L 7 KA 29/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 317/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 29/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Verfahren vor den Prüfgremien ist der Vertragsarzt nicht mit Sachvorbringen zur medizinischen Notwendigkeit einer Heilmittelverordnung ausgeschlossen; eine andere Sichtweise verstieße gegen auch verfassungsrechtlich gewährleistete grundlegende Verfahrensrechte und nähme dem Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung seine eigentliche Funktion.
2. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung mit ihrem verhaltenslenkenden Charakter verfolgt gerade keine Strafabsicht, sondern dient der Funktionsfähigkeit und der Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2015 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen Heilmittelverordnungen für zwei Versicherte in Höhe von insgesamt 2.283,08 Euro.

Die Beigeladene zu 2. ist Fachärztin für Innere Medizin und war bis zum 1. Juli 2014 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Der bei der Klägerin versicherten Christel M. verordnete die Beigeladene zu 2. vom Quartal III/10 bis zum Quartal I/11 mittels fünf einzelner Heilmittelverordnungen Manuelle Therapie nebst Hausbesuch, jeweils sechsmal. Als Diagnose gab die Beigeladene zu 2. auf den Verordnungsformularen jeweils an: "Spondylarthrose BWS mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung" (Indikationsschlüssel WS2a); als Therapieziel war jeweils verzeichnet "Schmerzlinderung, Besserung Beweglichkeit". Die erste Verordnung vom 15. September 2010 war im entsprechenden Formularfeld als "Erstverordnung" gekennzeichnet; die Verordnungen vom 3. November 2010, 9. Dezember 2010, 17. Dezember 2010 und 25. Januar 2011 enthielten eine Kennzeichnung als "Folgeverordnung". Die verordneten Leistungen wurden in der Zeit ab 21. September 2010 durch die Physiotherapeutin J an insgesamt 30 Behandlungstagen erbracht und gegenüber der Klägerin abgerechnet, die die Rechnungen beglich.

Am 22. Mai 2012 beantragte die Klägerin bei der Prüfungsstelle für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung, die Beigeladene zu 2. zum Ersatz von 202,48 Euro zu verpflichten. Nach dem Heilmittelkatalog sei die Gesamtverordnungsmenge des "Regelfalls" mit der 18. Behandlung am 3. Januar 2011 erreicht gewesen. Die Verordnungen vom 17. Dezember 2010 und 25. Januar 2011 hätten daher im vorgesehenen Formularfeld als "Verordnung außerhalb des Regelfalles" gekennzeichnet werden müssen. Medizinische Begründungen für die Überschreitung des Regelfalles lägen nicht vor. Die beiden Verordnungen seien daher nicht richtlinienkonform und damit unwirtschaftlich. Zu erstatten seien insgesamt 202,48 Euro (jeweils Bruttovergütung von 123,60 Euro abzüglich Zuzahlung i.H.v. 22,36 Euro, mithin 101,24 Euro pro Heilmittelverordnung).

Der ebenfalls bei der Klägerin versicherten Ingrid W. verordnete die Beigeladene zu 2. zunächst mittels fünf einzelner Heilmittelverordnungen Manuelle Therapie nebst Hausbesuch, jeweils sechsmal. Die erste Verordnung vom 21. August 2008 war im entsprechenden Formularfeld als "Erstverordnung" gekennzeichnet; die Verordnungen vom 29. September 2008, 30. Oktober 2008, 9. Dezember 2008 und 9. Januar 2009 enthielten eine Kennzeichnung als "Folgeverordnung". Die folgenden 13 Heilmittelverordnungen vom 16. Februar 2009 bis 1. November 2011 verordneten jeweils 20mal Manuelle Therapie nebst Hausbesuch und waren als "Verordnung außerhalb des Regelfalles" gekennzeichnet.

Als Diagnose gab die Beigeladene zu 2. auf allen genannten Verordnungsformularen jeweils an: "N.peroneuslähmung rechtes Bein mit Fußfehlstellung, schmerzhafte Muskelspannungsstörung" (Indikationsschlüssel EX2d); als Therapieziel war jeweils verzeichnet "Besserung der gestörten Muskelfunktion, Schmerzlinderung, Besserung Durchblutung". Erst die vier letzten Heilmittelverordnungen ab dem 28. Februar 2011 enthielten als "Medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des Regelfalles" den Zusatz: "Verhinderung Verschlimmerung Pflegebedürftigkeit".

Die verordneten Leistungen wurden in der Zeit ab 22. August 2008 durch die Praxis "P" erbracht und gegenüber der Klägerin abgerechnet, die die Rechnungen beglich.

Ebenfalls am 22. Mai 2012 beantragte die Klägerin bei der Prüfungsstelle, die Beigeladene zu 2. zum Ersatz von 2.080,60 Euro zu verpflichten. Nach dem Heilmittelkatalog sei die Gesamtverordnungsmenge des "Regelfalls" mit der 18. Behandlung am 19. November 2008 erreicht gewesen. Schon die Verordnungen vom 9. Dezember 2008 und 9. Januar 2009 hätten daher im vorgesehenen Formularfeld als "Verordnung außerhalb des Regelfalles" gekennzeichnet werden müssen. Die als "außerhalb des Regelfalles" gekennzeichneten 13 Heilmittelverordnungen ab dem 16. Februar 2009 wiesen nicht die erforderliche medizinische Begründung auf bzw. entsprächen nicht den Vorgaben der Heilmittelrichtlinien. Bei den fünf letzten Verordnungen vom 7. Dezember 2010, 28. Februar 2011, 19. Mai 2011, 3. August 2011 und 1. November 2011 seien die gesetzlichen Zuzahlungsregelungen nicht beachtet worden. Für diese fünf nicht richtlinienkonformen und damit unwirtschaftlichen Verordnungen sei Erstattung zu fordern in Höhe von insgesamt 2.080,60 Euro.

Die Prüfungsstelle erbat hierauf von der Beigeladenen zu 2. eine schriftliche ausführliche, patientenbezogene Stellungnahme zu beiden Sachverhalten. Diese reichte die Beigeladene zu 2. am 16. Juli 2012 bei der Prüfungsstelle ein: Die beiden streitigen Verordnungen für die Versicherte Christel M. habe sie leider nicht als "außerhalb des Regelfalles" gekennzeichnet. Das wolle sie nachholen und begründen: Als Diagnosen seien Spondylarthrose im Thorakalbereich, Morbus Parkinson, Osteoporose, Z.n. Humeruskopffraktur rechts mit Bewegungseinschränkung rechter Arm sowie chronische Schmerzen zu verzeichnen. Die Leitsymptomatik bestehe in Schmerzen durch die Gelenkfunktionsstörung und fehlender Rumpfmobilität. Das Behandlungsziel liege in einer Funktionsverbesserung, Schmerzreduktion und Herstellung von Beweglichkeit. Zum Zeitpunkt der Heilmittelverordnungen sei eine Beweglichkeit noch nicht ausreichend hergestellt gewesen, was beigefügte Berichte der Physiotherapeutin belegten. Als Begründung für die Verordnung außerhalb des Regefalles führte sie an: "Aufgrund der Komplexität der Erkrankung ( ) kann es zu weiteren Einschränkungen der Rumpfmobilität kommen und damit der costo-sternalen Atembewegungen. Das würde eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes bedeuten und damit zu einer Zunahme der Pflegebedürftigkeit führen. Eine Behandlung zur Verhinderung der Pflegebedürftigkeit war daher angezeigt."

Zur Versicherten Ingrid W. erklärte die Beigeladene zu 2. gegenüber der Prüfungsstelle: Als Diagnosen seien gegeben Nervus-Peronaeus-Lähmung rechts mit Inversionsstellung des Fußes, Myelopathie lumbal, lumbale Bandscheibenschäden, hochgradig lumbale Spinalkanalstenose mit Listhesis L 4/5, Osteoporose, Z.n. Bizepssehnenruptur rechts sowie depressive Störung. Die Leitsymptomatik bestehe in: Instabilität mit Inversionsstellung des rechten Fußes, Bewegungsstörung, Muskelspannungsstörung, Muskelinsuffizienz der Beinmuskulatur, stechende Schmerzen rechtes Bein, schwache Bauch- und Rückenmuskulatur, Lymphödeme beide Beine, hohes Sturzrisiko; gehen könne die Versicherte nur wenige Schritte mit Gehhilfe, sie halte sich überwiegend im Rollstuhl auf. Das Behandlungsziel bestehe u.a. in einer Besserung der gestörten Beweglichkeit und Muskelfunktion, in einer Regulierung der schmerzhaften Muskelspannung und Durchblutung sowie in einer Verbesserung von Selbständigkeit, Automobilisation, Leistungsfähigkeit und psychischem Zustand. Beigefügte Berichte der Physiotherapiepraxis belegten, dass die Behandlungen nur kurzzeitig zu einer Verbesserung von Sensibilität und Stabilität des rechten Beines führten; selbständig könne die Versicherte ihre Häuslichkeit nicht verlassen. Als Begründung für die Verordnung außerhalb des Regefalles führte die Beigeladene zu 2. an: Angesichts der aufgeführten Leiden und Einschränkungen sei eine dauerhafte manuelle Therapie dringend erforderlich. Ein Aussetzen der Behandlung würde zu Muskelinsuffizienz, Instabilität und erhöhter Sturzgefahr führen. Wegen der Osteoporose bestehe Frakturgefahr. Eine Erhöhung der Pflegebedürftigkeit, derzeit Pflegestufe 1, könne durch regelmäßige Übungsbehandlung verhindert werden.

Mit Bescheid vom 5. März 2014 entschied die Prüfungsstelle daraufhin, dem Regressantrag der Klägerin in Bezug auf die Heilmittelverordnungen für die beiden genannten Versicherten nicht zu entsprechen. Aufgrund des von der antragstellenden Krankenkasse am 17. Januar 2008 erklärten und bis 30. Juni 2011 währenden Genehmigungsverzichts sei eine nachträgliche Betrachtung der medizinischen Begründung für die Verordnung außerhalb des Regelfalles möglich; die ärztliche Begründung sei also nachholbar. In Würdigung der Stellungnahme der Beigeladenen zu 2. im Verwaltungsverfahren sowie der Angaben auf den beanstandeten Verordnungen rechtfertigten die bei beiden Versicherten vorliegenden Diagnosen sowie der jeweilige Therapieverlauf eine Verordnung außerhalb des Regelfalles.

Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin an, der Genehmigungsverzicht beinhalte keinen Verzicht auf die Einhaltung der Heilmittelrichtlinien und der dort normierten Begründungspflichten, sondern allein auf die Vorlage der Verordnung vor deren Annahme und Umsetzung durch den Behandler.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Beschluss vom 24. Juli 2014 zurück. Zu Recht habe der Prüfungsausschuss die im Verwaltungsverfahren eingeholte Stellungnahme der Beigeladenen zu 2. in die Prüfung einbezogen, denn eine medizinische Begründung für die Heilmitteverordnung außerhalb des Regelfalles könne auch nachgeholt werden.

Die dagegen am 20. August 2014 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 6. Mai 2015 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar habe die Beigeladene zu 2. die Vorgaben der Heilmittelrichtlinie nicht vollständig beachtet, das reiche aber für sich allein aber nicht für die Festsetzung eines Regresses. Denn die Verordnungsblätter hätten die wesentlichen Angaben enthalten, die für den ausführenden Physiotherapeuten erforderlich gewesen seien, nämlich die Diagnosen und Therapieziele. Insbesondere die fehlende medizinische Begründung im Falle der Verordnung außerhalb des Regelfalles habe die Beigeladene zu 2. im Verwaltungsverfahren nachholen dürfen; erforderlich sei dafür nur, dass die Heilmittelverordnungen die anderen wesentlichen Erfordernisse wie Diagnosestellung mit Leitsymptomatik und eine Spezifizierung der Therapieziele enthielten. Das sei aber bei beiden Versicherten der Fall gewesen. Dieser Sichtweise stünden weder gesetzliche Regelungen noch höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen. Die medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des Regelfalles sei nur eine Entscheidungshilfe für die Krankenkasse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens (Hinweis auf B 3 KR 4/07 R, Rdnr. 23). Vorliegend sei zudem zu beachten, dass die Klägerin auf die Genehmigung von Heilmittelverordnungen außerhalb des Regelfalles im Einzelfall verzichtet habe; durch diesen Verzicht dürften Vertragsärzte nicht schlechter gestellt werden als bei der Notwendigkeit einer vorherigen Genehmigung im Einzelfall. Denn wenn die Klägerin nicht auf ein Genehmigungsverfahren verzichtet hätte, wäre es zu keinem Prüfverfahren mit dem Ziel der Regressfestsetzung gekommen; in diesem Fall hätte die Klägerin nämlich das Vorhandensein aller notwendigen Angaben auf dem Verordnungsformular vorab geprüft. All dies gebiete die Nachholbarkeit der medizinischen Begründung im Verwaltungsverfahren. Zu Recht habe der Beklagte entschieden, dass die von der Beigeladenen zu 2. nachgelieferten Informationen hinreichend gewesen seien. Einsicht etwa in die ärztliche Behandlungsdokumentation der Beigeladenen zu 2. hätte der Beklagte nicht zusätzlich nehmen müssen.

Gegen dieses ihr am 17. Juni 2015 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 10. Juli 2015. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen an: Nach Ziffer 11.3 der Heilmittelrichtlinie in der seinerzeitigen Fassung bedürfe eine Verordnung außerhalb des Regelfalles einer "besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung", die im Verwaltungsverfahren nicht nachholbar sei. Grundsätzlich verböten sich rückwirkende medizinische Feststellungen über die Notwendigkeit einer vertragsärztlichen Verordnung. Verstöße gegen die Heilmittelrichtlinie seien nicht nachträglich heilbar. Nach Abschluss der verordneten Behandlungen sei die medizinische Notwendigkeit einer Verordnung nicht mehr nachprüfbar. Das vom Sozialgericht angeführte BSG-Urteil B 3 KR 4/07 R könne nicht fruchtbar gemacht werden, da es keine Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffe, sondern die Zahlungsklage eines Leistungserbringers. Zudem gelte der Genehmigungsverzicht nur für den Fall ordnungsgemäß ausgestellter Verordnungen. Der Genehmigungsverzicht beinhalte keinen Verzicht auf die Einhaltung der Heilmittelrichtlinie und der dort normierten Begründungspflichten. Der vom Sozialgericht angestellte Vergleich zur Durchführung eines vorherigen Genehmigungsverfahrens sei nicht tragfähig. Denn dieses diene nicht dem Schutz des Arztes, sondern nur der Beschleunigung der Versorgung der Versicherten. Das Genehmigungsverfahren diene nicht der "Nachbesserung" und schließe auch einen späteren Regress nicht aus. Wenn man schließlich eine medizinische Begründung für nachholbar halte, müsse man vom Beklagten auch verlangen, seiner Verpflichtung zur Amtsermittlung zu genügen und die zugrundeliegenden ärztlichen Feststellungen inhaltlich zu überprüfen. Hieran mangele es. Der Beklagte habe nämlich keinen Beweis darüber erhoben, ob die Beigeladene zu 2. zuvor gemäß Ziffer 11.3 und 11.4 der Heilmittelrichtlinie "weiterführende Diagnostik" betrieben und eine "prognostische Einschätzung" gewonnen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2015 sowie den Beschluss des Beklagten vom 24. Juli 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 5. März 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge. Auch sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für richtig.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der angefochtene Beschluss des Beklagten, mit dem er es abgelehnt hat, den von der Klägerin beantragten Heilmittelregress gegen die Beigeladene zu 2. zu verhängen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Sozialgericht hat die mögliche rechtliche Grundlage eines Heilmittelregresses (Verordnungsregress wegen fehlender Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse) in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil zutreffend und vollständig herausgearbeitet und insoweit § 106 Abs. 2 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und §§ 24 und 26 der Prüfvereinbarung vom 14. Februar 2008 benannt. Auch den Inhalt der Heilmittelrichtlinie, insbesondere zu Nr. 11, hat das Sozialgericht in seinem Urteil korrekt dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf Bl. 4 bis 6 des mit der Berufung angegriffenen Urteils (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Auch im Übrigen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung. Zu ergänzen bzw. zu betonen bleibt:

Folgte man der Auffassung der Klägerin, dass ein Vertragsarzt im Prüfverfahren mit weiterem Sachvorbringen zur medizinischen Notwendigkeit ("besondere Begründung" im Sinne von Nr. 11.3 der Heilmittelrichtlinie) ausgeschlossen ist, wäre das Prüfverfahren seines eigentlichen Inhalts entkleidet und hätte nur die Aufgabe, formelle Fehler eines Vertragsarztes zu ahnden. Dementsprechend hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Vertragsärzte im Verfahren vor den Prüfgremien Gelegenheit zu substantiiertem Vorbringen haben, nicht aber im Gerichtsverfahren (vgl. Urteil vom 30. September 2011, L 7 KA 16/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24; Urteil vom 28. November 2012, L 7 KA 120/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 37f., jeweils zu Richtgrößenprüfungen; siehe auch Bundessozialgericht, Urteil vom 15. November 1995, 6 RKa 58/94, veröffentlicht in juris, dort Rdnr. 26; Urteil vom 11. Dezember 2002, B 6 KA 1/02 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 32). Auch nach erneuter Sachprüfung und in Würdigung des Berufungsvorbringens der Klägerin bleibt der Senat dabei, dass ergänzendes Tatsachenvorbringen des der Einzelfallprüfung unterliegenden Vertragsarztes im Verwaltungsverfahren (nur darauf kommt es vorliegend an; vgl. zu substantiellem Sachvortrag erst im Gerichtsverfahren: Urteil des Senats vom heutigen Tage, L 7 KA 63/16) statthaft ist und von den Prüfgremien in die Würdigung einbezogen werden muss.

Eine andere Sichtweise verbietet sich aus folgenden Gründen: Mit dem Prüfverfahren wird ein Sozialverwaltungsverfahren durchgeführt, für das die Vorschriften des SGB X uneingeschränkt gelten (so ausdrücklich § 8 Abs. 1 Nr. 1 der Berliner Prüfvereinbarung vom 14. Februar 2008; vgl. auch Bundessozialgericht, Urteil vom 13. August 2014, B 6 KA 38/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20 sowie Seifert in Eichenhofer/von Koppenfels-Spies/Wenner, Kommentar zum SGB V, 3. Aufl. 2018, Rdnr. 30 zu § 106). Weiter gewährleistet schon die Prüfvereinbarung in § 8 Nr. 2 ausdrücklich das rechtliche Gehör des Vertragsarztes und räumt ihm die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme ein. Eingebettet ist diese Regelung in den Untersuchungs- und Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 Abs. 1 SGB X. Im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung eröffnen Amtsermittlung und notwendiges rechtliches Gehör dem Vertragsarzt so die Gelegenheit, etwa sein konkretes Verordnungsverhalten zu plausibilisieren und näher zu erklären. Ihm die Möglichkeit abzuschneiden, sich im Prüfverfahren zur Sache zu äußern, verbunden mit einem Anspruch auf inhaltliche Würdigung seines Vorbringens durch die Prüfgremien, verstieße gegen auch verfassungsrechtlich gewährleistete grundlegende Verfahrensrechte und nähme dem Prüfverfahren seine eigentliche Funktion.

Zu Recht musste der Prüfungsausschuss der Beigeladenen zu 2. daher Gelegenheit geben, eine "schriftliche ausführliche patientenbezogene Stellungnahme" zu beiden Sachverhalten einzureichen. Ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung (vgl. § 21 Abs. 2 SGB X) ist die Beigeladene zu 2. sodann in vorbildlicher Weise nachgekommen, indem sie am 16. Juli 2012 die im Tatbestand wiedergegebenen Erklärungen zu den beiden Patientinnen vorlegte. Diese Erklärungen sind hinreichend ausführlich und plausibilisieren die Heilmittelverordnungen außerhalb des Regelfalles jeweils in nachvollziehbarer Weise, was die Prüfungsstelle auch so feststellen durfte und hier keiner weiteren Begründung bedarf. Weitere Ermittlungen der Prüfgremien etwa durch Einsichtnahme in die ärztlich geführten Patientenakten waren insoweit nicht angezeigt, denn es bestand kein Anlass dafür. Die Klägerin reklamiert insoweit zwar eine Verletzung der Amtsaufklärungspflicht, hat aber nicht deutlich gemacht, warum und inwieweit Anlass zu weiterer Sachaufklärung bestanden hätte. Zu Ermittlungen ins Blaue hinein nach Art einer Fehlersuche sind die sachkundig und paritätisch besetzten Prüfgremien nicht verpflichtet. Offensichtlich haben im vorliegenden Fall nicht einmal die der Krankenkassenseite angehörenden Mitglieder der Prüfungsstelle weitere Sachaufklärung für erforderlich gehalten.

Sofern die Klägerin dem vorliegenden Prüfverfahren legitimerweise edukatorische Wirkung beimessen will, ist die Beigeladene zu 2. dadurch genug "gestraft", dass sie sich dem Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit dem Risiko eigener Verfahrenskosten und gesteigerten Zeitaufwands unterziehen musste. Davon abgesehen gibt das Verfahren Anlass zu betonen, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung mit ihrem verhaltenslenkenden Charakter gerade keine Strafabsicht verfolgt, sondern der Funktionsfähigkeit und der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung dient (vgl. Seifert a.a.O., Rdnr. 2f. zu § 106).

All dies entspricht im Ergebnis auch der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wie sie ihren Ausdruck in dem von den Beteiligten kontrovers diskutierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. November 2007 (B 3 KR 4/07 R) gefunden hat. Dort handelte es sich zwar um eine "Leistungserbringerstreitigkeit", doch sind ohne Weiteres bestimmte Aussagen auch im vorliegenden Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung fruchtbar zu machen: So hebt das Bundessozialgericht etwa hervor (zitiert nach juris, dort Rdnr. 23), dass eine fehlende Angabe der besonderen medizinischen Begründung auf der Heilmittelverordnung dieselbe nicht "ungültig" mache, sondern gegebenenfalls lediglich eine Ergänzung durch den Vertragsarzt erfordere. Gerade auch die unrichtige Einstufung der Verordnung durch den Vertragsarzt als Regelfall statt als Ausnahmefall durch bloßes "Ankreuzen" berührt die Gültigkeit der Verordnung nicht (a.a.O., Rdnr. 24).

Stellt man nach Art einer Kontrollüberlegung schließlich noch in die Erwägung ein, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum gemäß Nr. 11.5 Satz 4 der Heilmittelrichtlinie auf eine vorherige Genehmigung der Verordnungen außerhalb des Regelfalles verzichtet hat, führte es zu einem untragbaren Ergebnis, dem Vertragsarzt die Nachbesserung bzw. Plausibilisierung einer Heilmittelverordnung im Prüfverfahren zu verwehren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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