L 1 JVEG 1523/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 1523/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Entschädigung der Erinnerungsgegnerin für die Teilnahme am Verhandlungstermin am 7. Juni 2017 im Verfahren L 8 SO 1020/15 wird auf 151,46 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Erinnerungsgegnerin wurde als Betreuerin ihres Sohnes im Verfahren L 8 SO 1020/15 unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Verhandlungstermin am 7. Juni 2017 12.00 Uhr geladen.

Mit beim Landessozialgericht am 7. August 2017 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte die Erinnerungsgegnerin eine Entschädigung für das Erscheinen bei dem Verhandlungstermin. Sie beantragte Fahrtkosten nach einer Gesamtstrecke von 184 km in Höhe von 46,00 Euro und Verdienstausfall für einen Tag in Höhe von 105,46 Euro. Hinsichtlich des Verdienstausfalls legte sie eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 11. Mai 2017 vor.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bewilligte den Entschädigungsantrag in voller Höhe.

Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 29. November 2017 Erinnerung eingelegt und beantragt, die Entschädigung der Erinnerungsgegnerin für die Teilnahme am Verhandlungstermin am 7. Juni 2017 auf 0,00 Euro festzusetzen. Grundsätzlich habe die Erinnerungsgegnerin einen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen und Auslagen nach § 191 SGG. Ein Betreuer könne jedoch keinen Anspruch auf Verdienstausfall gemäß § 22 JVEG geltend machen. Die Teilnahme am Gerichtstermin werde pauschal im Rahmen seiner nach §§ 4, 5 Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) zu vergütenden Tätigkeit umfasst. Dies gelte auch für den ehrenamtlichen Betreuer, denn auch dieser habe einen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Diese Erwägungen würden auch hinsichtlich der Erstattung der Fahrkosten gelten. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 VBVG erfasse die Vergütung des Berufsbetreuers auch Ansprüche auf Ersatz der entstandenen Aufwendungen. Dies schließe Fahrtkosten mit ein. Die Erinnerungsgegnerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie sei zu Beginn ihrer Betreuertätigkeit umfassend über ihre Rechte und Pflichten durch das Betreuungsgericht belehrt worden. Die Betreuungsgerichte würden hierfür entsprechende Merkblätter herausgeben.

Der Erinnerungsführer beantragt,

die Entschädigung für die Teilnahme der Erinnerungsgegnerin am Termin am 7. Juni 2017 auf 0,00 Euro festzusetzen.

Die Erinnerungsgegnerin beantragt,

die Entschädigung für die Teilnahme am Verhandlungstermin am 7. Juni 2017 auf 151,46 Euro festzusetzen.

Mit Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung am Mittwoch, dem 7. Juni 2017 habe sie einen Antrag auf Verdienstausfall und Erstattung der Fahrkosten übersandt erhalten. Beide Anträge seien von ihr ordnungsgemäß ausgefüllt worden.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Auf die Erinnerung war die Entschädigung auf 151,46 Euro festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1).

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 S. 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 8 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 – L 1 JVEG 867/15, zitiert nach Juris).

Die Entschädigung errechnet sich danach wie folgt:

Der Fahrtkostenersatz beträgt nach § 5 JVEG für den Hin- und Rückweg mit insgesamt 184 km 46,00 Euro.

Des Weiteren bestehen gegen die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzte Entschädigung für Verdienstausfall in Höhe von 105,46 Euro keine Bedenken.

Nach § 191 SGG i. V. m. § 22 JVEG erhalten Beteiligte, denen ein Verdienstausfall entsteht, eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet und für jede Stunde höchstens 21 Euro beträgt. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Erinnerungsführerin, dass Verdienstausfall nach § 22 JVEG nur für die gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt wird und es unerheblich ist, ob gegebenenfalls ein ganzer Arbeitstag tatsächlich versäumt worden ist. Unter Dauer der Heranziehung im Sinne von § 19 Abs. 2 JVEG ist die gesamte aufgewendete Zeit zu verstehen. Dies bedeutet, dass im Falle von Verdienstausfall auch diejenige Zeit einzubeziehen ist, die entsteht, weil der Erinnerungsgegner vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 03. Juli 2018 – L 1 JVEG 364/18 –, Juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - I-25 W 365/16, zitiert nach Juris). Die Gegenauffassung, wonach ein Abstellen auf die notwendige Arbeitszeitversäumnis deshalb nicht zulässig sei, weil dies vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 JVEG nicht mehr gedeckt und mit dem vom Gesetzgeber im Rahmen der Formulierungsänderung zu § 19 JVEG verfolgtem Zweck einer Vereinfachung des Kostenrechts nicht vereinbar sei (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2013 - L 15 SF 226/11 und vom 13. Januar 2015 - L 15 SF 170/14, jeweils zitiert nach Juris), überzeugt hingegen nicht. Zunächst schließt es der Wortlaut des § 19 Abs. 2 JVEG "gesamte Dauer der Heranziehung" nicht aus, ausgefallene Arbeitszeit einzubeziehen, wenn der Zeuge aus betriebsorganisatorischen Gründen vor und/oder nach der Wahrnehmung des Gerichtstermins die Arbeit am gleichen Tag nicht mehr aufnehmen kann. Denn der Zeitraum der "Dauer der Heranziehung" erfasst nicht nur die reine Anwesenheitszeit bei Gericht, sondern auch notwendige Vor- und Nachbereitungshandlungen wie zum Beispiel An- und Abreise. Ausschließlich erforderlich ist eine kausale Verknüpfung zwischen der Terminswahrnehmung und der aufgewendeten Zeit. Daher ist auch aus betriebsorganisatorischen Gründen ausgefallene Arbeitszeit einzubeziehen.

Mit dieser Auslegung wird auch ein wesentliches Ziel der Gesetzesänderung, nämlich eine Vereinfachung des Kostenrechts herbeizuführen, nicht verfehlt. Die Klärung der Frage, ob der Betroffene vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen konnte, kann relativ einfach durch Vorlage einer entsprechenden aussagekräftigen Verdienstausfallbescheinigung seines Arbeitgebers geführt werden. Insoweit ist auch auf das vom Arbeitgeber auszufüllende Formular zu verweisen. Dort wird ausdrücklich abgefragt, ob die Betriebsverhältnisse eine Verlegung der Schicht gestatten. Im Übrigen führt auch die Gegenauffassung nicht dazu, dass der Zeitraum der Dauer der Heranziehung ausschließlich aus Unterlagen in der Gerichtsakte ermittelt werden kann. Denn auch nach der Gegenauffassung darf der Betroffene bei der Anfahrt zum Gericht ein gewisses Zeitpolster einkalkulieren, um seine rechtzeitige Ankunft nicht zu gefährden. Je nach Länge des Weges sind auch Pausen oder sonstige spezifische Einzelfallumstände, die eine längere Zeit begründen, denkbar. Die Zeitangaben des jeweiligen Betroffenen sind, sofern sie nicht lebensfremd erscheinen, regelmäßig der Entschädigung zugrunde zu legen. Genau das Gleiche gilt auch für die Klärung der Frage, inwieweit der Betroffene aus betriebsorganisatorischen Gründen seine Arbeit nicht wiederaufnehmen konnte. Auch die weitere Argumentation, dass die Regelung des JVEG zu einer Entschädigung wegen der durch den gerichtlichen Termin beanspruchten Zeit gerade nicht Ausdruck eines Schadensersatzanspruchs, sondern einer billigen Entschädigung für die Ausübung staatsbürgerlicher Pflichten darstelle, wird damit nicht ausgehöhlt. Dass kein vollständiger Schadensersatzanspruch gewährt wird, ist unter anderem bereits durch die Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG sichergestellt, wonach die Entschädigung für nicht mehr als zehn Stun-den je Tag gewährt wird. Des Weiteren begrenzt § 21 JVEG die Höhe des Stundensatzes.

Die Entschädigung für Verdienstausfall ist vorliegend ausnahmsweise nicht nach den Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG) ausge-schlossen. Zwar spricht vieles dafür, dass die Erinnerungsgegnerin in ihrer Eigenschaft als Betreuerin ihres behinderten Sohnes eine Vergütung nach dem VBVG erhält, sodass ein Verdienstausfall im Sinne des § 22 JVEG nicht entstanden sein kann. Die Entschädigung nach §§ 4, 5 VBVG erfolgt nach einem Pauschalvergütungsmodell. Dies hat zur Folge, dass alle Zeiträume, in denen die Erinnerungsgegnerin als Betreuerin ihres Sohnes tätig geworden ist, nach dem VBVG vergütet worden sind, wobei es auf den konkreten Stundenlohn, wie er sich aus der pauschal gewährten Vergütung von der tatsächlich erbrachten Stundenzahl errechnet, nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen nicht ankommt. Dasselbe dürfte grund-sätzlich auch hinsichtlich der Fahrtkosten gelten.

Allerdings sind der Erinnerungsgegnerin die beantragte Entschädigung für Verdienstausfall und Fahrkosten angesichts der Ausführungen in dem übersandten Merkblatt über die Entschädigung von Klägern und Zeugen aus Gründen des Vertrauensschutzes zu erstatten (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 11. November 2015 - L 6 JVEG 581/15 bzw. Beschluss vom 9. November 2015 - L 6 JVEG 570/15, zitiert jeweils nach Juris). In dem übersandten Merkblatt wurde ausdrücklich ausgeführt, dass die Erinnerungsgegnerin Ersatz des ihr entstandenen Verdienstausfalls und Erstattung der Fahrkosten verlangen kann. Von ihrem Empfängerhorizont her lag daher eine klare Zusage vor. Daher liegt ein Fall der Selbstbindung der Verwaltung vor. Dieser führt zu einem Anspruch auf Kostenerstattung aus Gründen des Vertrauensschutzes. Dieser Vertrauensschutz kann nicht mit der Erwägung verneint werden, dass vieles dafür spricht, dass die Erinnerungsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Bestellung zur Betreuerin durch das Betreuungsgericht umfassend über ihre Rechte und Pflichten belehrt und insbesondere auch über ihre Vergütungsansprüche informiert worden ist. Der Senat geht insoweit davon aus, dass die Erinnerungsgegnerin entsprechende Merkblätter durch das Betreuungsgericht bekommen hat. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass die übersandte Ladung mit dem Hinweis auf die Entschädigungsmöglichkeiten später erfolgt ist. Dem 8. Senat des Thüringer Landessozialgerichts war bei Übersendung der Ladung auch bewusst, dass hier ein Betreuungsverhältnis besteht. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass in der Ladung ausdrücklich ausgeführt wurde, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Termin sich auch an den jeweiligen Vertreter, d. h. hier an die gesetzliche Betreuerin richtet. Von daher konnte die Erinnerungsgegnerin nach ihrem Empfängerhorizont aufgrund des späteren Hinweises auf die Möglichkeit der Erstattung der Fahrkosten und des Verdienstausfalles nur davon ausgehen, dass dies ihr zusteht. Da die Erinnerungsgegnerin nicht als Berufsbetreuerin tätig ist, kann ihr auch keine besondere Vertrautheit mit der Materie unterstellt werden. Aus Gründen des Vertrauensschutzes hat daher eine Erstattung zu erfolgen.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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