S 1 U 45/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 45/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Die 1960 geborene Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann in einem Ein- bis Zweifamilienhaus in A-Stadt, das im Alleineigentum des Ehemannes steht. Neben der Wohnung der Klägerin und ihres Ehemannes befinden sich in dem Haus weitere Räume, die gewerblich vermietet werden (sogenannte: "Monteurszimmer"). In einem Internetauftritt firmieren die Eheleute als gemeinsame Vermieter, tatsächlich wurde zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann ein Arbeitsvertrag geschlossen, den die Beklagte im Verwaltungsverfahren beigezogen hat. Dieser Arbeitsvertrag beinhaltet folgende Tätigkeitsvereinbarung:

"§ 3

Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet, die vermieteten Räumlichkeiten zu reinigen und Betten herzurichten."

Am 09.11.2015 sammelte die Klägerin auf dem Grundstück des Hauses, insbesondere im Bereich des Eingangs, Laub auf, dabei rutschte sie aus. Der Durchgangsarzt Dr. C. diagnostizierte am selben Tag eine Sprunggelenksfraktur. Nach Eingang des Durchgangsarztberichtes ermittelte die Beklagte zum Versicherungsschutz. Mit Bescheid vom 07.12.2015 lehnte sie die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, es liege kein Arbeitsunfall vor. Der Sturz habe sich nicht bei der versicherten Tätigkeit zugetragen. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, fügte eine Bescheinigung des Steuerberaters zum Nachweis der versicherten Tätigkeit, eine Steuererklärung für das Jahr 2011/2012 und Grundrisszeichnungen des Hauses bei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2016 zurück.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 29.03.2016 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Zur Begründung führt sie aus, sie habe aufgrund des Arbeitsvertrages mehr Tätigkeiten auszuführen gehabt, als in § 3 des Arbeitsvertrages beschrieben. Das Arbeitsverhältnis selbst sei nachgewiesen und ihr Ehemann als Arbeitgeber sei auch regelmäßig seinen Abgabepflichten nachgekommen. Insoweit bezieht sie sich auf deieEinkommensteuerbescheide der Eheleute für die Jahre 2013 und 2014, die sie vorgelegt hat.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2016 zu verurteilen, das Ereignis vom 09.11.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie insbesondere darauf, dass eine abhängige Beschäftigung nicht im Vollbeweis gesichert sei. Schließlich habe die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann im Internet als Vermieterin firmiert. Im Übrigen sei das Ereignis aber auch nicht durch die im Arbeitsvertrag beschriebene Tätigkeit gedeckt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über die Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2018 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2016 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt, denn das Ereignis vom 09.11.2015 hat sich nicht bei einer versicherten Tätigkeit ereignet.

Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 RdNr. 9 m. w. N.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).

In Anwendung dieser Kriterien scheitert die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall hier daran, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls (Laub kehren) nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dabei waren zur Überzeugung der Kammer die Besonderheiten bei Arbeitsverträgen unter Ehegatten allgemein und unfallversicherungsrechtlich die Besonderheiten bei der gemischten Nutzung eines "Betriebsgeländes" für private und versicherte Zwecke zu berücksichtigen.

Dabei gelten bei Beurteilung der Frage, ob zwischen Angehörigen eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt vorliegen kann, die gleichen Grundsätze, wie sie allgemein für die Beurteilung der Versicherungspflicht maßgebend sind (vgl. schon BSG, Urteil vom 05.04.1956 - 3 RK 65/55 - SozR Nr. 18 zu § 164). Diese Grundsätze sind seitdem in ständiger Rechtsprechung aufrechterhalten worden. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis zwischen Angehörigen kann in ständiger Rechtsprechung angenommen werden, wenn • der Angehörige in den Betrieb des Arbeitgebers wie eine fremde Arbeitskraft eingegliedert ist, • der Angehörige dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, • der Angehörige anstelle einer fremden Arbeitskraft beschäftigt wird, • ein der Arbeitsleistung angemessenes Arbeitsentgelt vereinbart ist und auch regelmäßig gezahlt wird, • von dem Arbeitsentgelt regelmäßig Lohnsteuer entrichtet wird und • das Arbeitsentgelt als Betriebsausgabe gebucht wird.

Die vorliegend genannten Kriterien sind nach Überzeugung der Kammer aufgrund des zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann geschlossenen Arbeitsvertrages und aufgrund der vorgelegten Bescheinigung des Steuerberaters sowie aufgrund der Vorlage der Einkommenssteuerbescheide nachgewiesen. Eine abhängige, versicherungspflichtige Beschäftigung dem Grunde nach bestand somit.

Allerdings entsprach die konkret zum Unfall führende Tätigkeit des Laubfegens nicht den im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeitsmerkmalen für die versicherte Beschäftigung. Nach dem oben zitierten § 3 des zwischen den Eheleuten geschlossenen Arbeitsvertrages beschränkte sich die versicherte Tätigkeit der Klägerin auf Tätigkeiten im Innenbereich zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Zimmer. Dabei hat sich der Unfall nicht zugetragen. Zwar kann diese im Arbeitsvertrag genannte Tätigkeit auch durch das arbeitsrechtliche Direktionsrecht des Arbeitgebers im Einzelfall durchaus ausgeweitet werden. Dies wurde jedoch von der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorgetragen. Auch wären an einer Ausübung des Direktionsrechtes, bzw. an eine freiwillige Ausweitung der arbeitsvertraglichen Pflichten strenge Maßstäbe des Nachweises anzulegen, die Kammer schließt sich insoweit den Grundsätzen der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger in ihrem gemeinsamen Rundschreiben zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen vom 13.04.2010, in der Fassung der geänderten Anlagen 2) bis 5) vom 08.11.2017 ausdrücklich an (dort Anlage 4). Hier müssen beweisrechtlich strenge Maßstäbe angelegt werden.

Konkret für den Fall der Klägerin bedeutet dies, dass wesentlich mehr gegen eine versicherungspflichtige Tätigkeit beim Laubfegen spricht als dafür. Zum einen ist hier anzuführen, dass der zwischen den Beteiligten geschlossene Arbeitsvertrag nur einen kleinen Teil der Tätigkeiten erfasst, die bei der gewerblichen Vermietung von Wohnräumen anfallen. So fällt unter die nicht erfassten Tätigkeiten die gesamte Akquise der Kunden, die betriebswirtschaftliche Bearbeitung einschließlich Rechnungsstellung, Zahlungsnachweisen u. ä., des Weiteren die Instandhaltung der Räume und vieles mehr. Da dies im Arbeitsvertrag mit der Klägerin nicht geregelt ist, müssen dies wohl Tätigkeiten sein, die der Unternehmer selbst (Ehemann der Klägerin) durchführt, denn ansonsten wären sie im Arbeitsvertrag berücksichtigt. Die Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag ist insoweit als Tätigkeit ähnlich einem Hausmädchen im Hotel bzw. einer Concierge zu fassen. Hierzu gehört keinesfalls eine Tätigkeit im Außenbereich. Darüber hinaus ist vorliegend zu berücksichtigen, dass dieser Außenbereich nicht nur dem Zugang der gewerblichen Räume dient, sondern gleichzeitig auch Außenbereich für die Wohnräume der Klägerin ist. Das Laubfegen ist insoweit zumindest auch gemischte Tätigkeit. Eine solche gemischte Tätigkeit ist nur selten überwiegend dem gewerblichen Bereich zuzurechnen. Falls dies im Ausnahmefall und aus besonderen Gründen so sein sollte, müsste es aber zwingend schon im schriftlichen Arbeitsvertrag geregelt werden. Da dies nicht vereinbart wurde, lag eine versicherte Tätigkeit nicht vor, so dass letztendlich das Ereignis nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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