeichnet worden sei, die keinen hinreichenden individuellen Schriftzug erkennen lasse. Sie weist zudem darauf hin, dass die BGHW trotz Intervention der Beklagten die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif nicht abgeändert habe. Das erstinstanzliche Gericht habe überzeugend begründet, dass die Beklagte als rechtskundiger Beteiligter auf das Recht verzichtet habe, sich den abgeschlossenen und zum Protokoll diktierten Vergleich noch einmal vorspielen zu lassen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler sei festgestellt worden, dass man den Formalismus nicht übertreiben sollte. Der Verweis auf § 295 ZPO gehe fehl. Die Vorschrift gelte lediglich bei der Verletzung einer Verfahrensvorschrift, d.h. einer Vorschrift, die den äußeren Prozessablauf betreffe. Auf Normen, die den Inhalt von Parteihandlungen oder Gerichtshandlungen beträfen, wie z.B. §§ 139, 286, 287, 308 ZPO, sei § 295 ZPO nicht anwendbar. Vor diesem Hintergrund sei die Erklärung von rechtskundigen Beteiligten eines Rechtsstreits dahingehend, dass auf das nochmalige Abspielen eines laut diktierten und auf Tonträger aufgenommenen Prozessvergleichs verzichtet werde, möglich, da kein öffentliches Interesse daran bestehe, bei einem derartigen Fall diese Verzichtserklärung für unzulässig zu erachten. Die Behauptung, dass bei Abschluss des Vergleichs allein die Beendigung des Prozesses im Vordergrund gestanden habe, sei falsch. Es sei darum gegangen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Die Beklagte hätte rechtzeitig kundtun können, dass sie sich nicht an den Vergleich binden lassen wolle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Sitzungsniederschrift vom 24. September 2018 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung, die insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt worden ist (§ 151 SGG), ist unbegründet. Das Berufungsschreiben genügt dem Formerfordernis, da trotz unleserlicher Unterschrift die Urheberschaft nicht in Zweifel steht. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Verfahren S 40 U 68/11 durch den Vergleich im Erörterungstermin vom 6. Februar 2015 beendet worden ist.
Der Vergleich wurde zwar nicht formwirksam geschlossen, es verstößt aber gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte das Verfahren fortsetzen will und sich auf den Formmangel beruft. Die für einen wirksamen Prozessvergleich erforderlichen Formvorschriften wurden nicht eingehalten. Nach § 122 SGG i. V. m. 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sind im Protokoll Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich festzustellen. Das Protokoll ist insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO enthält, nach § 162 Abs. 1 S. 2 ZPO den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Ist der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeichnet worden, so genügt es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt werden. In dem Protokoll ist zu vermerken, dass dies geschehen und die Genehmigung erteilt oder welche Einwendungen erhoben worden sind. Das Vorspielen ist dabei Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vergleich (BGH, Urteil vom 18. Januar 1984 – IVb ZB 53/83, NJW 1984, 1465; BAG, Urteil vom 26. November 1959 – 2 AZR 242/57, BAGE 8, 228; Schutzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 162 Rn. 6). Im vorliegenden Fall ist der Vergleich nicht noch einmal verlesen worden, sondern die Beteiligten haben laut Protokoll auf ein Verlesen verzichtet. Ein Vergleich ist damit nicht formwirksam zustande gekommen. Ein Verzicht der Beteiligten auf das nochmalige Vorlesen oder die Vorlage zur Durchsicht ist nicht möglich (a. A. wohl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018, § 162 Rn. 3), wie ein Vergleich mit § 162 Abs. 2 S. 2 ZPO zeigt, der ausdrücklich regelt, dass soweit Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 in Gegenwart der Beteiligten diktiert worden sind, das Abspielen, das Vorlesen oder die Vorlage zur Durchsicht unterbleiben können, wenn die Beteiligten nach der Aufzeichnung darauf verzichten. Die Beklagte hat ihr Recht zur Verfahrensrüge auch nicht nach § 295 ZPO verloren. Hiernach kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Dies gilt jedoch nach § 295 Abs. 2 ZPO nicht, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann. Auf das nochmalige Vorlesen eines Vergleichs kann gerade nicht wirksam verzichtet werden.
Auch ein in dem Prozessvergleich aufgrund seiner Doppelnatur enthaltener materiell-rechtlicher Vergleich ist wegen eines Verstoßes gegen Formvorschriften nicht wirksam zustande gekommen. Ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag bedarf nach § 56 SGB X der Schriftform. Die Schriftform kann zwar nach § 126 Abs. 4 BGB durch eine notarielle Beurkundung ersetzt werden. Nach § 127a BGB wird die notarielle Beurkundung bei einem gerichtlichen Vergleich aber nur durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der ZPO errichtetes Protokoll ersetzt. Hier ist das Protokoll aber gerade nicht nach den Vorschriften der ZPO zustande gekommen.
Die Beklagte kann sich aber aufgrund von Treu und Glauben nicht auf die Nichtigkeit des Vergleichs berufen und das Verfahren mit dieser Begründung fortsetzen. Nach allgemeiner Rechtsprechung unterliegt jede Rechtsausübung dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99, NJW 2002, 2456, m.w.N.). Die Beklagte hat den Vergleich in der mündlichen Verhandlung genehmigt, das Protokoll der mündlichen Verhandlung erhalten und erst nach 15 Monaten erklärt, dass sie sich auf die Formnichtigkeit des Vertrages berufe. Spätestens nach Übersendung des Protokolls hatte die Beklagte die Möglichkeit, den Wortlaut des Vergleichs noch einmal zu überprüfen und Einwendungen zu erheben. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Vergleichs ist auch schutzwürdig. Denn die Beklagte ist, bevor sie sich auf die Formunwirksamkeit des Vergleichs berufen hat, bereits einem Teil ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich nachgekommen, indem sie die festgesetzten außergerichtlichen Kosten erstattet hat. Selbst wenn die Klägerin die Formnichtigkeit gekannt haben sollte, durfte sie ab diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Beklagte an dem Vergleich festhalten wird. Erst als es bei der Umsetzung des Vergleichs zu Unstimmigkeiten gekommen ist, hat sich die Beklagte auf die Formnichtigkeit berufen. Es ist jedoch nicht Sinn und Zweck der Formvorschriften demjenigen, der den Abschluss des Vergleichs bereut, nachträglich noch eine Rücktrittsmöglichkeit zu bieten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Vergleich bereits eine Kostenregelung enthält und das Gericht somit nur noch über die weiteren durch die Fortsetzung des Verfahrens entstandenen Kosten zu entscheiden hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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HAM
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