S 19 U 157/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 19 U 157/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 226/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 123/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die drei Kläger der vorliegend verbundenen Rechtsstreite begehren allesamt die Anerkennung eines Ereignisses vom 3.7.1999 als Arbeitsunfall.

Die drei Kläger befanden sich ab dem 2.7.1999, dem ersten Juliwochenende, auf einer Erlebnisfreizeit. Diese Erlebnisfreizeitveranstaltung fand im Rahmen einer Fördermaßnahme des Arbeitsamtes statt. Die Kläger befanden sich seinerzeit in Ausbildungsverhältnissen. Dreimal wöchentlich wurden sie vom Bildungswerk der hessischen Wirtschaft für die Nachhilfe betreut. Die Kosten der Nachhilfe trug das Arbeitsamt. Kostenträger des Erlebniswochenendes war das hessische Bildungswerk. Nach dessen Auskunft vom 3.12.2001 war die Teilnahme an dem Wochenende rein freiwillig. Unterricht im herkömmlichen Sinne sei nicht vorgesehen. Es sei vielmehr darum gegangen, soziale Kompetenzen zu stärken. Wegen eines Staus auf der Autobahn A x in Richtung Nordhessen kam die Gruppe erst verspätet an. Die Betreuerin E. erreichte mit ihrem Wagen und den Klägern gegen 21 Uhr als erste den Zeltplatz auf dem Hof der Familie F. in F-Stadt und baute das Lager auf. Danach gingen die Betreuerin E. zu Fuß in Begleitung der Kläger D. und C. in den benachbarten Ort XG-Stadt. Der Kläger A. und drei weitere Teilnehmer fuhren mit dem Auto dorthin. Dort traf man sich an einem Imbiss. Da die Kläger dort nicht essen wollten, wollten sie eine Tankstelle aufsuchen, um sich dort mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Nach Auskunft der Betreuerin E. wollten sich alle nach einer halben Stunde wieder an dem Imbiss treffen. Im Rahmen dieses Weges verunfallten sie. Unfallfahrer war der Kläger A. Dieser fuhr ausweislich des Polizeiberichtes vom 3.7.1999 auf der Straße K 43 aus Richtung XH-Stadt kommend auf die B 253 in Richtung J-Stadt. Da er einem auf der B 253 aus Richtung J-Stadt kommenden Pkw die Vorfahrt nahm, fuhr dieser auf der T-Kreuzung in das Fahrzeug der Kläger hinein. Durch den Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge verletzten sich alle Kläger bei dem Unfall erheblich. Der Unfall ereignete sich ausweislich des Polizeiberichtes am 3.7.1999 um 0.30 Uhr. Im Auto saßen neben den drei Klägern noch zwei weitere junge Männer, alle zwischen 18 und 19 Jahren alt.

Ausweislich eines Aktenvermerkes der Beklagten rief der Kläger C. dort am 7.2.2002 und am 3.4.2002 an. Er erkundigte sich jeweils nach dem Sachstand. Beide Mitarbeiterinnen der Beklagten notierten, der Kläger C. sei davon ausgegangen, es handele sich um keinen Arbeitsunfall. Sie hätten zur Tankstelle fahren wollen, um Chips bzw. etwas zum Naschen zu kaufen. Er teilte ausweislich des Vermerks mit, die Idee mit dem Essen sei von dem Herrn der Krankenkasse gekommen, um den Unfall über die Beklagte versichert zu bekommen. In einem weiteren Vermerk vom 27.9.2004 notierte ein Mitarbeiter der Beklagten den Inhalt des Gesprächs mit der Wirtin F., die er angerufen hatte. Diese teilte mit, am Unfalltag sei Kirmes im Ort gewesen. Die Küche sei zugänglich gewesen. In etwa einem Kilometer Entfernung sei ein Imbiss und in XG-Stadt gebe es drei Gaststätten, deren Adressen der Mitarbeiter notierte. Ferner gab es nach seinen Ermittlungen eine Tankstelle in XG-Stadt. Die Beklagte lehnte gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse der Kläger ihre Erstattungspflicht ab. In dem sich daran anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main (S 1 U 4386/00) wurde die Klage nach Vernehmung am 9.9.2003 der drei Kläger sowie der beiden weiteren Fahrzeuginsassen und der Betreuerin E. abgewiesen. Das SG Frankfurt am Main gelangte zu dem Schluss, es habe kein Arbeitsunfall vorgelegen. Die Kläger waren seinerzeit Beigeladene. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 8.4.2014 hatte der Kläger C. durch seinen Bevollmächtigten bei der Beklagten beantragt, das Ereignis als Arbeitsunfall festzustellen. Die Beklagte hatte ihn auf die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils des SG Frankfurt am Main verwiesen. Daraufhin hatte der Kläger C. Klage vor dem hiesigen Gericht (S 32 U 137/14) erhoben. Dieser Rechtsstreit endete durch Vergleich am 24.6.2015 mit der Verpflichtung der Beklagten zu prüfen, ob das Ereignis einen Arbeitsunfall darstellt. Mit Bescheiden vom 10.8.2015 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 17.12.2015 lehnte die Beklagte für alle drei Kläger jeweils die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die dagegen erhobenen Klagen (S 19 U 157/15, S 19 U 158/15 und S 32 U 159/15) wurden mit Beschluss vom 29.2.2016 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Kläger sind der Ansicht, das Ereignis vom 3.7.1999 sei als Arbeitsunfall anzuerkennen. Sie behaupten, als türkisch stämmige Mitbürger diskriminiert zu werden. Im gesamten Ort X-Stadt habe es nur Schweinefleisch zu essen gegeben. Deshalb sei die Fahrt zur Nahrungsaufnahme jedenfalls wie bei Dienst- oder Klassenfahrten erforderlich und versichert gewesen. Der damalige anderslautende Vortrag vor dem SG Frankfurt am Main sei aufgrund anwaltlicher Schlechtberatung erfolgt. Die damalige Wirtin Frau F. sowie einer der beiden weiteren Fahrzeuginsassen könnten den klägerischen Vortrag bestätigen.

Die Kläger beantragen
unter Aufhebung der Bescheide vom 10.8.2015 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 17.12.2015 festzustellen, dass das Ereignis vom 3.7.1999 einen Arbeitsunfall darstellt und die Beklagte zu verurteilen, ihnen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Ansicht, es liege kein Arbeitsunfall vor. Die Kläger seien keine Versicherte gewesen. Jedenfalls aber habe zum Zeitpunkt des Unfalls keine versicherte Tätigkeit vorgelegen.

Die Akten S 32 U 137/14 des hiesigen Gerichts und S 1 U 4386/00 des SG Frankfurt am Main wurden beigezogen. Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten, die der Kammer im Zeitpunkt der Entscheidung vorlagen, inhaltlich verwiesen und Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen sind zulässig. Zwar hat die Beklagte in dem Rechtsstreit S 32 U 137/14 eingewendet, das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 6.10.2005 (S1 U 4386/00) entfalte aufgrund seiner Rechtskraft Bindungswirkung. Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, 1. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, 2. im Falle des § 75 Abs. 2a die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben, § 141 Abs. 1 SGG. Die Kläger sind als damalige Beigeladene Beteiligte, § 69 Nr. 3 SGG. Im Rahmen des Erstattungsstreits der gesetzlichen Krankenkasse der Kläger gegen die Beklagte hatte das SG Frankfurt am Main unter Beiladung der hiesigen Kläger rechtskräftig entschieden, dass eine Leistungspflicht der Beklagten nicht besteht, da kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Bei dem begehrten Anspruch der Kläger auf Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall handelt es sich gegenüber dem Erstattungsanspruch der gesetzlichen Krankenkasse um selbständige Ansprüche, weshalb keine Identität des Streitgegenstandes vorliegt. Identischer Streitgegenstand ist nicht gegeben, wenn der Kläger einen selbständigen Anspruch eigener Art hat (BSG vom 6.2.1992, 7 Rar 78/90, Rn. 48; BSG vom 9.5.1984, 4 RJ 44/83, Rn. 10; BSG vom 16.3.1961, 8 RV 93/59, Rn. 22). So liegt es hier. Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) sind eigenständige, nicht von der Rechtsposition eines Versicherten abgeleitete Ansprüche (BSG vom 16.3.2010, B 2 U 4/09 R, Rn. 9, 19). Zudem hat sich die Beklagte durch den in dem Verfahren S 32 U 137/14 am 30.6.2015 geschlossenen Vergleich verpflichtet, hinsichtlich des Klägers C. zu prüfen und zu bescheiden, ob es sich bei dem Ereignis am 2. oder 3.7.1999 um einen Arbeitsunfall handelte. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nachgekommen und hat auch gegenüber den beiden anderen Klägern entsprechende Bescheide erlassen. Diese sind ihrerseits mit den vorliegenden Klagen anfechtbar.

Die Klagen sind aber unbegründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen demzufolge die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Klagen sind nicht schon unbegründet wegen der inzidenten Ablehnung eines Arbeitsunfalls durch die Entscheidung des SG Frankfurt am Main vom 6.10.2005. Zwar kann eine Bindungswirkung auch gegeben sein, wenn bei nicht identischem Streitgegenstand – wie hier – die rechtskräftig entschiedene Frage in einem neuen Prozess eine Vorfrage darstellt (Bolay, in Lüdtke (Hrsg.), SGG., 4. Aufl., § 141, Rn. 20). Dann ist die Klage wegen fehlender Identität des Streitgegenstandes zwar zulässig, aber wegen der Präjudizialität des Vorprozesses ggf. unbegründet (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 141, Rn. 6a). Präjudizialität liegt vor, wenn die im zweiten Prozess angestrebte Rechtsfolge rechtlich von der bereits im ersten Prozess entschiedenen Rechtsfolge direkt abhängt, was zur Bindung des zweiten Gerichts an eine rechtskräftige Entscheidung führt, wenn die Entscheidung über ein Rechtsverhältnis oder einen Anspruch ein Urteilselement oder eine Vorbedingung des Klageanspruchs darstellen (ebda.). Das SG Frankfurt am Main hat bei der Entscheidung über den Erstattungsanspruch die Frage des Arbeitsunfalls als Vorfrage geprüft. Ausführungen über materiellrechtliche Vorfragen, sog. präjudizielle Rechtsverhältnisse, d. h. Rechtsverhältnisse, die Voraussetzung für die Entscheidung sind, nehmen nicht an der Rechtskraft teil (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 141, Rn. 7b; BSG vom 6.2.1992, 7 Rar 78/90, Rn. 49). Daran mangelt es, wenn sich eine mögliche Belastung eines Beigeladenen nur aus der Begründung der ersten Entscheidung ergibt, die jedoch nicht von der Rechtskraft erfasst wird (BSG vom 29.3.2007, B 9a V 7/06 B, Rn. 9). So war es für die damals beigeladenen Kläger aus dem Urteil des SG Frankfurt am Main möglicherweise nicht unmittelbar ersichtlich, inwieweit sie dadurch beschwert gewesen sind. Ihre Rechtssphäre wurde mittelbar berührt, was für eine Bindungswirkung nicht ausreicht.

Die Klagen sind unbegründet, weil die Kläger nach Auffassung der Kammer keinen Arbeitsunfall erlitten haben. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), § 8 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Zwar waren die Kläger nach Auffassung der Kammer entgegen den Ausführungen der Beklagten Versicherte. Insofern ist die Behauptung des Prozessbevollmächtigten der Kläger, dieses Argument der Beklagten sei neu und werde rechtswidrig erst nun angeführt, unzutreffend. Bereits im Verfahren vor dem SG Frankfurt am Main war entsprechend vorgetragen worden. Die Kläger sind nach Auffassung der Kammer Versicherte i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII. Zwar sind in § 2 Abs. 1 Nr. 15b SGB VII Personen, die zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen als Versicherte genannt. Die berufsfördernde Maßnahme selbst ist aber Aus- und Fortbildung und begründet deshalb Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII (Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 2, Rn. 178; Riebel in Hauck, SGB VII, K § 2, Rn. 25, 234). So liegt es hier. Die Kläger waren Lernende. Lernende sind diejenigen, die an Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen außerhalb eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses teilnehmen; diese Einrichtungen müssen der beruflichen Bildung dienen, worunter auch Klassenreisen oder Wanderungen, die im Zusammenhang mit einer Bildungsveranstaltung stehen, fallen (Riebel in Hauck, SGB VII, K § 2, Rn. 26, 32). Nach den durchgeführten Ermittlungen handelte es sich um ein Erlebniswochenende, dessen Teilnahme den Klägern zwar freigestellt war, das gleichwohl den zeitgleich stattfindenden Stützkurs durch pädagogische Maßnahmen im Rahmen des Wochenendes unterstützen sollte. Da der Versicherungsschutz für Lernende weit zu verstehen ist (BSG vom 27.1.1994, 2 RU 17/93, Rn. 17; Riebel in Hauck, SGB VII, K § 2, Rn. 28) scheitert nach Auffassung der Kammer dieser nicht daran, dass die Kläger im Rahmen des freiwilligen Erlebniswochenendes verunfallten.

Allerdings liegt nach Auffassung der Kammer kein Arbeitsunfall vor, weil die Kläger zur Überzeugung der Kammer zum Zeitpunkt des Unfalls keiner versicherten Tätigkeit nachgekommen sind. Das Fahren mit dem Auto auf der Suche nach einer Tankstelle stellt im vorliegenden Fall keine vom Unfallversicherungsschutz umfasste Tätigkeit dar. Die Kläger sind bei einer privaten, eigenwirtschaftlichen und damit unversicherten Tätigkeit verunfallt. Anknüpfungspunkt für die versicherte Tätigkeit ist der Zusammenhang mit der Tätigkeit als Lernender, um Versicherungsschutz annehmen zu können. Zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der zur Zeit des Unfallereignisses verrichteten Handlung muss ein sachlicher Zusammenhang bestehen. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "infolge". Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sogenannter innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob sie innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Unfallversicherungsschutz reicht (BSG vom 10.10.2006, B 2 U 20/05 R, Rn. 14; BSG vom 4.9.2007, B 2 U 28/06 R, Rn. 16). Maßgebend ist dabei, ob der Beschäftigte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Handlung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 10.10.2006, B 2 U 20/05 R, Rn. 14; Ziegler, in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 44, 46). Ist das unfallbringende Handeln nicht dem versicherten Risikobereich zuzurechnen, da es ausschließlich auf private Belange des Versicherten ausgerichtet ist und allenfalls der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung besteht, werden solche Handlungen als eigenwirtschaftliche Tätigkeit oder private Tätigkeit bezeichnet. Private Tätigkeiten sind dem persönlichen Bereich des Versicherten zuzurechnen und daher unversichert (BSG vom 4.9.2007, B 2U 28/06 R, Rn. 16; Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 57 ff., 114).

Die Kläger befanden sich grundsätzlich auf der Erlebnisfreizeit auf dem Hof in F-Stadt. Sie sind auf der Kreuzung K 43/B 253 südwestlich von K-Stadt verunfallt. Selbst wenn man den Vortrag der Kläger als wahr unterstellt, es habe auf dem Hof bei F.s nichts mehr zu essen gegeben, und außerdem habe es sowohl in F-Stadt als auch in XG-Stadt ausschließlich Schweinefleisch zu essen gegeben, kann die Kammer dennoch keinen Versicherungsschutz erkennen. Grundsätzlich zählt die Nahrungsaufnahme zu den persönlichen Belangen und ist deshalb private, unversicherte Tätigkeit (BSG vom 26.10.2004, B 2 U 41/03 R, Rn. 15; Keller, in Hauck, SGB VII, K § 8, Rn. 175; Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 101). Die Nahrungsaufnahme entspricht den persönlichen Belangen, dient aber während der Arbeitszeit auch der Erhaltung der Arbeitskraft (Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 57). Die wertende Ermittlung, ob die Nahrungsaufnahme als private, eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist oder der betrieblichen Sphäre zuzurechnen ist, ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls (ebda.; BSG vom 26.10.2004, B 2 U 41/03 R, Rn. 15). Für eine Nahrungsaufnahme aus betrieblichen Belangen, etwa einem Geschäftsessen o. ä. vergleichbar, sind vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Auch unter dem Aspekt der vermeintlichen Ähnlichkeit des Sachverhalts mit einer Klassenfahrt kann kein Versicherungsschutz angenommen werden. Der weitreichende Schutz auch für den Bereich der Nahrungsaufnahme wie bei Schülern ist auf Lernende nicht ohne weiteres übertragbar, sondern auch hier sind die Umstände des Einzelfalls zu beachten und zu prüfen, ob die zum Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit in einer wesentlichen inneren Beziehung zu der Ausbildung steht (vgl. BSG vom 4.2.1987, 5a RKnU 9/85, Rn. 14 f.; Keller, in Hauck, SGB VII, K § 8, Rn. 169). Zum einen handelte sich nicht um eine herkömmliche Klassenfahrt, so dass allein deshalb der weite Unfallversicherungsschutz für Schüler nicht übertragbar ist. Außerdem stellte sich die Gestaltung des Abends nach den Schilderungen der Kläger sehr frei dar. Ein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Lernende und dem Umherfahren auf der Suche nach Nahrung kann die Kammer nicht erkennen. Ferner erscheint es der Kammer nicht erklärlich, dass es weder in F-Stadt noch in XG-Stadt noch in dem Kurort K-Stadt, der räumlich zwischen dem eigentlichen Aufenthalts- und dem Unfallort liegt und immerhin die größte Stadt in der Umgebung darstellt, etwas ohne Schweinefleisch zu essen gab.

Der Vortrag, die Kläger hätten dienstreisenähnlich Versicherungsschutz genossen, trägt ebenfalls nicht. Denn auf Dienstreisen sind rein private Tätigkeiten ebenfalls unversichert (BSG vom 19.8.2003, B 2 U 43/02 R, Rn. 15; BSG vom 23.6.1977, 2 RU 15/77, Rn. 15; Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 97). Allenfalls kann Versicherungsschutz gegeben sein, wenn sich der Unfall wesentlich auf die Umstände der aus betrieblichen Gründen notwendigen auswärtigen Unterbringung zurückführen lässt (BSG vom 23.6.1977, 2 RU 15/77, Rn. 15; Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 98). Es kann zwar der Weg zur Nahrungsaufnahme versichert sein, allerdings nicht, wenn unverhältnismäßig weit entfernte Gaststätten aufgesucht werden (BSG vom 23.6.1977, 2 RU 15/77, Rn. 16; Ziegler, in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 96). Als keine unverhältnismäßig große Entfernung wurde eine in fünf Gehminuten zu erreichende Gaststätte angesehen (BSG vom 23.6.1977, 2 RU 15/77, Rn. 16). So lag es hier jedoch nicht. Selbst wenn man wegen der besonderen Umstände der Erlebnisfreizeit die Nahrungsaufnahme noch als versichert annehmen wollte und den Vortrag der Kläger, auf dem Hof habe es nichts mehr zu essen gegeben und auf der im Ort stattfindenden Kirmes habe es ausschließlich Schweinefleisch gegeben, als wahr unterstellt, erschließt sich der Kammer nicht, aus welchem Grund die Kläger weder die Möglichkeiten irgendeiner anderen Nahrungsaufnahme im Ort F-Stadt noch in XG-Stadt noch die im Ort ansässige Tankstelle oder im zwischen dem Aufenthaltsort und dem Unfallort gelegenen K-Stadt genutzt haben. Dort haben sich Gaststätten und Tankstellen befunden, wie sich bereits aus dem Vermerk des Mitarbeiters der Beklagten vom 27.9.2004 ergibt. Zu berücksichtigen sind insbesondere die örtlichen Verhältnisse, nämlich dass der Kurort K-Stadt immerhin zwischen dem eigentlichen Aufenthaltsort F-Stadt und der Unfallstelle an der Kreuzung K 43/B 253 lag. Durch die nach Routenplaner xx km betragende Entfernung zwischen dem Zeltplatz und dem Unfallort ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass dort die nächstgelegene Möglichkeit für die Nahrungsaufnahme zu sehen gewesen wäre. Hinzu kommt, dass sich dort – anders als in F-Stadt oder XG-Stadt oder dem größeren Ort K-Stadt – auch gar keine Tankstelle befand.

Ferner spricht der zeitliche Ablauf gegen eine versicherte Tätigkeit. Die Kläger sind abends gegen 21 Uhr in F-Stadt angekommen. Zunächst habe man die Zelte noch aufgebaut und sei dann nach G-Stadt gelaufen bzw. teilweise gefahren, um sich dort zu entscheiden, mit dem Auto eine Tankstelle zu suchen. Zu den weiteren zeitlichen Angaben schweigen sich die Kläger aus. Auch im Kammertermin am 4.10.2016 blieb offen, was sich in der Zwischenzeit zwischen dem Aufbruch am Imbiss und dem Unfall ereignete. Aus dem Unfallprotokoll ergibt sich als Unfallzeitpunkt 0.30 Uhr. Insofern besteht auch eine erhebliche zeitliche Diskrepanz und stellt eine nicht nachvollziehbare Abendbrotzeit dar. Selbst auf einer Klassenreise, bei der nach dem oben Ausgeführten grundsätzlich weitreichenderer Unfallversicherungsschutz als bei Lernenden besteht, ist nicht jedwede Betätigung, insbesondere zur Schlafenszeit, versichert (vgl. BSG vom 26.10.2004, B 2 U 41/03 R, Rn. 19). Um 0.30 Uhr dürfte trotz der besonderen Verspätungsumstände, die aber immerhin dreieinhalb Stunden zurücklagen, Schlafenszeit anzunehmen sein. Für die Kammer ist keine versicherte Tätigkeit erkennbar, aus welchem Grund die Kläger um diese Uhrzeit dort herumgefahren sind.

Da selbst nach dem eigenen Vortrag der Kläger in diesem Rechtsstreit die Klagen unbegründet sind, waren weitergehende Ermittlungen wie die erneute Vernehmung der beiden weiteren Fahrzeuginsassen des verunfallten Autos oder der Wirtin Frau F. entbehrlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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