Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
40
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 40 AS 2440/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Abweichen vom Kopfteilprinzip des § 22 Abs. 1 SGB II ist auch dann gerechtfertigt, wenn der Mitbewohner dem Grunde nach von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen ist, weil er nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 7 SGB II oder § 23 Abs. 3 SGB XII nicht leistungsberechtigt ist.
I. Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung der Bescheide vom 01.08.2016 und 02.08.2016 der Klägerin weiteres Arbeitslosengeld II für September 2015 in Höhe von 230 EUR, für die Zeit vom 12.10.2015 bis zum 31.10.2015 in Höhe von 145,62 EUR, für die Monate November 2015 bis Januar 2016 in Höhe von monatlich 230 EUR und für Februar 2016 in Höhe von 130,32 EUR zu zahlen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtlichen Kosten zu neun Zehnteln zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme der gesamten Kosten der Unterkunft (KdU) als Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abweichend vom Kopfteilprinzip.
Die Klägerin ist tschechischer Staatsbürger und lebt seit Juni 2013 in der Bundesrepublik. Sie war berufstätig und bezog vom Beklagten (aufstockende) Leistung der Grundsicherung. Am 01.03.2015 zog sie mit ihrem 1990 geborenen Sohn Roman, ebenfalls tschechischer Staatsbürger, in die Wohnung Krantzstraße 38a um; nach dem vorgelegten Mietvertrag schuldeten beide gesamtschuldnerisch eine Kaltmiete von 390 EUR (325 EUR Mietzins und 65 EUR Vorauszahlung auf kalte Nebenkosten) und 70 EUR für Vorauszahlungen auf warme Nebenkosten. Mit Bescheid vom 25.02.2015 bewilligte der Beklagte den beiden Mietern Arbeitslosengeld II (Alg II) unter Berücksichtigung der KdU für die Monate April bis Juni 2015; später wurden Leistungen ab Juli unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b SGB II abgelehnt.
Danach war die Klägerin in den Monaten September, Oktober und November 2015 als Reinigungskraft für 459 EUR brutto in A ... erwerbstätig; ihr Sohn, der zuletzt bis Anfang August 2015 an einem Integrationskurs teilnahm, arbeitet im August und September 2015 in der Tschechischen Republik in Grenznähe.
Mit Bescheid vom 13.10.2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von September 2015 bis Februar 2016 vorläufig Alg II und berücksichtigte hierbei nur die Hälfte der KdU; dem Sohn bewilligte der Beklagte nur Leistungen zwischen dem 01.10.2015 und 11.10.2015, weil er am Folgetag mit seinem 25. Geburtstag aus der Bedarfsgemeinschaft ausscheide. Den Folgeantrag des Sohnes lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b SGB II ab (Bescheid vom 07.12.2015); der Bescheid ist nach Aktenlage bestandskräftig geworden.
Mit Bescheid vom 29.11.2015 erhöhte sich die Leistung der Klägerin ab Januar 2016 infolge der Anpassung der Regelleistung; an der Höhe der KdU änderte sich nichts. Bereits am 03.11.2015 legte die Klägerin wegen der Höhe der KdU Widerspruch ein; am 09.05.2016 half der Beklagte dem Widerspruch ab 19.02.2016 ab, weil der Sohn am Vortag aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück; eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip sei nicht zu machen.
Am 27.05.2016 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass sie Anspruch auf die vollständigen KdU habe. Ihr Sohn habe in der Zeit keinen Leistungsanspruch gehabt; deswegen bestehe die KdU-Bedarf allein für sie als einziges anspruchsberechtigtes Mitglied der Haushaltsgemeinschaft.
Im Laufe des Klagverfahrens hat der Beklagte am 01.08.2016 einen endgültigen Festsetzungsbescheid erlassen und dabei erneut nur 230 EUR als KdU zugrundegelegt. Mit Bescheid vom Folgetag setzte der Beklagte eine auf der endgültigen Festsetzung beruhende Erstattung in Höhe von 235,34 EUR für September 2015 fest.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.10.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.11.2015 und 09.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2016 in der Fassung der Bescheide vom 01.08.2016 und 02.08.2016 zu verurteilen, ihr weiteres Alg II in Höhe von monatlich 230 EUR für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 30.09.2015 und vom 12.10.2015 bis zum 18.02.2016 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt die Klagabweisung.
Die Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände) sind beigezogen worden und wurden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist begründet, weil der Beklagte die Gewährung von vollen KdU in der Zeit vom 01.09.2015 bis 30.09.2015 und vom 12.10.2016 bis 18.02.2016 zu Unrecht abgelehnt hat. Die insoweit angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat in der Zeit Anspruch auf die vollen KdU, weil in dieser Zeit der Bedarf ausnahmsweise nicht nach dem Kopfteilprinzip zu bestimmen ist.
1. Die Bescheide vom 01.08.2016 und 02.08.2016 sind abzuändern und der Klägerin der noch ungedeckte Bedarf für KdU zu gewähren, weil sich ihr diesbezüglicher Bedarf in der Zeit im September 2015 und vom 12.10.2015 bis Februar 2016 sich auf die gesamten KdU erstreckt. Denn Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der tatsächliche Bedarf beträgt in der o. g. Zeit 390 EUR. Denn dies sind die KdU, die die Klägerin mietvertraglich – zusammen mit ihrem Sohn als Gesamtschuldner – schuldet. Eine anderweite vertragliche Absprache zwischen Klägerin und Sohn ist nicht ersichtlich. Dann ist zwar grundsätzlich eine Aufteilung nach dem Kopfteilprinzip angezeigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, juris RdNr. 28f; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, juris RdNr. 19). Allerdings ist eine Abweichung vom o. g. Prinzip aus bedarfsbezogenen Gründen möglich, weil in bestimmten Konstellationen nur so ein menschenwürdiges Existenzminimum der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gewährleistet werden kann (Bundesozialgericht [BSG], Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R –, juris RdNrn. 20ff. unter Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, juris RdNrn. 17ff.), denn das Kopfteilprinzip, das nicht im Gesetz, sondern in der Verwaltungspraktikabilität fußt, ist nur eine widerlegbare Vermutung der gleichteiligen Nutzung einer Unterkunft (BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, juris RdNr. 28; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, juris RdNr. 19; BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 36/12 R –, juris, RdNr. 26; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris RdNr. 27 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BSG, Urteil vom 14.02.2018 – B 14 AS 17/17 R –, juris RdNr. 15).
Bedarfsbezogene Gründe liegen demnach immer dann vor, wenn der anspruchsberechtigte Hilfebedürftige die Kosten der Unterkunft auch über seinen Kopfanteil zu tragen hat, weil der Mitbewohner weder aus eigenen Mitteln noch aus Mitteln der staatlichen Grundsicherung seinen Anteil an den Wohnkosten tragen kann. Letzteres ist in den Fällen angezeigt, in denen der Mitbewohner kraft Gesetzes von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen ist (z. B ... wegen des Leistungsausschlusses nach § 31a Abs. 2 Satz 2 SGB II, vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R –, a.a.O. RdNr. 22 sowie BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, a.a.O. RdNr. 19; offen gelassen beim Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II ; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, a.a.O. RdNr. 19), nicht aber, wenn der Mitbewohner hinsichtlich der KdU selbst sozialleistungsberechtigt (BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, a.a.O. RdNr. 29) oder er die Mittel für den diesbezüglichen Bedarf wahrscheinlich selbst aufbringen kann, weil es nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, wirtschaftlich leistungsfähigen Dritten ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 14.02.2018 – B 14 AS 17/17 R –, a.a.O. RdNr. 18). So liegen die Dinge hier: der Mitbewohner und Sohn der Klägerin ist – was zwischen den Beteiligten infolge der insoweit bestandskräftigen Bescheide vom 01.08.2016 und 07.12.2015 bindend (§ 77 SGG) feststeht – wegen § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 7 SGB II und § 23 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach von Leistungen der Grundsicherung für die KdU ausgeschlossen. Er verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum auch offensichtlich über keine eigenen Mittel, mit denen er seinen Mietanteil bestreiten konnte.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass damit eine mittelbare Bedarfsdeckung aus Leistungen der Grundsicherung für einen Personenkreis erfolgt, der von Gesetzes wegen von diesen Leistungen ausgeschlossen ist (so schon Derksen, SGb 2013, 598, 603). Gleichwohl ist diese ungewollte mittelbare Leistungserbringung aus dem übergeordneten Grundsatz der menschenwürdigen Bedarfsdeckung hinzunehmen (Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, a.a.O. RdNrn. 19), auch wenn sie – anders als in Fällen von Sanktionen oder dem persönlichen Leistungsausschluss wegen einer Ausbildung – über eine längeren Zeitraum wirksam werden kann. Allerdings kann der Leistungsträger in diesen Fällen mit einer Kostensenkungsaufforderung gegensteuern.
2. Als Rechtsfolge sind der Klägerin im Monat September 2015 und in der Zeit vom 12.10.2015 bis 18.02.2016 der noch nicht gedeckte Bedarf an KdU zu gewähren. Die sind in den Monaten September, November, Dezember 2015 und Januar 2016 je 230 EUR. Im Oktober sind nach der endgültigen Bewilligung noch 145,62 EUR ungedeckt, weil vom Gesamtbedarf in Höhe von 460 EUR der Klägerin 230 EUR und ihrem Sohn 84,35 EUR, also insgesamt 314,38 EUR bewilligt wurden. Im Februar sind noch 130,32 EUR ungedeckt, nachdem der Klägerin vom Gesamtbedarf in Höhe von 460 EUR bisher nur 329,68 EUR bewilligt wurden.
3. Einer Abänderung des Bescheides vom 13.10.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.11.2015 und 09.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2016 bedurfte es nicht mehr. Denn die o. g. ursprünglichen Bescheide sind seit Erlass der endgültigen Festsetzung erledigt im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R –, juris RdNr. 8), weil sie durch den Festsetzung- und den Erstattungsbescheid ersetzt wurden und letztere nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens über den Bescheid wegen der vorläufigen Leistungen wurden (BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R –, a.a.O., RdNr. 16).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Es berücksichtigt dabei nicht nur das teilweise Obsiegen im Klagverfahren und die Teilabhilfe im Vorverfahren durch Bescheid vom 09.05.2016, aber auch die spätere Beschränkung der Klage auf Zeiten, in denen der Sohn der Klägerin keine Leistungen erhielt.
II. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtlichen Kosten zu neun Zehnteln zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme der gesamten Kosten der Unterkunft (KdU) als Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abweichend vom Kopfteilprinzip.
Die Klägerin ist tschechischer Staatsbürger und lebt seit Juni 2013 in der Bundesrepublik. Sie war berufstätig und bezog vom Beklagten (aufstockende) Leistung der Grundsicherung. Am 01.03.2015 zog sie mit ihrem 1990 geborenen Sohn Roman, ebenfalls tschechischer Staatsbürger, in die Wohnung Krantzstraße 38a um; nach dem vorgelegten Mietvertrag schuldeten beide gesamtschuldnerisch eine Kaltmiete von 390 EUR (325 EUR Mietzins und 65 EUR Vorauszahlung auf kalte Nebenkosten) und 70 EUR für Vorauszahlungen auf warme Nebenkosten. Mit Bescheid vom 25.02.2015 bewilligte der Beklagte den beiden Mietern Arbeitslosengeld II (Alg II) unter Berücksichtigung der KdU für die Monate April bis Juni 2015; später wurden Leistungen ab Juli unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b SGB II abgelehnt.
Danach war die Klägerin in den Monaten September, Oktober und November 2015 als Reinigungskraft für 459 EUR brutto in A ... erwerbstätig; ihr Sohn, der zuletzt bis Anfang August 2015 an einem Integrationskurs teilnahm, arbeitet im August und September 2015 in der Tschechischen Republik in Grenznähe.
Mit Bescheid vom 13.10.2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von September 2015 bis Februar 2016 vorläufig Alg II und berücksichtigte hierbei nur die Hälfte der KdU; dem Sohn bewilligte der Beklagte nur Leistungen zwischen dem 01.10.2015 und 11.10.2015, weil er am Folgetag mit seinem 25. Geburtstag aus der Bedarfsgemeinschaft ausscheide. Den Folgeantrag des Sohnes lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b SGB II ab (Bescheid vom 07.12.2015); der Bescheid ist nach Aktenlage bestandskräftig geworden.
Mit Bescheid vom 29.11.2015 erhöhte sich die Leistung der Klägerin ab Januar 2016 infolge der Anpassung der Regelleistung; an der Höhe der KdU änderte sich nichts. Bereits am 03.11.2015 legte die Klägerin wegen der Höhe der KdU Widerspruch ein; am 09.05.2016 half der Beklagte dem Widerspruch ab 19.02.2016 ab, weil der Sohn am Vortag aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück; eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip sei nicht zu machen.
Am 27.05.2016 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass sie Anspruch auf die vollständigen KdU habe. Ihr Sohn habe in der Zeit keinen Leistungsanspruch gehabt; deswegen bestehe die KdU-Bedarf allein für sie als einziges anspruchsberechtigtes Mitglied der Haushaltsgemeinschaft.
Im Laufe des Klagverfahrens hat der Beklagte am 01.08.2016 einen endgültigen Festsetzungsbescheid erlassen und dabei erneut nur 230 EUR als KdU zugrundegelegt. Mit Bescheid vom Folgetag setzte der Beklagte eine auf der endgültigen Festsetzung beruhende Erstattung in Höhe von 235,34 EUR für September 2015 fest.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.10.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.11.2015 und 09.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2016 in der Fassung der Bescheide vom 01.08.2016 und 02.08.2016 zu verurteilen, ihr weiteres Alg II in Höhe von monatlich 230 EUR für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 30.09.2015 und vom 12.10.2015 bis zum 18.02.2016 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt die Klagabweisung.
Die Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände) sind beigezogen worden und wurden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist begründet, weil der Beklagte die Gewährung von vollen KdU in der Zeit vom 01.09.2015 bis 30.09.2015 und vom 12.10.2016 bis 18.02.2016 zu Unrecht abgelehnt hat. Die insoweit angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat in der Zeit Anspruch auf die vollen KdU, weil in dieser Zeit der Bedarf ausnahmsweise nicht nach dem Kopfteilprinzip zu bestimmen ist.
1. Die Bescheide vom 01.08.2016 und 02.08.2016 sind abzuändern und der Klägerin der noch ungedeckte Bedarf für KdU zu gewähren, weil sich ihr diesbezüglicher Bedarf in der Zeit im September 2015 und vom 12.10.2015 bis Februar 2016 sich auf die gesamten KdU erstreckt. Denn Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der tatsächliche Bedarf beträgt in der o. g. Zeit 390 EUR. Denn dies sind die KdU, die die Klägerin mietvertraglich – zusammen mit ihrem Sohn als Gesamtschuldner – schuldet. Eine anderweite vertragliche Absprache zwischen Klägerin und Sohn ist nicht ersichtlich. Dann ist zwar grundsätzlich eine Aufteilung nach dem Kopfteilprinzip angezeigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, juris RdNr. 28f; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, juris RdNr. 19). Allerdings ist eine Abweichung vom o. g. Prinzip aus bedarfsbezogenen Gründen möglich, weil in bestimmten Konstellationen nur so ein menschenwürdiges Existenzminimum der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gewährleistet werden kann (Bundesozialgericht [BSG], Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R –, juris RdNrn. 20ff. unter Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, juris RdNrn. 17ff.), denn das Kopfteilprinzip, das nicht im Gesetz, sondern in der Verwaltungspraktikabilität fußt, ist nur eine widerlegbare Vermutung der gleichteiligen Nutzung einer Unterkunft (BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, juris RdNr. 28; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, juris RdNr. 19; BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 36/12 R –, juris, RdNr. 26; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris RdNr. 27 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BSG, Urteil vom 14.02.2018 – B 14 AS 17/17 R –, juris RdNr. 15).
Bedarfsbezogene Gründe liegen demnach immer dann vor, wenn der anspruchsberechtigte Hilfebedürftige die Kosten der Unterkunft auch über seinen Kopfanteil zu tragen hat, weil der Mitbewohner weder aus eigenen Mitteln noch aus Mitteln der staatlichen Grundsicherung seinen Anteil an den Wohnkosten tragen kann. Letzteres ist in den Fällen angezeigt, in denen der Mitbewohner kraft Gesetzes von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen ist (z. B ... wegen des Leistungsausschlusses nach § 31a Abs. 2 Satz 2 SGB II, vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R –, a.a.O. RdNr. 22 sowie BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, a.a.O. RdNr. 19; offen gelassen beim Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II ; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, a.a.O. RdNr. 19), nicht aber, wenn der Mitbewohner hinsichtlich der KdU selbst sozialleistungsberechtigt (BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, a.a.O. RdNr. 29) oder er die Mittel für den diesbezüglichen Bedarf wahrscheinlich selbst aufbringen kann, weil es nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, wirtschaftlich leistungsfähigen Dritten ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 14.02.2018 – B 14 AS 17/17 R –, a.a.O. RdNr. 18). So liegen die Dinge hier: der Mitbewohner und Sohn der Klägerin ist – was zwischen den Beteiligten infolge der insoweit bestandskräftigen Bescheide vom 01.08.2016 und 07.12.2015 bindend (§ 77 SGG) feststeht – wegen § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 7 SGB II und § 23 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach von Leistungen der Grundsicherung für die KdU ausgeschlossen. Er verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum auch offensichtlich über keine eigenen Mittel, mit denen er seinen Mietanteil bestreiten konnte.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass damit eine mittelbare Bedarfsdeckung aus Leistungen der Grundsicherung für einen Personenkreis erfolgt, der von Gesetzes wegen von diesen Leistungen ausgeschlossen ist (so schon Derksen, SGb 2013, 598, 603). Gleichwohl ist diese ungewollte mittelbare Leistungserbringung aus dem übergeordneten Grundsatz der menschenwürdigen Bedarfsdeckung hinzunehmen (Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 50/13 R –, a.a.O. RdNrn. 19), auch wenn sie – anders als in Fällen von Sanktionen oder dem persönlichen Leistungsausschluss wegen einer Ausbildung – über eine längeren Zeitraum wirksam werden kann. Allerdings kann der Leistungsträger in diesen Fällen mit einer Kostensenkungsaufforderung gegensteuern.
2. Als Rechtsfolge sind der Klägerin im Monat September 2015 und in der Zeit vom 12.10.2015 bis 18.02.2016 der noch nicht gedeckte Bedarf an KdU zu gewähren. Die sind in den Monaten September, November, Dezember 2015 und Januar 2016 je 230 EUR. Im Oktober sind nach der endgültigen Bewilligung noch 145,62 EUR ungedeckt, weil vom Gesamtbedarf in Höhe von 460 EUR der Klägerin 230 EUR und ihrem Sohn 84,35 EUR, also insgesamt 314,38 EUR bewilligt wurden. Im Februar sind noch 130,32 EUR ungedeckt, nachdem der Klägerin vom Gesamtbedarf in Höhe von 460 EUR bisher nur 329,68 EUR bewilligt wurden.
3. Einer Abänderung des Bescheides vom 13.10.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.11.2015 und 09.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2016 bedurfte es nicht mehr. Denn die o. g. ursprünglichen Bescheide sind seit Erlass der endgültigen Festsetzung erledigt im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R –, juris RdNr. 8), weil sie durch den Festsetzung- und den Erstattungsbescheid ersetzt wurden und letztere nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens über den Bescheid wegen der vorläufigen Leistungen wurden (BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R –, a.a.O., RdNr. 16).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Es berücksichtigt dabei nicht nur das teilweise Obsiegen im Klagverfahren und die Teilabhilfe im Vorverfahren durch Bescheid vom 09.05.2016, aber auch die spätere Beschränkung der Klage auf Zeiten, in denen der Sohn der Klägerin keine Leistungen erhielt.
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