S 7 VE 31/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 7 VE 31/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 VE 33/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 16/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2012 verurteilt festzustellen, dass die beim Kläger aufgetretene Gesundheitsstörung "Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie)" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die beim Kläger aufgetretenen Gesundheitsstörungen "Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie)" sowie "Augenkatarakt beidseitig" als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sind.

Der 1936 geborene Kläger war Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr, zunächst vom 04.05.1959 bis 30.04.1963 und – nach einer Unterbrechung – vom 01.02.1965 bis zu seiner Entlassung am 31.01.1973. Zuletzt hatte er den Rang eines Oberfeldwebels inne. Seit 1960 war der Kläger in der Luftraumüberwachung eingesetzt. Vom 19.02.1960 bis 07.04.1960 absolvierte er eine Ausbildung zum Flugsicherungsgehilfen an der Radaranlage Typ AN/CPN4 auf dem Fliegerhorst C-Stadt. Vom 08.04.1960 bis 30.04.1963 und vom 01.02.1965 bis 31.07.1969 war er schließlich Radarflugmelder bzw. nach Ableistung eines Lehrgangs ab 1966 Radarflugmeldemeister in der Radarstellung D-Stadt an den Radargeräten T-80 und T-13. Danach war er bis zu seiner Entlassung im Jahre 1973 mit "militärischer Organisationsarbeit" betraut.

Im Jahre 1995 wurde bei dem damals 59 Jahre alten Kläger beginnender grauer Star festgestellt (vgl. Blatt 226 Gerichtsakte S 7 VE 16/09). Im 60. Lebensjahr des Klägers (1996) wurde der graue Star links und in seinem 66. Lebensjahr (2002) rechts operativ entfernt. Am 06.02.2006 wurde beim Kläger die Diagnose einer Haarzellleukämie gestellt (Ann Arbor-Stadium IV a; vgl. Blatt 207, 212 Gerichtsakte S 7 VE 16/09).

In der Zeit vom 24.07. bis 28.07.2006 erfolgte eine klinische Behandlung mit Cladribin, die zu einer Vollremission der Haarzellleukämie geführt hat. Im Jahr 2011 erkrankte der Kläger an einer Legionellen-Pneumonie, die als Komplikation der Haarzellleukämie in Verbindung mit der durchgeführten Therapie anzusehen ist (vgl. Blatt 207 Gerichtsakte S 7 VE 16/09).

Am 18.04.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem III. Teil des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) beim Hessischen Amt für Versorgung und Soziales in Wiesbaden. Dieser Antrag wurde an die frühere Wehrbereichsverwaltung West in Düsseldorf weitergeleitet. Mit Bescheid vom 29.06.2007 lehnte die Wehrbereichsverwaltung West den Antrag des Klägers auf Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung sowie einen entsprechenden Ausgleichsanspruch nach § 85 SVG ab. Gegen diesen Bescheid hatte der Kläger Widerspruch erhoben. Die Wehrbereichsverwaltung West setzte das Verfahren zunächst aus und gab die Akte an das zuständige Versorgungsamt Wiesbaden ab. Mit Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales in Wiesbaden vom 24.01.2008 wurde der dort gestellte Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung ebenfalls abgelehnt. Das noch nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde sodann von der Wehrbereichsverwaltung West fortgeführt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Am 09.07.2009 hatte der Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 7 VE 16/09 anhängig war. Die in dem damaligen gerichtlichen Verfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen ergaben, dass sämtliche Erkrankungen des Klägers zeitlich nach Ende des Wehrdienstverhältnisses aufgetreten waren. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland hob deshalb wegen fehlender Zuständigkeit die angefochtenen Bescheide vom 29.06.2007 und 17.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2009 auf. Daraufhin hatte der Kläger das Klageverfahren S 7 VE 16/09 in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Auch gegen den Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales in Wiesbaden (im Folgenden: Beklagter) vom 24.01.2008 hatte der Kläger mit Schreiben vom 04.02.2008 Widerspruch erhoben. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Ermittlungen bei der Wehrbereichsverwaltung ergeben hätten, dass der Kläger bei Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeiten keiner schädigenden Strahlenexposition ausgesetzt bzw. nicht ausreichend lange ausgesetzt gewesen sei. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Leukämie-Erkrankung und einer schädigenden Strahlenexposition während der Wehrdienstzeit. Bei der Katarakt-Erkrankung beider Augen handele es sich medizinisch eindeutig nachweisbar um eine alterstypische Katarakterkrankung, einer sogenannten Alterskatarakt; eine Strahlenverursachung könne hier eindeutig ausgeschlossen werden.

Am 01.12.2012 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Mit Beschluss vom 05.06.2013 wurde die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Wehrbereichsverwaltung West, dem Verfahren beigeladen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass seine Erkrankung "Haarzellleukämie" auf eine unzulässig hohe Strahlenbelastung sowie die Erkrankung "Augenkatarakt beidseitig" auf eine zu hohe HF-Strahlung während seiner Dienstzeit zurückzuführen sei, da er als Radaroperator/Radarflugmeldemeister in der frühen Phase 1 einer hohen Strahlenexposition ausgesetzt gewesen sei. Auch habe er die Radarmechaniker an eingeschalteten Radargeräten unterstützt bzw. sei von Radarmechanikern in der Kalibrierung und Justierung der Radargeräte ausgebildet worden. Als Radarflugmeldemeister sei der Kläger auch zum Feldwebel vom Dienst eingeteilt gewesen. Zu seinem Tätigkeitsbereich hätten dabei insbesondere nächtliche Kontrollgänge in der gesamten Radaranlage gehört. Bei den Kontrollgängen habe er auch die Räume inspiziert, in denen die Sende- und Empfangsröhren (Röntgenstörstrahler) installiert gewesen seien. Seinen Dienst in der Radarstellung D Stadt habe er überwiegend an der Radarstandkonsole xxx1 verbracht. An den Radaranlagen der Bundeswehr seien damals verschiedenen Arten von Leuchtfarben eingesetzt worden, um Skalenteile und Regler auch in völliger Dunkelheit ablesen zu können. Die Farben hätten das Radionuklid-226 enthalten. Auch hierdurch seien Bediener einer externen Exposition durch ý-Strahlung ausgesetzt gewesen.

Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 24.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2012 aufzuheben, soweit die geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie)" sowie "Augenkatarakt beidseitig" nicht als WdB-Folge festgestellt worden sind;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie) und Augenkatarakt beidseitig als WdB-Folge anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er nimmt zur Begründung Bezug auf das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie hat unter anderem den "Ergebnisbericht der Untersuchung der Arbeitsplatzverhältnisse an den Sichtgeräten für T-80 und T-13" vorgelegt (Blatt 65 ff Gerichtsakte). Daraus folgt, dass die Radargeräte T-80 und T-13 Mitte der 50er Jahre von den britischen Streitkräften in vier ortfesten Radarstellungen im Norden der Bundesrepublik Deutschland installiert worden waren. Der Radarführungsdienst der Luftwaffe hatte die Geräte ab 1957 übernommen und betrieb sie bis Anfang der 70er Jahre. Im Rahmen der Luftlageerstellung hätten die Geräte zur Darstellung der von den Radargeräten T-80 und T-13 erzeugten Radarinformationen gedient. Die Sichtgeräte waren in einer von den Radargeräten getrennten Operationszentrale aufgestellt. Die "Console xxx1" war eine sogenannte PPI-Konsole (plane position indicator). Sie war als Stehpult ausgeführt und bot bis zu vier Operatoren Platz. Dargestellt wurden die Radarinformationen des Rundfunksuchradargerätes T-80. Die Bildröhre hatte einen Durchmesser von 21 inch und wurde mit 15 kV Hochspannung betrieben. Zu den Sichtgeräten liegen keine Untersuchungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung vor. Radioaktive Stoffe wurden in dem bei Radargeräten üblichen Umfang in den Elektronenröhren verwendet. Hinweise auf die Verwendung radioaktiver Leuchtfarben liegen nicht vor. Der Grund für den Einsatz solcher Leuchtfarben als einer Leuchtmarkierung, die unabhängig von einer elektrischen Spannungsversorgung funktionieren muss, ist hier nicht gegeben.

Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Kläger ein Privatgutachten der Sachverständigen Prof. Dr. E. vom 05.01.2014 vorgelegt (Blatt 98-123 Gerichtsakte). Auf den Inhalt der gutachtlichen Stellungnahme wird Bezug genommen, ebenso auf die Erwiderung der Beigeladenen vom 21.03.2014 (Blatt 157 Gerichtsakte). Die Beigeladene hat zu dem Gutachten von Prof. Dr. E. eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr eingeholt (Blatt 158 bis 160 Gerichtsakte).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.03.2014, auf die beigezogene Gerichtsakte zu Az.: S 7 VE 16/09 sowie die beigezogenen Behördenakten des Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen. Die bezeichneten Akten waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage hat teilweise Erfolg.

Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, die Gesundheitsstörung "Haarzellleukämie" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen, erweist sich die Klage als begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 24.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2012 ist insoweit rechtswidrig und daher aufzuheben.

Nach § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes (BVG), soweit in diesem Gesetz nichts abweichendes bestimmt ist. Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Für die Anerkennung von Schädigungsfolgen ist eine dreigliedrige Kausalkette zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen bedingt hat. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).

Nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der auch im Rahmen der Soldatenversorgung anwendbar ist (§ 1 KOVVfG), sind die Angaben des Antragsstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Unter Berücksichtigung dieser grundsätzlichen Erwägungen sowie nach Auswertung des umfangreichen Akteninhalts ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die unstreitig vorliegende Gesundheitsstörung (Haarzellleukämie), die im Jahre 2006 beim Kläger aufgetreten ist, mit Wahrscheinlichkeit auf eine durch den Wehrdienst verursachte Strahlenexposition zurückzuführen ist.

Bei ihrer Entscheidung hat die Kammer die Erkenntnisse herangezogen, die in dem Bericht der vom Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages eingesetzten "Radarkommission" vom 02.07.2003 niedergelegt worden sind. In der Rechtsprechung ist umstritten, ob der "Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA" (BdR) als Beweiserleichterung bzw. als Beweislastumkehr zugunsten des Klägers zu werten oder als antizipiertes Sachverständigengutachten einzuordnen ist (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 13.02.2008, Az.: L 5 VS 11/05; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2012, Az.: L 6 VS 1867/09). Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dass der BdR für das gerichtliche Verfahren überhaupt keine rechtliche Verbindlichkeit entfalte, da es sich weder um ein Gesetz noch um eine Rechtsverordnung handelt (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.10.2012, Az.: L 2 VS 13/11). Es kann dahinstehen, welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist. Denn jedenfalls stellt der BdR eine wichtige Erkenntnisquelle in Bezug auf die Arbeitsplatzverhältnisse von Soldaten und auf die hiermit in Zusammenhang stehenden medizinischen Fragen dar und hat daher die Qualität einer amtlichen Auskunft, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.10.2013, Az.: L 12 VS 4/09).

Nach dem BdR lässt sich der Umgang mit Röntgenstörstrahlung an Radaranlagen der Bundeswehr historisch in drei Phasen gliedern: Die Phase 1 umfasste den Zeitraum bis 1975/76. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Messwerte, welche die nachträgliche Ermittlung der Strahlenexposition gestatten würden, nicht oder nur vereinzelt vorliegen und, gemessen an heutigen Maßstäben, kein adäquater Strahlenschutz bestand. Aussagefähige personendosimetrische Daten liegen für diesen Zeitraum nicht vor (BdR, S. 130). Die bis Mitte der 1980er Jahre anzunehmende Phase 2 markiert eine Übergangsperiode, in der, insbesondere nach alarmierenden Messungen am Radargerät SGR-103 der Marine, nach und nach systematische Messungen der Ortsdosisleistungen von Störstrahlern durchgeführt und Strahlenschutzmaßnahmen eingerichtet wurden. Die seitdem (ab ca. 1985) anzunehmende Phase 3 charakterisiert den Zeitraum, in dem ein adäquater Strahlenschutz der Bundeswehr als etabliert angesehen werden kann.

Im vorliegenden Fall geht es um den Zeitraum bis zum 31.07.1969 und damit um die Phase 1. Wie bereits ausgeführt wurde, liegen für diese Phase keine Unterlagen vor. Eine Ausnahme insoweit besteht nach dem BdR nur für das Radargerät SGR-103, da hierfür aus dem Jahre 1975 Messwerte vorliegen (BdR S. 135). Dies gilt jedoch nicht für die Radargeräte T-80 und T-13, an denen der Kläger eingesetzt war.

Damit ist der Nachweis dafür, dass der Kläger während seines Wehrdienstes einer relevanten Strahlung ausgesetzt war, grundsätzlich nicht zu führen.

So lässt sich - im Sinne eines Nachweises - nicht mehr feststellen, ob an den Sichtgeräten für die Radaranlagen radiumhaltige Leuchtfarbe als Leuchtmarkierung verwendet worden war. Nach den BdR (S. 138) kann dies für die Zeit vor 1980 nicht ausgeschlossen werden. Allerdings liegen nach dem "Ergebnisbericht der Untersuchung der Arbeitsplatzverhältnisse an den Sichtgeräten für T-80 und T-13" keine Hinweise auf die Verwendung radioaktiver Leuchtfarben vor. Der Grund für den Einsatz solcher Leuchtfarben als Leuchtmarkierung, die unabhängig von einer elektrischen Spannungsversorgung funktionieren musste, sei dort nicht gegeben gewesen. Eine nachträgliche Überprüfung des Sachverhalts ist nicht mehr möglich, da die Radaranlagen heute - zumindest in der Bundesrepublik Deutschland - nicht mehr existieren.

Ein weiteres Problem ist die Ermittlung des Zeitraums, in dem eine mögliche Exposition durch radiumhaltige Leuchtfarbe stattgefunden haben kann. Die Beigeladene ist bei der Festlegung der Personendosis gemäß § 41 StrlSchV von 74,75 Monaten und 1440 Stunden pro Jahr für Arbeiten am T-80 und T-13 ausgegangen (Blatt 162 ff WDB-Akte). Demgegenüber gibt der Kläger an, dass er 1680 Stunden pro Jahr unter Exposition gearbeitet habe. Er belegt dies durch den Schichtplan 1970 aus der "Chronik des Fernmelderegiments 34", erschienen 1984 (Blatt 168 f Gerichtsakte). Dem ist die Beigeladene in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 14.05.2014 entgegengetreten und hat dargelegt, dass es unrealistischer Einsatzszenarien bedürfe, um die vom Kläger behauptete Arbeitszeit von 1680 Stunden pro Jahr an Konsolen zu erreichen (Blatt 175 ff Gerichtsakte).

In dieser Konstellation kommt zugunsten des Klägers die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG zum Zuge: Unterlagen oder sonstige Beweismittel, die eine Strahlenexposition des Klägers bei seinen dienstlichen Tätigkeiten belegen oder auch widerlegen könnten, sind nicht vorhanden. Sämtliche im Nachhinein erstellte Berechnungen beruhen nur auf Annahmen. Der im Erörterungstermin vom 27.03.2014 informatorisch angehörte Kläger konnte allerdings glaubhaft darlegen, dass er in seiner Funktion als Radarflugmeldemeister auch für das Kalibrieren des Höhenmessgerätes zuständig war. Diese Tätigkeit musste wöchentlich einmal durchgeführt werden; sie erfolgte am geöffneten Gerät und dauerte jeweils ca. eine Stunde. Weitere Wartungsarbeiten wurden auch an den Konsolen durchgeführt. Diese wurden vom Mechaniker ausgeführt, der z.B. die offene Röhre fokussierte. Dabei wurde die Röhre aus dem Schrank herausgezogen. Bei diesen Wartungsarbeiten war der Kläger immer anwesend. Die Feinjustierung wurde vom Techniker auf seinen Anweisungen hin, im Zusammenspiel mit dem Techniker im Flugzeug, durchgeführt.

Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger nicht allein als Radaroperator tätig war, sondern dass er während seiner Dienstzeit zusätzlich qualifizierende Arbeiten an Radaranlagen ausgeführt hat, nämlich Unterstützung des Technikers bei Wartungs- und Feinjustierungsarbeiten am geöffneten und laufenden Gerät.

Damit war der Kläger in weit größerem Umfang einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt, als bisher angenommen wurde. Er erfüllt damit bereits die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach den Empfehlungen der Radarkommission hinsichtlich der Röntgenstörstrahlung (BdR, S. 135; vgl. auch Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 04.03.2004, Az.: WV IV 5 – Az.: 47-04-17).

Hinzu kommt, dass nach den glaubhaften Angaben des Klägers im Erörterungstermin davon auszugehen ist, dass die Standkonsole xxx1, an der er gearbeitet hatte, in der Mitte einen grünleuchtenden Kompassring besaß. Es kann kein Zweifel bestehen, dass es sich hierbei um radiumhaltige Leuchtziffern handelte. Diese Behauptung des Klägers vermochte die Beigeladene auch nicht zu entkräften. Sie stützt sich für ihren gegenteiligen Vortrag, dass nämlich an den Sichtgeräten für T-80 und T-13 keine radiumhaltige Leuchtfarbe verwendet wurde, lediglich auf Untersuchungen der britischen Armee, die z.B. in Museen durchgeführt wurden. Für den Bereich der Bundeswehr liegen keine derartigen Untersuchungen vor, da sämtliche Radaranlagen T-80 und T-13 - dies wurde im Erörterungstermin ebenfalls erwähnt - mittlerweile ausgemustert und verschrottet wurden.

Damit ergibt sich folgendes Bild: Selbst wenn man von der Festlegung der Personendosis ausgeht, die die Beigeladene bzgl. radioaktiver Leuchtfarbe ermittelt hat, nämlich für das rote Knochenmark (Bereich Sternum) 19 mSv und für das rote Knochenmark (Bereich Becken) 13 mSv (vgl. Blatt 162 f WDB-Akte), so liegen diese Werte - jedenfalls für den Bereich des Sternums - nur knapp unterhalb der sogenannten Wahrscheinlichkeitsuntergrenze (siehe BdR, S. 128), die bei akuten Leukämien bei einer Organdosis von 0,02 Sv liegt. Unterhalb dieser Grenze ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und einer akuten Leukämie unwahrscheinlich. Zwar ist der Wert von 0,02 Sv (entspricht 20 mSv) nach der Berechnung der Beigeladenen nicht erreicht.

Berücksichtigt man aber zusätzlich noch die Strahlenbelastung, welcher der Kläger durch seine qualifizierte Tätigkeit als Radaroperator ausgesetzt war, so ist von einer weitaus höheren Personendosis auszugehen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Gesundheitsstörung "Haarzellleukämie" im Falle des Klägers sind damit gegeben.

Anders verhält sich die Situation jedoch im Hinblick auf die Gesundheitsstörung "Augenkatarakt beidseitig". Soweit der Kläger mit seiner Klage die Feststellung begehrt, diese Gesundheitsstörung als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen, erweist sich die Klage als unbegründet.

Zu einer Trübung der Augenlinse (Katarakt) kann es kommen, wenn jemand einer zu hohen HF-Strahlung (Hochfrequenzstrahlung) ausgesetzt ist, und zwar durch die damit verbundene Wärmewirkung. Grundsätzlich erfüllt der Kläger die von der Radarkommission vorgeschlagenen Kriterien, da er - wie ausgeführt wurde - eine qualifizierte Tätigkeit als Radaroperator ausgeübt hatte (vgl. BdR S. 138). Im vorliegenden Fall ist gleichwohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen HF-Strahlung und Augenkatarakt auszuschließen. Die Katarakterkrankung war 1996 beim Kläger aufgetreten, 23 Jahre nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits sein 59. Lebensjahr erreicht. Die vorliegenden medizinischen Befunde sprechen dagegen, dass es sich um eine Linsentrübung aufgrund von HF-Strahlung handelt.

Den medizinischen Unterlagen der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden aus dem Jahre 1996 lässt sich entnehmen, dass bzgl. des linken Auges die Diagnose eines "myopisierenden Kernkatarakts" gestellt worden war (Blatt 260 WDB-Akte). Damit steht fest, dass es sich um die am häufigsten auftretende Form des sog. Altersstars handelte. Ein Zusammenhang mit Strahleneinwirkung ist nicht ersichtlich.

Gleiches gilt bzgl. des rechten Auges (Operation 2002). Aus dem Befundbericht des Augenarztes Dr. F. vom 15.08.2009 ergibt sich, dass auch insoweit kein Anhalt für eine Linsentrübung aufgrund ionisierender oder Infrarot-Strahlung vorlag (Blatt 151 WDB-Akte).

Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht scheiden nach der Katarakt-Operation aus. Auch dem Kläger war in der HSK mitgeteilt worden, dass nach erfolgter Operation kein Arzt mehr sagen könne, ob es sich um einen Strahlenschaden oder um eine Alterskatarakt handelt (vgl. Protokoll der nicht-öffentlichen Sitzung vom 25.03.2014, Blatt 164 Gerichtsakte).

Nach alledem war - wie aus dem Tenor ersichtlich - zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, Abs. 4, § 184 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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