L 3 R 235/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 1301/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 235/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.02.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme Nr. 1 und Nr. 4 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 01.03.1979 bis zum 05.03.1987 Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) oder zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss) festzustellen.

Der 1949 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1967 bis zum 31.08.1971 ein Studium der angewandten Physik an der Technischen Hochschule P N. Der Rat der Sektion Mathematik und Physik verlieh ihm am 30.08.1971 den akademischen Grad eines Diplom-Physikers. Vom 01.09.1971 bis zum 31.08.1975 war er als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Hochschule P in der Sektion Mathematik/Physik beschäftigt. Ab dem 01.09.1975 nahm er eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Aufbaustab der Betriebspoliklinik L T auf, die er ab dem 01.01.1977 als Leiter der Abteilung Technische Arbeitshygiene fortsetzte. Am 14.09.1977 wurde er durch die Technische Hochschule P zum "doctor rerum naturalium" promoviert. Mit Urkunde vom 19.05.1978, Nr. 660 612 gewährte die Staatliche Versicherung der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) dem Kläger entsprechend den Bestimmungen der Verordnung vom 12.07.1951 über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (VO AVIwiss) rückwirkend ab 01.04.1978 eine zusätzliche Altersversorgung.

Mit Wirkung zum 01.03.1979 schlossen der Kläger, die Betriebspoliklinik L T und der Volkseigene Betrieb (VEB) S - T-Werke C (VEB S) einen vom 19.01.1979 datierenden Überleitungsvertrag. Darin wurde u.a. geregelt, dass der Kläger ab dem 01.03.1979 eine Tätigkeit als Forschungsingenieur bei dem VEB S aufnehmen sollte. Unter Punkt 3 des Vertrags wurde vereinbart:

"Die Zugehörigkeit des Kollegen Dr. U zum Kombinat bleibt durch diesen Überleitungsvertrag ununterbrochen, deshalb werden folgende arbeitsrechtliche Besonderheiten durch den VEB Kombinat S - T-Werke C übernommen: Altersversorgung der Intelligenz (Urkunde Nr. 660 612 vom 19.5.1978)."

Mit Schreiben vom 23.01.1979 fragte der Kläger bei der Staatlichen Versicherung der DDR, Altersversorgung der Intelligenz, an, welche Schritte einzuleiten seien, um die Altersversorgung der Intelligenz auch nach dem Arbeitsplatzwechsel zum 01.03.1979 "rechtswirksam zu belassen". Mit Schreiben vom 27.02.1979 teilte die Staatliche Versicherung mit, der Kläger habe die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz aufgrund der Tätigkeit an der Betriebspoliklinik des VEB L T erhalten. Mit dem Ausscheiden aus der Einrichtung erlösche der Anspruch, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen als dem Erreichen der Altersgrenze, Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Übernahme einer Wahl- oder Berufungsfunktion beendet werde. Die erloschene Altersversorgung könne auch in dem neuen VEB nicht wiederaufleben, da er keine Einrichtung im Sinne der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz sei. "Für die dort tätigen Angehörigen der technischen Intelligenz (techn. Hoch- oder Fachschulabschluss z.B. als Dipl.-Ing., Ingenieur)" werde die zusätzliche Altersversorgung nach der Verordnung vom 17.8.1950 geregelt. Es bestünde auch die Möglichkeit, in der jetzigen Einrichtung der freiwilligen Zusatzversorgung beizutreten. Die Urkunde über die Altersversorgung der Intelligenz vom 19.05.1978, Nr. 660 612 erhielt einen "ungültig"-Stempel und den vom 02.10.1979 datierenden Vermerk: "Übernahme-Erklärung des VEB S - T - Werke [ ...] Best. d. übergeord. Dienstst. fehlte".

Ab 01.10.1985 wurde der Kläger zum (Fach-) Direktor für Forschung und Entwicklung berufen. Seine Tätigkeit für den VEB S, später VEB Microelektronik - T-Werke C , endete am 05.03.1987.

Mit unangefochtenem Bescheid vom 11.04.2006 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger erstmalig fest, dass die Voraussetzungen des § 1 AAÜG erfüllt seien. Hinsichtlich der Zeiträume vom 01.09.1975 bis zum 31.03.1978 und vom 01.03.1979 bis zum 25.08.1989 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Zeiten der Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (Nr. 04 der Anlage 1 zum AAÜG) ab. Die Beschäftigung sei nicht im Geltungsbereich der Zusatzversorgungssysteme ausgeübt worden.

Anlässlich eines im November 2011 übersandten Versicherungsverlaufs beantragte der Kläger die Neufeststellung der Zeiten für den Zeitraum vom 01.09.1967 bis zum 31.08.1971 und vom 01.09.1975 bis zum 31.03.1978.

Mit Bescheid vom 22.01.2013 stellte die Beklagte (erneut) die Anwendbarkeit des AAÜG und den Zeitraum vom 01.09.1971 bis zum 31.08.1975 sowie vom 01.04.1978 bis zum 28.02.1979 als Zeiten der AVIwiss fest. Zusätzlich stellte sie den Zeitraum vom 01.09.1975 bis 31.03.1978 als Zeiten der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und andere Hochschulkader in staatlichen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens einschließlich der Apotheker in privaten Apotheken fest.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.02.2013 Widerspruch. Laut Arbeitsvertrag sei die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Intelligenz auch für die Zeit ab 01.03.1979 bis März 1987 weitergeführt worden. Dies sei anzuerkennen und die Zeiten anzurechnen. Es könne nicht sein, dass ein Fachschulingenieur aus der gleichen Firma nur wegen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" eine höhere Rente beziehe als ein promovierter Diplom-Physiker mit zahlreichen ingenieurwissenschaftlichen Erfindungen und Leistungen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2013 zurück. Die Anerkennung der beantragten Zeiten als solche der Altersversorgung der Intelligenz komme nicht in Betracht, da der VEB S die erforderliche Übernahmeerklärung gegenüber der Staatlichen Versicherung der ehemaligen DDR nicht abgegeben habe und die entsprechende staatliche Urkunde mit dem Arbeitgeberwechsel für ungültig erklärt worden sei. Zudem habe es sich bei dem VEB S nicht um eine Forschungseinrichtung oder Hochschule gehandelt. Daher sei für die Zeit ab dem 01.03.1979 eine Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der Technischen Intelligenz zu prüfen. Eine Einbeziehung in diese zusätzliche Versorgung komme allerdings ebenfalls nicht in Betracht, da sich die Frage der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach den Gegebenheiten der DDR richte, also nach den Texten der in den Anlagen 1 und 2 aufgelisteten Versorgungsordnungen. Die Rechtsprechung sehe eine Einbeziehung u.a. nur dann vor, wenn der Einzelne berechtigt gewesen sei, eine bestimmte Berufsbezeichnung, hier die des Ingenieurs, zu führen. Der Kläger sei Diplom-Physiker und als solcher nicht berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu tragen.

Hiergegen hat der Kläger am 23.07.2013 Klage bei dem Sozialgericht erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, für ihn sei unstreitig eine Versorgungszusage der staatlichen Versicherung der DDR im Rahmen einer Einzelfaltentscheidung ab dem 01.04.1978 in der AVIwiss erfolgt. Zum Zeitpunkt dieser Versorgungszusage sei er an der Betriebspoliklinik des L beschäftigt gewesen. Mit Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses und dem Arbeitsstellenwechsel zum VEB S - T - Werke habe diese Urkunde zunächst ihre Gültigkeit verloren. Deshalb sei im Überleitungsvertrag vom 19.01.1979 die Fortführung der Altersversorgung der Intelligenz vereinbart worden. Ihm könne nicht angelastet werden, dass der VEB S die Übernahmeerklärung - trotz der entsprechenden Vereinbarung im Überleitungsvertrag - nicht gegenüber der Staatlichen Versicherung der DDR abgegeben habe. Es sei im Übrigen nicht nachzuvollziehen, dass seine Hochschulausbildung nicht den geringeren Anforderungen der technischen Ausbildung eines Ingenieurs zugeordnet werden könne. Hier sei eine Lücke in der Zuordnung zur technischen oder wissenschaftlichen Intelligenz zu erkennen. Seine Tätigkeit sei analog der technischen Intelligenz zuzuordnen. Außerdem habe er, wie sein Studienbuch belege, sein Studium der angewandten Physik mit dem Ziel des Abschlusses als Diplom-Ingenieur absolviert und nur aufgrund seiner besonders guten Leistungen das Angebot bekommen, vorzeitig einen Abschluss zum Diplom-Physiker mit anschließender wissenschaftlicher Tätigkeit zu erhalten. Das könne ihm nun nicht zum Nachteil gereichen.

Die Beklagte hat im Wesentlichen erwidert, der Kläger sei als Diplom-Physiker nicht berechtigt den Titel eines Ingenieurs zu führen. Die Zusage hinsichtlich der Weiterführung der Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen im Überleitungsvertrag vom 19.01.1979 habe nicht mit den Regelungen der entsprechenden Versorgungsordnung korrespondiert, da der Beschäftigungsbetrieb des Klägers ab 01.03.1979 (VEB S-T-Werke C ) nicht zum Geltungsbereich dieses Zusatzversorgungssystems gehört habe. Dementsprechend habe die Staatliche Versicherung der DDR in ihrem Schreiben an den Kläger vom 27.02.1979 auch darauf hingewiesen, dass die durch den Arbeitgeberwechsel ungültig gewordene Versorgungszusage (Urkunde) insoweit nicht wieder aufleben könne. Eine Regelung hinsichtlich der Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech sei in dem Überleitungsvertrag vom 19.01.1979 hingegen nicht enthalten.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 29.02.2016 sein Studienbuch vorgelegt. Hieraus ergibt sich, dass er in der technischen Hochschule P N in der Fakultät Grundwissenschaften, Fachrichtung Physik das Berufsziel Diplom-Ingenieur angestrebt hat. Er habe bei dem VEB S als Ingenieur gearbeitet. Hinsichtlich der weiteren Erklärungen des Klägers wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Mit Urteil vom 29.02.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

"Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 iVm Absatz 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 oder Nr. 4 der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 01.03.1979 bis 05.03.1987.

Zwar finden die Vorschriften des AAÜG auf den Kläger Anwendung. Der Kläger ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG anspruchsberechtigt, weil er vom 01.09.1971 bis 31.08.1975 und vom 01.04.1978 bis 28.02.1979 nach den Gegebenheiten in der DDR in deren System eine Versorgungsanwartschaft auf Grund einer Versorgungszusage im Zusatzversorgungssystem AVI erlangt hatte. Diese entfiel nach den Regeln des Versorgungssystems, nachdem der Kläger aus seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung Technische Arbeitshygiene der Betriebspoliklinik L T ausgeschieden war (vgl. § 11 Abs. 1 AVI-VO; § 5 der hierzu ergangenen Durchführungsbestimmung vom 26.09.1951, GBl S 879). § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG fingiert jedoch das Fortbestehen der Versorgungsanwartschaft, "soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei Ausscheiden vor dem Leistungsfall" vorsahen; in diesem Fall gilt der Verlust als nicht eingetreten (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002, Az.: B 4 RA 32/01 R, juris).

Der Kläger hat jedoch in der Zeit vom 01.03.1979 bis 05.03.1987 keine "Zeit der Zugehörigkeit in einem Versorgungssystem" und damit auch keine gleichgestellte Pflichtbeitragszeit im Sinne von § 5 Abs. 1 AAÜG erlangt. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die AVTI als auch die AVI.

Ob der Kläger mit seiner Beschäftigung beim VEB S eine solche Zeit der Zugehörigkeit zu einem zusätzlichen Altersversorgungssystem zurückgelegt hat, ist ausschließlich nach objektiver Auslegung des Bundesrechts unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu ermitteln. Es ist in faktischer Anknüpfung an die von der DDR erlassenen Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen und den sonstigen diese ergänzenden bzw. ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen zu klären, ob eine der dort genannten Beschäftigungen individuell und konkret ausgeübt worden ist und ob die in der Versorgungsordnung als zwingende Voraussetzung für eine Einbeziehung, dh für die Pflicht auf Erteilung einer Versorgungszusage, genannte notwendige berufliche Qualifikation zur Ausübung dieser (konkreten) Beschäftigung vorgelegen hat (vgl. BSG, aaO).

Unter Berücksichtigung dieser vorgenannten Grundsätze erfüllte der Kläger in den Zeiten, für die er die Feststellung nach § 5 Abs. 1 AAÜG begehrt und in denen er als Forschungsingenieur und später als Direktor für Forschung und Entwicklung beim VEB S tätig war, im Hinblick auf seine berufliche Qualifikation als Diplom-Physiker die nach der Versorgungsordnung für eine Einbeziehung in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz nach § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24.05.1951 (2. DB) erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht. Ausschlaggebend ist nach der objektiven, am Wortlaut orientierten Auslegung alleine die kraft beruflicher Ausbildung erworbene in der Versorgungsordnung genannte berufliche Qualifikation. Hierzu zählen Ingenieure und Techniker, nicht jedoch Diplom-Physiker. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger als Forschungsingenieur angestellt und auch tatsächlich beschäftigt war. Denn während die Verordnung über die AVTI (AVTI-VO) vor allem den allgemeinen Rahmen für die Einbeziehung in die Zusatzversorgung vorgibt, erfolgt die konkrete bundesrechtliche Ausgestaltung der Versorgungsordnung in der 2. DB. Insoweit macht § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB deutlich, dass die "technische Intelligenz" nicht insgesamt erfasst wird, sondern innerhalb dieser Gruppe nur ganz bestimmte Professionen. Zu der ausdrücklich aufgeführten Gruppe der Ingenieure gehört der Kläger indes trotz seiner tatsächlich ausgeübten Beschäftigung nicht. Denn § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB verdeutlicht, dass es hierfür wesentlich auf den entsprechenden "Titel" ankommt. Zur Beantwortung der Frage, was unter der Berufsbezeichnung "Ingenieur" nach dem staatlichen Sprachgebrauch der DDR bei Schließung der Versorgungssysteme zu verstehen ist, hat das BSG wiederholt die "Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 12.04.1962" (IngVO-DDR) als faktisches Indiz herangezogen und gefordert, dass die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung durch einen entsprechenden staatlichen Akt der DDR verliehen worden sein musste. Alleine die Ausübung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit reiche für die Einbeziehung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002, Az.: B 4 RA 18/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 8 über juris).

Dem Kläger ist ein den Anforderungen des § 1 IngVO-DDR iVm § 1 Satz 1 der 2. DB entsprechendes Diplom nicht verliehen worden, denn er hat nicht durch akademisches Studium in einem ingenieurtechnischen Studiengang einen Studienabschluss an einer DDR-Universität als Dr. Ing., Dipl.-Ing., Ingenieur oder Ingenieurökonom erworben. Ihm wurde die Berufsbezeichnung "Ingenieur" auch nicht aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt. Jedenfalls liegen insoweit keine Anhaltspunkte oder Unterlagen vor. Auch die weiteren Tatbestände der IngVO-DDR, die zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigen, sind nicht erfüllt.

Auch eine Einbeziehung über § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB kommt nicht in Betracht. Denn der Kläger war ab 01.10.1985 zwar Direktor für Forschung und Entwicklung, nicht aber Werkdirektor.

Auch eine einzelvertragliche Einbeziehung über das zuständige Fachministerium auf Antrag des Werkdirektors nach § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB ist nicht erfolgt.

Die Kammer verkennt nicht, dass diese formale Betrachtungsweise insbesondere vor dem Hintergrund des besonderen Studiums des Klägers, seiner tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und des ursprünglich geplanten Abschlusses unbefriedigend ist und eine Ungleichbehandlung vermuten lässt. Sie schließt sich jedoch insoweit der Einschätzung des BSG und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) an, die im Hinblick auf eine mögliche Ungleichbehandlung ausgeführt haben, dass der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche in den Versorgungsordnungen möglicherweise bereits angelegten Ungleichbehandlungen zu korrigieren, da er im Rahmen der Rentenüberleitung an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen anknüpfen durfte und sich bei deren Auslegung strikt am Wortlaut zu orientieren hatte (BSG, aaO, mwN; zum insoweit herrschenden Analogieverbot BSG, Urteil vom 07.09.2006, Az.: B 4 RA 41/05 R, juris).

Der Kläger hat mit seiner Beschäftigung im streitgegenständlichen Zeitraum auch keine Zeiten der Zugehörigkeit zu der AVI zurückgelegt. Denn der VEB S ist keine wissenschaftliche, künstlerische, pädagogische oder medizinische Einrichtung der DDR im Sinne des § 1 der AVI-VO.

Auch durch Punkt 3 des Überleitungsvertrags ergibt sich keine Zugehörigkeit zur AVI. Denn eine solche einzelvertragliche Einbeziehung kann nach § 5 Abs. 1 AAÜG keine Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem und damit auch keine Pflichtbeitragszeit begründen. Denn insoweit bedurfte es einer Einzel- (Ermessens-) Entscheidung.

Eine Anknüpfung an eine derartige Regelung verbietet sich bundesrechtlich, weil sie im Hinblick auf die eingeräumten Entscheidungsspielräume eine ggf. willkürliche, dh gleichheitswidrige Verwaltungspraxis der DDR fortsetzen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002, Az.: B 4 RA 32/01 R, juris)."

Gegen das ihm am 10.03.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.03.2016 Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass es mit Blick auf die von ihm ausgeübte herausragende ingenieurstechnische Tätigkeit nicht nachzuvollziehen sei, dass die Zeit vom 01.03.1979 bis zum 05.03.1987 nicht als Zeit der Zugehörigkeit der AVIwiss oder zur AVItech zuerkannt werden könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.02.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2013 zu verurteilen, den Bescheid vom 11.04.2006 abzuändern und die Zeit vom 01.03.1979 bis zum 05.03.1987 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen oder zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2013 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 11.04.2006.

Nach § 44 Abs 2 S 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Diese Voraussetzungen für die Rücknahme liegen auch zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die Beklagte hat zutreffend mit Bescheid vom 11.04.2006 die Feststellung der Zeit vom 01.03.1979 bis zum 05.03.1987 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVIwiss oder zur AVItech abgelehnt.

Zwar ist der Anwendungsbereich des AAÜG nach § 1 dieses Gesetzes für den Kläger unstreitig eröffnet. Der Kläger kann daher nach § 8 Abs 1 i.V.m. Abs 3 AAÜG grundsätzlich die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem der in der Anlage 1 dieses Gesetzes benannten Zusatzsysteme der Altersversorgung beanspruchen.

In der hier streitigen Zeit vom 01.03.1979 bis zum 05.03.1987 ist eine solche Feststellung allerdings nicht möglich. Eine Zugehörigkeit des Klägers bestand in diesem Zeitraum weder zur AVIwiss (siehe dazu unter a)) noch zur AVItech (siehe dazu unter b)).

a) Eine unmittelbare Zugehörigkeit zur AVIwiss scheitert schon daran, dass es sich bei dem Arbeitgeber des Klägers, dem VEB S T Werke - anders als bei dem vorherigen Arbeitgeber, der Betriebspoliklinik des VEB Kernkraftwerk T - nicht um einen Betrieb im Sinne des § 6 VO AVIwiss handelt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 01.08.2003 - L 14 RA 51/02 - unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 62/01 R).

Der Kläger ist auch nicht wirksam durch eine einzelvertragliche Vereinbarung oder eine spätere Rehabilitationsentscheidung in diese Altersversorgung einbezogen worden.

Zwar haben der alte und der neue Arbeitgeber sowie der Kläger in dem dreiseitigen Überleitungsvertrag unter Nr. 3 vereinbart: "Die Zugehörigkeit des Kollegen Dr. U zum Kombinat bleibt durch diesen Überleitungsvertrag ununterbrochen, deshalb werden folgende arbeitsrechtliche Besonderheiten durch den VEB Kombinat S - T-Werke C übernommen: Altersversorgung der Intelligenz (Urkunde Nr. 660 612 vom 19.5.1978)." Unabhängig von der Frage, ob eine einzelvertragliche Einbeziehung in die Altersversorgung der wissenschaftlichen Intelligenz überhaupt möglich war, ist diese Vereinbarung jedenfalls nicht wirksam geworden. Denn es fehlt an der hierfür erforderlichen Bestätigung des Vertrages durch die übergeordnete Stelle im Sinne des § 2 Abs 1 2. Teilsatz der Dritten Durchführungsbestimmung zur VO über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: 3. DB zur VO-Entlohnung) vom 24. Mai 1951 (GBl 488). Diese Feststellung findet ihre Bestätigung in der Markierung der Urkunde des Klägers über die Altersversorgung der Intelligenz vom 19.05.1978, Nr. 660 612, mit dem Stempel "ungültig" und den vom 02.10.1979 datierenden Vermerk: "Übernahme-Erklärung des VEB S - T - Werke [ ...] Best. d. übergeord. Dienstst. fehlte".

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech.

Der (fiktive) bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage hängt nach § 1 der Verordnung über die AVItech vom 17.08.1950 (Gbl 844) und § 1 Abs 1 S 1 und Abs 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur VO AVItech vom 24.05.1951 (Gbl 487) von drei Voraussetzungen ab, nämlich

- von der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung),

- von der tatsächlichen Ausübung der entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und

- von der Ausübung der Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betriebe (betriebliche Voraussetzung).

Der Kläger erfüllt die erstgenannte persönliche Voraussetzung weder mit dem im verliehenen Titel "Diplom-Physiker" noch mit Blick auf seine tatsächlich ausgeübte, hoch qualifizierte Ingenieurtätigkeit.

Der Kläger war nach dem staatlichen Sprachgebrauch der DDR vom 30.06.1990, an den das Bundesrecht anknüpft, nicht berechtigt, den für eine Zugehörigkeit zur AVItech erforderlichen "Berufstitel" (vgl. § 1 Abs 1 2. DB-AVItech) eines Ingenieurs oder eines Technikers zu führen. Ihm ist allein der akademische Grad "Diplom-Physiker" verliehen worden.

Nach § 1 Abs.1 der Ingenieurverordnung der DDR sind zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur berechtigt,

a. in der Wortverbindung "Dr. Ing." und "Dr. Ing.-habil" Personen, denen dieser akademische Grad von einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen, Universitäten und Akademien der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt verliehen wurde;

b. in der Wortverbindung "Dipl.-Ing." Personen, die den Nachweis eines ordnungsgemäß abgelegten technischen Abschlussexamens an einer deutschen Berufsschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen bzw. Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können und denen das entsprechende Diplom verliehen wurde;

c. Personen, die den Nachweis eines abgeschlossenen technischen Studiums bzw. einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch das Ingenieurzeugnis einer staatlich anerkannten deutschen Fachschule vor 1945 oder einer Fachschule der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können;

d. Personen, denen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt wurde.

Eine Zuerkennung bzw. Verleihung des Titels "Ingenieur" liegt nicht vor und wird vom Kläger auch nicht behauptet.

Dass der Kläger ursprünglich mit dem Ziel studierte, den Grad eines Dipl.-Ingenieurs zu erlangen, ist unerheblich. Auch die tatsächliche Ausübung von Ingenieurtätigkeiten vermag das Kriterium der persönlichen Voraussetzung nicht zu ersetzen. Eine solche Berufspraxis berührt allein die Frage, ob die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung gegeben ist, nicht jedoch die persönliche Voraussetzung (vgl. BSG Urteil vom 16.03.2006 - B 4 RA 29/05 R - Rn 35 nach juris). Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Diplom-Physiker nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der AVItech fallen (BSG a.a.O. m.w.N.; die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen, siehe BVerfG Beschluss vom 26.07.2006 - 1 BvR 1687/06; siehe auch Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 04.08.2004 - 1 BvR 1557/01 - in dem Fall einer Diplom-Chemikerin).

Der Kläger war auch nicht berechtigt, den Berufstitel "Techniker" zu führen. Er hat nicht den Nachweis eines Abschlusszeugnisses mit entsprechender Berufsbezeichnung einer anerkannten Fachschule der DDR erbracht.

Der Kläger erfüllt schließlich auch keine der sonstigen Alternativen einer Versorgungsberechtigung. Nach § 1 Abs 1 S 2 2. DB der VO AVItech gehören hierzu u.a. auch Werksdirektoren. Der Kläger hatte eine solche Position nicht inne.

Eine dies bezügliche wirksame einzelvertragliche Einbeziehung liegt wiederum nicht vor (s.o.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nrn1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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