L 32 AS 523/18 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 AS 11168/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 523/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2018 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Freistellung vom Vergütungsanspruch des sie in einem Widerspruchsverfahren vertretenen Prozessbevollmächtigten in Höhe von 380,14 Euro durch den Beklagten.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 26. Februar 2018 den Beklagten verurteilt, die Klägerin vom Vergütungsanspruch ihres Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren W in Höhe von weiteren 380,14 Euro freizustellen: Die Klägerin habe gegen den Beklagten aus § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einen Freistellungsanspruch in dieser Höhe. Dieser Vorschrift entsprechend habe der Beklagte die zu erstattenden Kosten in Höhe von 380,80 Euro anerkannt. Bei diesem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin handele es sich um einen Freistellungsanspruch, da die Klägerin den Vergütungsanspruch ihres Prozessbevollmächtigten bislang nicht erfüllt habe. Dieser Kostenerstattungsanspruch sei nicht entsprechend § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Höhe von 380,14 Euro dadurch erloschen, dass der Beklagte mit Erstattungsforderungen insoweit gegen diesen gemäß § 387 BGB aufgerechnet habe. Es fehle an einer Aufrechnungslage. Erforderlich sei die Gleichartigkeit der sich gegenüberstehenden Leistungen. Diese Gleichartigkeit bestehe bei einem Freistellungsanspruch und einem Zahlungsanspruch indes nicht. Da sich der Freistellungsanspruch unmittelbar aus § 63 SGB X ergebe, könne dahinstehen, ob § 257 BGB auf den verfahrensrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch aus § 63 SGB X Anwendung finde oder nicht.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist unbegründet, denn die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Diese Rechtsfrage muss im konkreten Rechtsstreit klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Meyer Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 144 Rdnr. 28; Kummer, Neue Zeitschrift für Sozialrecht [NZS] 1993, 337, 341/342). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, soweit sie im Falle der Zulassung der Berufung insbesondere entscheidungserheblich wäre (vgl. auch Bundessozialgerichts – BSG -, Beschlüsse vom 29. November 2006 – B 6 KA 23/06 B, vom 27. Juli 2006 – B 7a AL 52/06 B, vom 24. Mai 2007 – B 3 P 7/07 B, vom 19. September 2007 – B 1 KR 52/07). Auch bei fehlender gesicherter Rechtsprechung ist die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht (BSG, Beschluss vom 04. Juni 1975 – 11 BA 4/75, abgedruckt in BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160 a Nr. 4; BSG, Beschluss vom 22. August 1975 – 11 BA 8/75, abgedruckt in BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160 a Nr. 11), sie insbesondere unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist oder sie überhaupt oder so gut wie unbestritten ist (BSG, Beschluss vom 14. August 1981 – 12 BK 15/81, abgedruckt in SozR 1300 § 13 Nr. 1).

Eine Abweichung liegt vor, wenn der Entscheidung des Sozialgerichts eine Rechtsauffassung zugrunde liegt, die zu einer aktuellen, inzwischen nicht überholten älteren Rechtsansicht eines dem Sozialgericht übergeordneten Gerichts im Widerspruch steht und die Entscheidung des Sozialgerichts auf dieser Abweichung beruht (Meyer Ladewig, a. a. O., § 144 Rdnr. 30, § 160 Rdnr. 10 ff; Kummer, a. a. O., Seite 342).

Ein Verfahrensmangel ist gegeben, wenn infolge einer unrichtigen Anwendung oder Nichtanwendung einer Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, das Verfahren des Sozialgerichts bis zum Erlass einschließlich des Urteils fehlerhaft abgelaufen ist (Meyer Ladewig, a. a. O., § 144 Rdnr. 32, 34a, 32a, 36, 37, 35; Kummer, a. a. O., Seite 342).

Die genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Die Antwort steht unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung auch anderer oberster Bundesgerichte praktisch außer Zweifel.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X gilt: Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

§ 387 BGB bestimmt: Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

§ 389 BGB ordnet an: Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind.

§ 257 BGB sieht vor: Wer berechtigt ist, Ersatz für Aufwendungen zu verlangen, die er für einen bestimmten Zweck macht, kann, wenn er für diesen Zweck eine Verbindlichkeit eingeht, Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen. Ist die Verbindlichkeit noch nicht fällig, so kann ihm der Ersatzpflichtige, statt ihn zu befreien, Sicherheit leisten.

Der Beklagte meint, es sei die Rechtsfrage zu klären, ob die Aufrechnungserklärung des Jobcenters im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens gemäß § 63 SGB X mit einer Erstattungsforderung, welcher dem Jobcenter gegenüber einer leistungsberechtigten Person zustehe, zum Erlöschen des Kostenerstattungsanspruches führe. Inzident sei die Rechtsfrage aufzuwerfen, ob sich zwei gleichartige Forderungen gegenüberstünden, wenn ein Widerspruchsführer einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Widerspruchsverfahren beauftragt habe und das Jobcenter in seiner Kostenentscheidung die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für notwendig erklärt habe. Hierin enthalten sei die weitere Rechtsfrage, ob aus § 63 SGB X ein Befreiungsanspruch folge, welcher die Aufrechnung hindere oder ob die Grundsätze des Befreiungsanspruches, welche grundsätzlich aus § 257 BGB hergeleitet würden, auf den verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruch des § 63 SGB X überhaupt anwendbar seien.

Mit dem vom Beklagten zitierten - ihn allerdings wegen fehlender Schlüssigkeit nicht überzeugenden - Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. März 2017 – L 18 AS 232/17 NZB ist bereits umfassend dargelegt worden, weswegen den vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Senat folgt der darin gegebenen Begründung. Dazu im Einzelnen:

Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass im sozialrechtlichen Verfahren die die Aufrechnung betreffenden zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff. BGB, soweit sich aus §§ 51 ff. SGB I nichts anderes ergibt, entsprechende Anwendung finden (vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Juli 1990 – 4 RA 47/88, Rdnr. 48, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 67, 143 = SozR 3-1200 § 52 Nr. 1). Ebenfalls ist höchstrichterlich geklärt, dass es an der Voraussetzung einer gleichartigen Forderung nach § 387 BGB fehlt, wenn eine Geldforderung einem Freistellungsanspruch (Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit) gegenübersteht (Bundesgerichtshof - BGH - Beschluss vom 9. Juli 2009 – IX ZR 135/08, Rdnr. 3, zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 22. März 2011 – II ZR 100/09 Rdnr. 16, zitiert nach juris), weil ein Freistellungsanspruch auf ein Tun schlechthin, also auf eine ersetzbare Handlung, gerichtet ist, die nach § 887 Zivilprozessordnung (ZPO) zu vollstrecken ist, und es sich damit nicht um einen Anspruch auf Zahlung einer Geldleistung, deren Vollstreckung nach §§ 803 bis 882a ZPO zu erfolgen hat, handelt (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 – L 31 AS 1774/16, Rdnr. 31, zitiert nach juris unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 28. Juni 1983 – VI ZR 285/81, Rdnr. 9, zitiert nach juris, abgedruckt in NJW 1983, 2438).

Außerdem ist höchstrichterlich geklärt, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X, solange der Erstattungsgläubiger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwaltes noch nicht beglichen hat, einen solchen Freistellungsanspruch darstellt (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R, Rdnr. 14, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 4-1300 § 63 Nr. 22), jedenfalls soweit der Kostenerstattungsanspruch weder vom Erstattungsgläubiger an den Rechtsanwalt abgetreten noch ein Forderungsübergang aus sonstigen Gründen eingetreten ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten resultiert ein (der) Freistellungsanspruch aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn diese Vorschrift wird vom BSG in diesem Urteil ausdrücklich als Rechtsgrundlage benannt. Wie schon das BSG im Urteil vom 25. November 1999 – 13 RJ 23/99 R (Rdnr. 24, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 3-1300 § 63 Nr. 14) ausgeführt hat, regelt § 63 SGB X einen verfahrensrechtlichen Anspruch, der von einem etwaigen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu unterscheiden ist. Während der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch auf einer materiell-rechtlichen Grundlage (hier: unerlaubte Handlung der sich nicht rechtmäßig verhaltenden Behörde und daraus resultierender Schadensersatzanspruch) beruht und ohne vorherige Kostenentscheidung geltend gemacht werden kann, folgt ein verfahrensrechtlicher Kostenerstattungsanspruch, wie hier aus § 63 SGB X, dem Grunde nach aus einer behördlichen Kostenlastentscheidung (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 - L 31 AS 1774/16, Rdnr. 34 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. November 1999 – 13 RJ 23/99 R, Rdnr. 24; BGH, Urteil vom 24. April 1990 – VI ZR 110/89, Rdnr. 8, zitiert nach juris, abgedruckt in NJW 1990, 2060). Da der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch und der verfahrensrechtliche Kostenerstattungsanspruch unabhängig von einander bestehen, steht infolge dessen auch fest, dass aus § 257 BGB hergeleitete Grundsätze des Befreiungsanspruches auf den verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruch des § 63 SGB X grundsätzlich nicht anwendbar sind. So ist im Urteil des BGH vom 24. April 1990 – VI ZR 110/89 (Rdnr. 8) darauf hingewiesen, dass das Rechtsschutzinteresse für ein klageweises Vorgehen (zur Verwirklichung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruches) grundsätzlich zu verneinen ist, weil der Weg über das Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig weniger aufwendig ist.

Im Übrigen handelt es sich sowohl beim verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruch, soweit der Erstattungsgläubiger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwaltes noch nicht beglichen hat, als auch beim materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch um einen Freistellungsanspruch, so dass in beiden Fällen eine gleichartigen Forderung gegenüber einer Geldforderung nicht vorliegt.

Aus dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2012 – L 9 AS 601/10, auf das sich der Beklagte wegen einer Gleichartigkeit zwischen einem Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X und ihm zustehender Erstattungsforderungen bezieht, ergibt sich nichts anderes. In diesem Urteil ist ausgeführt (Rdnr. 28): "Die Aufrechnungslage ist gegeben. Es handelt sich um gegenseitige Forderungen. Der Beklagte ist Schuldner der Hauptforderung (dem Anspruch auf Kostenerstattung) und Gläubiger der Gegenforderung (Erstattungsforderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009). Die Forderungen sind auch gleichartig. Sowohl der Erstattungsanspruch des Beklagten als auch der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens sind auf Geld gerichtet." Diese Ausführungen treffen ohne Weiteres zu, wenn der Erstattungsgläubiger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwaltes befriedigt hat und sich deswegen sein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Erstattungsschuldner von einem bis dahin bestandenen Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat, also der Kostenerstattungsanspruch auf Geld gerichtet ist. Nach dem Tatbestand des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts ist unklar, ob der dortige Kläger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwaltes bereits beglichen hatte. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, hätte das Hessische Landessozialgericht verkannt, dass bis zu einer solchen Begleichung nach der oben genannten Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 2. Dezember 2014 noch kein Zahlungsanspruch entstanden war, sondern allein ein Freistellungsanspruch bestanden hatte.

Angesichts dessen ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht zu entscheiden.

Es ist auch keine Entscheidung der genannten Gerichte ersichtlich, von der das Urteil des Sozialgerichts hinsichtlich seiner Rechtsauffassung abweicht.

Schließlich hat der Beklagte keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die Entscheidung des Sozialgerichts beruhen kann.

Die Beschwerde muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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