L 4 R 574/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 19 R 735/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 574/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur rückwirkenden Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. Juli 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Rückforderung in Höhe von 9.081,97 EUR nach Aufhebung eines Bescheides über die Gewährung einer Erziehungsrente bei rückwirkender Bewilli-gung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Die 1968 geborene Klägerin, die vom 1.9.1985 bis zu 31.8.1988 eine Ausbildung zur Krippenerzieherin absolvierte und im Anschluss hieran im erlernten Beruf erwerbstätig war, ist Mutter des 1990 geborenen X ... und geschiedene Ehefrau des am.2002 verstorbenen Kindsvater Y ... Die mit Y ... am.1990 eingegangene Ehe wurde am.1993 rechtskräftig geschieden. Vom 1.9.2002 bis zum 31.8.2008 erhielt die Klägerin von der Beklagten eine Erziehungs-rente gemäß § 47 SGB VI.

Am 5.5.2013 verunfallte der Sohn der Klägerin, X ..., als Motorradfahrer und zog sich hierbei schwere Verletzungen zu. Aufgrund seiner erheblichen neurologischen Defizite nach schwerem Schädelhirntrauma beantragte die Klägerin am 30.5.2013 bei der Beklagten eine Erziehungsrente gemäß §§ 47, 243a SGB VI. Hierauf bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 20.9.2013 eine Erziehungsrente beginnend ab dem 1.6.2013 und befristet bis zum 31.5.2015. Für die Zeit ab dem 1.10.2013 wurden monatlich 1.028,87 EUR netto gezahlt bei einer Nachzahlung i. H. v. 4.045,73 EUR für den Zeitraum 1.6.2013 bis 30.9.2013. Die Klägerin habe Anspruch auf eine Erziehungsrente, da ihr früherer Ehegatte verstorben sei und sie für ein behindertes Kind sorge. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 20.8.2002 erfüllt. Der Rentenanspruch sei befristet, weil er nur für die Dauer der Kindererziehung, längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des jüngsten Kindes bestehe. Die Erziehungsrente ende daher mit dem 31.5.2015, ohne dass es eines weiteren Bescheides bedürfe. Mit Bescheid vom 21.5.2014 berechnete die Beklagte die Erziehungs-rente ab dem 1.4.2014 wegen einer Rentenanpassung und anzurechnendem Einkommen neu und zahlte ab dem 1.7.2014 monatlich 1.052,56 EUR netto. Mit Bescheid vom 23.9.2014 berechnete die Beklagte die Erziehungsrente ab dem 1.7.2014 wegen Berücksichtigung eines Zuschlages für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente) wiederum erneut und zahl-te für die Zeit ab dem 1.10.2014 monatlich 1.076,25 EUR netto (nebst einer Nachzahlung i. H. v. 71,07 EUR). Aufgrund psychiatrischer Gesundheitsstörungen beantragte die Klägerin am 28.2.2014 auf Anraten ihrer behandelnden Ärzte bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe in Form von Leistungen zur stationären medizinischen Rehabilitation. Nach Auswertung des Befundbe-richts von Dipl.-Med. S ..., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie R ..., vom 31.1.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von fünf Wochen in den M ... Kliniken, Fachklinik für Psychosomatische Medizin, in Z ... Im Ent-lassungsbericht der bezeichneten Reha-Klinik vom 27.10.2014 anlässlich des stationären Aufenthaltes der Klägerin vom 26.8.2014 bis zum 11.10.2014 diagnostizierten die behan-delnden Ärzte eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine gegenwärtig schwere depressive Episode, eine posttraumatische Belastungsstörung und einen Bandscheibenprolaps der Lendenwirbelsäule. Die Klägerin sei seit dem Unfall ihres Sohnes durchgehend arbeitsun-fähig erkrankt, noch sehr labil, dekompensiere, wenn von Unfällen die Rede ist, sei sehr schreckhaft, ängstlich und leide unter Intrusionen und Schlafstörungen. Sie benötige noch ausreichend Zeit, um eine intensive Psychotherapie, insbesondere eine stationäre Trauma-therapie durchzuführen, um mit dem Erlebten adäquat umgehen zu lernen und sich psy-chisch zu stabilisieren. Aus psychosomatischer Sicht bestehe sowohl für die letzte Tätigkeit als Erzieherin/Heilpädagogin wie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Leis-tungsfähigkeit von nur unter drei Stunden. Zumutbar seien körperlich mittelschwere Tätig-keiten überwiegend im Gehen, im Stehen und im Sitzen, in Tages-, Früh- und Spätschicht. Aufgrund der schweren depressiven Symptomatik mit Schlafstörungen sei von Nacht-schichten abzusehen.

Am 20.8.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf eine Versicherten-rente. Nach Durchführung von Amtsermittlungen, insbesondere durch Beiziehung des be-zeichneten Reha-Entlassungsberichtes der Klinik in Z ..., bewilligte die Beklagte der Klä-gerin mit Bescheid vom 15.12.2014 anstelle der bisherigen Rente (Erziehungsrente) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese beginne am 1.2.2014, sei befristet und ende mit dem 31.5.2016. Für die Zeit ab dem 1.2.2015 seien laufend monatlich 1.114,47 EUR zu zahlen. Für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 betrage die Nachzahlung 11.430,21 EUR. Die Klägerin habe Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Der Rentenanspruch sei zeitlich begrenzt, weil es nach den medizinischen Unter-suchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die Erwerbsminderung behoben wer-den könne. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 7.5.2013 erfüllt. Als Rentenantrag gelte der am 28.2.2014 gestellte Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Neben dieser Rente bestehe ein Anspruch auf die bisherige Rente. Bestünden für den-selben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, sie nur die höchste Rente zu leisten. Bei gleich hohen Renten gelte eine gesetzliche Rangfolge. Für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 25.8.2014 und ab dem 12.10.2014 sei die bisherige Rente nicht zu leisten. Für die Zeit vom 26.8.2014 bis zum 11.10.2014 sei die bisherige Rente zu leisten. Die Höhe der monatlichen Rente ab dem 1.2.2015 belaufe sich auf 1.245,92 EUR. Hiervon seien ein Beitragsanteil zur Krankenversicherung und ein solcher zur Pflegeversi-cherung in Höhe von 102,17 EUR bzw. 29,28 EUR abzuziehen, so dass sich ein monatlicher Net-tozahlbetrag in Höhe von 1.114,47 EUR ergebe. In Anlage 10 des Bescheides war ausgeführt, dass der Bescheid vom 20.9.2013 über die Erziehungsrente hinsichtlich des Zahlungsanspruches für die Zeit vom 1.2.2014 bis 31.5.2015 nach § 48 SGB X aufgehoben werde. Für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 ergebe sich eine Überzahlung i. H. v. 11.008,04 EUR. Der überzahlte Betrag sei von der Klägerin zu erstatten. Die Anlage enthielt den Hinweis, dass erst, wenn die Beklagte die Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung abgerechnet habe, fest stehe, ob überhaupt ein Betrag verbleibe, den die Klägerin zurückzahlen müsse. Der Bescheid sei aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Eine wesentliche Änderung ergebe sich aus Folgendem: Wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf meh-rere Renten aus eigener Versicherung bestünden, werde nur noch die höchste Rente geleistet (§ 89 SGB VI). Bei der Klägerin falle durch die Rente wegen voller Erwerbsmin-derung der Zahlungsanspruch auf die Erziehungsrente weg. Damit sei in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vom 20.9.2013 vorgelegen haben, eine we-sentliche Änderung eingetreten. Haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert, sei der Bescheid für die Zukunft aufzuheben. Der Bescheid soll bereits ab dem Zeitpunkt der Än-derung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach seinem Erlass Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall des Anspruches führe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Ein solches Einkommen erziele die Klägerin mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Betrag der Überzahlung ergebe sich wie folgt: Erziehungsrente gezahlt vom 1.2.2014 bis 30.6.2014 5.144,35 EUR, vom 1.7.2014 bis 31.7.2014 1.076,25 EUR, vom 1.8.2014 bis 25.8.2014 867,94 EUR, vom 12.10.2014 bis 31.10.2014 694,35 EUR und vom 1.11.2014 bis 31.1.2015 3.225,15 EUR. Der Überzahlungsbetrag nach § 50 SGB X betrage somit insgesamt 11.008,04 EUR. Dieser Bescheid vom 15.12.2014 wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 30.12.2014 machte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Chemnitz, gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 103, 104 SGB X i. V. m. § 335 Abs. 2 SGB III hinsichtlich einer an die Klägerin geleisteten Arbeitslosen-geldzahlung gemäß § 136 SGB III geltend, welche bis zum 31.12.2014 gezahlt worden sei. Der festgestellte Erstattungsbetrag belaufe sich im Zeitraum 5.11.2014 bis 31.12.2014 auf gezahltes Arbeitslosengeld in Höhe von 1.403,36 EUR und Beiträgen zur Kranken- und Pfle-geversicherung für den genannten Zeitraum in Höhe von 360,49 EUR bzw. 47,67 EUR, mithin in Höhe von insgesamt 1.811,52 EUR. Mit Schreiben vom 16.1.2015 machte die Krankenkasse IKK classic bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X i. V. m. § 50 SGB V geltend. Im Erstattungszeitraum vom 1.2.2014 bis zum 4.11.2014 (mit Unterbre-chungen) belaufe sich der Erstattungsbetrag auf insgesamt 8.100,78 EUR.

Mit Bescheid vom 2.2.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nunmehr die Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung abgerechnet habe. Die einbehal-tene Rentennachzahlung für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 betrage 11.430,21 EUR. Davon habe die Beklagte zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs der IKK classic für die Zeit vom 1.2.2014 bis 4.11.2014 einen Betrag von 8.100,78 EUR sowie für die Agentur für Arbeit Chemnitz für die Zeit vom 5.11.2014 bis zum 31.12.2014 einen Betrag von 1.403,36 EUR überwiesen. Damit mindere sich die Nachzahlung auf den Betrag von 1.926,07 EUR. Den überzahlten Betrag aus der Erziehungsrente in Höhe von 11.008,04 EUR habe die Beklagte mit dieser Nachzahlung verrechnet. Die restliche Überzahlung betrage noch 9.081,97 EUR, welche die Klägerin gemäß § 50 SGB X zurückzahlen müsse. Hiergegen (Bescheid vom 2.2.2015) legte die Klägerin mit Schreiben vom 6.2.2015 Wi-derspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.4.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläge-rin gegen die Bescheide vom 15.12.2014 und 2.2.2015 zurück. Treffe eine Erziehungsrente mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zeitlich zusammen, sei ausschließlich die höchste Rente zu zahlen (§ 89 Abs. 1 SGB VI). Mit Bescheid vom 20.9.2013 sei der Klä-gerin eine Erziehungsrente mit Beginn ab dem 1.6.2013 bewilligt worden. Mit Bescheid vom 15.12.2014 sei der Klägerin dann ab dem 1.2.2014 eine Rente wegen voller Erwerbs-minderung bewilligt worden. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung werde ab dem 1.2.2015 laufend an die Klägerin gezahlt und die Zahlung der Erziehungsrente wurde zum 31.1.2015 eingestellt. Die bereits für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 tatsächlich an die Klägerin gezahlte Erziehungsrente in Höhe von 11.008,04 EUR habe ihr nicht zuge-standen. Bei der Erziehungsrente und der Rente wegen voller Erwerbsminderung handele es sich um selbständige, unabhängig voneinander bestehende Ansprüche. Dies ergebe sich aus dem Gesetz, da beide Renten in § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB VI einzeln aufgezählt werden. Der Bescheid sei aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, werde nur die höchste Rente geleistet (§ 89 Abs. 1 SGB VI). Bei der Klägerin entfalle durch die Rente wegen voller Erwerbsminderung der Zahlungsanspruch auf die Erziehungsrente. Damit sei in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Be-scheides vom 20.9.2013 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten. Hätten sich die Verhältnisse wesentlich geändert, sei der Bescheid für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Bescheid solle bereits ab dem Erlass des Zeitpunktes der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach seinem Erlass Einkommen er-zielt worden ist, das zum Wegfall des Anspruches führe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Ein solches Einkommen erziele die Klägerin mit der Rente wegen voller Erwerbsminde-rung. Nach Erlass des Bescheides vom 20.9.2013, mit dem der Klägerin ab dem 1.6.2013 eine Erziehungsrente zuerkannt worden sei, habe sich im Rahmen des Antrages auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.8.2014 herausgestellt, dass eine Rente we-gen voller Erwerbsminderung ab dem 1.2.2014 zu gewähren war. Folglich sei der Klägerin mit Bescheid vom 15.12.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.2.2014 gewährt worden. Die höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle Ein-kommen dar, das zum vollständigen Wegfall des Zahlungsanspruchs auf die Erziehungs-rente führe. Daher läge hier ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit der Folge vor, dass der Rentenbescheid vom 20.9.2013 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ab Änderung der Verhältnisse, also ab dem 1.2.2014 aufzuheben gewesen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz in diesem Zusammenhang berufen. Denn im Bescheid vom 20.9.2013 sei ihr – insbesondere in der Anlage 19 – erklärt worden, dass die Erzielung von Einkommen zum Wegfall oder zur Minderung des Rentenanspruchs führen könne. Aufgrund der mit Bescheid vom 15.12.2014 erfolgten rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.2.2014 haben die IKK classic und die Bundesagentur für Arbeit jeweils Erstattungsansprüche in Höhe von 8.100,78 EUR bzw. 1.403,36 EUR angemeldet. Der Erstattungsanspruch der Krankenkasse und der Bundesagentur für Arbeit nach § 103 SGB X bestehe auf den Rentennachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil durch die Bewilligung der Renten wegen voller Erwerbs-minderung nachträglich der Anspruch auf das Krankengeld und das Arbeitslosengeld ent-fallen sei. Eine Rücknahme für die Vergangenheit sei nur zulässig, wenn diese innerhalb eines Jahres seit positiver Kenntnis über die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen vor-genommen werde. Positive Kenntnis hieße, dass eine Erkenntnisbildung stattgefunden ha-ben muss, die bei der Behörde das Bewusstsein hervorgerufen hat, dass eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist und aus diesem Grund Leistungen zu Unrecht erbracht worden und die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gegeben seien. Im Rah-men des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei auf die Kenntnis des für die Rücknahme zuständi-gen Sachbearbeiters abzustellen. Auf ein "Kennenmüssen" oder selbst grob fahrlässiges "Kennenmüssen" komme es grundsätzlich nicht an. Die zuständige Sachbearbeitung habe frühestens am 13.11.2014 mit Abschluss der medizinischen Ermittlungen im Rahmen der Rentenantragstellung Kenntnis vom Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erlangt und den Bescheid am 15.12.2014, also innerhalb der Jahresfrist, erlassen. Da ein schutzwürdiges Vertrauen in die Bestandskraft des Bescheides vom 20.9.2013 nicht be-standen habe, sei der Bescheid für die Vergangenheit zurückzunehmen und der Erstat-tungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X in Höhe von 9.081,97 EUR (11.008,04 EUR abzüglich des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 1.926,07 EUR) geltend zu machen. Die Beklagte sei verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft treuhänderisch nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten. Das zwinge zu einer sparsamen Haushaltsführung und fordere die Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten, zustehende Ansprüche geltend zu machen. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die es rechtfertigen würden, von der Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit abzusehen. Daher sei die vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 gezahlte Erziehungsrente in Höhe von 9.081,97 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X von der Klägerin zu erstatten.

Hiergegen richtete sich die am 1.6.2015 zum Sozialgericht Chemnitz erhobene Klage. Die Klägerin hat im Wesentlichen dargelegt, dass nach § 48 SGB X die Aufhebungsentschei-dung auf die Höhe der nachträglich erzielten Einkünfte (hier der Erwerbsminderungsrente) beschränkt sei. Dies wäre dem Wortlaut der Vorschrift mit dem Begriff "soweit" zu ent-nehmen. Gleichwohl habe die Beklagte darüber hinaus die Leistungsbewilligung insgesamt aufgehoben. Entsprechend des Wortlautes hafte sie gegenüber der Beklagten allenfalls in Höhe des Nachzahlungsbetrages aus der Rente wegen Erwerbsminderung. Insofern könne auch nur insoweit eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung erfolgen. Die von ihr verlangte Erstattungsforderung könne daher keinen Bestand haben. Die Zahlungs-pflicht sei für sie auch unzumutbar. Die Beklagte habe im Rahmen ihrer Entscheidung un-berücksichtigt gelassen, dass sie zu keinem Zeitpunkt Kenntnis darüber hatte, dass es bei Bewilligung einer Rente rückwirkend auch zu einer erheblichen Rückzahlungspflicht kommen könne. Zu beachten sei hier auch, dass der Rentenantrag erst am 22.8.2014 ge-stellt worden ist. In diesem Fall hätte sie ordnungsgemäß beraten werden müssen, auch in Bezug auf ihr Recht zum Verzicht von Sozialleistungen. Hiervon hätte sie auch Gebrauch gemacht bzw. ihren Rentenantrag zurückgenommen.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 9.7.2016 den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 und den Bescheid vom 2.2.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.4.2015 insoweit aufgehoben, als von der Klägerin ein Rückzahlungsbetrag in Höhe von 9.081,97 EUR gefordert werde. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

"Die Beklagte hat gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X keinen Anspruch auf Rückzahlung der für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.01.2015 gezahlten Erziehungs-rente in Höhe von 9.081,97 EUR.

Die mit Bescheid vom 15.12.2014 rückwirkend ab dem 01.02.2014 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung stellt zwar Einkommen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dar. Die Begriffe "Einkommen" und "Vermögen" erfassen alle Einnahmen und Vermögenswerte, die für den durch den Verwaltungsakt geregelten Anspruch leistungsrechtlich relevant sind (Schütze in: von Wulffen, Kommentar SGB X, 7. Auflage, § 48 Rdnr. 25).

Aufgrund der nachträglich bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung ent-fiel für den Zeitraum ab der nachträglich bewilligten Rente wegen voller Erwerbs-minderung der Anspruch auf Zahlung der Erziehungsrente gemäß § 89 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 9 SGB VI. Danach ist jedenfalls auch bei gleich hohen Renten nach der Rangfolgenregelung gemäß § 89 Abs. 1 Nr. 7 SGB VI die Rente wegen voller Er-werbsminderung die in der Rangfolge höhere.

Des Weiteren ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis 25.08.2014 und 12.10.2014 bis 04.11.2014 ein Anspruch auf Zah-lung von Krankengeld in Höhe von insgesamt 8.100,78 EUR nicht mehr gegeben. Der Anspruch auf Krankengeld endet hiernach mit dem Beginn der Leistung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Bewilligungsentscheidung der Agentur für Arbeit war gemäß § 48 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III aufgehoben worden. Die Bundesagentur für Arbeit machte für die Zeit vom 05.11.2014 bis 31.12.2014 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.403,36 EUR geltend. Gemäß § 103 Abs. 1 SGB X war die Beklagte aufgrund dieser nachträglich entfal-lenen Ansprüche zur Erstattung der geltend gemachten Leistungen an die Kranken-kasse der Klägerin bzw. an die Agentur für Arbeit verpflichtet.

Es ist allerdings zu beachten, dass nach dem Wortlaut von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhält-nisse nur aufgehoben werden kann, "soweit" ( ) Einkommen erzielt worden ist.

Dies bedeutet, dass auf dieser Rechtsgrundlage vom Versicherten nicht mehr zu-rückgefordert werden kann als dasjenige, was ihm als Einkommen zugeflossen ist. Das Aufhebungsrecht ist der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte niedrigere Sozialleistung beschränkt (Gerichtsbescheid Sozialgericht München v. 14.01.2015, Az.: S 31 R 990/13, Rdnr. 27 m. w. Nachweisen).

Dies erscheint sachgerecht, da im Falle von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dem Versicherten wegen seines Verhaltens kein Vorwurf gemacht werden kann. Die Voraussetzungen einer Aufhebung für die Vergangenheit sind ausschließlich wegen des zugeflossenen Einkommens, hier der Gewährung von Rente wegen voller Er-werbsminderung, erfüllt.

Dies unterscheidet den Rückforderungstatbestand von § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X von den Rückforderungstatbeständen der Nrn. 2 und 4, die an ein Fehlverhalten des Versicherten anknüpfen und Bescheidaufhebungen und somit Rückforderungen gemäß § 50 SGB X in vollem Umfang vorsehen (Urteil SG München, a. a. O., Rdnr. 28).

Bei der Klägerin ist ein Fehlverhalten ebenfalls nicht feststellbar. Sie hat Rente we-gen Erwerbsminderung beantragt und diese auch letztlich bewilligt bekommen, weil sie die hierfür erforderlich medizinischen und versicherungsrechtlichen Vo-raussetzungen erfüllte.

Vorliegend ist als zugeflossenes Einkommen die Summe der nachzuzahlenden Ren-tenbeiträge wegen voller Erwerbsminderung maßgebend. Diese betragen 11.430,21 EUR. An die Bundesagentur für Arbeit und an die Krankenkasse der Klägerin wurde be-reits ein Betrag in Höhe von insgesamt 9.504,14 EUR (8.100,78 EUR + 1.403,36 EUR) ge-zahlt. Aus dem Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 11.430,21 EUR kann daher nur noch ein Betrag in Höhe von 1.926,07 EUR von der Beklagten gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X zurückgefordert werden. Dieser Betrag ist von der Beklagten bereits verrechnet worden.

Aufgrund der obigen Ausführungen kann die Beklagte jedoch nicht den geltend gemachten Anspruch in Höhe von 9.081,97 EUR von der Klägerin zurückfordern.

Dem steht das Urteil des BSG vom 07.09.2010 zu Az. B 5 KN 4/08 R nicht entge-gen. In diesem Urteil ging es um den Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger. Erwägungen zur Rückforderung vom Versicherten, insbesondere zu § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB X und zu der Fra-ge, ob ein Erstattungsanspruch auf den Betrag des zugeflossenen Einkommens zu beschränken ist, wurden für diese Entscheidung nicht angestellt (Urteil SG Mün-chen, a. a. O., Rdnr. 31).

Nach alledem sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, soweit der Bescheid vom 20.09.2013 aufgehoben und von der Klägerin eine Rückzahlung in Höhe von 9.081,97 EUR gefordert wird."

Gegen den am 22.7.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 5.8.2016 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten. Das Sozialgericht habe den Regelungsgehalt des streitgegenständlichen Bescheides vom 2.2.2015 nicht zu-treffend gewürdigt mit dem Ergebnis, dass seine Urteilsbegründung an der Sache und dem Streitgegenstand vorbeigehe. Nachdem der Klägerin mit Bescheid vom 20.9.2013 Erzie-hungsrente bewilligt worden war, sei mit Bescheid vom 15.12.2014 der Anspruch auf Ren-te wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.6.2013 zuerkannt worden. Dabei sei im Hin-blick auf das Urteil des BSG vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08) zum einen die bereits gezahlte Erziehungsrente nicht verrechnet worden und zum anderen der Bescheid zur Erziehungs-rente vom 20.9.2013 hinsichtlich des Zahlungsanspruches nach § 48 SGB X aufgehoben und ein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 in Höhe von 11.008,04 EUR festgestellt worden. Der Bescheid vom 20.9.2013 sei bindend geworden. Damit seien auch die in diesem Bescheid verlautbarten Verwaltungsak-te über die Aufhebung des Zahlungsanspruches und über die Feststellung des Erstattungs-anspruchs bindend geworden. In dem streitgegenständlichen Bescheid vom 2.2.2015 sei dann lediglich ein Verwaltungsakt über ein Zahlungsgebot in Höhe von 9.081,94 EUR verfügt worden (§ 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens sei allein der im streitgegenständlichen Bescheid vom 2.2.2015 verfügte Verwaltungsakt über das Zahlungsgebot (Leistungsbescheid), nämlich die Anordnung, die Klägerin habe an die Beklagte 9.081,97 EUR als zu erstattenden Wert zu Unrecht gezahlter Rente zu zahlen bzw. zu überweisen. Es seien keine Rechtsgründe erkennbar, dass das Gebot, die Klägerin müsse 9.081,97 EUR an die Beklagte zahlen, die Klägerin i. S. v. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletze. Die Beklagte sei zu dieser belastenden Verfügung ermächtigt, weil der Eingriffstatbestand, das Bestehen eines Erstattungsanspruchs (§§ 48, 50 Abs. 1 SGB X), erfüllt sei. Denn beide Verwaltungsakte über die Aufhebung und Er-stattung seien bindend geworden. Im Übrigen verwies die Beklagte auf Entscheidungen in vergleichbaren Fällen vom Sozialgericht Würzburg vom 25.7.2013 (S 3 R 1339/12), vom Sozialgericht Bremen vom 30.12.2014 (S 31 R 365/13), vom Sozialgericht Karlsruhe vom 26.1.2015 (S 5 R 2278/14), vom Sozialgericht Hannover vom 22.4.2015 (S 14 R 1052/13), vom Sozialgericht Dresden vom 24.5.2015 (S 42 R 536/14) und vom 8.1.2016 (S 42 R 1823/13) und vom Sozialgericht München vom 28.5.2015 (S 30 R 384/14).

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 19.7.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass die Aufhe-bungsentscheidung der Beklagten mangels Anhörung bereits formell rechtswidrig ist. Zu-dem habe sie hinsichtlich ihrer Rentenansprüche ein freies Wahlrecht zwischen der Erzie-hungsrente und der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dieses hätte sie bei Kenntnis der Rechtsfolgen auch ausgeübt und insoweit auf die höhere Erwerbsminderungsrente ver-zichtet, wenn sie entsprechend von der Beklagten beraten worden wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialge-richtsgesetz – SGG -) und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid der Klage zu Unrecht statt-gegeben und die streitgegenständlichen Bescheide abgeändert. Denn die Bescheide der Beklagten vom 15.12.2014 und vom 2.2.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.4.2015 sind tatsächlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte den Bescheid vom 20.9.2013 (Bewilligung der Erziehungsrente) hinsichtlich des Zah-lungsanspruchs nach § 48 SGB X aufgehoben und für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.1.2015 den resultierenden Überzahlungsbetrag in Höhe von 9.081,97 EUR von der Klägerin zurückgefordert.

Anders als die Beklagte meint, sind Gegenstand des Rechtsstreits die Bescheide vom 15.12.2014 und vom 2.2.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.4.2015. Formal war der Bescheid vom 15.12.2014 zwar bestandskräftig geworden, allerdings hat die Beklagte auf diese Bestandskraft "verzichtet", indem sie den Bescheid vom 15.12.2014 im Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides selbst zum Bestandteil des Widerspruchs-bescheides vom 30.4.2015 gemacht und in der Sache entschieden hat (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 77 Rn. 5a, § 84 Rn. 7). Damit wird auch die (materielle) Aufhebungsentscheidung in Bezug auf den Bescheid vom 20.9.2013 betreffend die Erziehungsrente hinsichtlich des Zahlungsanspruches für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.5.2015 Gegenstand der rechtlichen Prüfung im Berufungsverfah-ren.

Die Bescheide der Beklagten vom 15.12.2014 und vom 2.2.2015 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 30.4.2015 sind nicht mangels Anhörung formell rechtswidrig. Für eine Aufhebungsentscheidung der vorliegenden Art ist eine Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X nicht erforderlich (vgl. nur Wehrhahn, in: Kasseler Kommentar zum Sozial-versicherungsrecht, EL 91 September 2016, § 89 SGB VI Rn. 11). Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 20.9.2013 (bezüglich der Erziehungsrente hinsichtlich des Zahlungsanspruches für die Zeit vom 1.2.2014 bis 31.5.2015) ist § 48 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwir-kung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtli-chen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Ände-rung, die sich auf den Grund oder die Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (BSG SozR 3 – 1300 § 48 Nr. 48). Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab 1.2.2014 durch Be-scheid vom 15.12.2014 ist eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 20.9.2013 zuerkannten Zahlungsanspruch der Klägerin auf eine Erziehungs-rente auswirkte. Denn bestehen – wie vorliegend – für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. § 89 SGB VI führt im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, die dazu führt, dass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibt, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden kann (Wehr-hahn, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, EL 91 September 2016, § 89 SGB VI Rn. 4). Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfällt dann nach-träglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente (vgl. BSG, Urteil vom 7.9.2010, B 5 KN 4/08 R, Rn. 27, zitiert nach juris). Vorliegend trat die Zahlungssperre des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente ein mit der Folge, dass der Bescheid vom 20.9.2013 über die Gewährung einer Erziehungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.5.2015 nachträglich rechtswidrig geworden ist. Die Beklagte war nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch berechtigt, den Rentenbe-scheid vom 20.9.2013 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin hat nach Erlass dieses Bescheides Einkommen erzielt, das zum Wegfall des Zah-lungsanspruchs auf die Erziehungsrente in der Zeit vom 1.2.2014 bis 31.5.2015 geführt hat. Der rückwirkend zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung stellt Einkommen im Sinne dieser Vorschrift dar. Die Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist bei jeglichen Auswirkungen auf den bisherigen Anspruch anzuwenden, so auch bei einem hinzugetretenen höheren Rentenanspruch, der nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI dazu führt, dass die bisherige Rente nicht mehr zu zahlen ist (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 33; BSGE 59, 111, 113 f.; Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand August 2012, § 48 SGB X Rn. 47). Die maßgeblichen Fristen des § 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X wurden eingehalten. Ein atypischer Fall liegt nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 20.9.2013 hat zur Folge, dass die Klägerin die in der Zeit ab dem 1.2.2014 geleistete Erziehungsrente in Höhe von 9.081,97 EUR nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten hat. Fehler der Beklagten bei der Berech-nung des Erstattungsbetrages im Bescheid vom 2.2.2015 sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Mit dem (Leistungs-)Bescheid vom 2.2.2015 wird allein noch das Zahlungsgebot der zuvor mit Bescheid vom 15.12.2014 verfügten (teilweisen) Bewilli-gungsaufhebung umgesetzt. Diese Vorgehensweise ist rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin anführt, die Beklagte habe im Rahmen ihrer Entscheidung unberück-sichtigt gelassen, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt Kenntnis darüber hatte, dass es bei Bewilligung einer Rente rückwirkend auch zu einer erheblichen Rückzahlungspflicht kommen könne und zu beachten sei, dass der Rentenantrag erst am 22.8.2014 gestellt wor-den ist, die Klägerin insoweit hätte beraten werden müssen, auch in Bezug auf ihr Recht zum Verzicht auf Sozialleistungen, kann sich der Senat dieser Argumentation nicht an-schließen. Zum einen wurde von der Beklagten zu Recht als maßgebliches Rentenantrags-datum das Datum des Antrags auf Bewilligung einer Reha-Maßnahme vom 28.2.2014 zu-grunde gelegt, was der Regelung des § 116 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI entspricht, und zum anderen war das (befristete) Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach §§ 43 Abs. 2, 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelan-sprüche bereits ab dem 7.5.2013 (Leistungsfall: eigene Arbeitsunfähigkeit der Klägerin infolge des Verkehrsunfalls ihres Sohnes am 5.5.2013) kraft Gesetzes entstanden, ohne das dies einer konstituierenden Verwaltungsentscheidung (hier Bescheid vom 15.12.2014) be-durfte. Bereits am 7.5.2013 stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Erziehungs-rente nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs. 1 Nrn. 7 und 9 SGB VI), sondern im Hinblick auf den "zeitüberschneidend" entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (vgl. BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr. 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 Rn. 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 89 Rn. 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl. 2013, § 89 Rn. 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI § 89 Rn. 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Erziehungsrente resul-tierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungs-rente nicht zur Entstehung gelangten (vgl. zum Prinzip BSG SozR 3-2600 § 101 Nr. 2).

In Bezug auf die Frage einer "Haftung der Klägerin gegenüber der Beklagten allenfalls in Höhe des Nachzahlungsbetrages aus der Rente wegen Erwerbsminderung" und den Grund-satz von Treu und Glauben ("Zumutbarkeit der Aufhebungsentscheidung") gibt der Senat Folgendes zu bedenken: Wie sich aus der Entscheidung des BSG vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R) ergibt, kann der Vorschrift des § 89 SGB VI eine Erfüllungsfiktion – Erziehungs-rente für Rente wegen voller Erwerbsminderung – auch unter Berücksichtigung allgemeiner Erwägungen nicht entnommen werden. Zwar ging es in der genannten Entscheidung des BSG primär um das Verhältnis eines Anspruchs auf Rente für Bergleute zu einem An-spruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Gleichwohl sind die dortigen Ausführungen ohne Einschränkung auch auf das Verhältnis eines Anspruchs auf Erziehungsrente zu einem Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung übertragbar. Denn auch die beiden genannten Renten begründen eigenständige, voneinander unabhängige Leistungsansprüche, die unterschiedliche Leistungsfälle haben können und deren Schutzgut keineswegs identisch ist. Eine Erziehungsrente soll das Risiko abdecken, dass ein Versicherter wegen der Sorge für einen behinderten Angehörigen nicht oder nur in beschränktem zeitlichen Umfang erwerbstätig sein kann, während die Rente wegen voller Erwerbsminderung das Risiko abdecken soll, dass ein Versicherter praktisch gar nicht mehr erwerbstätig sein kann. Schließlich sind die beiden Renten in unterschiedlichen Vorschriften geregelt. Auch § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB VI unterscheidet zwischen den beiden Renten, indem er in der Rangfolge zwischen der Rente wegen voller Erwerbsminderung (Nr. 7) und der Erzie-hungsrente (Nr. 9) differenziert. Wie das Bundessozialgericht in der genannten Entschei-dung meint, gibt es ein einziges Recht auf eine Versichertenrente nicht (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 30, zitiert nach Juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 31.10.2002, B 4 RA 9/01 R, Rn. 14, zitiert nach juris).

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die Klägerin mit ihrem Hinweis auf ein freies Wahlrecht hinsichtlich ihrer Rentenansprüche auf Erziehungsrente und Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass sie bei Kenntnis der Rechtsfolgen das Wahlrecht ausgeübt und insoweit auf die höhere Erwerbsminderungsrente verzichtet hätte, wenn sie entsprechend von der Beklagten beraten worden wäre, nicht durchdringt. Zwar besteht – wie die Klägerin meint – in der Tat ein Wahlrecht zwischen den unterschiedlichen in § 89 SGB VI genannten Renten (Wehrhahn, in: Kasseler Kommentar zum Sozial-versicherungsrecht, EL 91 September 2016, § 89 SGB VI Rn. 8), mit der Möglichkeit des Verzichts auf die höhere Rente (hier also einem Verzicht auf die Rente wegen voller Er-werbsminderung), allerdings besteht dieses Wahlrecht und – wenn im zugrunde liegenden Fall überhaupt – eine Beratungspflicht der Beklagten nur innerhalb des Regimes des § 89 SGB VI. Ein Verzicht der Klägerin nach § 46 SGB I in der Form statt der Rente wegen voller Erwerbsminderung die Erziehungsrente, das Arbeitslosengeld und das Krankengeld in Anspruch zu nehmen, liefe auf einen Verzicht zu Lasten anderer Sozialleistungsträger hinaus, was rechtlich gemäß § 46 Abs. 2 SGB I nicht möglich ist. Als selbständige, unabhängig voneinander bestehende Ansprüche begründen die hier in Rede stehenden Renten jeweils selbständige Leistungsverhältnisse mit der Folge, dass bei einer Leistungsstörung - z. B. aufgrund eines späteren Wegfalls des Rechtsgrunds der Leis-tung – dasjenige Leistungsverhältnis rückabzuwickeln ist, in dem die Störung entstanden ist (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2010, B 5 KN 4/08 R, Rn. 31, zitiert nach juris). Diese Vorgehensweise ist auch sachgerecht. Nach der geltenden Rechtslage kann ein Ver-sicherter neben einer Erziehungsrente einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Kran-kengeld (§ 50 Abs. 2 SGB V) und/oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs. 1 SGB III) haben, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente we-gen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen ist (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 125 Abs. 1 SGB III). Dies kann – wie im Fall der Klägerin – dazu führen, dass die Summe der neben-einander gezahlten Sozialleistungen (Erziehungsrente plus Krankengeld und Arbeitslosen-geld) höher ist als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden hat und damit die Erziehungsrente sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden sind, ist es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang – und nicht nur in Höhe des Betrages, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibt – zur Erfüllung der Erstat-tungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfikti-on des § 107 SGB X gilt in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- und Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhält, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auch zugestanden hat. Nach alldem war der Berufung der Beklagten stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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