S 81 KR 1075/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1075/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 37/18 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V, wonach die Krankenkasse Versicherte, die sich eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben, in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen hat, ist verfassungsgemäß (Anschluss an SG Berlin, Urteil vom 10. Dezember 2013 – S 182 KR 1747/12 –).
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Beteiligung der Klägerin an den Kosten einer Krankenhausbehandlung zur Entfernung von Brustimplantaten.

Die 1988 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie ist ledig und hat ein unterhaltsberechtigtes Kind. Ihr jährliches Bruttoeinkommen als angestellte Arbeitnehmerin betrug im Jahr 2017 60.224,78 EUR.

Im Juni 2017 unterzog sich die Klägerin einer von ihr selbst finanzierten medizinisch nicht indizierten, ästhetischen Operation zur Brustvergrößerung (Mammaugmentationsplastik). Im Oktober 2017 erfolgte wegen Wundheilungsstörungen mit Serom und einer Nahtdehiszenz ein Implantatwechsel. Diese Behandlung wurde nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt und abgerechnet. Am 15. November 2017 wurde die Klägerin wegen erneuter Komplikationen als Folge der Mammaugmentationsplastik (perforierte Mammaimplantate, Wundheilungsstörungen bei Entstehung eines Seroms und Nahtdehiszenz) als Notfall in die E.Klinik B. aufgenommen und dort vollstationär bis zum 18. November 2017 behandelt. Im Rahmen dieser Behandlung wurden unter anderem die Brustimplantate entfernt.

Die Beklagte zahlte am 19. Dezember 2017 an das Krankenhaus die Vergütung für die vollstationäre Behandlung vom 15. bis 18. November 2017 in Höhe des auf der Grundlage der einschlägigen Fallpauschale (DRG J24B) abgerechneten Betrages von insgesamt 4.589,80 EUR.

Nach erfolgter Anhörung und Befragung der Klägerin zu ihren Einkommensverhältnissen forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 12. März 2018 für die vorgenannte Krankenhausbehandlung eine Eigenbeteiligung in Höhe von 2.294,90 EUR. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2018 zurück. Zur Begründung berief sich die Beklagte auf § 52 Abs. 2 SGB V. Die durchgeführte Brustimplantatentfernung stelle eine notwendige Folgebehandlung einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation da, an deren Kosten die Klägerin in angemessener Höhe zu beteiligen sei. Den ihr hinsichtlich des konkreten Umfangs der Eigenbeteiligung zustehenden Ermessensspielraum nutze die Beklagte dahingehend, dass sie bei der Höhe der Kostenbeteiligung neben der Höhe der Leistungsaufwendungen auch die finanziellen Verhältnisse und gegebenenfalls Unterhaltsverpflichtungen der Klägerin berücksichtige. Nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen trage grundsätzlich eine hälftige Kostenbeteiligung dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, was sich aus anderen gesetzlichen Regelungen, etwa im Hinblick auf die Beteiligung an Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, ableiten lasse. Um die Angemessenheit zu gewährleisten, sei zudem die individuelle finanzielle Belastbarkeit der Versicherten zu berücksichtigen und der Eigenanteil auf eine dem Versicherten zumutbare Belastung zu begrenzen. Die Ermittlung des maximal zumutbaren Selbstbehalts erfolge in analoger Anwendung des § 33 Abs. 3 EStG. Wenn der danach berechnete prozentuale Anteil der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der Klägerin einen geringeren Wert gegenüber dem 50-prozentigen Kostenanteil ergebe, beschränke sich der zumutbare Selbstbehalt auf diesen Einkommensbruchteil. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin nachgewiesenen Einkünfte ergebe sich danach vorliegend ein zumutbarer Eigenanteil von 2.408,99 EUR (4 Prozent von 60.224,78 EUR). Diese individuelle Belastungsgrenze überschreite der geforderte Betrag von 2.294,90 EUR nicht.

Am 25. Juni 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, weil die zu Grunde liegende gesetzliche Ermächtigung in § 52 Abs. 2 SGB V gegen Art. 2 und 3 GG verstoße und damit verfassungswidrig sei. Soweit die 182. Kammer des Sozialgerichts Berlin in dem Urteil vom 10. Dezember 2013 (S 182 KR 1747/12) die Verfassungsmäßigkeit bejaht habe, habe es einen Verstoß gegen Art. 3 GG nur unzureichend geprüft. Es habe schon eine unzureichende Vergleichsgruppe gebildet, indem es insbesondere Menschen, die sich eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder Vergehen zugezogen haben sowie Personen, die sich anderweitig bewusst besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt haben, wie beispielsweise Drogenkonsumenten (einschließlich des Konsums von Alkohol, Tabak und Zucker), Extremsportler, viele Wissenschaftler und Forscher (z.B. Astronauten), aber auch Radiologen, nicht in die Vergleichsbetrachtung einbezogen habe. Es sei völlig willkürlich, ausgerechnet die vergleichsweise winzige Gruppe der Personen mit Schönheitsoperationen, Piercings oder Tattoos herauszugreifen und die anderen Gruppen nicht an den deutlich höheren Kosten der von ihnen praktizierten riskanten Lebensführung zu beteiligen. Es liege auch eine geschlechtsspezifische Diskriminierung vor, weil Schönheitsoperationen mit Blick auf ein gesellschaftlich anerkanntes Schönheitsideal immer noch ganz überwiegend von Frauen in Anspruch genommen würden. Diese Diskriminierung werde noch dadurch verstärkt, dass andere reine Schönheitsbehandlungen, die alle Versicherten gleichermaßen beträfen, wie etwa die kieferorthopädische Behandlung im Kindesalter wegen Zahnfehlstellungen ohne erkennbaren medizinischen Nutzen, vollständig von den Krankenkassen finanziert würden. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass § 52 Abs. 1 SGB V den Krankenkassen bei einer vorsätzlich herbeigeführten Eigenschädigung ein Ermessen einräume, während es sich im Rahmen des § 52 Abs. 2 SGB V auch bei einem schicksalhaften Verlauf, den niemand so vorhersehen könne, um eine gebundene Entscheidung handele. Vor dem Hintergrund, dass gerade Jugendliche sich piercen und tätowieren ließen, habe die Regelung für diese quasi einen Strafcharakter, der Art. 2 und 3 GG zuwiderlaufe. Schließlich verstoße § 52 Abs. 2 SGB V auch gegen die durch Art. 2 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit, indem ein besonderes, gesellschaftlich voll akzeptiertes (sozialadäquates) Verhalten sanktioniert werde.

Die Klägerin regt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG an und beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 12. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht.

Der angefochtene Bescheid findet seine rechtliche Grundlage in § 52 Abs. 2, 1. Fall SGB V. Danach hat die Krankenkasse Versicherte, die sich eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben, in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen hier vor (dazu unter 1.). Die Beklagte hat das ihr hinsichtlich der Höhe der Eigenbeteiligung zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt (dazu unter 2.). § 52 Abs. 2 SGB V ist auch verfassungsgemäß (dazu unter 3.).

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 2 SGB V sind erfüllt, was zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig ist. Die Klägerin war bzw. ist aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Sie hat sich mit der von ihr selbst finanzierten Mammaaugmentationsplastik im Juni 2017 einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation unterzogen. Es handelte sich dabei insbesondere nicht um eine medizinisch indizierte rekonstruktive Maßnahme, etwa nach einer Tumorerkrankung oder einem Unfall, sondern um einen rein kosmetischen Eingriff (vgl. dazu auch SG Berlin, Urteil vom 10. Dezember 2013 – S 182 KR 1747/12 –, juris Rn. 33). Auf die (umstrittene) Frage, ob es sich bei den in § 52 Abs. 2 SGB V geregelten Fällen um eine abschließende Aufzählung handelt (siehe dazu Reyels, jurisPK-SGB V, § 52 Rn. 113 m.w.N.) kommt es vorliegend nicht an.

Durch diese nicht indizierte und der Klägerin individuell zurechenbare (vgl. Reyels, jurisPK-SGB V, § 52 Rn. 110 m.w.N.) ästhetische Operation hat sich die Klägerin eine behandlungsbedürftige Krankheit, nämlich perforierte Mammaimplantate, Wundheilungsstörungen bei Entstehung eines Seroms sowie eine Nahtdehiszenz, zugezogen. Die ästhetische Operation war wesentliche Ursache (vgl. zu diesem Maßstab Reyels, a.a.O., Rn. 111) der Kapselfibrose. Diese machte eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 15. bis 18. November 2017 erforderlich, in deren Rahmen die Brustimplantate entfernt wurden. Hierfür sind der Beklagten Kosten in der vom Krankenhaus sachlich-rechnerisch zutreffend abgerechneten und von der Beklagten gezahlten Höhe von 4.589,80 EUR entstanden.

2. Die Klägerin war gemäß § 52 Abs. 2 SGB V in angemessener Höhe an diesen Kosten der Krankenhausbehandlung zu beteiligen. Die Vorschrift räumt der Krankenkasse hinsichtlich der Höhe, nicht aber hinsichtlich des "Ob", ein Ermessen ein (h.M., siehe SG Berlin, a.a.O., Rn. 38 m.w.N.; Reyels, a.a.O., Rn. 126 ff.).

Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und entsprechend dem Zweck der Ermächtigung fehlerfrei ausgeübt. Sie ist hierbei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von den in einem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen (Niederschrift über die Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Leistungsrecht am 22./23. Januar 2008) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat in Anlehnung u.a. an § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V grundsätzlich eine 50-prozentige Kostenbeteiligung als angemessen angesehen, jedoch begrenzt auf die in § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz geregelte Zumutbarkeitsgrenze. Dagegen ist rechtlich nichts einzuwenden (siehe dazu eingehend SG Berlin, a.a.O., Rn. 40 ff.).

3. § 52 Abs. 2 SGB V ist auch verfassungsgemäß. Anlass für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG besteht insofern nicht.

a) Die Vorschrift verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (siehe hierzu und zum Folgenden BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 1 BvR 69/09 –, juris Rn. 9 ff., m. umfangr. Nachw.). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss, bei dem eine Begünstigung dem einen Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungs-, insbesondere des Krankenversicherungsrechts, ein weiter Gestaltungsspielraum zuzugestehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 – 2 BvF 2/01 –, BVerfGE 113, 167 ff., juris Rn. 139 m.w.N.). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen – wie insbesondere im Sozialrecht – ist er berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 1 BvR 100/15 –, juris Rn. 15 m.w.N.).

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitsgebots genügt die Regelung in § 52 Abs. 2 SGB V.

Die Kammer verweist zur Vermeidung bloßer Wiederholungen (auch) insoweit zunächst auf die seitens der Klägerin selbst angeführte Entscheidung der 182. Kammer des Sozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 2013 (S 182 KR 174712, juris Rn. 47 ff.). Darin wird unter eingehender Auseinandersetzung mit der Literatur geübten verfassungsrechtlichen Kritik (siehe dazu auch Reyels, a.a.O., Rn. 113 mit Fn. 233) ausführlich und für die Kammer in jeder Hinsicht überzeugend begründet, dass und warum § 52 Abs. 2 SGB V vor dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot Bestand hat.

Zusammenfassend und ergänzend in Bezug auf die weiteren von der Klägerin und in der Literatur geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände ist lediglich noch Folgendes auszuführen:

(1) Der Gesetzgeber hat mit dem Herausgreifen der ästhetischen Operation, der Tätowierung und dem Piercing nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Für die insoweit bestehende Ungleichbehandlung existiert ein sachlicher Grund. Bei der ästhetischen Operation, der Tätowierung und dem Piercing handelt es sich um die am häufigsten vorkommenden Erscheinungsformen der Körpermodifikation. Andere mögliche und hiermit vergleichbare Eingriffe, wie etwa das Hinzufügen von Gewebeschnitten (cutting), verzierenden Brandnarben (branding), Zungenspaltungen (tongue cutting), subkutane Implantate (subdermals) oder extreme Gewebedehnungen stellen – nach wie vor – kleinere und damit finanziell für die gesetzliche Krankenversicherung nicht so bedeutsame Randerscheinungen dar und konnten vom Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungs- und Pauschalierungsspielraums ohne Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz außer Betracht gelassen werden, ihn trifft insofern allenfalls eine Beobachtungs- und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht (so zutr. SG Berlin, a.a.O., Rn. 50; Janda, GuP 2015, 22, 30; Kemmler, NZS 2014, 520, 526.; a.A. u.a. Bernzen, MedR 2008, 549, 550 f., 553; Prehn, NZS 2010, 260, 264 f.; kritisch auch Welti, GesR 2015, 1, 7 f.).

(2) Gleichheitsrechtliche Bedenken bestehen auch nicht im Hinblick darauf, dass den Krankenkassen hinsichtlich der Kostenbeteiligung in den Fällen des § 52 Abs. 1 SGB V ein Entschließungsermessen eingeräumt ist, während § 52 Abs. 2 SGB V insoweit eine gebundene Entscheidung vorsieht. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 sind viel weiter gefasst und erfassen sehr vielfältige Fallgestaltungen, in denen eine Kostenbeteiligung im Einzelfall unangemessen sein kein. § 52 Abs. 2 SGB V knüpft demgegenüber an drei klar abgrenzbare Erscheinungsformen der Körpermodifikation an (SG Berlin, a.a.O., Rn. 52). Rechtsgrund für die Eigenbeteiligung ist hier überdies – anders als bei Abs. 1 – nicht ein als solidarwidrig angesehenes Verhalten, sondern, dass die durch ästhetische Operationen, Tattoos und Piercings begründeten gesundheitlichen Risiken auf einem eigenen Entschluss beruhen, den Körper durch einen allein ästhetischen Zwecken dienenden Eingriff gezielt in dessen Substanz zu verändern. Sie werden (allein) aus diesem Grund teilweise der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 SGB V) zugerechnet (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 87, 108; eingehend Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter unter besonderer Berücksichtigung der Risiken wunscherfüllender Medizin, Diss. 2014, S. 258 ff., 318 f.; ferner Janda, GuP 2015, 22, 30).

(3) Auch die Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die sich anderweitig bewusst besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt haben, etwa durch den Konsum von Drogen, ungesunde Ernährung oder Extremsport (vgl. zur Kritik insoweit auch Welti, GesR 2015, 1, 7 f.), ist mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sachlich gerechtfertigt. Im Unterschied zu dem "abstrakten" Verhalten bei sogenannter risikobehafteter Lebensführung knüpft § 52 Abs. 2 SGB V an konkrete Handlungen an, die individuell zurechenbar sind (Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand 09/14, § 52 Rn. 11). Die hieraus resultierenden Gesundheitsrisiken sind im Unterschied zu anderen Gesundheitsrisiken nicht durch die Wechselfälle des Lebens oder die allgemeine Lebensführung der Versicherten begründet, sondern durch den gezielten Entschluss, den eigenen Körper als das in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Gut gezielt zu verändern und sich damit besonderen gesundheitlichen Risiken auszusetzen (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 108). Sie haben insofern eine andere Qualität als andere verhaltensbedingte Gesundheitsrisiken (Süß, a.a.O., S. 314 f.). Das Eingehen solcher Risiken kann gegebenenfalls von § 52 Abs. 1 SGB V erfasst sein, wenn sich im Einzelfall ein (Selbst-)Schädigungsvorsatz nachweisen lässt (siehe dazu Noftz, a.a.O., Rn. 22).

b) § 52 Abs. 2 SGB V verstößt weder gegen das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 1. Fall GG verankerte Verbot der Geschlechterdiskriminierung noch gegen das besondere Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 Abs. 2 GG.

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Eine Anknüpfung an das Geschlecht kann auch vorliegen, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung im Ergebnis überwiegend Angehörige eines Geschlechts, etwa Frauen, betrifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist. Art. 3 Abs. 2 GG gebietet darüber hinaus nicht nur, Rechtsnormen zu beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale knüpfen, sondern zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen. Dies stellt Satz 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ausdrücklich klar (BVerfG, Urteil vom 30. Januar 2002 – 1 BvL 23/96 –, juris Rn. 69 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird § 52 Abs. 2 SGB V gerecht. Die Regelung gilt geschlechtsneutral für jedermann und knüpft allein an ein individuell zurechenbares und steuerbares Verhalten an, das Gesundheitsrisiken begründet, die nach dem Willen des Gesetzgebers teilweise dem Bereich der Eigenverantwortung zuzurechnen sind und deshalb nicht in vollem Umfang von der Versichertengemeinschaft getragen werden sollen.

Die Klägerin sieht eine faktische Geschlechterdiskriminierung darin, dass Schönheitsoperationen noch immer ganz überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werden, die häufig einem gesellschaftlich in höchstem Maße anerkannten Schönheitsideal (großer straffer Busen, schlank, faltenlose Haut, ewig jugendliches Aussehen) entsprechen wollen. Ungeachtet des Umstandes, ob dies in der Sache zutreffend ist (was mit Blick auf höchst unterschiedliche Schönheitsideale durchaus zweifelhaft erscheint), gründet sich diese vermeintliche Ungleichbehandlung aber nicht auf eine nachteilige Situation von Frauen, sondern auf vorfindliche Einstellungen. Es ist aber gerade im Lichte des Gebotes des Art. 3 Abs. 2 GG, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, verfassungsrechtlich nicht gefordert, solche vorfindlichen Einstellungen zu verfestigen oder gar zu fördern.

Sofern die Klägerin in diesem Zusammenhang meint, der Gesetzgeber fördere an anderer Stelle sogar explizit reine Schönheitsoperationen und hierbei die Regelungen über die kieferorthopädische Behandlung insbesondere bei Kindern und Jugendlichen (§ 28 Abs. 2 Sätze 6 und 7, § 29 SGB V) in den Blick nimmt, ist dies nicht nachvollziehbar. Denn nach der insofern eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 1 SGB V besteht ein Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung nur in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Nach § 29 Abs. 4 Satz 1 SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen vorliegen. Damit, und mit der engen Begrenzung des Anspruchs auf kieferorthopädische Behandlung im Erwachsenenalter verfolgt der Gesetzgeber gerade das Ziel, allein ästhetischen Zwecken dienende kieferorthopädische Behandlungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen (vgl. BT-Drs. 12/3608, S. 79; und dazu BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RK 11/97, juris Rn. 20). Ob die auf der Grundlage des § 29 Abs. 4 SGB V erlassenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (noch) den gesetzlichen Vorgaben entsprechen oder ob dieser im Hinblick auf neuere Studien möglicherweise seine Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten verletzt hat, kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben. Eine tatsächliche oder faktische Geschlechterdiskriminierung oder eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ist mit Blick auf die eindeutigen gesetzlichen Vorgaben jedenfalls fernliegend.

c) § 52 Abs. 2 SGB V verstößt schließlich bei verfassungskonformer Auslegung auch nicht gegen die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit und das aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) hergeleitete Schuldprinzip.

aa) Sofern die Klägerin meint, eine Schönheitsoperation stelle ein sozialadäquates Verhalten dar, für das die Versichertengemeinschaft im Rahmen der (Zwangs-)Versicherung einzustehen haben müsse, kann zunächst auf die obigen Ausführungen zum allgemeinen Gleichheitssatz verwiesen werden. Rechtsgrund für die Eigenbeteiligung nach § 52 Abs. 2 SGB V ist, dass durch einen individuell zurechenbaren Eingriff in den gesunden Körper aus rein ästhetischen Gründen gesundheitliche Risiken begründet werden, die im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung als systemfremd angesehen und deshalb der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 SGB V) zugerechnet werden. Ob es sich um ein sozialadäquates Verhalten handelt, ist insofern unerheblich. Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 –, juris Rn. 58). Letzteres ist hier mit Blick auf den bewussten Entschluss, aus rein ästhetischen Gründen besondere gesundheitliche Risiken zu begründen, der Fall. Der individuellen finanzielle Belastbarkeit des Einzelnen kann im Rahmen der (Ermessens )Entscheidung über die Höhe der Eigenbeteiligung angemessen Rechnung getragen werden (Janda, GuP 2015, 22, 30; vgl. auch oben unter 2.).

bb) In der Literatur wird ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit darin gesehen, dass die in § 52 Abs. 2 SGB V angeordnete Kostenbeteiligung erst nachträglich greift, wenn sich das Gesundheitsrisiko tatsächlich verwirklicht hat, und dass sich eine vorherige Kostenbeteiligung als milderes Mittel darstellen würde (so Süß, a.a.O., S. 304 ff.). Hierbei wird jedoch verkannt, dass eine solche vorherige Kostenbeteiligung (etwa in Form eines individuellen Beitragszuschlages) einen sogar noch weitergehenden Grundrechtseingriff bedeuten würde, weil sie mangels Vorhersehbarkeit der Verwirklichung des Risikos im Einzelfall sämtliche Versicherten einbeziehen müsste, die an sich eine ästhetische Operation vornehmen lassen oder sich ein Tattoo oder Piercing zulegen. Damit würde den Versicherten die – nach aktueller Rechtslage bestehende – Freiheit genommen, unter individueller Abschätzung des sich aus dem Eingriff für sie ergebenden Risikos eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und gegebenenfalls auf welche Weise sie dieses privat absichern wollen. Das individuelle Risiko ist für die Versicherten – auch mit Blick auf die gesetzlichen Grenzen der Eigenbeteiligung nach § 52 Abs. 2 SGB V – hierbei auch individuell abschätzbar (a.A. Süß, a.a.O., S. 306 f.). Ein Beitragszuschlag würde insofern zwar ein möglicherweise gleich geeignetes, nicht aber ein milderes Mittel darstellen.

cc) Sofern die Klägerin schließlich meint, § 52 Abs. 2 SGB V begründe eine zwingende Kostenbeteiligung auch bei einem schicksalhaften Verlauf, den niemand so habe vorhersehen können und die Regelung habe vor allem für Jugendliche, die sich häufig tätowieren oder piercen ließen, quasi Strafcharakter, kann dem jedenfalls durch eine verfassungskonforme Auslegung der Regelung hinreichend Rechnung getragen werden. Denn aus dem Erfordernis, dass sich Versicherte durch die in § 52 Abs. 2 SGB V genannten Maßnahmen eine Krankheit "zugezogen" haben müssen, lässt sich auch mit Blick auf den gesetzgeberischen Zweck der Regelung (Einforderung von Eigenverantwortung wegen der durch zurechenbaren eigenen Entschluss begründeten Gesundheitsrisiken) ableiten, dass es hierfür eines individuell zurechenbaren Verhaltens bedarf, das im Sinne einer wesentlichen Bedingung die Folgekrankheit verursacht hat (SG Berlin, a.a.O., Rn. 36; Reyels, a.a.O., Rn. 110 f.; Noftz, a.a.O., Rn. 28p f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Sprungrevision folgt aus § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Kammer misst der Rechtssache im Hinblick auf die in Literatur umstrittene Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 52 Abs. 2 SGB V grundsätzliche Bedeutung bei.
Rechtskraft
Aus
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