L 9 VE 4/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 5 VE 24/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 VE 4/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 22/18 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Anspruch nach § 1 OEG ist ein höchstpersönliches Recht und kann auch nur durch die betroffene Person geltend gemacht werden.
2. Eine Mutter kann nicht ohne Nachweis einer entsprechenden Vollmacht Rechte ihres volljährigen Sohnes geltend machen.
3. Das Antragserfordernis des § 1 Abs. 1 OEG dient dem Selbstbestimmungsrecht des Geschädigten.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sie dazu berechtigt sei, ihren Sohn im Verwaltungsverfahren beim Beklagten sowie in dem hier anhängigen Gerichtsverfahren vertreten zu dürfen.

Die 1946 geborene Klägerin beantragte am 11.10.2011 beim Beklagten eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für ihren Sohn. Der 1974 geborene Sohn der Klägerin ist von Geburt ab aufgrund einer Cerebralparese behindert. Dieser leide unter dauerhaften Gesundheitsstörungen infolge von Willkürmaßnahmen zu DDR-Zeiten, die auf Verfolgungsmaßnahmen beruhten, die gegen seine Mutter (die Klägerin) gerichtet gewesen seien. Der Antrag wurde von der Klägerin persönlich unterzeichnet mit dem Hinweis, dass sämtliche Post an ihre Adresse zu richten sei.

Im Schreiben vom 02.11.2011 erläuterte der Beklagte der Klägerin, dass der Antrag auf Beschädigtenversorgung entweder vom Betroffenen persönlich zu unterzeichnen sei oder aber eine entsprechende Vollmacht vorzulegen sei, mit welcher eine dritte Person ermächtigt werde, Anträge zu stellen oder ausgewählte Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Sofern ein amtlicher Betreuer bestellt sei, genüge die Übersendung der Kopie des Betreuerausweises.

Mit Bescheid vom 15.05.2012 wies der Beklagte den Antrag der Klägerin als unbegründet zurück. Die Einleitung des Verwaltungsverfahrens zur Versorgung des Sohnes der Klägerin nach dem OEG werde abgelehnt. Der Versorgungsverwaltung sei es grundsätzlich verwehrt, von Amts wegen oder auf Antrag eines nicht bevollmächtigten Dritten ein Aufklärungsverfahren nach dem OEG einzuleiten. Dem stehe das Recht des Geschädigten entgegen, über die Offenbarung persönlicher Verhältnisse aus dem unverletzlichen Bereich freier Entfaltung der Persönlichkeit selbst und allein zu bestimmen (BSG, 9a RVG 1/85). Im Falle der Klägerin sei von der höchstpersönlichen oder ermächtigten Antragstellung keine Ausnahme zu machen. Zwar käme die analoge Anwendung des § 73 Abs. 6 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht. Diese Vorschrift sei jedoch nicht zugunsten der Klägerin anzuwenden, da die Klägerin mit ihrem Sohn in keinem gemeinsamen Haushalt lebe und dem Beklagten die familiären Lebensumstände nicht näher bekannt seien. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf die Bitte des Beklagten, eine schriftliche Vollmacht zu übersenden, nicht eingegangen sei. Eine Entscheidung über erhobene Ansprüche des Sohnes der Klägerin außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsverfahrens sei nicht möglich. Dem widersprach die Klägerin. Ihr Sohn sei aus gesundheitlichen Gründen an der eigenen Wahrnehmung seiner Rechte gehindert. Der Beklagte sei gehalten, die Bevollmächtigung der Klägerin entsprechend § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG zu unterstellen. Nachdem der Beklagte nochmals mit Schreiben vom 29.05.2012 und vom 20.09.2012 rechtliche Ausführungen zu den Vertretungsbestimmungen darlegte, wies er den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2012 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.11.2012 beim Sozialgericht Leipzig (SG) Klage erhoben. Sie klage höchstpersönlich. Der Rechtsbehelf sei gar nicht für ihren Sohn eingelegt worden. Ihr gehe es nicht darum, zugunsten ihres Sohnes Ansprüche nach dem OEG feststellen zu lassen, sondern um die Frage, ob sie als Mutter, die die Vorgänge genau kenne, entsprechend § 73 Abs. 2 SGG wirksam Anträge stellen dürfe.

Ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers für den Sohn ist mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig –Betreuungsgericht- vom 30.10.2012 eingestellt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei als Feststellungsklage zulässig aber unbegründet. Zwar könne nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 10) ein Beteiligter sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen, der Bevollmächtigte müsse allerdings auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachweisen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Da die Klägerin auf Nachfrage des Beklagten keine Vollmacht vorgelegt habe, habe der Beklagte zutreffend die Eröffnung des von der Klägerin angestrebten Verwaltungsverfahrens abgelehnt. Im Falle der Klägerin sei auch nicht die Vertretung in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG zu unterstellen gewesen, da dem Beklagten die Lebensumstände des Sohnes der Klägerin unbekannt seien.

Gegen den der Klägerin am 28.03.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 23.04.2013 beim SG Berufung eingelegt. Das SG hat die Berufung an das zuständige Sächsische Landessozialgericht weitergeleitet, bei dem sie am 24.04.2013 eingegangen ist. Aufgrund übereinstimmender Anträge der Beteiligten hat der vormals zuständige 6. Senat mit Beschluss vom 20.08.2013 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Von Amts wegen ist das Verfahren am 24.03.2017 fortgesetzt worden. Mit Beschluss vom 20.03.2017 ist der Antrag der Klägerin, ihr PKH für das Berufungsverfahren zu bewilligen, abgelehnt worden.

Mit Schreiben vom 09.04.2018 hat die Klägerin beantragt, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. 04.2018 aufzuheben. Ihrem Schreiben war eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 09.04.2018 von DM Z ... beigefügt. Die Vorsitzende hat die Klägerin mit Fax vom 09.04.2018 darauf hingewiesen, dass der Termin lediglich aufgehoben werde bei Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit. Im Übrigen ist die Klägerin nochmals darauf hingewiesen worden, dass ihr persönliches Erscheinen nicht angeordnet war. Mit Schreiben vom 09.04.2018, per Fax beim Senat am 10.04.2018 eingegangen, hat die Klägerin "Beschwerde" gegen die Verfügung des Gerichts eingelegt. Entscheidungen zu beiden anhängigen Verfahren seien vorerst nicht zu treffen, es sei denn, der Senat folge den Anträgen der Klägerin.

Die Klägerin trägt vor, ihr Sohn sei Opfer schwerer Willkürmaßen geworden. Der Kommunale Sozialverband Sachsen hätte nach Kenntnis der Umstände das Gericht auffordern können, einen Betreuer für den Sohn der Klägerin zu bestellen. Der Sohn der Klägerin sei körperbehindert und der Willkür einer Psychologin und anderer Bediensteter staatlicher Einrichtungen der DDR ausgesetzt gewesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 26.03.2103 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2012 aufzuheben und festzustellen, dass der Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 11.10.2011 wirksam gestellt ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des SG und seine eigenen Bescheide für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 5 SGG entscheiden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2013 abgewiesen.

Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 SGG ist nicht gegenüber der hier ebenfalls möglichen Anfechtungsklage subsidiär, da sie das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagtem in Bezug auf die Vertretungsbefugnis der Klägerin umfassend zu klären vermag. Die Klägerin hat auch ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung, da sie der Sache nach als Bevollmächtigte ihres Sohnes tätig werden und diesen in einem Verwaltungsverfahren gegenüber dem Beklagten vertreten möchte, welches auf die Feststellung von Versorgungsansprüchen nach dem OEG abzielt. Die von der Klägerin aus eigenem Recht –wie sie vorträgt- erhobene Klage ist unbegründet. Die Klägerin begehrt, aus eigenem Recht einen Antrag auf Opferentschädigung für ihren Sohn K ... stellen zu können, weil sie die Vorgänge genau kenne und zu prüfen sei, ob sie den Antrag in analoger Anwendung von § 73 Abs. 2 SGG stellen könne. Eine Klage aus eigenem Recht der Klägerin setzt ein materielles Recht der Klägerin voraus. Zwar ist die Klägerin durch den Bescheid vom 15.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2012 formell beschwert, da sie Adressatin der beiden Bescheide ist, so dass ihre Klage zulässig ist, jedoch kann die Klägerin nicht die Verletzung eigener Rechte geltend machen. Sofern die Klägerin angebliche Willkürmaßnahmen der ehemaligen DDR gegenüber ihrem Sohn mit der Folge gesundheitlicher Störungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) geltend machen will, handelt es sich um einen möglichen Anspruch des Sohns. Dieser Anspruch ist höchstpersönlich, es ist ein eigenes Recht des Sohnes und kann auch nur durch ihn gemäß § 1 Abs. 1 OEG geltend gemacht werden. Eine irgendwie geartete Prozessstandschaft sowohl gewillkürt als auch gesetzlich scheidet vorliegend aus. Bei der gewillkürten Prozessstandschaft ist die Prozessführungsbefugnis durch Rechtsgeschäft mit dem Rechtsinhaber begründet worden. Eine Klage in gewillkürter Prozessstandschaft scheidet allerdings dann aus, wenn nur höchstpersönliche Interessen des Rechtsinhabers im Streit stehen (BVerwGE 66, 266). Um ein derartiges höchstpersönliches Recht des Sohnes der Klägerin handelt es sich vorliegend aber gerade. Eine gesetzliche Prozessstandschaft kommt nicht in Betracht, weil es ein entsprechendes Gesetz, das die Klägerin ermächtigen würde, das Recht ihres Sohnes in Prozessstandschaft geltend zu machen, nicht gibt. Die Klägerin kann auch nicht stattdessen die Klage als bevollmächtigte Vertreterin ihres Sohnes nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGG führen, mit dem Ergebnis, dass der Sohn hier Kläger wäre. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 10) kann sich ein Beteiligter grundsätzlich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Der Bevollmächtigte hat auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Beklagte hat im Schreiben vom 02.11.2011 von der Klägerin eine Vollmacht ihres Sohnes erbeten und sie ausführlich darüber informiert, dass sie nicht ohne Weiteres die Rechte eines Dritten –hier ihres Sohnes- geltend machen könne. Da die Klägerin keine Vollmacht vorgelegt hat, hat der Beklagte zutreffend die Eröffnung des von der Klägerin angestrebten Verwaltungsverfahrens abgelehnt. Im Falle der Klägerin war auch nicht die Vertretung in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG zu unterstellen. Der Beklagte hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass ihm die Lebensumstände des Sohnes der Klägerin unbekannt seien. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, das mutmaßliche Einverständnis des Vertretenen anzunehmen, welches allerdings Grundlage für die in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG erwähnte Unterstellung ist. Das Antragserfordernis dient dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Geschädigten (BSG, 9a RVg 1/85, Rn 17). Wenn der Geschädigte keinen Einblick der Versorgungsbehörde in seinen geschützten Persönlichkeitsbereich wünscht und bereit ist, deswegen auch auf Leistungen nach dem OEG zu verzichten, dann darf das Feststellungsverfahren nach dem OEG grundsätzlich nicht durchgeführt werden (BSG, a.a.O.). Mithin hat die Klägerin nicht wirksam Anträge gegenüber dem Beklagten für ihren Sohn gestellt.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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