L 13 VG 80/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 6 (36) VG 54/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VG 80/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 20/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.11.2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rentenleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Kläger wurde am 00.00.1956 als uneheliches Kind geboren. Er wuchs unter Vormundschaft des Kreisjugendamtes im Kinderheim St. K in E auf, das ab 1961 als Kinderdorf St. K weitergeführt wurde. Die Einrichtungen befanden sich in kirchlicher Trägerschaft und wurden von Nonnen geführt. Wegen erzieherischer Schwierigkeiten wurde der Kläger am 23.04.1970 in das I-Haus in V verlegt. Ab dem 21.06.1971 lebte er im Rheinischen Landesjugendheim B-hof in I, wo er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer absolvierte und 1975 abschloss. Von 1976 bis 1984 war als Wehrdienstleistender und Zeitsoldat bei der Bundeswehr tätig, wo er eine Ausbildung zum Informationselektroniker absolvierte. Es folgten mehrere Arbeitsverhältnisse, Weiterbildungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit 2002 ist der Kläger dauerhaft arbeitslos. Zur Mutter besteht kein Kontakt, der leibliche Vater ist 2005 verstorben. Ein Bruder, der ebenfalls und zum Teil gemeinsam mit dem Kläger in Heimen aufwuchs, erhängte sich 1995. Der Kläger hat noch mehrere Halbgeschwister. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat aus beiden Ehen je ein Kind. 2008 erfolgte eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der H-Klinik, wo insbesondere eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. Ansonsten befand sich der Kläger bislang nicht in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gewährte dem Kläger aufgrund eines Anerkenntnisses in einem sozialgerichtlichen Verfahren (S 15 R 204/08) mit Bescheid vom 07.12.2009 ab Mai 2007 dauerhaft Rentenleistungen wegen voller Erwerbsminderung. Dem lag insbesondere ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie, Spezielle Psychotraumatologie, T aus 2009 zugrunde, der eine chronifizierte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine ausgeprägte mittelgradige bis beginnend schwere depressive Episode, eine autonome somatoforme Funktionsstörung des oberen Gastrointestinaltraktes und eine nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung diagnostizierte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch vom Kläger geschilderte Misshandlungen verursacht worden seien. In einem nachfolgenden sozialgerichtlichen Klageverfahren gegen die DRV Bund (S 7 R 968/14) diagnostizierte die Sachverständige C1, Fachärztin für Neurologie, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie 2015 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen und narzisstischen Persönlichkeitsakzenten, eine neurotische Depression und eine somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes. Eine PTBS liege nicht vor. Klassische PTBS-Symptome wie flash-backs oder Intrusionen seien auf Nachfrage verneint worden. Es bestehe Einverständnis mit Herrn T, dass die Heimsozialisation des Klägers zur psychischen Entwicklung beigetragen habe.

Die Stadt N stellte mit Bescheid vom 17.02.2011 zunächst einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 und aufgrund eines Teilvergleiches in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren (S 29 SB 968/11) mit Bescheid vom 27.03.2012 einen GdB von 80 fest. Dem lag insbesondere ein Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S aus 2011 zugrunde, der eine chronifizierte PTBS, eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, eine anhaltende wahnhafte Störung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen Verdauungstraktes und eine Persönlichkeit mit zwanghaften Zügen zusammenfassend mit einem Einzel-GdB von 70 bewertete.

Am 25.06.2007 stellte der Kläger beim damaligen Versorgungsamt E einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG wegen täglicher Gewalttaten durch Ordensschwestern in den Kinderheimen zwischen 1956 und 1974 unter Vorlage diverser Unterlagen, u.a. einer ausführlichen Schilderung regelmäßiger körperlicher Züchtigungen in den Kinderheimen und eines Erlasses des Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.02.1950 an Heime für schulentlassene Jungen und Schulkinder, wonach körperliche Züchtigungen als Mittel der Bestrafung zu unterlassen seien.

Das Versorgungsamt zog einen Bericht des heutigen Leiters des I-Hauses, V, des Dipl.-Psych. T bei. Dieser gab an, er kenne den Kläger seit 2005. Er gehe von einer chronischen Störung bedingt durch frühe Deprivation und nachfolgende schwierige Erfahrungen in Kindheit und Jugend aus. Bei einer persönlichen Anhörung im Versorgungsamt am 02.11.2007 gab der Kläger an, seine ersten Erinnerungen an körperliche Züchtigungen beträfen Prügel durch die Grundschullehrerin O mit Gegenständen. 2006 habe der WDR einen Film über ihn gedreht. Daraufhin habe sich ein Polizist namens K gemeldet, der ihm berichtet habe, dass er - der Kläger - in der Grundschule durch den Pfarrer S1 massiv geprügelt worden sei. Prügel habe er von diversen Ordensschwestern erhalten, etwa Schwester C, Schwester N und Schwester D. Ein Erzieher des B-hofes habe ihm einen Kinnhaken verpasst. 1968 habe er eine Gehirnerschütterung erlitten, als ihn ein anderer Junge auf dem Schulweg an seinem Tornister nach hinten gezogen habe, woraufhin er gestürzt sei. Ebenfalls 1968 sei er wegen Bettnässens in eine Kur geschickt worden, wo er Spritzen in den Rücken erhalten habe. Im B-hof habe er Zwangsarbeit leisten müssen.

Der im Rahmen der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zuständig gewordene Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.04.2008 ab. Der Kläger mache als schädigende Ereignisse Prügel in der Grundschule, im Kinderdorf, das Ereignis auf dem Schulweg, die Spritzen in der Kur und den Kinnhaken im B-hof geltend. Eine strafbare Vernachlässigung i.S.v. § 225 StGB sei nicht erwiesen. Erzieherisches Fehlverhalten unterfalle nicht dem OEG. Die Angaben zu Häufigkeit und Intensität der Prügel begegneten Zweifeln. Die Ereignisse in der Kur und auf dem Schulweg stellten keine vorsätzlichen Gewalttaten dar. Da Taten vor 1976 geltend gemacht würden, kämen Leistungen nur nach § 10a OEG in Betracht, was eine Schwerbehinderung voraussetze, die nicht festgestellt sei. Die bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs reiche nicht aus. Der Kläger legte am 05.05.2008 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2009 zurückwies.

Am 27.02.2009 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und weitere Unterlagen vorgelegt. Die Trennung von seiner Mutter sei rechtswidrig gewesen. Die Züchtigungen seien nicht vom damaligen Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Das Waschen im Bereich der Genitalien durch die Schwestern sei sexueller Missbrauch gewesen. Den Kindern sei Brom zur Unterdrückung des Sexualtriebes verabreicht worden, weswegen er jahrelang an Hodenschmerzen gelitten habe. Er könne zahlreiche Personen als Zeugen benennen. Aus dem im Rentenverfahren eingeholten Gutachten von Herrn T ergebe sich, dass die derzeitigen psychischen Störungen auf die Heimzeit zurückgingen. Mittlerweile sei bei ihm ein GdB von 50 festgestellt worden.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Voraussetzungen des Straftatbestandes der Misshandlung von Schutzbefohlenen seien nicht erfüllt. Die behaupteten Taten seien im Übrigen nicht bewiesen.

Das Sozialgericht hat die Akten des Klageverfahrens S 15 R 204/08 beigezogen und die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 04.11.2014 unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide abgewiesen.

Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigten am 22.12.2014 zugestellte Urteil am 22.12.2014 Berufung eingelegt. Es habe sich seinerzeit nicht bloß um Fürsorgeerziehung gehandelt. Der Aufenthalt im Heim sei als einheitlicher Angriff i.S.d. OEG zu werten. Er begehre Rentenleistungen. Der GdB betrage mittlerweile 80.

Der Kläger hat weitere Unterlagen vorgelegt und folgende schädigende Handlungen geltend gemacht:

1. Widerrechtlicher Säuglingsentzug
2. Herbeiführung einer Gesundheitsstörung durch Überbelegung im Kinderheim
3. Züchtigungen in der Grundschule durch die Lehrerin O und den Kaplan S1 - damaliger Dorfpfarrer und Lehrer
4. Stundenlanges Topfsitzen und Schläge auf den Po im Kinderdorf
5. Untersuchung im Ausland
6. Sexueller Missbrauch vor allem beim Baden im Kinderdorf
7. Aufenthalte bei Familie C an Wochenenden
8. Sexueller Missbrauch während Urlaub in I
9. Sonnenbrände während Urlauben
10. Prügel in der Kinderdorf-Gruppe zu jeder Gelegenheit
11. Herunterreißen durch ein anderes Kind auf dem Schulweg
12. Schläge durch Nachhilfelehrerin und Einsperren durch die Nonne T3 im Kinderdorf
13. Verabreichung von Spritzen in den Rücken während der Kur
14. Gefahr des Ertrinkens während Nordseeurlaub
15. Schläge durch die Nonne T4 im Kinderdorf
16. Einsperren und Schläge durch die Nonne T3 im Kinderdorf
17. Prügel durch die Nonne M im I-Haus sowie sexueller Missbrauch durch ältere Mitschüler
18. Verabreichen von Brom im I-Haus
19. Fehlende Schulbildung
20. Einatmen von Dämpfen, Schlag durch Erzieher, Einsperren, Zwangsarbeit, illegaler Intelligenztest, gewaltsames Untertauchen durch Mitschüler während der Zeit im B-hof.

Wegen der weiteren Einzelheiten der mutmaßlichen Schädigungshandlungen wird auf das Schreiben des Klägers vom 13.05.2015 sowie auf seine ergänzenden Angaben im Erörterungstermin am 18.03.2016 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.11.2014 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2009 zu verurteilen, ihm Grundrentenleistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG nach einem GdS von mindestens 50 seit Juni 2007 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Gewaltbegriff hingewiesen und eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G vorgelegt, wonach die wenigen nachgewiesene Schädigungshandlungen nicht wahrscheinlich die heute bestehenden Störungen verursacht hätten. Gegen eine solche Wahrscheinlichkeit sprächen das geringe Ausmaß der nachgewiesenen Schädigungshandlungen, der lange zeitliche Abstand und fehlende Brückensymptome.

Der Senat hat durch den Berichterstatter den Kläger angehört, medizinische Auskünfte von Krankenkassen des Klägers sowie aus seiner Bundeswehrzeit eingeholt und die Zeugen C, K, K1, T2, S1 und M vernommen. Wegen der Einzelheiten der Anhörung und der Zeugenvernehmungen wird auf die Protokolle der Erörterungstermine vom 18.03.2016, 23.09.2016 und 06.12.2016 Bezug genommen.

Der Senat hat außerdem ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten der Fachpsychologin für Rechtspsychologie Dipl.-Psych. P zu einem Teil der vom Kläger geltend gemachten Schädigungshandlungen eingeholt. Dipl.-Psych. P hat ausgeführt, es bestehe grundsätzlich eine Aussagetüchtigkeit. Hinsichtlich der Validität der Angaben bestünden jedoch Zweifel. Die mutmaßlichen Schädigungen lägen lange zurück und seien dem Kläger zum Teil nicht präsent gewesen. Es habe eine intensive Aufarbeitung zusammen mit Dritten stattgefunden. Die mutmaßlichen Schädigungen seien zum bestimmenden Lebensthema des Klägers geworden. Bei dieser Sachlage könne die Suggestionshypothese nur dann zurückgewiesen werden, wenn eine hohe Aussagequalität vorliege. Das sei aber nicht der Fall. Der Kläger wähle eine unpersönliche Darstellungsform. Seine Angaben zu Anlässen für Züchtigungen seien unklar. Außerdem enthielten seine Angaben diverse Interpretationen und Schlussfolgerungen. Insgesamt sei die (Auto-) Suggestionshypothese nicht nur nicht zurückzuweisen, sondern hoch wahrscheinlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren, die beigezogenen Gerichtsakten zu den Verfahren S 29 SB 968/11, S 15 R 204/08 sowie S 7 R 968/14 (jeweils Sozialgericht Düsseldorf) und die beigezogenen Verwaltungsakten der DRV Bund, der Stadt N sowie des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da diese zulässig, aber unbegründet ist.

Nach Auflösung der Landesversorgungsverwaltung und Übertragung der Zuständigkeit für das soziale Entschädigungsrecht auf die Landschaftsverbände mit § 4 Abs. 1 des als Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 erlassenen Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen ist der örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland richtiger Beklagter (vgl. zur Rechtmäßigkeit dieser Aufgabenübertragung BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R, juris Rn 24).

Streitgegenstand sind mutmaßliche Schädigungshandlungen zum Nachteil des Klägers in Kindheit und Jugend zwischen 1956 und 1974. Ob angesichts der Schilderung einzelner konkreter Schädigungshandlungen im Verwaltungsverfahren und der Beschränkung der Prüfung auf fünf Schädigungskomplexe in den angefochtenen Bescheiden die vom Kläger im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 13.05.2015 aufgeführten weiteren Schädigungshandlungen zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens sind (vgl. zur Teilbarkeit des Streitgegenstandes nach Schädigungskomplexen BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn 20 und Urteil vom 18.05.2006 - B 9a V 2/05 R, juris Rn 17 f.), kann dahinstehen.

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese rechtmäßig sind. Er hat auch unter Einbeziehung der im Schriftsatz vom 13.05.2015 genannten Schädigungshandlungen keinen Anspruch auf Rentenleistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Grundsätzlich bedürfen diese drei Glieder der Kausalkette des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG die Wahrscheinlichkeit (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn 26, 33). Abweichend vom grundsätzlichen Erfordernis des Vollbeweises des schädigenden Ereignisses sind nach § 6 Abs. 3 OEG i.V.m. § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (vgl. zu diesem Maßstab zuletzt BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R, juris Rn 28 ff.).

Während der Anwendungsbereich des OEG grundsätzlich auf Schädigungshandlungen nach dessen Inkrafttreten am 16.5.1976 beschränkt ist, erhalten nach § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG auch solche Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie 1. allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und 2. bedürftig sind und 3. im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dies bedeutet, dass die mutmaßlichen Übergriffe bis 1976 nur dann einen Leistungsanspruch auslösen, wenn diese allein zur Schwerbeschädigung geführt haben, was gemäß § 31 Abs. 2 BVG einen GdS von 50 erfordert (vgl. zur Abgrenzung von Schädigungen im Geltungsbereich von § 10a OEG zu späteren Schädigungen BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R, juris Rn 30 f.).

Im Hinblick auf die unter Ziffer 1, 2, 5, 19 und teilweise unter Ziffer 20 genannten Handlungen ist schon keine Gewalttat i.S.d. OEG vorgetragen; denn es fehlt an einem "tätlichen Angriff" i.S. einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf einen anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung (vgl. zum Gewaltbegriff des OEG zuletzt BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R). Unter Ziffer 6 bis 8 sowie teilweise unter Ziffer 17 meint der Kläger sexuellen Missbrauch zu schildern. Das tatsächlich vorgetragene Verhalten der vermeintlichen Täter stellt aber keinen sexuellen Missbrauch im strafrechtlichen Sinne dar. Im Hinblick auf Ziffer 8 hat der Kläger im Erörterungstermin vom 18.03.2016 seine Schilderungen entsprechend relativiert. Im Hinblick auf die unter Ziffer 9, 11 und 14 genannten Handlungen ist nach dem Vortrag des Klägers kein Vorsatz erkennbar und jedenfalls nicht beweisbar. Die vom Kläger unter Ziffer 13 vorgetragenen Behandlungsmaßnahmen in der Kur 1968 unterfielen nur dann dem OEG, wenn sie nicht in der Absicht zu heilen erfolgt wären und aus verständiger Sicht in keiner Weise dem Wohl des Klägers gedient hätten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R; Gelhausen/Weiner, OEG, 6. Aufl. 2015, § 1 Rn 30; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 1 OEG Rn 35). Dies kann weder aus dem Vortrag des Klägers gefolgert werden, noch ist es beweisbar. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ergaben Überprüfungen der betreffenden Einrichtung durch die Stadt Bonn 1972 und 1974 keine Beanstandungen. Erst 1976 kam es zu Beanstandungen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Aufenthalt des Klägers dort aber bereits acht Jahre zurück. Die unter Ziffer 18 vorgetragene Beimischung von Brom in das Essen der Kinder ist weder bewiesen, noch ist ein Schädigungsvorsatz ersichtlich. Jedenfalls besteht nach dem Vortrag des Klägers kein Zusammenhang mit der geltend gemachten psychischen Störung. Ein aufgrund dieser vermeintlichen Schädigung heute noch bestehender körperlicher Schaden wird nicht behauptet. Soweit der Kläger unter Ziffer 12, 16, 17 und 20 geltend macht, eingesperrt worden zu sein, ist dieser Sachverhalt nicht bewiesen. Es ist weiter nicht bewiesen, dass diese behaupteten Handlungen rechtswidrig waren. Jedenfalls unterfällt bloßes Einsperren nicht dem Begriff der körperlichen Gewalt, wie ihn das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 16.12.2014 (B 9 V 1/13 R) definiert hat (vgl. zur früheren differenzierenden Rechtsprechung in Fällen von Freiheitsberaubung BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R, juris Rn 13; Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R, juris Rn 15; Gelhausen/Weiner, a.a.O., Rn 22; Rademacker, a.a.O., Rn 38).

Soweit der Kläger unter Ziffer 3, 4, 10, 12, 15, 16, 17 und zum Teil unter Ziffer 20 Schläge unterschiedlichster Art vorträgt, sind diese weitestgehend nicht bewiesen.

Diejenigen mutmaßlichen Täter, die noch vernommen werden konnten - Herr S1, Frau T3, Frau F und Frau L sind bereits verstorben, Frau O ist nach den Angaben des Klägers und des Zeugen K dement -, haben bis auf einen möglichen Fall weder eine strafrechtlich relevante Vernachlässigung, noch strafbare Körperverletzungen geschildert.

Die Zeugin S1 gab an, den Kindern ihrer Gruppe allenfalls einen Klaps auf den Po gegeben zu haben. Anhaltspunkte für anlasslose oder unverhältnismäßige Gewaltanwendung finden sich in ihrer Aussage nicht (vgl. zum damaligen Züchtigungsrecht BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R, juris Rn 38; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.2015 - L 6 VG 1832/12, juris Rn 47 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.02.2013 - L 10 VE 39/10, juris Rn 23; SG Aachen, Urteil vom 28.11.2017 - S 12 VG 11/15, juris Rn 12). Dabei war ihre Aussage differenziert und selbstkritisch. So räumte sie eine einmalige stärkere Maßregelung des Klägers mit einem Kleiderbügel ein, die durchaus eine strafbare Körperverletzung darstellen könnte. Zwar bestand für die Maßregelung ein nachvollziehbarer Anlass insofern, als der Kläger entgegen einer vorherigen Ermahnung auf einen zugefrorenen See gegangen war. Gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßregelung könnte jedoch der Umstand sprechen, dass sie mit einem Gegenstand, nämlich einem Kleiderbügel erfolgte. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin spricht im Übrigen, dass sie dem Kläger im Termin zu ihrer Vernehmung erkennbar freundlich zugetan war.

Die Zeugin M berichtete ähnliche maßvolle Züchtigungen, in ihrem Fall in Gestalt von Ohrfeigen. Auch ihre Aussage war differenziert und stimmig. Sie räumte ein, einmal versucht zu haben, den Kläger mit einem Kleiderbügel zu schlagen. Er habe sich dem aber entziehen können. Hätte die Zeugin ihr Verhalten beschönigend darstellen wollen, hätte sie eine solche Aussage nicht getätigt.

Weitergehende Schläge durch die Zeugin S1 sind auch nicht durch den vom Kläger selbst verfassten und als Anlage A6 zu seinem Schriftsatz vom 13.05.2005 vorgelegten Vermerk bewiesen, wonach die Zeugin S1 ihm gegenüber 2006 bei einem Treffen in einer Autobahn-Raststätte zugegeben habe, ihn verprügelt und misshandelt zu haben. Dies gilt umso mehr, als in dem Vermerk eine in Anführungszeichen gesetzte (vermeintliche) Wiedergabe von Ausführungen der Zeugin S1 folgt, aus denen sich gerade kein Eingeständnis körperlicher Übergriffe zum Nachteil des Klägers ergibt.

Soweit der Kläger meint, aufgrund des von ihm vorgelegten Erlasses des damaligen Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.02.1950 seien jedwede körperliche Züchtigungen strafbare Körperverletzungen gewesen, ist diese Auffassung unzutreffend. Denn unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des Erlasses auf die hier betroffenen Heime konnte das seinerzeit gewohnheitsrechtlich anerkannte Züchtigungsrecht nicht durch ministerielle Erlasse, sondern lediglich durch Gesetze im materiellen Sinne derogiert werden (vgl. BGH, Urteil vom 23.10.1957 - 2 StR 458/56, juris Rn 36 ff.).

Durch die Aussagen der übrigen Zeugen ist lediglich eine weitere Handlung bewiesen, die als tätlicher Angriff i.S.d. § 1 OEG in Betracht kommt. Dabei handelt es sich um Prügel durch den Lehrer S1. Der Zeuge K konnte sich daran erinnern, dass der Kläger einmal vom Lehrer S1 "zusammengeschlagen" worden sei. Der Kläger habe "richtige Prügel, links und rechts" erhalten. Unabhängig von der Frage, ob ein Anlass für eine körperliche Züchtigung bestand, legt die Formulierung des Zeugen eine Unverhältnismäßigkeit der Strafe nahe. Andererseits gab der Zeuge auch an, er habe von seinem Vater zwar nur selten, aber eben doch auch Prügel solchen Ausmaßes erhalten. Zu Schlägen durch den Lehrer S1 sagte er weiter, dies sei "früher ... ja so üblich" gewesen.

Weitere Übergriffe zum Nachteil des Klägers konnte der Zeuge K nicht berichten. Im Hinblick auf das Jugenddorf berichtete er, selber zwar nicht dort gelebt, jedoch häufiger einen Freund dort besucht zu haben. Dabei sei ihm nie etwas aufgefallen. Der Zeuge K1, der von 1961 bis 1968 selbst im Kinderdorf gelebt hatte, verneinte körperliche Übergriffe bis auf einen einzigen Schlag mit einem "Latschen", den ihm eine Schwester T5 verpasst habe. Der Zeuge T2, der ebenfalls von 1961 an und mindestens bis 1968 im Kinderdorf lebte, berichtete zwar von regelmäßigen Schlägen zu seinem Nachteil, benannte aber keine konkreten Schläge zum Nachteil des Klägers.

In der Gesamtschau der Zeugenaussagen sowie der vom Kläger vorgelegten Unterlagen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sowohl in der vom Kläger damals besuchten Schule, als auch in den Heimen, in denen er lebte, körperliche Züchtigungen erfolgten. Dies mag zum Teil mit der von mehreren Zeugen geschilderten zumindest zeitweiligen Überforderung der Nonnen erklärbar sein. Es ist auch nicht auszuschließen, dass solche Maßnahmen das damalige Züchtigungsrecht überschritten. Im Hinblick auf den Kläger sind aber bis auf zwei Ausnahmen, nämlich jeweils einmalige Schläge durch die Zeugin S1 mit einem Kleiderbügel sowie durch den Pfarrer S1 während des Unterrichts keine auch nur annäherungsweise konkretisierten Züchtigungen von den Zeugen bestätigt worden. Ohne konkretere Schilderung von Züchtigung und Anlass kann aber kein Nachweis einer Gewalttat i.S.d. OEG geführt werden. Dies gilt umso mehr, als sich in den Akten im Vorfeld der Verlegung des Klägers in das I-Haus in V Hinweise auf problematisches, zum Teil gewalttätiges Verhalten des Klägers selbst finden.

Zu der Vernehmung weiterer Zeugen musste der Senat sich nicht gedrängt fühlen. Einige der vom Kläger im Schriftsatz vom 13.05.2015 genannten Personen kamen offensichtlich nicht als Zeugen in Betracht, insbesondere sein bereits verstorbener Bruder, aber auch der derzeitige Leiter des I-Hauses in V, Dipl.-Psych. T, der den Kläger erst seit 2005 kennt. Aus der Gruppe des Klägers bzw. seinem Haus (Nr. 5) im Kinderdorf konnte der Kläger kaum Personen mit vollständigem Namen angeben. Eine der wenigen mit vollständigem Namen angegebenen Personen ist K1, der den klägerischen Vortrag gerade nicht bestätigen konnte. T2, von der der Kläger mit Schriftsatz vom 07.06.2016 einen Internetbeitrag übersandt hat, war wie ihr als Zeuge vernommener Bruder nicht in der Gruppe bzw. dem Haus des Klägers untergebracht und berichtet in dem Beitrag keine Gewalttaten zum Nachteil des Klägers. Gleiches gilt für den ebenfalls mit Schriftsatz vom 07.06.2016 vorgelegten Beitrag von K1, die eine Schwester N1 beschuldigt. Mit Schriftsatz vom 18.02.2011 legte der Kläger eine vermeintliche eidesstattliche Versicherung eines C3 vor, der ausschließlich über eigene Erlebnisse im I-Haus in V berichtete, die sich in den Jahren 1963-1964 und damit sechs Jahre vor dem Aufenthalt des Klägers dort zugetragen hätten. Keine der in diesem Schreiben beschuldigten Personen wird vom Kläger beschuldigt. Im Hinblick auf mehrere vom Kläger im Schriftsatz vom 13.05.2015 als Tatzeugen benannte Personen gab er im Erörterungstermin am 18.03.2016 an, diese könnten lediglich über andere Gruppen/Häuser bzw. über von diesen selbst erlittene Gewalttaten berichten. Dies betrifft etwa K1, C3, M3 und den auch mit Schriftsatz vom 12.08.2011 benannten Manfred Kremer. Der mit Schriftsatz vom 18.04.2013 benannte S E wurde weder im Schriftsatz vom 13.05.2015, noch im Erörterungstermin am 18.03.2016 erwähnt. Wozu genau er hätte Angaben machen können, wurde im Schriftsatz vom 18.04.2013 nicht erläutert. Dort wurde lediglich ausgeführt, die Schwester von S E sei 1971 verschwunden. Der Kläger hat schließlich auch völlig unbeteiligte Personen als Zeugen benannt. Dies hat eindrucksvoll die Vernehmung der Zeugin R. C ergeben, die glaubhaft aussagte, weder den Kläger zu kennen, noch in den hier betroffenen Kinderheimen gelebt zu haben. Trotz eines frühzeitigen Hinweises der Zeugin auf diesen Umstand bestand der Kläger bis zum Termin darauf, dass die Zeugin Angaben zu den mutmaßlichen Schädigungshandlungen machen könne. Die Beweisaufnahme hat insgesamt gezeigt, dass die ausufernden Angaben des Klägers kaum belastbar sind (siehe dazu auch im Folgenden), was die Sachaufklärungspflicht des Senats entsprechend beschränkt.

Die Angaben des Klägers, die grundsätzlich kein Beweismittel darstellen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn 8), können nicht ausnahmsweise nach § 15 KOVVfG zugrunde gelegt werden, da sie nicht glaubhaft sind. Dies folgt maßgeblich aus dem überzeugenden aussagepsychologischen Gutachten von Dipl.-Psych. P (vgl. zur Zulässigkeit der Einholung aussagepsychologischer Gutachten BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R, juris Rn 35). Auch wenn trotz der erheblichen psychiatrischen Erkrankungen des Klägers eine allgemeine Aussagetüchtigkeit gegeben sein sollte, sprechen mehrere Umstände gegen eine Erlebnisbasiertheit seiner Angaben. Dies ist zunächst der Umstand, dass er verschiedene Formulierungen verwendet hat, die den Eindruck erwecken, die Erinnerungen seien zunächst nicht vorhanden gewesen (vgl. zum Problem vermeintlich wiederentdeckter Erinnerungen Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 1. Aufl. 2004, S. 105 ff.). Er hat ausdrücklich für die gesamte Grundschulzeit eine Amnesie angegeben. Die mutmaßlichen Schädigungshandlungen liegen lange zurück, zum Teil in früher Kindheit bzw. Jugend. Von besonderer Bedeutung ist die intensive Auseinandersetzung mit den Erinnerungen, ein regelrechtes Suchen nach der eigenen Vergangenheit, was mittlerweile zum bestimmenden Lebensinhalt des Klägers und nicht zuletzt auch angesichts seiner Arbeitslosigkeit identitätsstiftend geworden ist. Dabei hat der Kläger sich nicht nur mit eigenen Erinnerungen beschäftigt, sondern sich auch intensiv mit den Erfahrungen anderer Heimkinder auseinandergesetzt, für die er jetzt gleichsam zu kämpfen meint. All dies birgt die Gefahr von Quellenverwechselungsfehlern und hindert eine kritische Reflexion. Inhaltlich fällt eine sehr unpersönliche Darstellungsform auf, vor allem aber eine sehr pauschale Schilderung. Dass die Schilderungen eher konstant sind, ist von geringerer Bedeutung, da der Kläger bereits 2009 eine umfangreiche Verschriftlichung in Gestalt des von ihm so bezeichneten "Protokoll eines Heimkindes" vorgenommen hat. Bei dieser Sachlage kann die (Auto-) Suggestionshypothese nicht zurückgewiesen werden.

Die Angaben des Klägers sind auch in der Gesamtschau seiner Angaben, der vorgelegten Unterlagen und der Zeugenaussagen nicht glaubhaft. Der Umstand, dass sich Belege für einige der vom Kläger geschilderten Ereignisse finden - so ist etwa die Kur 1968 oder die Gehirnerschütterung dokumentiert - und dass die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen von einigen Zeugen zwar nicht bezogen auf ihn, wohl aber bezogen auf andere bestätigt werden, führt zu keinem anderen Ergebnis, gerade weil aufgrund der intensiven Beschäftigung mit dem Thema und dem intensiven Austausch mit anderen die Gefahr besteht, dass der Kläger Erlebnisse Dritter als seine eigenen ansieht. Hinzu kommt die offenkundige Tendenz des Klägers, auch unverdächtige Verhaltensweisen als Übergriff bzw. Missbrauch zu bewerten. Die Sachverständige Dipl.-Psych. P schilderte beispielsweise, dass der Kläger Fotografien als Belege für Übergriffe anführte, die sie selbst aus den Fotos nicht ableiten konnte. Dies lässt sich bestätigen für vom Kläger im Nachgang zum Glaubhaftigkeitsgutachten übersandte Fotografien, die offenbar aus seiner Bundeswehrzeit stammen und die er als Beleg für Missbrauch auch in der Bundeswehrzeit anführt. Ein entsprechender Inhalt kann den Fotos tatsächlich aber nicht entnommen werden.

Insofern kann dahinstehen, ob der Anwendungsbereich von § 15 KOVVfG hier überhaupt eröffnet ist, wogegen immerhin der Umstand spricht, dass der Kläger erst mehr als 30 Jahre nach den vermeintlichen Übergriffen Ansprüche geltend gemacht hat (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9/9a RV 9/92, juris Rn 14).

Soweit zumindest zwei Handlungen als bewiesen anzusehen sind, die einen rechtswidrigen Angriff im Sinne des OEG darstellen könnten, haben diese jedenfalls nicht wahrscheinlich die seit Antragstellung bestehenden psychischen Störungen im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. Teil C Nr. 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VMG) verursacht.

Dies ergibt sich insbesondere aus der überzeugenden versorgungsärztlichen Stellungnahme der Fachärztin Dr. G. Ausschlaggebend ist dabei, dass nur wenige Handlungen erwiesen sind, die als Schädigungen i.S.d. OEG in Betracht kommen. Von größerem Gewicht für die Entwicklung des Klägers war die früh einsetzende und langjährige Heimerfahrung in ihrer Gesamtheit, insbesondere das Fehlen elterlicher Bezugspersonen. Darauf deutet auch die Einschätzung von Dipl.-Psych. T in seinem Schreiben an den Beklagten aus 2007 hin, der von einer Bindungsstörung infolge früher Deprivation sprach. Im Entlassungsbericht der H-Klinik wird allgemein von den "Belastungen durch die Heimunterbringung in der Kindheit" gesprochen. Gegen einen Kausalzusammenhang spricht zudem der lange zeitliche Abstand mit weitestgehend fehlender Brückensymptomatik (vgl. hierzu Teil C Nr. 3c VMG). Allein Magenbeschwerden, die aktuell diagnostisch als somatoforme Störung eingeordnet werden, sind bereits seit den Bundeswehrzeiten des Klägers und damit zumindest in zeitlicher Nähe zu dem hier streitigen Zeitraum dokumentiert. Eine Persönlichkeitsstörung kann auch nicht durch einzelne Ereignisse erklärt werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 159; vgl. auch Teil C Nr. 72 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht - AHP - 2008). Zu beachten ist schließlich der Hinweis der Sachverständigen C1 auf Versorgungswünsche (vgl. hierzu Ziffer 71 Abs. 4 AHP 2008), die bereits in der H-Klinik dokumentiert wurden ("Herr B. kommt mit einem Rentenwunsch in die hiesige Klinik").

Dass der Sachverständige T die von ihm diagnostizierten Leiden auf die ihm vom Kläger geschilderten Misshandlungen in dessen Kindheit und Jugend zurückführt und die Sachverständige C1 mit dem Sachverständigen T insofern übereinstimmt, als sie die Leiden maßgeblich auf die Heimzeit zurückführt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn beide Sachverständigen, insbesondere aber der Sachverständige T, legten ohne Weiteres sämtliche Angaben des Klägers zugrunde, was ihnen im dortigen Kontext eines Rentengutachtens zwar nicht vorzuhalten, im vorliegenden Verfahren aber nicht zulässig ist. Hinzu kommt, dass die Sachverständige C1 lediglich pauschal die Heimzeit als ursächlich ansah, während es hier allein auf Gewalttaten im Sinne des OEG ankommt. Soweit der Sachverständige T explizit die vermeintlichen früheren Misshandlungen als wesentlich ursächlich ansah, ist dies auch insofern nicht überzeugend, als keine Abgrenzung zu der Belastung durch die langjährige Heimerfahrung als solche, insbesondere die fehlende elterliche Zuwendung, erfolgte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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