Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 18 U 4279/13
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 925/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 6. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund eines Arbeitsunfalles vom 12. Juli 2007 unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes Verletztenrente über den 11. Juli 2010 aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalles beanspruchen kann.
Die 1966 geborene und als Erzieherin tätige Klägerin stürzte am 12. Juli 2007 beim Anbringen von Bildern in der Kindertagesstätte auf das linke Handgelenk. Diagnostiziert wurde eine distale Radiusfraktur links. Ausweislich eines Berichts der Handchirurgie Bad N. vom 8. Februar 2008 kam es zu einer Fehlverheilung, die erneut behandelt werden musste. In einem Ersten Rentengutachten vom 21. Oktober 2008 bezifferte der Handchirurg Dr. S. die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 7. April 2008 bis auf Dauer auf 10 v. H. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. C. stimmte dieser Einschätzung zu und sah als Unfallfolge eine Minderbelastbarkeit der linken Hand nach in Fehlstellung verheiltem Speichenbruch an. Die MdE sei nur bis zum 11. Juli 2010 auf 10 v. H. einzuschätzen. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 2009 das Ereignis vom 12. Juli 2007 als Arbeitsunfall und als Arbeitsunfallfolgen:
- Minderung der ausdauernden Belastbarkeit im Bereich des linken Armes - endgradige Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit links in der handrücken- und hohlhandwärtigen Ebene - Sensibilitätsstörungen über den ersten Mittelhandknochen streckseitig sowie im Bereich des rechten Beckenkamms - 10 cm lange reizlose Narbe im Bereich des linken Unterarmes - 5 cm lange reizlose Narbe am rechten Beckenkamm nach Spongiosaentnahme - Röntgenologisch ist die körperferne Unterarmfraktur unter geringgradigem Ulnavor-schub und deutlich verschmälertem Gelenksspalt bei noch einliegendem Material knöchern vollständig verheilt
an. Sie bewilligte ab dem 25. August 2007 bis zum 6. April 2008 eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. Am 20. Februar 2009 erfolgte in den BG-Kliniken B. ein erneuter korrigierender operativer Eingriff. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 9. November 2012 bezifferte Dr. L. die MdE auf unter 10 v. H. Aufgrund der festgestellten Bewegungsausmaße des linken Handgelenkes lasse sich eine relevante Einschränkung nicht erkennen. Mit Bescheid vom 11. Februar 2013 gewährte die Beklagte unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes aus dem Arbeitsunfall vom 16. Juni 1999 für die Zeit vom 7. April 2008 bis 11. Juli 2010 eine Stützrente auf der Grundlage einer MdE in Höhe von 10 v. H. Über diesen Zeitpunkt hinaus sei keine Stützrente zu gewähren, da die Befunde keine MdE in Höhe von 10 v. H. rechtfertigten.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2013 zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht hat bei dem Chirurgen Prof. Dr. B. ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Dieser beziffert in seinem Gutachten vom 26. April 2014 die MdE auf 10 v. H. Entgegen den Aus-führungen des Beratungsarztes sei die Fraktur nicht fest zur Ausheilung gekommen. Die Fraktur sei nicht in anatomischer Stellung, sondern unter Verkürzung der Speiche ausgeheilt. Schädigungen im Discusbereich und Knorpeldefekte seien nachgewiesen. Eine Minderung der Bewegungsumfänge im linken Handgelenk gegenüber der rechten Vergleichsseite von zusammenfassend 100 Grad sei nachgewiesen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juni 2016 den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2013 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin über den 11. Juli 2010 hinaus aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12. Juli 2007 Teilverletztenrente als Stützrente nach einer MdE von 10 v. H. zu gewähren. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. B. dargelegten Bewegungseinschränkungen des linken Handgelenks und die festgestellten Sensibilitätsstörungen rechtfertigten eine MdE von 10 v.H. Die festgestellten Funktionseinschränkungen seien mit den Auswirkungen eines Speichenbruchs mit Achsabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegung um insgesamt 40 Grad vergleichbar. Dieser sei nach den Erfahrungswerten mit einer MdE von 10 v. H. zu beurteilen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die von der Klägerin geklagten Beschwerden seien einer direkten Objektivierung nicht zugänglich. Die Umfangsmaße seien unter Berücksichtigung ihrer Rechtshändigkeit völlig regelhaft. Dass der Händedruck bei einer Rechtshänderin reduziert vorgeführt werde, sei ebenfalls normal. Klinische Befunde zum Nachweis relevanter Schmerzen im Bereich des linken Handgelenks seien somit nicht zu sichern. Orientierungspunkt für die Beweglichkeit in den Gelenken müsse das durchschnittliche Bewegungsausmaß der Gelenke sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 6. Juni 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bis heute bestehe durch den Unfall eine MdE von 20 v. H. Die Sachverständige Prof. Dr. B. habe weitere Unfallfolgen wie Sensibilitätsstörungen und eine erhebliche Schmerzsymptomatik festgestellt. Eine Einschränkung der Armumwendebewegung im linken Unterarm bestehe ebenfalls. Des Weiteren liege ein Totalausfall des Nervus cutaneus femoris lateralis vor.
Mit Beschluss vom 18. April 2017 hat das Sozialgericht das Urteil vom 6. Juni 2016 berichtigt.
Der Senat hat im Berufungsverfahren den Handchirurgen Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser beschreibt in seinem Gutachten vom 25. September 2017 eine Gesamtminderung der Beweglichkeit am linken Handgelenk von 75 Grad. An beiden Händen und Armen fänden sich keine nerval bedingten Muskelminderungen. Eine normale motorische Funktion des Nervus ulnaris sei festzustellen. Die Fraktur der körperfernen Speiche links sei achsengerecht, aber in Verkürzung fest verheilt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 10 v.H. einzuschätzen. Nach den Erfahrungswerten sei für einen Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um 40 Grad eine MdE von 10 v. H. anzunehmen. Im Hinblick auf die Achsenabknickung sei die Klägerin günstiger gestellt, im Hinblick auf die Gesamtminderung der Beweglichkeit etwas schlechter. Eine Verschmälerung des Gelenkraums zwischen Speiche und Handwurzel am linken Handgelenk sei feststellbar. Ferner liege eine Knorpelschädigung vor, die für die Funktionalität der linken Hand bedeutsam sei. Diese führe zwar nicht zur Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, aber zu einer Belastungsminderung. Daher sei eine MdE von 10 v. H. angemessen. Hinsichtlich der Hautnerven an der Speichenseite des Handgelenks bzw. der Hautnerven im Bereich des Beckenkamms bestehe auch auf Seiten der Handchirurgie eine ausreichende Kompetenz.
Die Beklagte ist der Einschätzung von Dr. S. entgegengetreten. Die Beweglichkeit im linken Handgelenk nach handrückenwärts liege im Normalbereich. Die kombinierten Handgriffe seien alle seitengleich vorgeführt worden. Maßgeblich sei das durchschnittliche Bewegungs-ausmaß in einem Gelenk. Die Achsenverhältnisse seien regelhaft. Bildtechnisch zur Darstellung kommende Veränderungen seien nicht relevant. Fachrelevant seien nur Funktionseinbu-ßen.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2018 hat die Klägerin die eigene Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens L 1 U 868/17 und die jeweiligen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg (§§ 143, 151 SGG). Das Sozialgericht Gotha hat der Klage insoweit zu Recht stattgegeben und unter Abänderung des Bescheides vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2013 die Beklagte verurteilt, eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. zu gewähren.
Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus Anspruch auf Gewährung von Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Abweichend von dem in § 56 Abs. 1 Satz 1 normierten Regelfall, dass eine MdE infolge eines Versicherungsfalls erst dann mit Verletztenrente zu entschädigen ist, wenn sie mindestens 20 v.H. beträgt, tritt die Entschädigungspflicht nach § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 auch dann ein, wenn aus zwei Versicherungsfällen jeweils eine MdE von mindestens 10 v.H. resultiert.
Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögen des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R, zitiert nach Juris). Bei der Bewertung der MdE ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher maßgebend, sondern vielmehr der damit verbundene Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteile vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R und vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R, beide zitiert nach Juris). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86, zitiert nach Juris). Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R, zitiert nach Juris).
Eine Einbeziehung der Folgen des weiteren Arbeitsunfalles vom 16. Juli 1999 darf dabei nicht erfolgen, auch wenn Überschneidungen wegen der Betroffenheit des linken Armes denkbar sind. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R, zitiert nach Juris) sind Gesundheitsschäden, die auf mehreren Arbeitsunfällen beruhen, jeweils getrennt zu beurteilen. Die Bildung einer Gesamt-MdE kommt nicht in Betracht, auch wenn durch mehrere Arbeitsunfälle dasselbe Organ betroffen und wenn für die Entschädigung dieser Unfälle derselbe Unfallversicherungsträger zuständig ist. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass beide Arbeitsunfälle hinsichtlich der linken Schulter und der linken Hand getrennt zu beurteilen sind. Wechselwirkungen dürfen nicht gebildet werden.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes wegen des Arbeitsunfalles vom 16. Juni 1999 (vgl. Urteil des Senats im Parallelverfahren L 1 U 867/17 vom heutigen Tage) eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. begehren kann. Die bei der Klägerin vorliegenden Unfallfolgen im Bereich der linken Hand begründen entsprechend den Erfahrungswerten (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017 S. 581) eine MdE von 10 v.H. Nach den genannten Erfahrungswerten begründet ein Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegung um insgesamt 40 Grad eine MdE von 10 v. H. Aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. vom 25. September 2017 ergibt sich, dass im Fall der Klägerin eine Achsenabknickung nicht festzustellen ist. Die Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit beträgt hingegen 75 Grad. Daraus zieht Dr. S. zu Recht den Schluss, dass die Gesamtminderung der Beweglichkeit etwas schlechter ist. Zusätzlich stellt der Sachverständige jedoch fest, dass aufgrund der Einstauchung der Speichenfraktur eine Inkongruenz im Bereich des Ellenkopfes und der körperfernen Speiche erkennbar ist. Dies hat auch funktionale Auswirkungen, insoweit sie einen lokalen Druckschmerz in diesem Bereich beinhaltet. Ferner liegt eine dokumentierte Knorpelschädigung vor, die ebenfalls funktionelle Einschränkungen für die Klägerin bedingen. Nach dem Grad der festgestellten Knorpelschädigung kommt es zwar noch nicht zu Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit am Handgelenk, wohl aber zu einer Belastungsminderung sowie zu Beschwerden unter Belastung. So hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 25. September 2017 festgestellt, dass die grobe Kraft links auf ein Drittel der rechten Seite gemindert ist. Auch im Dauerzug fand sich linksseitig eine Kraftabschwächung in der gleichen Größenordnung. Dies ist überzeugend und berechtigt dazu, eine MdE von 10 v. H. anzunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund eines Arbeitsunfalles vom 12. Juli 2007 unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes Verletztenrente über den 11. Juli 2010 aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalles beanspruchen kann.
Die 1966 geborene und als Erzieherin tätige Klägerin stürzte am 12. Juli 2007 beim Anbringen von Bildern in der Kindertagesstätte auf das linke Handgelenk. Diagnostiziert wurde eine distale Radiusfraktur links. Ausweislich eines Berichts der Handchirurgie Bad N. vom 8. Februar 2008 kam es zu einer Fehlverheilung, die erneut behandelt werden musste. In einem Ersten Rentengutachten vom 21. Oktober 2008 bezifferte der Handchirurg Dr. S. die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 7. April 2008 bis auf Dauer auf 10 v. H. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. C. stimmte dieser Einschätzung zu und sah als Unfallfolge eine Minderbelastbarkeit der linken Hand nach in Fehlstellung verheiltem Speichenbruch an. Die MdE sei nur bis zum 11. Juli 2010 auf 10 v. H. einzuschätzen. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 2009 das Ereignis vom 12. Juli 2007 als Arbeitsunfall und als Arbeitsunfallfolgen:
- Minderung der ausdauernden Belastbarkeit im Bereich des linken Armes - endgradige Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit links in der handrücken- und hohlhandwärtigen Ebene - Sensibilitätsstörungen über den ersten Mittelhandknochen streckseitig sowie im Bereich des rechten Beckenkamms - 10 cm lange reizlose Narbe im Bereich des linken Unterarmes - 5 cm lange reizlose Narbe am rechten Beckenkamm nach Spongiosaentnahme - Röntgenologisch ist die körperferne Unterarmfraktur unter geringgradigem Ulnavor-schub und deutlich verschmälertem Gelenksspalt bei noch einliegendem Material knöchern vollständig verheilt
an. Sie bewilligte ab dem 25. August 2007 bis zum 6. April 2008 eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. Am 20. Februar 2009 erfolgte in den BG-Kliniken B. ein erneuter korrigierender operativer Eingriff. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 9. November 2012 bezifferte Dr. L. die MdE auf unter 10 v. H. Aufgrund der festgestellten Bewegungsausmaße des linken Handgelenkes lasse sich eine relevante Einschränkung nicht erkennen. Mit Bescheid vom 11. Februar 2013 gewährte die Beklagte unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes aus dem Arbeitsunfall vom 16. Juni 1999 für die Zeit vom 7. April 2008 bis 11. Juli 2010 eine Stützrente auf der Grundlage einer MdE in Höhe von 10 v. H. Über diesen Zeitpunkt hinaus sei keine Stützrente zu gewähren, da die Befunde keine MdE in Höhe von 10 v. H. rechtfertigten.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2013 zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht hat bei dem Chirurgen Prof. Dr. B. ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Dieser beziffert in seinem Gutachten vom 26. April 2014 die MdE auf 10 v. H. Entgegen den Aus-führungen des Beratungsarztes sei die Fraktur nicht fest zur Ausheilung gekommen. Die Fraktur sei nicht in anatomischer Stellung, sondern unter Verkürzung der Speiche ausgeheilt. Schädigungen im Discusbereich und Knorpeldefekte seien nachgewiesen. Eine Minderung der Bewegungsumfänge im linken Handgelenk gegenüber der rechten Vergleichsseite von zusammenfassend 100 Grad sei nachgewiesen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juni 2016 den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2013 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin über den 11. Juli 2010 hinaus aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12. Juli 2007 Teilverletztenrente als Stützrente nach einer MdE von 10 v. H. zu gewähren. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. B. dargelegten Bewegungseinschränkungen des linken Handgelenks und die festgestellten Sensibilitätsstörungen rechtfertigten eine MdE von 10 v.H. Die festgestellten Funktionseinschränkungen seien mit den Auswirkungen eines Speichenbruchs mit Achsabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegung um insgesamt 40 Grad vergleichbar. Dieser sei nach den Erfahrungswerten mit einer MdE von 10 v. H. zu beurteilen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die von der Klägerin geklagten Beschwerden seien einer direkten Objektivierung nicht zugänglich. Die Umfangsmaße seien unter Berücksichtigung ihrer Rechtshändigkeit völlig regelhaft. Dass der Händedruck bei einer Rechtshänderin reduziert vorgeführt werde, sei ebenfalls normal. Klinische Befunde zum Nachweis relevanter Schmerzen im Bereich des linken Handgelenks seien somit nicht zu sichern. Orientierungspunkt für die Beweglichkeit in den Gelenken müsse das durchschnittliche Bewegungsausmaß der Gelenke sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 6. Juni 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bis heute bestehe durch den Unfall eine MdE von 20 v. H. Die Sachverständige Prof. Dr. B. habe weitere Unfallfolgen wie Sensibilitätsstörungen und eine erhebliche Schmerzsymptomatik festgestellt. Eine Einschränkung der Armumwendebewegung im linken Unterarm bestehe ebenfalls. Des Weiteren liege ein Totalausfall des Nervus cutaneus femoris lateralis vor.
Mit Beschluss vom 18. April 2017 hat das Sozialgericht das Urteil vom 6. Juni 2016 berichtigt.
Der Senat hat im Berufungsverfahren den Handchirurgen Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser beschreibt in seinem Gutachten vom 25. September 2017 eine Gesamtminderung der Beweglichkeit am linken Handgelenk von 75 Grad. An beiden Händen und Armen fänden sich keine nerval bedingten Muskelminderungen. Eine normale motorische Funktion des Nervus ulnaris sei festzustellen. Die Fraktur der körperfernen Speiche links sei achsengerecht, aber in Verkürzung fest verheilt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 10 v.H. einzuschätzen. Nach den Erfahrungswerten sei für einen Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um 40 Grad eine MdE von 10 v. H. anzunehmen. Im Hinblick auf die Achsenabknickung sei die Klägerin günstiger gestellt, im Hinblick auf die Gesamtminderung der Beweglichkeit etwas schlechter. Eine Verschmälerung des Gelenkraums zwischen Speiche und Handwurzel am linken Handgelenk sei feststellbar. Ferner liege eine Knorpelschädigung vor, die für die Funktionalität der linken Hand bedeutsam sei. Diese führe zwar nicht zur Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, aber zu einer Belastungsminderung. Daher sei eine MdE von 10 v. H. angemessen. Hinsichtlich der Hautnerven an der Speichenseite des Handgelenks bzw. der Hautnerven im Bereich des Beckenkamms bestehe auch auf Seiten der Handchirurgie eine ausreichende Kompetenz.
Die Beklagte ist der Einschätzung von Dr. S. entgegengetreten. Die Beweglichkeit im linken Handgelenk nach handrückenwärts liege im Normalbereich. Die kombinierten Handgriffe seien alle seitengleich vorgeführt worden. Maßgeblich sei das durchschnittliche Bewegungs-ausmaß in einem Gelenk. Die Achsenverhältnisse seien regelhaft. Bildtechnisch zur Darstellung kommende Veränderungen seien nicht relevant. Fachrelevant seien nur Funktionseinbu-ßen.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2018 hat die Klägerin die eigene Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens L 1 U 868/17 und die jeweiligen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg (§§ 143, 151 SGG). Das Sozialgericht Gotha hat der Klage insoweit zu Recht stattgegeben und unter Abänderung des Bescheides vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2013 die Beklagte verurteilt, eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. zu gewähren.
Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus Anspruch auf Gewährung von Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Abweichend von dem in § 56 Abs. 1 Satz 1 normierten Regelfall, dass eine MdE infolge eines Versicherungsfalls erst dann mit Verletztenrente zu entschädigen ist, wenn sie mindestens 20 v.H. beträgt, tritt die Entschädigungspflicht nach § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 auch dann ein, wenn aus zwei Versicherungsfällen jeweils eine MdE von mindestens 10 v.H. resultiert.
Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögen des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R, zitiert nach Juris). Bei der Bewertung der MdE ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher maßgebend, sondern vielmehr der damit verbundene Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteile vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R und vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R, beide zitiert nach Juris). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86, zitiert nach Juris). Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R, zitiert nach Juris).
Eine Einbeziehung der Folgen des weiteren Arbeitsunfalles vom 16. Juli 1999 darf dabei nicht erfolgen, auch wenn Überschneidungen wegen der Betroffenheit des linken Armes denkbar sind. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R, zitiert nach Juris) sind Gesundheitsschäden, die auf mehreren Arbeitsunfällen beruhen, jeweils getrennt zu beurteilen. Die Bildung einer Gesamt-MdE kommt nicht in Betracht, auch wenn durch mehrere Arbeitsunfälle dasselbe Organ betroffen und wenn für die Entschädigung dieser Unfälle derselbe Unfallversicherungsträger zuständig ist. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass beide Arbeitsunfälle hinsichtlich der linken Schulter und der linken Hand getrennt zu beurteilen sind. Wechselwirkungen dürfen nicht gebildet werden.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin unter Berücksichtigung eines Stützrententatbestandes wegen des Arbeitsunfalles vom 16. Juni 1999 (vgl. Urteil des Senats im Parallelverfahren L 1 U 867/17 vom heutigen Tage) eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. begehren kann. Die bei der Klägerin vorliegenden Unfallfolgen im Bereich der linken Hand begründen entsprechend den Erfahrungswerten (vgl. Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017 S. 581) eine MdE von 10 v.H. Nach den genannten Erfahrungswerten begründet ein Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegung um insgesamt 40 Grad eine MdE von 10 v. H. Aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. vom 25. September 2017 ergibt sich, dass im Fall der Klägerin eine Achsenabknickung nicht festzustellen ist. Die Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit beträgt hingegen 75 Grad. Daraus zieht Dr. S. zu Recht den Schluss, dass die Gesamtminderung der Beweglichkeit etwas schlechter ist. Zusätzlich stellt der Sachverständige jedoch fest, dass aufgrund der Einstauchung der Speichenfraktur eine Inkongruenz im Bereich des Ellenkopfes und der körperfernen Speiche erkennbar ist. Dies hat auch funktionale Auswirkungen, insoweit sie einen lokalen Druckschmerz in diesem Bereich beinhaltet. Ferner liegt eine dokumentierte Knorpelschädigung vor, die ebenfalls funktionelle Einschränkungen für die Klägerin bedingen. Nach dem Grad der festgestellten Knorpelschädigung kommt es zwar noch nicht zu Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit am Handgelenk, wohl aber zu einer Belastungsminderung sowie zu Beschwerden unter Belastung. So hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 25. September 2017 festgestellt, dass die grobe Kraft links auf ein Drittel der rechten Seite gemindert ist. Auch im Dauerzug fand sich linksseitig eine Kraftabschwächung in der gleichen Größenordnung. Dies ist überzeugend und berechtigt dazu, eine MdE von 10 v. H. anzunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen.
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