L 7 AY 4629/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AY 2115/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 4629/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2017 aufgehoben, soweit darin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. August 2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2017 angeordnet worden ist, und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der dem einstweiligen Rechtsschutzgesuch des Antragstellers stattgebende Beschluss des Sozialgerichts Konstanz (SG) vom 27. Oktober 2017 ist aufzuheben.

1. Gegenstand des am 8. Oktober 2017 beim SG anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2017, mit dem dieser dem Antragsteller für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 gem. § 1a Abs. 4 Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) monatlich Leistungen für Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung als Sachleistung sowie Leistungen für Körper- und Gesundheitspflege in Höhe von 36,67 EUR gewährt hatte. Hilfsweise hat er beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 "Leistungen nach § 3 AsylbLG ohne Einschränkung nach § 1a AsylbLG" zu gewähren. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Oktober 2017 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2017 angeordnet und dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten auferlegt. Gegen diesen Beschluss wendet sich allein der Antragsgegner mit seiner Beschwerde.

2. Zunächst steht der Beschwerde des Antragsgegners nicht entgegen, dass er in Umsetzung des angefochtenen Beschlusses des SG und zur Vermeidung einer Vollstreckung durch den Antragsteller weitere Leistungen nach dem AsylbLG ausbezahlt hat (vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014 - L 13 AS 266/13 B ER - juris Rdnr. 9; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. September 2014 - L 7 AS 1385/14 B ER - juris Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2007 - L 32 B 1565/07 AS ER - juris Rdnr. 2; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 47).

3. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Absatz 1, für Vornahmesachen in Absatz 2 der Vorschrift. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

4. Das SG hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2017 angeordnet. Denn es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um eine Anfechtungssache i.S. des § 86b Abs. 1 SGG. Eine Anfechtungssache i.S. des § 86b Abs. 1 SGG liegt vor, wenn in der Hauptsache der statthafte Rechtsbehelf der (isolierte) Anfechtungswiderspruch bzw. die (isolierte) Anfechtungsklage sind, mit denen sich der Adressat eines Bescheides gegen Eingriffe in seine Rechtssphäre wendet. Um eine Anfechtungssache in diesem Sinne handelt es z.B. dann, wenn die Behörde die Gewährung von zuvor bewilligten Leistungen aufhebt. Denn bei einer Aufhebung des Aufhebungsbescheides lebt die ursprüngliche Leistungsbewilligung wieder auf, sodass die Behörde die Leistungen wieder erbringen bzw. nachholen muss (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 26. November 2015 - L 7 AS 4389/15 ER-B - juris Rdnr. 5; vom 12. Juli 2016 - L 7 AS 2162/16 ER-B - (n.v.), vom 8. November 2016 - L 7 SO 3787/17 ER-B - (n.v.)).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers und des SG regeln die Bescheide des Antragsgegners vom 18. Dezember 2015 und 6. Juli 2016 keine unbefristeten Bewilligungen von Leistungen nach § 3 AsylbLG. Vielmehr hat der Antragsgegner zunächst durch Bescheid vom 18. Dezember 2015 Leistungen nach dem AsylbLG zeitlich begrenzt für die Monate Dezember 2015 und Januar 2016 bewilligt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungen nur für den Monat des Beginns der Hilfe gewährt werden und bei unveränderten Verhältnissen "aufgrund stillschweigender monatlicher Neubewilligung die Weiterzahlung der Leistung" erfolgen wird. Auch die Berechnungsbögen, auf die in dem Bescheid vom 18. Dezember 2015 Bezug genommen wird, weisen nur eine Leistungsberechnung für den Monat Dezember 2015 und Januar 2016 auf. Der Bescheid enthält weder eine Regelung über die Gewährung von Leistungen für die Zeit ab Februar 2016 noch ist eine unbefristete Bewilligung "bis auf Weiteres" erfolgt. Im Hinblick auf die Umverteilung des Antragstellers in die Gemeinschaftsunterkunft B.-G.Str. in S. zum 2. Juni 2016 hat der Antragsgegner durch Bescheid vom 6. Juli 2016 unter Beifügung entsprechender Berechnungsbögen für die Monate April 2016, Juni 2016 und Juli 2016 die Leistungen nach dem AsylbLG neu berechnet und festgesetzt. Er hat wiederum darauf hingewiesen, dass die "bewilligte Leistung" nur für den Monat des Beginns der Hilfe bzw. des Eintritts der Änderung (vorliegend der Umzug in eine andere Gemeinschaftsunterkunft) gewährt und bei unveränderten Verhältnissen eine stillschweigende monatliche "Neubewilligung" erfolgen wird. Auch der Verfügungssatz dieses Bescheides enthält keine Regelung betreffend die Leistungsgewährung für die Folgemonate ab August 2016. Eine unbefristete Bewilligung "bis auf Weiteres" ist gerade nicht erfolgt. Aus der Überschrift "Bescheid über die Änderung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)" erfolgt kein anderes Ergebnis. Diese nimmt lediglich darauf Bezug, dass durch den Umzug des Antragstellers eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist. Entsprechend seinem Hinweis in dem Bescheid vom 18. Dezember 2015 hat der Antragsgegner diese Änderung zum Anlass genommen, die Leistungen für die genannten Monate neu zu berechnen und durch den Bescheid vom 6. Juli 2016 festzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist für einen verständigen Erklärungsempfänger der objektive Regelungsgehalt der Bescheide vom 18. Dezember 2015 und 6. Juli 2016 zeitlich jeweils auf die dort genannten Monate beschränkt, während die Bewilligung für die Folgemonate nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf andere Weise jeweils konkludent durch Auszahlung bzw. Überweisung erfolgt ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - B 8/9b SO 11/07 R - juris Rdnr. 12; Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rdnr. 11 -; Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R - BSGE 98, 116 - juris Rdnr. 12; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 22. Juli 2011 - L 7 SO 128/11 B ER- juris Rdnr. 10 f. und L 7 SO 129/11 B ER - juris Rdnr. 10; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13. September 2016 - L 8 AY 21/16 B ER - juris Rdnrn. 19 f.). Mithin ist eine unbefristete Bewilligung "bis auf Weiteres" nicht erfolgt. Dies führt dazu, dass der Bescheid vom 15. August 2017 hinsichtlich des dort geregelten Zeitraums vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 eine (Neu-)Bewilligung enthält und nicht in eine bestehende Rechtsposition eingreift. Damit liegt keine Anfechtungssache i.S. des § 86b Abs. 1 SGG vor, sodass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. August 2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2017 nicht statthaft ist.

5. Auch der hilfsweise beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 Leistungen nach § 3 AsylbLG "ohne Einschränkung nach § 1a AsylbLG" zu gewähren, hat in der Sache keinen Erfolg.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Die Anordnungsvoraussetzungen sind jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde nicht mehr gegeben. Der Antragsteller hat den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens, nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein existenzsicherungsrechtlich maßgeblicher Lebensunterhalt nicht sichergestellt ist. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mittlerweile - neben seiner gemeinnützigen Arbeit, für die er eine Aufwandsentschädigung erhält (z.B. 14. Dezember 2017, 25. Januar 2018 je 80,00 EUR) - seit dem 20. Dezember 2017 eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der O. GmbH und ab Januar 2018 eine weitere Beschäftigung bei der Top ... D. GmbH ausübt und aus diesen Beschäftigungen Einkommen erzielt (12. Januar 2018: 261,05 EUR; 8. Februar 2018: 117,00 EUR; 14. Februar 2018: 1.056,02 EUR (brutto 1.399,91 EUR)), mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Durch die Aufnahme der Beschäftigungen steht dem Antragsteller nun ein regelmäßiges und bedarfsdeckendes Einkommen zur Verfügung, aus dem er seinen Lebensunterhalt auch zukünftig bestreiten kann. Der Antragsteller geht selbst davon aus, dass mittlerweile seine Hilfebedürftigkeit entfallen ist (vgl. § 7 AsylbLG). Dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstanden sind, ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich. Durch die begehrte vorläufige Gewährung höherer Leistungen für den - nach Wegfall der Hilfebedürftigkeit - mittlerweile vollständig in der Vergangenheit liegenden und abgeschlossenen Zeitraum kann sein Lebensunterhalt nicht mehr sichergestellt, seine Lebenssituation nicht verbessert werden. Dass eine bis zur erstmaligen Auszahlung des Arbeitseinkommens im Januar 2018 ggf. bestehende Notlage weiterhin und aktuell fortbesteht, ist nicht dargetan. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Unterkunft des Antragstellers aktuell gefährdet ist. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, warum dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar sein soll.

Der stattgebende Beschluss des SG war sonach aufzuheben und der Antrag des Antragstellers abzulehnen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass nach der Aufnahme der Beschäftigungen und dem Zufluss entsprechenden Einkommens die Eilbedürftigkeit entfallen ist, der Antragsteller gleichwohl an seinem einstweiligen Rechtsschutzbegehren festgehalten hat.

7. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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