Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 427/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 gegen den Bescheid vom 19.05.2017 wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Aufhebung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab 21.04.2017.
Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin ist r. Staatsangehörige und lebt seit 09.09.2015 in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 21.04.2017 lebte sie in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann Q. L. (geb. 00.00.0000) und ihren Kindern B. L. (geb. 00.00.0000) und Q. L. (geb. 00.00.0000). Der Ehemann war bereits im Mai 2015 in die Bundesrepublik eingereist und stand zunächst in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens wurde das Arbeitsverhältnis des Ehemanns zum 31.12.2016 arbeitgeberseits gekündigt. Zum 21.04.2017 ist der Ehemann, welcher wie die Antragstellerin und die Kinder die r. Staatsangehörigkeit inne hat, zurück in die R. ausgereist. Die Eheleute haben sich getrennt. Der Ehemann der Antragstellerin hat nicht die Absicht erneut in die Bundesrepublik einzureisen. Seither lebt die Antragstellerin mit ihren Kindern unter der im Rubrum angegebenen Anschrift. Mit Bescheid vom 17.03.2017 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.04.2017 bis 31.10.2017. Dabei berücksichtigte er ein Einkommen des Ehemanns der Antragstellerin in Höhe von 897,00 EUR (Arbeitslosgengeld I) sowie jeweils 192,00 EUR Kindergeld. Der Sohn der Antragstellerin bezieht weiter Pflegegeld in Höhe von 728,00 EUR (Pflegegrad 4), welches der Antragsgegner nicht als Einkommen anrechnete. Mit Schreiben vom 27.04.2017 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass ihr Ehemann ausgereist sei und bat um Neuberechnung der Leistungen. Mit Bescheid vom 19.05.2017 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 17.03.2017 für Zeiträume ab 21.04.2017 auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Ehemann in die R. ausgereist sei und bei der Antragstellerin ein Arbeitnehmerstatus nicht gegeben sei. Gegen den Bescheid vom 19.05.2017 legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.05.2017, welches am 24.05.2017 einging, Widerspruch ein. Eine Begründung steht noch aus.
Am 02.06.2017 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz beim Sozialgericht Aachen gestellt. Sie hat mitgeteilt, dass die Antragstellerin ihre Ehe als gescheitert ansehe. Die Tochter B. besuche die erste Klasse der Grundschule. Ihr sei bewusst, dass sie eine Arbeitsstelle annehmen müsse. Sie bewerbe sich bereits. Der Antragsgegner müsste unter Berücksichtigung von Pflege- und Kindergeld jedenfalls den Regelbedarf weiterzahlen.
Der Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 gegen den Bescheid vom 19.05.2017 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, dass die Leistungsgewährung aufzuheben war, da die Antragstellerin und ihre Kinder nicht über einen Arbeitnehmerstatus verfügen. Eine Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II komme nicht in Betracht, gegebenenfalls müsse eine Zuständigkeit der Stadt B. geprüft werden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II. Soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs für den Aufhebungszeitraum 21.04.2017 bis 31.05.2017 begehrt wird, ist der Antrag unzulässig. Wie dem Bescheid vom 19.05.2017 entnommen werden kann, wird für diesen Zeitraum ein gesonderter Bescheid hinsichtlich einer etwaigen Rückforderung ergehen. Einen solchen Bescheid hat der Antragsgegner im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erlassen. Damit ist die Antragstellerin für Zeiträume bis 31.05.2017 keinen Vollzugsfolgen des Bescheids vom 19.05.2017 ausgesetzt. Für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 fehlt es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Für Zeiträume ab 01.06.2017 ist der Antrag zulässig, aber unbegründet, denn die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen nicht vor. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 86 a Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung haben. Ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.05.2017 hat nach der Bestimmung des § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Danach haben unter anderem Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht hat in diesen Fällen nach freiem Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden. Dabei ist die aufschiebende Wirkung in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, vorerst von der belastenden Wirkung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben überwiegt und die Behörde keine Umständen darlegt, die ein vorrangiges Interesse der Allgemeinheit an einem sofortigen Vollzug begründen könnten (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 86 b, Rn. 12; Landesozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2006, Az. L 9 B 5/06 AS ER). Zu berücksichtigen sind im Rahmen der Interessenabwägung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen überwiegendem Aufschubinteresse ist immer dann vorzunehmen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen immer dann vor, wenn im Hauptsacheverfahren nach summarischer Prüfung ein Erfolg des Antragsteller wahrscheinlicher erscheint als ein Misserfolg (Landesozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.2006, Az. L 19 B 15/06 AS ER).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kommt im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht. Es erscheint dem Gericht nach Vornahme einer summarischen Prüfung nicht wahrscheinlicher, dass die Antragstellerin in der Hauptsache obsiegen wird, weshalb nicht von einem übergeordneten Interesse der Antragstellerin ausgegangen werden kann.
Nach summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner zur Aufhebung des Bewilligungsbescheids nach der Regelung des § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) berechtigt war. Demnach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Mit dem dauerhaften Auszug des Ehemanns der Antragstellerin in die R. ist eine solche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Seither ist die Antragstellerin nach der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung vom 22.12.2016) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist. Danach haben diejenigen keinen Anspruch auf Leistungen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt oder die ihr Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, die durch die Verordnung EU 2016/589 (ABl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1), im Folgenden VO (EU) Nr. 492/2011) geändert worden ist, ableiten. Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik keine Arbeit aufgenommen, so dass ihr selbst kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizüg Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) zustehen kann. Bis zu dessen Ausreise ergab sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin als Familienangehörige ihres Ehemanns, welcher nach der Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU aufenthaltsberechtigt war. Bis 31.12.2016 war der Ehemann der Antragstellerin Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU. Im Anschluss bestand bei dem Ehemann eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit, welche ihm eine Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU vermittelt hat. Dieses erstreckte sich nach § 3 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU auch auf die Antragstellerin und ihre Kinder als Familienangehörige. Nachdem der Ehemann der Antragstellerin das Bundesgebiet ohne Rückkehrwillen verlassen hatte, ist dieses Aufenthaltsrecht erloschen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des § 3 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU, welcher daran anknüpft, dass Familienangehörige den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Ein vom Ehemann abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Herstellung eines gemeinsamen Familienlebens ist nach dessen Ausreise ausgeschlossen, so dass der Regelungszweck der Norm nicht mehr erreicht werden kann.
Der Tochter der Antragstellerin dürfte zwar auf Grund des Besuchs der ersten Klasse der Grundschule ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 zustehen. Nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Dieses - historisch an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat anknüpfende - Ausbildungsrecht des Kindes setzt voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte. Der Erwerb des Ausbildungsrechts ist an den Status als Kind eines Arbeitnehmers gebunden. Das Ausbildungsrecht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 impliziert gleichzeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 03.12.2015, Az. B 4 AS 43/15 R; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017, Az. L 19 AS 190/17B; Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 13.01.2017, Az. S 31 AS 321/16 ER). Von diesem Aufenthaltsrecht ihrer Tochter B. kann die Antragstellerin als Familienangehörige ein eigenes Aufenthaltsrecht auf Grundlage der Regelung des Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 ableiten. Der Umstand, dass der Aufenthalt nur auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 gestützt werden kann, führt nach der vorliegend anwendbaren Fassung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c SGB II zum Leistungsausschluss. Die Kammer teilt die teilweise vorgebrachten europarechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss nicht (so auch Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 26.01.2017, Az. S 53 AS 5732/16, a. A. Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 13.01.2017, Az. S 31 AS 321/17 ER und Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2017, Az. L 6 AS 11/17 B ER). Das Gericht hält bei summarischer Prüfung die Ausführungen der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 18/10211, Seite 13) für tragfähig. Dort heißt es:
"Der Leistungsausschluss gilt damit sowohl für erwerbsfähige Schülerinnen und Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienangehörigen. Die Regelung ist im Einklang mit der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzungen von Leistungen ausgeschlossen werden dürfen. Diese Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie liefen ins Leere, wenn sie für Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind und nicht mehr von der Nachwirkungsfiktion des § 2 Absatz 3 FreizügG/EU erfasst werden, nicht mehr gelten, wenn und solange diese schulpflichtige Kinder haben."
Demnach ist von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c SGB II auszugehen. Der Bescheid vom 19.05.2017 ist nicht offensichtlich rechtswidrig, so dass dem öffentlichen Vollzugsinteresse Vorrang gebührt.
Das Gericht konnte weiterhin von der Beiladung der Stadt B. als zuständigem Träger der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) absehen. Sofern man das Begehren der Antragstellerin hilfsweise dahingehend auslegt, die Stadt B. im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ab 01.06.2017 zu verpflichten, bestehen ebenfalls keine Erfolgsaussichten. Die Antragstellerin ist nach der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen. Europarechtliche Bedenken hat das Gericht auch in diesem Zusammenhang nicht (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017, Az. L 19 AS 190/17 B). Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII oder die Übernahme der Kosten für die Rückreise nach § 23 Abs. 3a SGB XII hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht und waren daher auch nicht zu prüfen.
Daher war der Antrag insgesamt abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 73 a SGG, 114 ZPO hat, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Aufhebung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab 21.04.2017.
Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin ist r. Staatsangehörige und lebt seit 09.09.2015 in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 21.04.2017 lebte sie in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann Q. L. (geb. 00.00.0000) und ihren Kindern B. L. (geb. 00.00.0000) und Q. L. (geb. 00.00.0000). Der Ehemann war bereits im Mai 2015 in die Bundesrepublik eingereist und stand zunächst in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens wurde das Arbeitsverhältnis des Ehemanns zum 31.12.2016 arbeitgeberseits gekündigt. Zum 21.04.2017 ist der Ehemann, welcher wie die Antragstellerin und die Kinder die r. Staatsangehörigkeit inne hat, zurück in die R. ausgereist. Die Eheleute haben sich getrennt. Der Ehemann der Antragstellerin hat nicht die Absicht erneut in die Bundesrepublik einzureisen. Seither lebt die Antragstellerin mit ihren Kindern unter der im Rubrum angegebenen Anschrift. Mit Bescheid vom 17.03.2017 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.04.2017 bis 31.10.2017. Dabei berücksichtigte er ein Einkommen des Ehemanns der Antragstellerin in Höhe von 897,00 EUR (Arbeitslosgengeld I) sowie jeweils 192,00 EUR Kindergeld. Der Sohn der Antragstellerin bezieht weiter Pflegegeld in Höhe von 728,00 EUR (Pflegegrad 4), welches der Antragsgegner nicht als Einkommen anrechnete. Mit Schreiben vom 27.04.2017 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass ihr Ehemann ausgereist sei und bat um Neuberechnung der Leistungen. Mit Bescheid vom 19.05.2017 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 17.03.2017 für Zeiträume ab 21.04.2017 auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Ehemann in die R. ausgereist sei und bei der Antragstellerin ein Arbeitnehmerstatus nicht gegeben sei. Gegen den Bescheid vom 19.05.2017 legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.05.2017, welches am 24.05.2017 einging, Widerspruch ein. Eine Begründung steht noch aus.
Am 02.06.2017 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz beim Sozialgericht Aachen gestellt. Sie hat mitgeteilt, dass die Antragstellerin ihre Ehe als gescheitert ansehe. Die Tochter B. besuche die erste Klasse der Grundschule. Ihr sei bewusst, dass sie eine Arbeitsstelle annehmen müsse. Sie bewerbe sich bereits. Der Antragsgegner müsste unter Berücksichtigung von Pflege- und Kindergeld jedenfalls den Regelbedarf weiterzahlen.
Der Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 gegen den Bescheid vom 19.05.2017 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, dass die Leistungsgewährung aufzuheben war, da die Antragstellerin und ihre Kinder nicht über einen Arbeitnehmerstatus verfügen. Eine Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II komme nicht in Betracht, gegebenenfalls müsse eine Zuständigkeit der Stadt B. geprüft werden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II. Soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs für den Aufhebungszeitraum 21.04.2017 bis 31.05.2017 begehrt wird, ist der Antrag unzulässig. Wie dem Bescheid vom 19.05.2017 entnommen werden kann, wird für diesen Zeitraum ein gesonderter Bescheid hinsichtlich einer etwaigen Rückforderung ergehen. Einen solchen Bescheid hat der Antragsgegner im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erlassen. Damit ist die Antragstellerin für Zeiträume bis 31.05.2017 keinen Vollzugsfolgen des Bescheids vom 19.05.2017 ausgesetzt. Für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 fehlt es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Für Zeiträume ab 01.06.2017 ist der Antrag zulässig, aber unbegründet, denn die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegen nicht vor. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 86 a Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung haben. Ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.05.2017 hat nach der Bestimmung des § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Danach haben unter anderem Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht hat in diesen Fällen nach freiem Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden. Dabei ist die aufschiebende Wirkung in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, vorerst von der belastenden Wirkung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben überwiegt und die Behörde keine Umständen darlegt, die ein vorrangiges Interesse der Allgemeinheit an einem sofortigen Vollzug begründen könnten (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 86 b, Rn. 12; Landesozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2006, Az. L 9 B 5/06 AS ER). Zu berücksichtigen sind im Rahmen der Interessenabwägung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen überwiegendem Aufschubinteresse ist immer dann vorzunehmen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen immer dann vor, wenn im Hauptsacheverfahren nach summarischer Prüfung ein Erfolg des Antragsteller wahrscheinlicher erscheint als ein Misserfolg (Landesozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.2006, Az. L 19 B 15/06 AS ER).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kommt im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht. Es erscheint dem Gericht nach Vornahme einer summarischen Prüfung nicht wahrscheinlicher, dass die Antragstellerin in der Hauptsache obsiegen wird, weshalb nicht von einem übergeordneten Interesse der Antragstellerin ausgegangen werden kann.
Nach summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner zur Aufhebung des Bewilligungsbescheids nach der Regelung des § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) berechtigt war. Demnach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Mit dem dauerhaften Auszug des Ehemanns der Antragstellerin in die R. ist eine solche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Seither ist die Antragstellerin nach der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung vom 22.12.2016) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist. Danach haben diejenigen keinen Anspruch auf Leistungen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt oder die ihr Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, die durch die Verordnung EU 2016/589 (ABl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1), im Folgenden VO (EU) Nr. 492/2011) geändert worden ist, ableiten. Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik keine Arbeit aufgenommen, so dass ihr selbst kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizüg Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) zustehen kann. Bis zu dessen Ausreise ergab sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin als Familienangehörige ihres Ehemanns, welcher nach der Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU aufenthaltsberechtigt war. Bis 31.12.2016 war der Ehemann der Antragstellerin Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU. Im Anschluss bestand bei dem Ehemann eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit, welche ihm eine Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU vermittelt hat. Dieses erstreckte sich nach § 3 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU auch auf die Antragstellerin und ihre Kinder als Familienangehörige. Nachdem der Ehemann der Antragstellerin das Bundesgebiet ohne Rückkehrwillen verlassen hatte, ist dieses Aufenthaltsrecht erloschen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des § 3 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU, welcher daran anknüpft, dass Familienangehörige den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Ein vom Ehemann abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Herstellung eines gemeinsamen Familienlebens ist nach dessen Ausreise ausgeschlossen, so dass der Regelungszweck der Norm nicht mehr erreicht werden kann.
Der Tochter der Antragstellerin dürfte zwar auf Grund des Besuchs der ersten Klasse der Grundschule ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 zustehen. Nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Dieses - historisch an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat anknüpfende - Ausbildungsrecht des Kindes setzt voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte. Der Erwerb des Ausbildungsrechts ist an den Status als Kind eines Arbeitnehmers gebunden. Das Ausbildungsrecht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 impliziert gleichzeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 03.12.2015, Az. B 4 AS 43/15 R; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017, Az. L 19 AS 190/17B; Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 13.01.2017, Az. S 31 AS 321/16 ER). Von diesem Aufenthaltsrecht ihrer Tochter B. kann die Antragstellerin als Familienangehörige ein eigenes Aufenthaltsrecht auf Grundlage der Regelung des Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 ableiten. Der Umstand, dass der Aufenthalt nur auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 gestützt werden kann, führt nach der vorliegend anwendbaren Fassung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c SGB II zum Leistungsausschluss. Die Kammer teilt die teilweise vorgebrachten europarechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss nicht (so auch Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 26.01.2017, Az. S 53 AS 5732/16, a. A. Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 13.01.2017, Az. S 31 AS 321/17 ER und Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2017, Az. L 6 AS 11/17 B ER). Das Gericht hält bei summarischer Prüfung die Ausführungen der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 18/10211, Seite 13) für tragfähig. Dort heißt es:
"Der Leistungsausschluss gilt damit sowohl für erwerbsfähige Schülerinnen und Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienangehörigen. Die Regelung ist im Einklang mit der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzungen von Leistungen ausgeschlossen werden dürfen. Diese Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie liefen ins Leere, wenn sie für Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind und nicht mehr von der Nachwirkungsfiktion des § 2 Absatz 3 FreizügG/EU erfasst werden, nicht mehr gelten, wenn und solange diese schulpflichtige Kinder haben."
Demnach ist von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c SGB II auszugehen. Der Bescheid vom 19.05.2017 ist nicht offensichtlich rechtswidrig, so dass dem öffentlichen Vollzugsinteresse Vorrang gebührt.
Das Gericht konnte weiterhin von der Beiladung der Stadt B. als zuständigem Träger der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) absehen. Sofern man das Begehren der Antragstellerin hilfsweise dahingehend auslegt, die Stadt B. im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ab 01.06.2017 zu verpflichten, bestehen ebenfalls keine Erfolgsaussichten. Die Antragstellerin ist nach der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen. Europarechtliche Bedenken hat das Gericht auch in diesem Zusammenhang nicht (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017, Az. L 19 AS 190/17 B). Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII oder die Übernahme der Kosten für die Rückreise nach § 23 Abs. 3a SGB XII hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht und waren daher auch nicht zu prüfen.
Daher war der Antrag insgesamt abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 73 a SGG, 114 ZPO hat, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.
Rechtskraft
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