L 37 SF 323/16 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 323/16 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht (SG) Berlin unter dem Aktenzeichen (Az.) S 8 AS 8512/10 geführten Verfahrens. Das beendete Verfahren stellt sich wie folgt dar:

11.03.2010 Eingang der Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Teilaufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Neukölln vom 23.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2010 (Gesamtforderung: 1.544,34 EUR) bei dem SG Berlin mit Ankündigung einer gesonderten Begründung 22.03.2010 nach Vergabe des Az. S 8 AS 8512/10 Anforderung der Klagebegründung von der Klägerin und der Verwaltungsakte vom Jobcenter 07.04.2010 Eingang der Verwaltungsakte 10.05.2010 Begründung der Klage und Weiterleitung an Jobcenter zur Stellungnahme 03.06.2010 Eingang der Stellungnahme des Jobcenters, die einen Tag später der Klägerin zur Kenntnisnahme übersandt wird 12.07.2010 nach Ablauf der internen Frist Verfügung in das "E-Fach" (Entscheidungsfach) 08.11.2010 Bestimmung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 29.11.2010 29.11.2010 Erörterungstermin mit Einverständnis der Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides 06.01.2011 nach Ablauf der internen Frist Verfügung in das "GB-Fach" (Gerichtsbescheidfach) 29.04.2014 Sachstandsanfrage des Jobcenters 05.05.2014 Antwort, dass Gerichtsbescheid in der zweiten Jahreshälfte ergehen wird 02.12.2014 Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung am 4.2.2015 11.12.2014 Antrag der Klägerin auf Verlegung des Termins wg. Verhinderung der Bevollmächtigten 29.12.2014 Anfrage des Gerichts bei der Klägerin wegen Verlegung des Termins auf den 14.1.2015 06.01.2011 Eingang des Antrags der Klägerin auf Verlegung des Termins auf Ende Februar und Übersendung zwei Tage später an das Jobcenter zur Kenntnisnahme; Notierung Frist zur Wiedervorlage nach sechs Wochen 20.01.2015 die Bevollmächtigte der Klägerin (Rechtsanwältin K in freier Mitarbeit) rügt die Dauer des Verfahrens mit Schriftsatz vom 19. Januar 2015 05.02.2015 Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung am 4.3.2015 04.03.2015 mündliche Verhandlung mit klageabweisendem Urteil 01.07.2015 Zustellung des schriftlichen Urteils an die Klägerin 03.08.2015 Eingang der Berufung der Klägerin mit Ankündigung einer gesonderten Begründung bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg 05.08.2015 nach Vergabe des Az. L 9 AS 1882/15 Anforderung der Berufungsbegründung 03.09.2015 Mitteilung der Klägerin, dass die Begründung nicht vor dem 15.10.2015 erfolgen wird 15.10.2015 Begründung der Berufung und Weiterleitung einen Tag später an Jobcenter zur Stellungnahme 22.10.2015 Stellungnahme des Jobcenters, die eine Woche später der Klägerin zur Stellungnahme übersandt wird 07.12.2015 Erinnerung der Klägerin an die Stellungnahme 21.12.2015 Stellungnahme der Klägerin 29.12.2015 Übersendung der Stellungnahme an das Jobcenter zur Kenntnisnahme und Anforderung der Verwaltungsakte 11.02.2016 Erinnerung des Jobcenters an Übersendung der Verwaltungsakte 11.02.2016 Bitte der Klägerin um Entscheidung 15.02.2016 kurze Antwort des LSG (baldiger Termin kann nicht in Aussicht gestellt werden) 17.02.2016 Bitte der Bevollmächtigten der Klägerin um Terminierung frühestens im Juni 2017 (wg. Mutterschutz und Elternzeit) 14.03.2016 Mitteilung des Jobcenters, dass Verwaltungsakte nicht auffindbar ist 16.03.2016 LSG fordert die im Computerprogramm des Jobcenters gespeicherten Unterlagen an 17.03.2016 Bestimmung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 29.4.2016 22.03.2016 Antrag der Klägerin auf Verlegung des Termins wg. Verhinderung der Bevollmächtigten und Aufhebung des persönlichen Erscheinens 23.03.2016 Umladung auf den 2.5.2016 02.05.2016 Erörterungstermin mit der Auflage an die Klägerin, Kontoauszüge binnen eines Monats einzureichen 28.07.2016 nach Erinnerung des LSG Eingang der Kontoauszüge und Übersendung an Jobcenter zur Kenntnisnahme 15.08.2016 Stellungnahme des Jobcenters, die zwei Tage später an die Klägerin zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt wird 15.09.2016 Telefonat des Berichterstatters mit der Bevollmächtigten 11.10.2016 Telefonat des Berichterstatters mit der Bevollmächtigten 08.11.2016 Rücknahme der Berufung durch die Klägerin

Am 22. Dezember 2016 hat die Klägerin bei dem LSG Berlin-Brandenburg eine auf Gewährung einer Entschädigung für die überlange Dauer des Verfahrens S 8 AS 8512/10 in Höhe von (iHv) mindestens 3.600,00 EUR zuzüglich Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gerichtete Klage erhoben. In der Klageschrift führt sie aus, dass der Rechtsstreit mehr als fünf Jahre gedauert habe, also als überlang einzustufen sei. Bereits im Erörterungstermin am 29. November 2010 hätten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt. Am 19. Januar 2015 habe ihre Bevollmächtigte Verzögerungsrüge erhoben. Nach Eingang der Erwiderung durch den Beklagten führt die Klägerin aus, dass der Rechtsstreit drei Jahre zu lang gewesen sei. Nur für die Zeit vom 11. Mai 2012 bis 1. Juli 2015 werde ein Entschädigungsanspruch geltend gemacht. Wegen der Klageflut und der enormen Belastung des SG habe ihre Bevollmächtigte bis zum 10. Mai 2015 den Sachstand nicht bei dem SG abgefragt. Am 21. Mai 2012 habe die Bevollmächtigte telefonisch den Sachstand bei dem Gericht abgefragt und gerügt, dass nunmehr mehr als zwei Jahre seit Klageerhebung vergangen seien, ohne dass über die Klage entschieden worden sei. Ihr sei mündlich mitgeteilt worden, die Sache liege "im Fach" der Richterin zur Entscheidung. Hintergrund für das Telefonat sei auch eine Mahnung der Bundesagentur für Arbeit vom 18. Mai 2012 iHv 1.544,34 EUR gewesen. Die Klägerin habe die Bevollmächtigte gebeten, bei Gericht "Druck" zu machen und zum Verfahrensende zu kommen, weil sie die Sache endlich abschließen wollte. Die schwebende Geldforderung habe die Klägerin sehr belastet. Nach dem Telefonvermerk der Bevollmächtigten habe das Gespräch am 21. Mai 2012 vormittags mit Frau G vom SG Berlin stattgefunden. Die Bevollmächtigte habe zunächst "G" verstanden. Nach Kenntnis der Bevollmächtigten seien die Mitarbeiter der Geschäftsstellen des Gerichts angewiesen, über alle anwaltlichen Anrufe in laufenden Verfahren Aktenvermerke zu fertigen. Ein etwaiges Fehlverhalten der Mitarbeiter der Geschäftsstellen sei dem Beklagten anzurechnen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 1 BvR 3164/13 müsse der Betroffene lediglich sein fehlendes Einverständnis mit der Dauer des Verfahrens zum Ausdruck bringen. Eine ausdrückliche Bezeichnung als "Verzögerungsrüge" sei nicht erforderlich. Die Schlussfolgerung des Beklagten, es müsse sich bei dem Telefonat um eine einfache Sachstandsanfrage und keine Verzögerungsrüge gehandelt haben, sei verfehlt. Dass die anwaltliche Äußerung am 21. Mai 2012 keine bloße "Maulerei" gewesen sei, sondern tatsächlich und rechtlich relevant gewesen sei, habe sich vermutlich der Kenntnis der Justizbeschäftigten G entzogen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin wegen unangemessener Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 8 AS 8512/10 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.600,00 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt aus, dass die Klage jedenfalls unbegründet sei, weil die Klägerin die Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben habe. Das Ausgangsverfahren sei bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) am 3. Dezember 2011 verzögert gewesen. Die Zeiten gerichtlicher Inaktivität hätten sich zu diesem Zeitpunkt auf 15 Monate (3 von August bis Oktober 2010, 12 von Dezember 2010 bis November 2011) summiert. In diesem Fall hätte die Verzögerungsrüge gemäß Art. 23 S. 2 ÜGG unverzüglich, d.h. spätestens nach drei Monaten, nach Inkrafttreten des ÜGG erhoben werden müssen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 5. Mai 2015, B 10 ÜG 8/14 R). Die erst am 20. Januar 2015 erhobene Verzögerungsrüge stelle sich als rechtsmissbräuchlich dar. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage habe die lange Verfahrensdauer der Klägerin sehr gelegen. Für das nunmehr behauptete Telefonat am 21. Mai 2012 finde sich in der Gerichtsakte keinerlei Hinweis. Ungeachtet der vom BSG offengelassenen Frage der Formbedürftigkeit müsse der behauptete Inhalt des Telefonats bestritten werden, zumal dieses Telefonat in der Klageschrift keinerlei Erwähnung gefunden habe. Ungeachtet dessen sei selbst bei dem von der Bevollmächtigten mitgeteilten Inhalt höchst zweifelhaft, ob es sich um eine Verzögerungsrüge gehandelt habe. Die Bevollmächtigte als mit dem Geschäftsbetrieb des SG vertraute Anwältin habe nicht davon ausgehen können, dass die vermeintliche Verzögerungsrüge die eigentliche Adressatin, nämlich die verantwortliche Richterin, auch tatsächlich erreicht. Es existiere keine allgemeine Anweisung an die Mitarbeiter der Geschäftsstellen, über alle anwaltlichen Anrufe in laufenden Verfahren Aktenvermerke zu fertigen. Über bedeutsame Vorgänge seien Vermerke anzufertigen. Die nach § 17 Abs. 4 der Aktenordnung für das Sozialgericht des Landes Berlin gesondert zu erfassende Verzögerungsrüge sei ein bedeutsamer Vorgang. Dass Rechtsanwälte eine Verzögerungsrüge in einem telefonischen Gespräch mit einer Geschäftsstellenmitarbeiterin anbringen, sei absolut unüblich.

Die Bevollmächtigte der Klägerin hat vorab eine Fotografie eines Aktenvermerks vom 21. Mai 2012 und im Verhandlungstermin eine Fotokopie davon vorgelegt.

Der Senat hat über den Ablauf und Inhalt eines Anrufs von Rechtsanwältin H am 21. Mai 2012 zum Verfahren S 8 AS 8512/10 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen H und G. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Anlagen zum Protokoll vom 29. August 2018 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens S 8 AS 8512/10 verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.

Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des ÜGG und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne (iS) des Art. 34 des Grundgesetzes (GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 S. 1 GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 S. 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das LSG, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht (BSG) und an die Stelle der Zivilprozessordnung das SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das LSG Berlin-Brandenburg zuständig.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 S. 1 GVG iVm § 202 S. 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung iS des § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG).

Zweifel an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform bestehen ebenso wenig wie an der Einhaltung der in § 198 Abs. 5 S. 2 GVG normierten Sechsmonatsfrist. Die Entschädigungsklage ist am 22. Dezember 2016 und damit weniger als zwei Monate nach Beendigung des Ausgangsverfahrens durch Rücknahme der Berufung am 8. November 2016 und mehr als sechs Monate nach Erhebung der (schriftlichen) Verzögerungsrüge am 20. Januar 2015 erhoben worden.

Die Entschädigungsklage ist unbegründet.

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung iHv mindestens 3.600,00 EUR für das beim SG Berlin am 11. März 2010 eingeleitete und am 1. Juli 2015 mit der Zustellung der Ausfertigung des am 4. März 2015 verkündeten Urteils (zum maßgeblich Zeitpunkt siehe nur BSG, Urteil vom 10. Juli 2015 - B 10 ÜG 8/13 R - juris, Rn. 18) beendete erstinstanzliche Klageverfahren S 8 AS 8512/10. Eine Entschädigung für das sich anschließende und durch Rücknahme beendete Berufungsverfahren L 9 AS 1882/15 macht die Klägerin nicht geltend. Sie macht ausschließlich einen Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist. Die begehrte Entschädigung steht ihr jedoch nicht zu.

Richtiger Beklagter ist nach § 200 S. 1 GVG das Land Berlin, vertreten durch die Präsidentin des SG Berlin (§ 29 Abs. 5 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vom 1. November 2017 - ABl. 2017, 5556).

Nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 S. 1 GVG). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge. Für das Vorliegen einer wirksamen Verzögerungsrüge ist der Kläger des Entschädigungsverfahrens darlegungs- und beweispflichtig (BT-Drucksache 17/3802 zu Absatz 5 Satz 3 S. 21, vgl. auch Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 8. Aufl., 2015, § 198 Rn. 16 mwN). Welche konkreten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verzögerungsrüge zu stellen sind, hat der Gesetzgeber nicht normiert. Allerdings ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass die Verzögerungsrüge beim Ausgangsgericht in schriftlicher Form oder durch Einlegung in mündlicher Form erhoben werden kann (BT-Drucksache 17/3802 zu Absatz 5 Satz 1, S. 22). Weiter heißt es in der Begründung, dass die Verzögerungsrüge dem bearbeitenden Richter die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und insofern als Vorwarnung dienen soll und deshalb bei dem Gericht erhoben werden muss, bei dem das Verfahren anhängig ist (BT-Drucksache 17/3802 zu Absatz 3 Satz 1, S. 20). Es ist durch Auslegung der (mündlichen oder schriftlichen) Erklärung zu ermitteln, ob eine Verzögerungsrüge erhoben wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2015, 1 BvR 3164/13, juris, Rn. 33; Röhl in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGG, § 198 GVG, Rn. 88). Dabei dürfte jedenfalls bei unvertretenen Klägern ausreichend sein, dass diese dem Gericht gegenüber zum Ausdruck gebracht haben, dass sie mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden sind (vgl. dazu Loytved, jurisPR-SozR 3/2014 Anm. 5, mwN). Dagegen ist nicht schon jegliche Bezugnahme auf die Verfahrensdauer oder jede Sachstandsanfrage als Rüge anzusehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11. Dezember 2014, L 37 SF 129/14 EK KR, juris, Rn. 37).

Hiervon ausgehend ist eine Verzögerungsrüge erstmalig schriftlich am 20. Januar 2015 erhoben worden. Die mündliche Erhebung einer Verzögerungsrüge vor diesem Zeitpunkt ist nicht nachgewiesen.

Nach dem Gesamtbild des Verfahrens und dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeuginnen H und G (zur Vernehmung einer Prozessbevollmächtigten als Zeugin siehe BSG, Beschluss vom 27. Juni 2012 - B 6 KA 65/11 B - juris, Rn. 34; BGH, Beschluss vom 11. November 2009 - XII ZB 174/08 – juris) ist zur Überzeugung des Senats weder das von der Klägerin behauptete Telefonat zwischen den Zeuginnen am 21. Mai 2012 noch der behauptete Inhalt des Telefonats nachgewiesen. So haben beide Zeuginnen übereinstimmend und glaubhaft ausgesagt, dass sie keine Erinnerung an das Gespräch haben. Dies wäre im Hinblick auf die Stellung der beiden Zeuginnen im Ausgangsverfahren (Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des SG Berlin) und ihre berufliche Befassung mit einer Vielzahl von Gerichtsverfahren nach mehr als sechs Jahren auch nicht zu erwarten gewesen. Zwar hat die Zeugin H auf Vorhalt des von ihr (als Fotografie bzw. Fotokopie) vorgelegten Telefonvermerks ausgesagt, dass es sich dabei um ihre Handschrift handelt und das Notierte den Inhalt des Gesprächs wiedergibt. Dies genügt jedoch zum Beweis eines behaupteten Telefonats am 21. Mai 2012 nicht. Denn es fehlen jegliche weitere Realkennzeichen für das behauptete Telefonat. Trotz der erkennbaren Bedeutung des behaupteten Telefonats für den Erfolg der Entschädigungsklage und die ausdrückliche Aufforderung des Gerichts an die Bevollmächtigte der Klägerin, das Original des Telefonvermerks zum Verhandlungstermin am 29. August 2018 mitzubringen, hat die Bevollmächtigte der Klägerin zum Verhandlungstermin weder das Original des Telefonvermerks noch den entsprechenden Band ihrer Handakte mitgebracht. Die von ihr dafür abgegebenen Erklärungen (der Band der Handakte befinde sich in der Kita, das Original des Telefonvermerks habe sie auf dem Kopierer vergessen) sind bestenfalls erstaunlich, lassen aber auch nicht ausschließen, dass die Bevollmächtigte bewusst den Telefonvermerk im Original nicht vorlegen wollte. Letztlich steht weiterhin im Raum, dass es sich bei dem behaupteten Telefonat um einen nachgeschobenen und nicht zutreffenden Sachverhalt handelt. Denn in der Klageschrift vom 20. Dezember 2016 wurde das Telefonat gerade nicht erwähnt. Als Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge wurde vielmehr ausdrücklich der 19. Januar 2015 angegeben. Erst nachdem der Beklagte in seiner Klageerwiderung auf die Bedeutung der Verzögerungsrüge hingewiesen hatte, wurde dann das Telefonat behauptet, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der Telefonvermerk als Beweismittel angeboten wurde. Die Erklärung der Zeugin H zur Nichterwähnung des Telefonats in der Klageschrift - wegen der nur geringen Höhe der Forderung habe sie die Klageschrift nicht selbst gefertigt - überzeugt nicht. Denn sie hat die Klageschrift in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin unterschrieben und muss sich den Inhalt zurechnen lassen. Jede andere Sichtweise dürfte im Übrigen auch kaum mit ihren anwaltlichen (Sorgfalts-)Pflichten in Einklang zu bringen zu sein.

Auch sieht das Gericht es nicht als nachgewiesen an, dass der Zeugin H im Jahr 2012 das Institut der Verzögerungsrüge überhaupt bekannt war. Denn sie hat im Verhandlungstermin zunächst ausgesagt, dass eine Verzögerungsrüge gar nicht "auf dem Bildschirm war". Diese Aussage hat sie nach Vorlesen dahin korrigiert, dass sie nicht Verzögerungsrüge, sondern Verzögerungsklage gesagt habe. Welches Wort die Zeugin bei ihrer Aussage tatsächlich verwendet hat oder ob insoweit nur eine sprachliche Unschärfe vorliegt, kann hier dahingestellt bleiben. Denn auf die Frage des Gerichts, ob die Zeugin im fraglichen Zeitraum in anderen Verfahren Verzögerungsrügen erhoben habe, hat die Zeugin ausgesagt, dass sie daran keine Erinnerung habe und die Kollegen in anderen Verfahren wohl schriftliche Verzögerungsrügen eingelegt hätten. Diese Bekundung der Zeugin ist ein Indiz dafür, dass sie im hier streitigen Fall und in anderen Verfahren das Institut der Verzögerungsrüge gar nicht "auf dem Schirm" hatte. Hiermit korrespondiert, dass die Zeugin in der von ihr verantworteten Klageschrift offenbar selbst nicht von einer am 21. Mai 2012 erhobenen Verzögerungsrüge ausgegangen ist und die am 20. Januar 2015 schriftlich erhobene Verzögerungsrüge nicht direkt durch die Zeugin, sondern durch ihre Mitarbeiterin (Rechtsanwältin K) gefertigt wurde. Zudem ist nicht plausibel, dass die Zeugin H am 21. Mai 2012 eine Verzögerungsrüge erhoben haben will, dann aber mehr als zwei Jahre lang keinerlei Aktivität in Bezug auf das Ausgangsverfahren entfaltet.

Selbst wenn die Tatsache eines Telefonats am 21. Mai 2012 zwischen den Zeuginnen als nachgewiesen unterstellt wird, erscheint gleichwohl bereits zweifelhaft, ob die Erhebung einer Verzögerungsrüge überhaupt Grund für dieses Telefonat gewesen war. Denn nach dem insoweit konsistenten Vorbringen der Zeugin H im Schriftsatz vom 3. April 2017 und im Rahmen ihrer Aussage vor dem Gericht war Anlass für den Anruf der Zeugin bei dem SG eine Mahnung vom 18. Mai 2012 an die Klägerin und deren Begehren an ihre Bevollmächtigte, "Druck" zu machen. Aus der Aussage der Zeugin H ergibt sich zwanglos und zweifelsfrei, dass der persönliche Anruf der Zeugin bei dem SG (nur) dem Umstand geschuldet war, dass die (anwaltlichen) Mitarbeiterinnen der Zeugin derartige Anrufe ("Druck machen") nicht vornehmen wollten und die Zeugin zu dem Zeitpunkt keine Rechtsanwaltsgehilfin hatte. So hat die Zeugin glaubhaft bekundet, dass im Jahr 2012 extrem viel los und beim SG Berlin aufgrund der Arbeitsüberlastung alle nur noch genervt gewesen seien. Es habe sich um wenig erfreuliche Anrufe gehandelt.

Selbst wenn dann weiter unterstellt wird, dass in dem von der Zeugin vorgelegten Telefonvermerk Ablauf und Inhalt des Telefonats vollständig und zutreffend wiedergegeben werden, ist eine am 21. Mai 2012 wirksam erhobene Verzögerungsrüge nicht nachgewiesen. Denn aus der insoweit maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers handelt es sich nur um eine Sachstandsanfrage der Zeugin ("Wie ist der Sachstand. Dauert schon über 2 Jahre. Nicht mehr zumutbar zu warten. Soll entscheiden Mensch"). Derartige telefonische Sachstandsanfragen auch unmittelbar durch Rechtsanwälte sind im gerichtlichen Alltag keine Seltenheit. In der Regel ist an das Vorbringen von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. September 2015, 13 D 27/14, juris, Rn. 79, mwN). Anders als bei rechtsunkundigen unvertretenen Klägern ist insbesondere von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten als Organen der Rechtspflege zu erwarten, dass ihre prozesserheblichen Erklärungen klar und unmissverständlich sind und sie eine gewollte Verzögerungsrüge auch ausdrücklich so bezeichnen. Zudem dürfte bei telefonischen prozesserheblichen Erklärungen (durch Rechtsanwälte aber auch durch die Beteiligten selbst) stets das Risiko bestehen, dass die Erklärungen - aus welchen Gründen auch immer - vom Gesprächspartner gar nicht, unvollständig oder sinnenstellt notiert bzw. in einem Telefonvermerk aufgenommen werden. Ob es überhaupt mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten vereinbar ist, prozesserhebliche Erklärungen telefonisch gegenüber Justizbeschäftigten eines Gerichts abzugeben, bedarf hier keiner Beurteilung. Denn schon aus dem Telefonvermerk selbst ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der Anruf irgendwelche Auswirkungen auf das Ausgangsverfahren haben würde. Insbesondere wurde nach dem Inhalt des vorgelegten Telefonvermerks von der Zeugin G nicht einmal zugesagt, selbst einen Telefonvermerk anzufertigen. Diesen Sachverhalt hat die Zeugin H in ihrer Aussage auch bestätigt. Die Zeugin H konnte demnach nicht einmal damit rechnen, dass die zuständige Richterin überhaupt Kenntnis von ihrem Anruf und damit von einer etwaigen telefonischen prozesserheblichen Erklärung erlangt. Die Warnfunktion einer Verzögerungsrüge kann jedoch nur dann ausreichend zum Tragen kommen, wenn die Rüge unmittelbar gegenüber dem entscheidenden Richter erhoben wird (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. April 2018, L 37 SF 38/17 EK AS, juris, Rn. 78). Soweit die Zeugin H meint, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstellen des Gerichts angewiesen seien, über alle anwaltlichen Anrufe in laufenden Verfahren einen Aktenvermerk zu fertigen, handelt es sich um einen vermeidbaren Irrtum der Zeugin, welcher der Klägerin zuzurechnen ist. Eine derartige allgemeine Anweisung existiert bei dem Beklagten nicht und dürfte in der gerichtlichen Praxis auch kaum zu leisten sein (die Geschäftsstelle des Gerichts ist kein Schreibbüro eines Rechtsanwalts). Vielmehr sind (nur) über bedeutsame Vorgänge Vermerke anzufertigen. Die nach § 17 Abs. 4 der Aktenordnung für das Sozialgericht des Landes Berlin gesondert zu erfassende Verzögerungsrüge ist ein bedeutsamer Vorgang. Im Hinblick auf den persönlichen Eindruck von der Zeugin G und dem Inhalt ihrer insoweit glaubhaften Aussage hat der Senat keine Zweifel daran, dass sie bei Anrufen mit rechtlich relevantem oder wichtigem Inhalt bzw. bei Zweifeln über das Vorliegen einer Verzögerungsrüge einen Vermerk aufgenommen hätte. Sie hat nach Vorhalt des Inhalts des Telefonvermerks auch glaubhaft ausgesagt, dass sie das als Sachstandsanfrage und nicht als Verzögerungsrüge verstehen würde.

Die somit erste, am 20. Januar 2015 (schriftlich) erhobene Verzögerungsrüge ist nicht nach Art. 23 S. 2 ÜGG unverzüglich erhoben, weil sie nicht spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG beim Ausgangsgericht eingegangen ist. Dies aber wäre erforderlich gewesen, da das Ausgangsverfahren bei Inkrafttreten des ÜGG am 3. Dezember 2011 bereits verzögert gewesen ist. Es kommt - auch wenn dies in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG als Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit nicht ausdrücklich erwähnt wird - für eine Verletzung des Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Beklagten wesentlich darauf an, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind dabei allein Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 41). Vor diesem Hintergrund sind die während des Verfahrens aufgetretenen aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung konkret zu ermitteln. Kleinste relevante Zeiteinheit ist im Geltungsbereich des GRüGV dabei stets der Monat (BSG, Urteile vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 25, B 10 ÜG 2/13, Rn. 24, jeweils zitiert nach juris) iS des Kalendermonats (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015, B 10 ÜG 11/13 R, 2. Leitsatz und Rn. 34). Zu beachten ist dabei, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht auslöst. Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 3. September 2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 36, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 39, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 42, alle juris). Denn ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit besteht eine richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 49). Dies bedeutet, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen. Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung. Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für so genannte Schiebeverfügungen (BSG, Urteile vom 3. September 2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 37, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 40, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 44, alle juris).

Hiervon ausgehend ist es im Ausgangsverfahren zu folgenden Zeiten gerichtlicher Inaktivität gekommen: 3 Kalendermonate von August bis Oktober 2010 (nach der Verfügung in das "E-Fach" am 12. Juli 2010 bis zur Bestimmung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 8. November 2010) 48 Kalendermonate von Dezember 2010 bis November 2014 (nach Durchführung des Erörterungstermins am 29. November 2010 bis zur Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung am 2. Dezember 2014) Maximal 2 Kalendermonate im Zeitraum von April bis Juli 2015 (nach Verkündung des Urteils im Verhandlungstermin am 4. März 2015 bis zur Zustellung des schriftlichen Urteils an die Klägerin am 1. Juli 2015) (eine Dauer von zwei Monaten von Urteilsverkündung bis Urteilszustellung ist jedenfalls noch nicht entschädigungsrelevant, vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 45).

Danach war das Verfahren am 3. Dezember 2011 (Inkrafttreten des ÜGG) bereits 15 Monate (August 2010 bis Oktober 2010, Dezember 2010 bis November 2011) verzögert. In diesem Fall hätte die Verzögerungsrüge gemäß Art. 23 S. 2 ÜGG unverzüglich, d.h. spätestens nach drei Monaten, nach Inkrafttreten des ÜGG erhoben werden müssen (siehe BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris). Dies ist nicht geschehen. Die im Anwendungsbereich des Art. 23 S. 2 und 3 ÜGG nicht rechtzeitig erhobene Verzögerungsrüge präkludiert nicht nur den Anspruch auf Geldentschädigung aus § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, sondern ebenso die bloße Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 S. 3 Halbs. 2 GVG bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 15. Dezember 2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris, Rn. 17).

In dem danach nicht von der Präklusion umfassten Zeitraum von Januar 2015 (Eingang der schriftlichen Verzögerungsrüge) bis Juli 2015 (Zustellung der Urteilsausfertigung am 1. Juli 2015) ist das Verfahren allenfalls in einem Umfang von maximal zwei Monaten (siehe oben) verzögert. Dies rechtfertigt unter keinem Gesichtspunkt eine Entschädigung der Klägerin für die Dauer des Verfahrens S 8 AS 8512/10, denn die dem SG zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig 12 Monaten je Instanz (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris), von der hier nach unten abzuweichen kein Anlass besteht, beginnt erst ab Januar 2015 zu laufen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 5. Mai 2015, aaO, Rn. 36).

Es bedarf daher keiner Beurteilung, ob sich die Verzögerungsrüge am 20. Januar 2015 - zeitlich nach dem Antrag der Klägerin auf Verlegung des zunächst auf den 4. Februar 2015 bestimmten Verhandlungstermins - als rechtsmissbräuchlich erweist oder die Bedeutung des Verfahrens (Anfechtungsklage gegen einen Teilaufhebungs- und Erstattungsbescheid) rechtfertigen würde, die dem SG zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig 12 Monaten je Instanz zu verlängern.

Da ein Entschädigungsanspruch nicht besteht, war über die geltend gemachten Prozesszinsen gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch analog nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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