L 1 JVEG 827/18 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 50 SF 189/18 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 827/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (hier Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen) werden ausdrücklich weder der Honorargruppe M 2 noch der Honorargruppe M 3 direkt zugewiesen. Die Zuordnung erfolgt vielmehr nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung konkreter Besonderheiten des Einzelfalles.

2. Indizien für die Annahme eines hohen Schwierigkeitsgrades im Sinne der Honorargruppe M 3 können die außergewöhnliche Fachkompetenz des Sachverständigen und der Umstand sein, dass nur wenige Sachverständige für die Begutachtung in Betracht kommen.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 7. Juni 2018 wird zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer begehrt im Rahmen der Sachverständigenentschädigung die Eingruppierung in die Honorargruppe M 3 nach § 9 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) in Verbindung mit Anlage 1 (zu § 9 Abs. 1).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha (S 50 KR 3443/15) machte die Zentralklinik B. B. GmbH von der A. die Kostenerstattung für die stationäre Behandlung einer Versicherten geltend. Mit Beweisanordnung vom 21. Juni 2017 beauftragte das Sozialgericht den Beschwerdeführer mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über die Erkrankungen der Versicherten im Zeitraum vom 9. September 2014 bis zum 11. September 2014, die erfolgten diagnostischen, therapeutischen und sonstigen medizinischen Maßnahmen während des stationären Krankenhausaufenthaltes (9. September 2014 bis zum 11. September 2014), die mit dem stationären Aufenthalt verfolgten Behandlungsziele, die Erforderlichkeit und Notwendigkeit der Behandlung sowie die Erforderlichkeit einer (voll-)stationären vor einer z.B. ambulanten Behandlung.

Der Beschwerdeführer erstellte unter dem 24. Oktober 2017 sein Sachverständigengutachten auf 10 Blatt und machte mit seiner Kostenrechnung vom 3. November 2017 eine Vergütung in Höhe von (i.H.v.) 1.028,40 Euro geltend (8,5 Stunden Zeitaufwand á 100,00 Euro zzgl. Schreibgebühren i.Hv. 13,50 Euro, Porto i.H.v. 0,70 Euro und Umsatzsteuer i.H.v. 164,20 Euro). Mit Verfügung vom 12. Dezember 2017 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütung auf 867,87 Euro (9,5 Sunden Zeitaufwand á 75,00 Euro zzgl. Schreibauslagen und Porto sowie Umsatzsteuer). Die Begutachtung sei der Honorargruppe M 2 mit einem Stundensatz von 75,00 Euro zuzuordnen; wegen der der 15-prozentigen Toleranz bei der Festsetzung des Zeitaufwandes könnten jedoch (aufgerundete) 9,5 Stunden berücksichtigt werden.

Dagegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt und vorgetragen, die gutachterliche Bewertung der Notwendigkeit und Durchführung der Prozedur 1-910 und 1-918 nach dem Prozedurenschlüssel erfordere Spezialwissen, das mit dem üblichen Facharztwissen nicht zu bewerkstelligen sei. Deshalb würden solche Gutachten nur von bestimmten Gutachtern in Deutschland erledigt. Daraus ergebe sich die Bewertung, dass es sich um ein Gutachten von hohem Schwierigkeitsgrad handele.

Mit ihrer Stellungnahme vom 20. April 2018 hat die Beschwerdegegnerin ihrerseits Erinnerung eingelegt und eine Festsetzung auf insgesamt 778,62 Euro beantragt. Die Zuordnung zur Honorargruppe sein nicht zu beanstanden. Jedoch seien nach den üblichen Erfahrungswerten nur 7,9 Stunden als Zeitablauf zu berücksichtigen. Da die vom Sachverständigen angegebene Zeit von 8,5 Stunden den nach üblichen Erfahrungswerten angenommen Zeitaufwand nicht um mehr als 15 Prozent überschreitet, seien die angegebenen 8,5 Stunden anzusetzen.

Mit Beschluss vom 7. Juni 2018 - fehlerhaft ausgefertigt mit dem Datum vom 11. Juni 2018 - hat das Sozialgericht die Vergütung auf 778,62 Euro festgesetzt. Der Zeitaufwand sei - insoweit unstreitig - mit 8,5 Stunden anzusetzen. Die Eingruppierung erfolge in die Honorargruppe M 2. Gutachten zur Überprüfung der Notwendigkeit stationärer Behandlungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung seien bei den Honorargruppen nicht benannt. Die Zuordnung müsse nach billigem Ermessen erfolgen, wobei nur besondere Schwierigkeiten die Eingruppierung in M 3 rechtfertigten. Vorliegend sei jedoch kein Kausalitätsgutachten erstellt worden, sondern allein über die Erforderlichkeit der Aufnahme in vollstationäre Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Krankenbehandlung zu befinden gewesen. Dabei handele es sich um eine Standartbefragung, die die höhere Honorargruppe von M 3 nicht begründen könne. Nach der Erfüllung der Kriterien von OPS-Schlüssel sei weder gefragt worden, noch würde dies für sich einen höheren Schwierigkeitsgrad begründen. Auch aus dem Umstand, dass nur bestimmte Gutachter das Gutachten erledigen könnten, lasse sich keine Bewertung eines hohen Schwierigkeitsgrades ableiten.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 21. Juni 2018. Er trägt vor, es hätte hohe Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Beweisfragen bewältigt werden müssen. Die gutachterliche Bewertung primärer oder sekundärer Fehlbelegung einer in Deutschland insgesamt seltenen Krankenhaus-Prozedur sei von hoher Schwierigkeit, wie diverse Sozialgerichte auch bestätigt hätten.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Berichterstatter hat das Verfahren mit Beschluss vom 13. November 2018 wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

II.

Nachdem der Berichterstatter das Verfahren nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG übertragen hat, ist der Senat zuständig.

Die zulässige Beschwerde (§ 4 Abs. 3 JVEG) ist nicht begründet.

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Streitig ist vorliegend allein die Honorarhöhe nach § 9 Abs. 1 JVEG. In Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG werden die medizinischen Gutachten entsprechend ihrer Schwierigkeit in drei Honorargruppen (M 1 bis M 3) eingeteilt. Ausdrücklich genannt werden Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in den dort aufgezählten Beispielsfällen ("insbesondere") der Honorargruppen M 2 und M 3 nicht. Insofern sind sie nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG) einer Honorargruppe entsprechend den dort aufgeführten Definitionen zuzuordnen: M 2: beschreibende (Ist-Zustands) Begutachtungen nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einer medizinischen Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad; M 3: Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtung spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen). Insofern hat eine Würdigung unter Berücksichtigung der konkreten Besonderheiten des Einzelfalles zu erfolgen. Ein hoher Schwierigkeitsgrad im Sinne der Honorargruppe M 3 kommt nicht nur bei Kausalitätsbeurteilungen in Betracht. Nach der Rechtsprechung des 6. Senates des Thüringer Landessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, können z.B. auch bestimmte Zustandsgutachten, mit denen der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Diskussion darzustellen, Prognosebeurteilungen durchzuführen und alternative Behandlungen unter verschiedenen Aspekten zu erörtern sind mit der höchsten Honorargruppe M 3 der Anlage 1 zu § 9 JVEG vergütet werden (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 19. April 2007 – L 6 SF 11/07 m.w.N., nach juris). Immer erfordern Gutachten der Honorargruppe M 3 umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen. Auch andere Gründe sind denkbar, z. B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer Angaben (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2018 – L 1 JVEG 434/16, nach juris). Es genügt nicht, wenn differentialdiagnostische Überlegungen angestellt werden, sie müssen einen hohen Schwierigkeitsgrad haben (vgl. Keller "Die Liquidation von Schmerzgutachten" in Egle/Kappis/Schairer/Stadtland (Hrsg.), Begutachtung von Schmerzen, 1. Auflage 2014, S. 175, 179).

Ein solcher hoher Schwierigkeitsgrad kann sich durchaus auch bei Begutachtungen in Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenklassen ergeben, wenn beispielsweise die Erfüllung der in der Klassifikation definierten Kriterien eines OPS-Schlüssels oder die Abgrenzung verschiedener Prozeduren zueinander und die DRG-Verschlüsselung zu beurteilen ist. Indizien für die Annahme eines hohen Schwierigkeitsgrades können dann durchaus die außergewöhnliche Fachkompetenz des Sachverständigen und der Umstand, dass nur wenige Sachverständige für die Begutachtung in Betracht kommen, sein. Entscheidend ist jedoch immer, dass im konkreten Fall diese Fachkompetenz zur Erstellung des Gutachtens tatsächlich erforderlich war und sie sich im Gutachten wiederspiegelt (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 3. November 2008 - L 6 SF 48/08 zur Begutachtung von chronischen Schmerzen).

Die besondere Fachkompetenz des Beschwerdeführers steht hier außer Frage. Jedoch war sie nach den Fragen der Beweisanforderung für die Gutachtenerstellung nicht ausschlaggebend und notwendig. Die gutachterliche Würdigung hatte sich wesentlich mit der Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung zu befassen. Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit besonders schwierigen Fragestellungen oder Abgrenzungsproblemen ist weder der Beweisanordnung noch dem Gutachten zu entnehmen. Insbesondere gibt es keinen ausreichenden Anhalt dafür, dass durch den Sachverständigen äußerst umfangreiche bzw. komplexe differentialdiagnostische Erwägungen angestellt werden mussten. Die Eingruppierung in die Honorargruppe M 2 im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG i.V.m. Anlage 1 (zu § 9 Abs. 1) ist daher im vorliegenden Fall zutreffend (vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – L 1 JVEG 1189/16, Rn. 17, nach juris).

Die in der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidungen mehrerer Sozialgerichte führen zu keiner anderen Einschätzung. Sie berücksichtigen nur die individuellen Besonderheiten des jeweils zugrundeliegenden Verfahrens.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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