S 3 AS 1191/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AS 1191/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 658/17 NZB
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017 werden für den Monat Januar 2015 aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung des Bescheides vom 29. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Monat Januar 2015 in Höhe von 171,41 Euro zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehrten ursprünglich die Gewährung höherer Unterkunftskosten in Form der Übernahme der Kosten aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013. Nunmehr streiten die Beteiligten auch über die Rücknahme und Erstattung von bewilligten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum November 2014 bis April 2015.

Die am ... 1972 geborene Klägerin zu 1) und ihr am ... 1969 geborener Ehemann, der Kläger zu 2), beziehen in Bedarfsgemeinschaft mit ihren beiden Kindern, geboren 1996 und 2002 (den Klägern zu 3-4) seit 2005 vom Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Die Kläger zu 1) und 2) übten eine Erwerbstätigkeit bei der Firma H. aus. Die Klägerin zu 1) erhielt als Reinigungskraft Lohnzahlungen in Höhe von monatlich 160 Euro und der Kläger zu 2) als Hausmeister Lohnzahlungen in Höhe von monatlich 100 Euro in bar ausgezahlt (Zufluss jeweils zum Monatsbeginn als Lohn für den vorangegangenen Monat). Die Quittungsbelege hierüber reichten die Kläger bei dem Beklagten ein. Die Kläger zu 3) und 4) erhielten Kindergeld in Höhe von monatlich 184 Euro. Der Kläger zu 3) erhielt zudem eine Ausbildungsvergütung in monatlich unterschiedlicher Höhe.

Die Kläger bewohnen eine 73,05 m² große Wohnung in der ... in Bitterfeld-Wolfen Die laut Mietbescheinigung (Blatt 343 der Verwaltungsakte) zu entrichtende Nettokaltmiete betrug monatlich 383,51 Euro zuzüglich einer Vorauszahlung für die Betriebskosten von 98,40 Euro sowie für Heiz- und Warmwasserkosten von 108,09 Euro.

Mit Schreiben vom 2. August 2011 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung nach der Handlungsempfehlung des Beklagten unangemessen hoch seien und forderte die Kläger zur Kostensenkung auf. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2012 teilte der Beklagte den Klägern erneut mit, dass die von ihnen nachgewiesenen Kosten der Unterkunft (Grundmiete zuzüglich Betriebskosten) den für ihre Bedarfsgemeinschaft angemessenen Betrag von maximal 448 Euro um 33,91 Euro überschreiten. Daher sei beabsichtigt, die tatsächlichen Kosten des jetzigen Wohnraumes nur noch befristet bis zum 30. April 2013 zu übernehmen. In der Folgezeit übernahm der Beklagte nur noch die aus seiner Sicht angemessenen Kosten der Unterkunft.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2014 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. bis 30. November 2014 in Höhe von 1.398 Euro, für die Zeit vom 1. bis 31. Dezember 2014 in Höhe von 1.241 Euro und für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2015 in Höhe von monatlich 1.241 Euro. Die Vorläufigkeit begründete der Beklagte mit der nicht feststehenden Höhe des Einkommens des Klägers zu 3). In seiner Leistungsberechnung berücksichtigte der Beklagte monatlich Kosten der Unterkunft in Höhe von 463,20 Euro für Grundmiete und Nebenkosten sowie 108,09 Euro für Heizkosten. Die Bestimmung der aus Sicht des Beklagten als angemessen zu übernehmenden Aufwendungen erfolgte aufgrund der Richtlinie zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ab 1. April 2012. Nach dieser Verwaltungsvorschrift sind für einen Vier-Personen-Haushalt in Bitterfeld-Wolfen (Wohnungsmarkttyp II) maximal 80 m² Wohnfläche mit einer Bruttokaltmiete von 463,20 Euro angemessen. Die Verwaltungsvorschrift basiert auf einer Mietwerterhebung durch die vom Beklagten beauftragte Firma A ... Dagegen erhoben die Kläger am 29. Oktober 2014 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung ab und gewährte den Klägern nunmehr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit von November 2014 bis Mai 2015 unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung.

Am 29. Dezember 2014 erhielten die Kläger die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013, welche mit einer Nachforderung von 193,85 Euro schloss. Den Betrag sollten die Kläger bis zum 15. Januar 2015 an den Vermieter, die Firma H., zahlen.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 29. April 2015 setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum November 2014 bis Mai 2015 unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens des Klägers zu 3) endgültig fest.

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 nach der erfolgten Abänderung als im Übrigen unbegründet zurück.

Mit Änderungsbescheid vom 1. Juni 2015 übernahm der Beklagte von der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013 einen Anteil von 22,44 Euro.

Die Kläger verfolgen ihr Begehren weiter und haben am 3. Juni 2015 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass ihnen weitere Kosten für Unterkunft und Heizung aus der Betriebskostenabrechnung zustünden.

Das Gericht hat am 12. November 2015 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt.

Mit Schreiben vom 23. März 2016 hat das Hauptzollamt M. dem Beklagten mitgeteilt, dass bei einer Prüfung der Firma H. festgestellt worden sei, dass die Klägerin zu 1) im streitigen Zeitraum mehr Arbeitsentgelt erhalten habe, als laut offizieller Lohnbuchhaltung gemeldet und verbeitragt worden sei. Dem Schreiben hat das Hauptzollamt zahlreiche Quittungen beigefügt. So quittierte die Klägerin zu 1) am 3. November 2014 neben ihrem Lohn von 160 Euro den Erhalt von weiteren 200 Euro in bar für "Hausflurreinigung Oktober 2014 P. L." und am 1. Dezember 2014 den Erhalt von weiteren 200 Euro in bar für "Hausflurreinigung November 2014 P. L.".

Mit Schreiben vom 20. April 2016 hat der Beklagte die Kläger hinsichtlich der beabsichtigten Rücknahme von Leistungen für den streitigen Zeitraum angehört.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheiden vom 7. März 2017 hat der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum November 2014 bis Januar 2015 teilweise (in Höhe von insgesamt 480 Euro) aufgehoben und die Klägerin zu 1) zur Erstattung von 175,37 Euro für sich und 79,35 Euro für die Klägerin zu 4); den Kläger zu 2) zur Erstattung von 175,36 Euro und den Kläger zu 3) zur Erstattung von 49,92 Euro aufgefordert. Die Klägerin zu 1) hätte höheres Einkommen erzielt als bislang gegenüber dem Beklagten angegeben. Ausweislich der vom Hauptzollamt übersandten Quittungen hätte die Klägerin zu 1) neben dem angegebenen Lohn von 160 Euro weitere Barzahlungen für "Hausreinigung" über 200 Euro monatlich erhalten und diese gegenüber dem Beklagten nicht mitgeteilt.

Mit weiterem Bescheid über die Heranziehung zum Kostenersatz nach § 34a SGB II vom 7. März 2017 hat er die Klägerin zu 1) zum Ersatz rechtswidrig erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 304,64 Euro aufgefordert. Die Klägerin zu 1) hätte die rechtswidrige Erbringung von Leistungen an die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorsätzlich herbeigeführt und sei daher zum Ersatz verpflichtet.

Die Kläger haben die Erzielung höheren Einkommens bestritten. In der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2017 hat die Klägerin zu 1) vorgetragen, dass sie die Quittungen über den Erhalt der Zahlung von 200 Euro in bar zwar eigenhändig unterschrieben, das Geld jedoch nicht erhalten habe. Der Kläger zu 2) hat vorgetragen, dass er zwar nicht anwesend gewesen sei, als seine Frau die Quittungen unterschrieben habe, jedoch Kenntnis hierüber gehabt habe. Hierzu wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2017 verwiesen.

Die Kläger beantragen zuletzt (sinngemäß),

die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen unter Abänderung des Bescheides vom 29. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Monat Januar 2015 in Höhe von 171,41 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seine Entscheidung für rechtmäßig und verweist auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Bestreitung der Erzielung höheren Einkommens sei eine Schutzbehauptung der Kläger. Durch die Unterschrift der Klägerin zu 1) auf den vorgelegten Quittungen habe diese den Empfang der Geldleistung bestätigt. Die Bescheide vom 7. März 2017 seien allesamt Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage hat teilweise Erfolg.

1.

Die ursprüngliche Klage in Form der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG in Verbindung mit § 56 SGG) ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht nach § 87 SGG erhoben.

Gegenstand des Klageverfahrens war nur noch der den Zeitraum November 2014 bis April 2015 betreffende Bescheid des Beklagten vom 29. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Juni 2015 in der Fassung der Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017. Mit dem Bescheid vom 29. April 2015 hat der Beklagte die bislang lediglich vorläufig bewilligten Leistungen endgültig festgesetzt. Diese abschließende Entscheidung vom 29. April 2015 ersetzte und erledigte die vorläufigen Entscheidungen vom 9. Oktober 2014 und 29. Oktober 2014 im Sinne des § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Die endgültige Bewilligung wird nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 - B 14 AS 36/16 R, bislang nur Terminsbericht vorliegend). Die im Laufe des Klageverfahrens ergangenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017 änderten die ursprüngliche Leistungsbewilligung ab und sind nach § 96 Abs. 1 SGG Klagegegenstand geworden. Hiergegen wenden sich die Kläger zulässigerweise mit einer Anfechtungsklage. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der gegenüber der Klägerin zu 1) erlassene Bescheid über die Heranziehung zum Kostenersatz nach § 34a SGB II vom 7. März 2017 nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da dieser die Leistungsbewilligung weder abänderte noch ersetzte. Dieser Bescheid enthält einen anderen Regelungsgegenstand. Er ist nicht auf die Bewilligung von Leistungen gerichtet, sondern enthält eine Regelung zum Kostenersatz.

2.

Die Klage ist auch teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid vom 29. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Juni 2015 in der Fassung der Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017 ist teilweise rechtswidrig und beschwert die Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

a)

Die angegriffenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. März 2017 begegnen keinen Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit. Die angefochtenen Bescheide sind hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Auch hat der Beklagte die Kläger vor Erlass der Bescheide mit Schreiben vom 20. April 2016 entsprechend § 24 Abs. 1 SGB X angehört.

b)

Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen ist § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II (in der Fassung vom 26. Juli 2016) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) in Verbindung mit § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Ziff. 2, 3 und Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach wird ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit er von Anfang an rechtswidrig begünstigend ist.

Die Kläger waren in dem hier streitigen Zeitraum dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem SGB II. Auch bei einer Klage wegen der Abänderung einer Leistungsbewilligung sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsberechtigung dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (BSG, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 62/09 R, juris). Die Kläger sind Berechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Kläger zu 1) bis 3) hatten im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und waren erwerbsfähig und hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern konnten. Die Klägerin zu 4) lebte mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft.

Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II erwies sich für die Monate November und Dezember 2014 als der Höhe nach ursprünglich rechtswidrig, weil bereits bei dem Erlass des Bescheides vom 29. April 2015 für den streitigen Zeitraum eine geringere Hilfebedürftigkeit der Kläger aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens vorgelegen hat.

Der maßgebliche Bedarf der Kläger ist anhand der gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff. SGB II) zu bestimmen. Für die Monate November bis Dezember 2014 ist für die Kläger zu 1) und zu 2) nach § 20 Abs. 4 SGB II ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von jeweils 353 Euro zu berücksichtigen. Für den Kläger zu 3) ist ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von 313 Euro und für die Klägerin zu 4) in Höhe von 261 Euro zu berücksichtigen. Für den Monat Januar 2015 ist für die Kläger zu 1) und zu 2) nach § 20 Abs. 4 SGB II ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von jeweils 360 Euro zu berücksichtigen. Für den Kläger zu 3) ist ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von 320 Euro und für die Klägerin zu 4) in Höhe von 267 Euro zu berücksichtigen.

Hinzu addieren sich die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Unterkunftskosten der Kläger belaufen sich im streitigen Zeitraum auf monatlich insgesamt 481,91 Euro, bestehend aus der Grundmiete von 383,51 Euro und Vorauszahlungen für Betriebskosten von 98,40 Euro, die der Beklagte auch berücksichtigt hat. Für den Monat Januar 2015 ergibt sich ein weiterer Bedarf auf Übernahme der vollständigen Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013, mithin weitere 171,41 Euro. Nach Auffassung der Kammer sind die Kosten der Unterkunft und Heizung der Kläger auch unter Einbeziehung der Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung zu übernehmen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.

Unabhängig davon, ob die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung der Kläger unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, wären sie jedoch auch bei unterstellter Unangemessenheit zu übernehmen, da den Klägern die Kostensenkung durch einen Wohnungswechsel nicht zumutbar war. Dies ist - unabhängig von individuell vorliegenden weiteren Gründen - nach der Rechtsprechung des BSG dann der Fall, wenn in einer anderen Wohnung des Vergleichsraumes gleichhohe oder sogar höhere Kosten, die der Grundsicherungsträger als angemessen übernehmen würde, anfallen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2013 - B 14 AS 60/12 R; dem folgend: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. Dezember 2013 - L 5 AS 723/13 B ER; juris). Nur ein Wohnungswechsel, mit dem tatsächlich eine Kostensenkung erreicht werden kann, ist das von dem hilfebedürftigen Leistungsempfänger geforderte "wirtschaftliche Verhalten". Gegenüber dem grundsätzlich schützenswerten individuellen Interesse des hilfebedürftigen Leistungsempfängers am Verbleib in seiner Wohnung überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an deren Aufgabe nur für den Fall eines wirtschaftlich sinnvollen Umzuges. Daneben kann auch ein Missverhältnis zu den im Falle des Umzuges zu übernehmenden Umzugskosten eine Überschreitung der Regelhöchstdauer des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II rechtfertigen (Berlit in LPK SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 Rn. 137; vgl. dazu auch Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn. 132 f.). Mit der zusätzlichen Einführung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wonach eine Kostensenkung nicht gefordert werden müsse, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre, hat der Gesetzgeber die schon in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II geforderte Einzelfallprüfung nochmals unterstrichen.

Eine Kostensenkungsaufforderung ist unwirtschaftlich, wenn für die tatsächlich genutzte Unterkunft die Summe der Aufwendungen hinter der regelmäßig für eine Unterkunft nach Umzug anzuerkennende Leistung zurückbleiben (Berlit, a.a.O. Rn. 140). Mithin sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung einschließlich Betriebskostenabrechnungen den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung im Falle eines Umzuges (fiktive Angemessenheit) einschließlich anfallender Umzugskosten gegenüber zu stellen. Da der Gesetzgeber nunmehr von einem Regelbewilligungszeitraum von einem Jahr ausgeht (§ 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II), sind nach Auffassung der Kammer die jeweiligen Kosten von einem Jahr gegenüber zu stellen. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung der Kläger für ein Jahr einschließlich der Betriebskostenabrechnung betragen 7.273,82 Euro. Demgegenüber betragen die fiktiven angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung auch ohne Umzugskosten schon mindestens 7.454,40 Euro (Kaltmiete nach Richtlinie des Beklagten 471,20 Euro x 12 + 1.800 Euro fiktive Heizkosten [Wert des bundesdeutschen Heizspiegels 2014 für Fernwärme als höchster Heizwert bei einer Gebäudefläche von 251-500 m² von 22,50 Euro x maximal angemessene Wohnfläche von 80 m²]). Da die zu übernehmenden Kosten der Unterkunft höher sind als die tatsächlichen Kosten der Unterkunft der Kläger, wäre ein Umzug als Kostensenkungsmaßnahme unwirtschaftlich, so dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft für den Monat Januar 2015 zu übernehmen sind. Da die Kammer ihren Erwägungen die Richtlinie des Beklagten zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung im Landkreis A.-B. ab 1. April 2012 zugrunde gelegt hat, brauchte sie nicht mehr darüber zu entscheiden, ob diese auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG basiert.

Der Gesamtbedarf der Kläger beträgt somit im November und Dezember 2014 1.870 Euro. Im Januar 2015 beträgt der Gesamtbedarf der Kläger 2.090,85 Euro.

Von dem Bedarf der Kläger ist das zu berücksichtigende Einkommen in Abzug zu bringen. Zu Recht hat der Beklagte die Bareinnahmen der Klägerin zu 2) in Höhe von 360 Euro als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II behandelt. Danach sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen. Die Kammer ist unter Würdigung aller Beweismittel zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zu 1) neben dem angegeben Lohn von monatlich 160 Euro von der Firma H. weitere 200 Euro im November und Dezember 2014 in bar erhalten hat. Den Empfang dieses Geldes hat die Klägerin zu 1) jeden Monat mit ihrer Unterschrift auf den entsprechenden Quittungen, die von der Kammer im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden sind, bestätigt. Die Beweiskraft einer solchen Urkunde müssen sich die Kläger hier entgegen halten lassen. Darüber hinaus ist die Kammer nach Befragen der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass es sich bei dem Vortrag, dass sie zwar die Quittungen unterschrieben, das Geld jedoch nicht erhalten habe, um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Denn es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand über Jahre hinweg den Empfang von Bargeld beweiskräftig quittiert, ohne dieses tatsächlich zu erhalten. Die Klägerin stand auch in keinem Näheverhältnis zu ihrem Arbeitgeber, das eine solche Vorgehensweise erklären würde. Sie war bei diesem lediglich geringfügig beschäftigt. Auch die Art der Quittungserteilung legt eine individuelle tatsächliche Beauftragung der angegebenen Tätigkeit nahe. So wurde in anderen hier nicht streitigen Monaten zu dem monatlich gleichbleibenden Betrag von 200 Euro weitere Quittungen zum Beispiel über 80 Euro (am 16. Juli 2013) bzw. 90 Euro (am 20. August 2013) mit der konkreten Bezeichnung des Reinigungsobjektes ausgestellt. Der Geschäftsführer der Firma H., C. E., hat den Vorwurf der zu geringen Verbeitragung von Lohnzahlungen eingeräumt. In seiner Einlassung gegenüber dem Hauptzollamt vom 19. Januar 2016 teilte er mit, dass die Klägerin zu 1) Barquittungen für erhaltenes Entgelt ausgestellt hatte. Diese Ausgaben wurden auch als Betriebsausgaben verbucht und nunmehr nachträglich alle Meldungen bei der Bundesknappschaft vorgenommen. Insoweit wird auf Blatt 2024 der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Der Geschäftsführer hat gerade nicht die Aussage der Klägerin bestätigt, dass die Zahlungen über 200 Euro gar nicht erfolgt sind. Alle Lohnzahlungen wurden nachträglich verbeitragt. Die Kammer hatte auch Anlass die Glaubwürdigkeit des Klägers zu 2) zu bezweifeln. So gab dieser zunächst an, niemals dabei gewesen zu sein, als die Klägerin zu 2) Quittungen unterschrieb. Auf Vorhalt der Vorsitzenden, dass seine Lohnquittungen vom gleichen Tag datieren, korrigierte er seine Aussage, dass er dann wohl doch anwesend war. Jedoch habe er nur gesehen, wie die Klägerin eine Quittung unterschrieben hat. Dann habe er den Raum verlassen und hätte Einkäufe erledigt. Es ist für die Kammer schwer vorstellbar, wie der Ehemann, obwohl er nach eigenen Angaben wusste, dass seine Frau zwei Quittungen für die Firma H. unterschreibt, immer nur gesehen haben will, wie diese eine Quittung unterschrieb und beim Unterschreiben der zweiten Quittung dann einkaufen gewesen sein will. Durch diesen teilweise widersprüchlichen und teilweise unglaubhaften Vortrag verstärkt sich der Eindruck der Kammer, dass es sich hierbei nur um eine Schutzbehauptung handelt. Demnach geht die Kammer vom Zufluss weiteren Einkommens aus. Für den Monat Januar 2015 lag keine Quittung vor, so dass die Kammer zu Gunsten der Kläger davon ausgeht, dass hier kein weiteres Einkommen zugeflossen ist.

Unter Berücksichtigung der Freibeträge, welche nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 11b Abs. 3 SGB II und 11 b Abs. 2 SGB II vom Einkommen abzusetzen sind, ergibt sich für die Klägerin zu 1) ein auf den Bedarf anzurechnendes Einkommen von 208 Euro im Zeitraum November bis Dezember 2014. Für den Kläger zu 2) ergibt sich kein auf den Bedarf anzurechnendes Einkommen. Für den Kläger zu 3) ergibt sich ein auf den Bedarf anzurechnendes Einkommen von 187 Euro im November 2014, von 371 Euro im Dezember 2014 und von 390,37 Euro im Januar 2015. Bei der Klägerin zu 4) sind monatlich 184 Euro Einkommen vom Bedarf abzuziehen.

Insgesamt ergibt sich demnach ein Anspruch der Bedarfsgemeinschaft von 1.291 Euro im November 2014, von 1.107 Euro im Dezember 2014 und von 1.468,48 Euro im Januar 2015. Die ursprüngliche Leistungsbewilligung (Bescheid vom 29. April 2015) war demnach rechtswidrig. Für die Monate November und Dezember 2014 ergibt sich ein geringerer Leistungsanspruch. Für den Monat Januar 2015 ergibt sich ein höherer Leistungsanspruch.

c)

Voraussetzung für die teilweise Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen ist nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Ziff. 2, 3 und Abs. 4 Satz 1 SGB X ferner, dass der Begünstigte sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies verlangt, dass schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Entscheidend ist das individuelle Vermögen, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angaben erkennen zu können. Maßgeblich ist daher, ob die Kläger bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre in der Lage gewesen wären zu erkennen, dass sie weitere Lohnzahlungen mitzuteilen hatten (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 76/08R, juris Rn. 20). Es hätte der Klägerin zu 1) und auch dem Kläger zu 2), der nach eigenen Angaben Kenntnis davon hatte, dass die Klägerin zu 1) monatlich weitere Quittungen über 200 Euro unterzeichnete, bei einfachstem Nachdenken einleuchten müssen, dass die Erzielung weiteren Einkommens unverzüglich anzugeben war. Das zumindest grob fahrlässige Verhalten der Kläger zu 1) und 2) als ihre gesetzlichen Vertreter müssen sich die Kläger zu 3) und 4) bis zum Eintritt der Volljährigkeit zurechnen lassen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. Oktober 2013 - L 2 AS 11/11, juris Rn. 35).

Die Kammer geht zudem davon aus, dass die Kläger auch die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsaktes zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannten. Die Kläger stehen seit 2005 im Leistungsbezug bei dem Beklagten und haben diesem alle anderen Einkommensnachweise vorgelegt. Sie hätten zumindest wissen müssen, dass sich ein höheres Einkommen auch auf ihren Leistungsanspruch auswirkt.

d)

Der Beklagte macht für die Monate November und Dezember 2014 zu Recht von den Klägern die Erstattungsforderungen in der oben genannten Höhe geltend. Die Erstattung hat der Beklagte zutreffend auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützt.

Unter Berücksichtigung der vom Beklagten mit Bescheid vom 29. April 2015 gewährten Leistungen von monatlich 1.451 Euro im November 2014 und 1.267 Euro im Dezember 2014 ergeben sich Erstattungsbeträge von jeweils 160 Euro für die Monate November und Dezember 2014.

e)

Für den Monat Januar 2015 ergibt sich ein Anspruch auf Leistungen in Höhe von 1.468,48 Euro. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten mit Bescheid vom 29. April 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Juni 2015 gewährten Leistungen von 1.297,07 Euro ergibt sich ein Anspruch auf weitere Leistungen von 171,41 Euro.

Der Klage war demnach im tenorierten Umfang stattzugeben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

III.

Die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes ersichtlich 750 Euro nicht übersteigt. Es liegen nach Auffassung der Kammer auch keine Gründe für eine Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG vor. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das ist vorliegend nicht der Fall. Auf die Frage, ob die Richtlinie des Beklagten zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung im Landkreis Anhalt-Bitterfeld den Vorgaben der Rechtsprechung des BSG zum schlüssigen Konzept erfüllt, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Frage, ob selbst als unangemessen unterstellte Kosten der Unterkunft gleichwohl aufgrund Unzumutbarkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Kostensenkung durch Umzug vom Beklagten zu tragen sind, stellt eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage dar. Anhaltspunkte, die eine Zulassung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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