Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
73
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 722/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Situation, dass sich in der ambulanten Versorgung eine Untersuchungsmethode (HRT-Scan) etabliert hat (als IGeL), deren Einsatz nicht mit ausreichenden Studien begleitet wurde, so dass ein Methodenbewertungsverfahren voraussichtlich keine Aussicht auf eine positive Bewertung durch den GBA hat und entsprechend auch kein Antrag nach § 135 Abs.1 SGB V gestellt wird, ist kein Fall des Systemversagens.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt mit der Klage die Erstattung der Kosten für den Scan mit einem sog. Heidelberg Retina Tomograph (HRT). Letztlich geht es ihm primär darum, dass der HRT-Scan in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.
Bei dem HRT handelt es sich um ein konfokales Punkt-Scanning-Laser Ophthalmoskop, das von Augenärzten zur Untersuchung der Hornhaut und bestimmter Bereiche der Netzhaut eingesetzt wird. Der wichtigste Anwendungsbereich des HRT ist die Überprüfung des Sehnervkopfes (Papille) zum Zwecke der Früherkennung und Verlaufskontrolle des Glaukoms (Grüner Star). Durch Einsatz entsprechender Module ist auch die Untersuchung der vorderen Augenabschnitte sowie der Netzhaut (vor allem der Makula) möglich. In den Arztpraxen wird das HRT im Rahmen einer individuellen Gesundheitsleistung (IGeL) eingesetzt.
Der Kläger leidet an einem Glaukom. Im September 2013 beantragte er die Kostenübernahme für ein HRT-Scan und gab die dafür anfallenden Kosten mit 77,03 Euro an. Mit Schreiben vom 14.10.2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, es handele sich bei der beantragten Leistung nicht um die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung "Dreidimensionale Untersuchung von Papille und Netzhaut". Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger unter anderem damit, dass es sich bei der HRT-Messung um eine wahre, belastbare und zeitgemäße Untersuchungsmethode handele.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 27.12.2013 aus, dass seines Erachtens eine Kostenübernahme nicht erfolgen können, da es sich bei dem HRT um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelte, hinsichtlich der der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) noch keine positive Stellungnahme abgegeben habe. Es liege weder ein Systemversagen vor, noch sei der Tatbestand des § 2 Abs. 1a SGB V erfüllt. Der Stellenwert des HRT-Scan als alleinige Untersuchungstechnik im Rahmen einer Kombination verschiedener diagnostischer Maßnahmen bei Glaukomdiagnostik und –monitoring sei derzeit nicht durch Studien von ausrechend hoher Evidenz und ausreichend langer Nachbeobachtung belegt. Alternative vertragliche Leistungen stellten in Abhängigkeit vom Befund dar: Ausführliche Anamneseerhebung; Prüfung der Sehschärfe; Biomikroskopische Untersuchung des Auges mittels Spaltlampe zu Beurteilung des vorderen Augenabschnittes inklusive Augeninnendruckmessung (ggf. als Tensiotagesprofil) und Gonloskkopie (Untersuchung des Kammerwinkels); biomikroskopische Untersuchung des Auges mittels Spaltlampe zur Beurteilung des hinteren Augenabschnitts insbesondere Beurteilung des Sehnervkopfes (Papille) und Nervenfaserschicht (im rotfreien Licht); regelmäßige Gesichtsfelduntersuchung und soweit notwendig 24-Stunden Blutdruckmessung. Diese Untersuchungsmethoden seien aus sozialmedizinischer Sicht als hinreichend anzusehen, um die notwendige Therapie bei Vorliegen eines Glaukoms einleiten und den Erkrankungsverlauf überwachen zu können. Eine Untersuchung mit dem HRT sei nicht notwendig, um eine fachgerechte Behandlung durchzuführen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch insbesondere unter Verweis auf die Ausführungen des MDK zurück.
Am 24.04.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Die Argumentation der Beklagten und des MDK zu zeitgemäßen Diagnosemethoden, Inhalten und Änderungsgeschwindigkeiten von Leistungskatalogen seien rechtlich sicher beanstandungsfrei, fachlich aber seines Erachtens mittelalterlich. Dabei werde in keiner Weise auf Angemessenheit von Aufwand und Nutzen, also Kosten und Ergebnis eingegangen. Die Lebenseinschränkungen und Kosten bei Blindheit der Betroffenen schienen uninteressant zu sein. Dagegen gebe es viele fragwürdige "Kassen-Leistungen". Es sei über eine Klage vor dem Sozialgericht durchzusetzen, dass eine fachliche Entwicklung stattfinde.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2014 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die HRT-Messung i.H.v. 77,03 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf das Vorbringen im Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat die Ophtalmologische Gesellschaft, den Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundesarbeitsgemeinschaft PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, den Bundesverband Glaukom-Selbsthilfe und den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) unter anderem nach dem diagnostischen Nutzen des HRT-Scans gegenüber der vom Leistungskatalog umfassten Methoden und den Gründen für eine bislang unterbliebene Antragstellung schriftlich befragt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die Durchführung des HRT-Scans, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht vorliegen. Versicherte erhalten die Leistungen der Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGB V). Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V). Ein solcher Ausnahmefall, der zur Erstattung der Kosten für den HRT-Scan führen könnte, ist nicht gegeben
Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 S. 2 SGB V i.V.m. § 15 SGB IX scheidet aus, weil es sich bei dem HRT-Scan nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Die Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX dienen nach ihrer im Gesetz angelegten Zielrichtung primär der Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie der Vermeidung und dem Entgegenwirken von Benachteiligungen (§ 1 S. 1 SGB IX) (vgl. ausführlich dazu BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R, Rn. 35 - 37). Bei der Behandlung, in deren Rahmen das HRT-Scan eingesetzt wird, geht es primär um eine Krankenbehandlung.
Auch die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach beiden Alternativen des § 13 Abs. 3 S 1 SGB V lagen nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift ersetzt den primär auf die Sach- oder Dienstleistung gerichteten Anspruch, wenn das Sachleistungssystem versagt und sich die Versicherten die Leistungen selbst beschaffen. Das Unvermögen der Krankenkasse, die Leistung rechtzeitig zu erbringen, sowie die rechtswidrige Verweigerung der Sachleistung berechtigen den Versicherten, sich die Leistung in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips selbst zu beschaffen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nach beiden Tatbeständen des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorliegen (stRspr, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R, Rn. 14ff. m.w.N.).
Der Kläger hatte zu dem Zeitpunkt, als er sich die Leistung selbst beschaffte, keinen Anspruch auf eine entsprechende Versorgung. Das HRT-Scan-Verfahren zur Früherkennung und Verlaufsdiagnostik bei Glaukomerkrankungen gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und der Kläger konnte die Leistung auch unter dem Gesichtspunkt eines anzunehmenden Systemversagens beanspruchen. Auf die Frage, ob der Kläger den sog. "Beschaffungsweg" eingehalten hat, der die erforderliche Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse und dem Entstehen der Kosten begründet, kommt es deshalb im Ergebnis nicht an. Ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten (vgl. hierzu ausführlich Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 52 m.w.N.). Zweifel an der Einhaltung des Beschaffungsweges sind deshalb gegeben, weil der Kläger eine "Vereinbarung über gewünschte Privatbehandlung" vom 30.07.2013 vorlegte, die ablehnende Entscheidung der Beklagten aber auf 14.10.2013 datiert und damit erst nach Beschaffung der Leistung vorlag. Ob hier aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in den Jahren davor die Kosten für das HRT-Scan immer erstattet hatte, ohne auf den Beschaffungsweg zu beharren, eine Sondersituation vorliegt, musste die Kammer nicht entscheiden. Denn die Leistung gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gemäß den §§ 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1, 28 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte. Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der ärztlichen Behandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus den §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei – wie hier – neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V grundsätzlich nur dann der Fall, wenn zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) gemacht hat (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt); die Richtlinien bestimmten insoweit auch den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen (ständige Rspr., vgl. u.a. BSG, Urteil vom 07. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R, Rn. 13 ff.).
Bei dem HRT-Scan handelt es sich um eine ärztliche "Untersuchungsmethode" im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, da dem Verfahren ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das es von anderen Untersuchungsverfahren unterschiedet und das seine systematische Anwendung in der Erkennung von Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. zum Begriff der Behandlungsmethode u.a. BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 R, Rn. 17). Neu i.S.d. § 135 Abs. 1 SGB V ist eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie nicht als Gebührenordnungsposition im EBM aufgeführt ist, also keine abrechnungsfähige Leistung darstellt oder als Leistung im EBM enthalten ist, hinsichtlich der lndikation oder der Art der Erbringung aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (vgl. 2. Kap. § 2 Abs. 1 VerfO-GBA; BSG, Urteil vom 08. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R, Rn. 32). Eine Empfehlung des GBA nach § 135 Abs. 1 SGB V liegt hinsichtlich des HRT-Scans nicht vor und es existiert auch keine entsprechende Abrechnungsziffer. Es wurde noch nicht einmal ein Antrag auf Methodenbewertung nach § 135 Abs. 1 SGB V gestellt.
In der fehlenden Antragstellung liegt auch kein Ausnahmefall, aufgrund dessen hier trotz fehlender positiver Richtlinie durch den GBA ein Sachleistungsanspruch bestehen könnte. Da eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig gleichstehende Erkrankung nicht vorliegt, kommt ein Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V nicht in Betracht. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Erkrankung, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet (sog. Seltenheitsfall, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R) liegt bei der Glaukomerkrankung ersichtlich ebenfalls nicht vor. Die Zahl der in Deutschland am Glaukom erkrankten Patienten wird von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in ihrem Schreiben vom 18.05.2017 – unter Bezugnahme auf das Weißbuch der DOG zur Situation der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland 2012 – auf ca. eine Million geschätzt.
Die Situation, dass sich in der ambulanten Versorgung eine Untersuchungsmethode etabliert hat, deren Einsatz nicht mit ausreichenden Studien begleitet wurde, so dass die nach § 135 Abs. 1 SGB V und § 140f SGB V antragsberechtigten Institutionen sich nicht in der Pflicht fühlen, einen Antrag auf Methodenbewertung zu stellen, stellt nach Auffassung der Kammer kein Systemversagen dar.
Eine Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens kann ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (u.a. BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 1 KR 24/06 R, Rn. 18). Jedoch setzt dies auch voraus, dass dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 1997 12 RK 28/95, Rn. 35 ff). Dabei ist die Anknüpfung an ein willkürliches Verhalten des GBA oder der antragsberechtigten Stellen von Verfassung wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 23. März 2017, 1 BvR 2861/16). Ein solcher Fall ist bisher angenommen worden, wenn der GBA aufgrund eines Bewertungsverfahrens für den stationären Behandlungsbereich nach § 137c SGB V Erkenntnisse hat, die er im Rahmen des Verfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V nicht nutzt und deshalb keine Empfehlung für den ambulanten Versorgungsbereich abgibt (BSG, Urteil vom 07. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R). Von einem willkürlichen Unterlassen einer Antragstellung kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Ein willkürliches Unterlassen einer Antragstellung liegt nur dann vor, wenn sich die Antragsbefugnis zu einer Antragspflicht verdichtet hat, weil nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse eine positive Abschätzung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch den GBA wahrscheinlich ist und im Übrigen eine positive Bewertung der Methode nicht aus anderen Gründen – etwa der fehlenden Wirtschaftlichkeit – ausgeschlossen erscheint; das erfordert zumindest ausreichende Anhaltspunkte für die medizinische Wirksamkeit der Methode. Voraussetzung dafür ist, dass die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Studien und Statistiken belegt ist (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R, Rn. 26 m.w.N.).
Dies ist bei dem HRT-Scan-Verfahren jedoch nicht der Fall. Bis zum heutigen Tag ist keine Studienlage gegeben, die die antragsberechtigten Organisationen verpflichtet hätte, einen Antrag beim GBA zu stellen. Übereinstimmend haben alle vom Gericht befragten Organisationen das Vorliegen einer ausreichenden Studienlage verneint. Der GBA, der die vom Kläger vorgelegten 474 Literaturreferenzen herangezogen und weitere 105 Fundstellen, die durch eigene Literaturrecherche nach aggregierter Evidenz identifiziert wurden, ausgewertet hat, führt in seiner Stellungnahme vom 27.09.2018 aus: "Im vorliegenden Fall müsste der geforderte Studientyp also eine Population von Patientinnen und Patienten mit POWG untersuchen, die zur Verlaufskontrolle bzw. Verlaufsdiagnostik im kontrollierten Parallelgruppendesign mit verschiedenen diagnostischen Methoden untersucht wurde. Idealerweise würde dabei eine Gruppe die derzeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbare Diagnostik erhalten gegen eine Gruppe verglichen, bei der zusätzlich zur derzeitigen Standarddiagnostik die Vermessung des Sehnervs mit dem HRT zur Anwendung kommt. Für eine positive Nutzenbewertung sollte die Diagnostik mit dem HRT genauer sein und somit die Therapieentscheidung optimieren, sodass sich im Verlauf der Studie Unterschiede zu Gunsten der Gruppe mit dem HRT in patientenrelevanten Endpunkten ergeben. Eine solche Studien konnte weder in den von Ihnen übermittelten Literaturreferenzen noch in den durch eigene Literaturrecherche ermittelten Fundstellen identifiziert werden. Dementsprechend kann auf Basis der von der Geschäftsstelle des Unterausschusses Methodenbewertung recherchierten Evidenz unter Einbeziehung der von Ihnen übermittelten Literaturreferenzen nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für ein Systemversagen für den Einsatz des HRT-Scan zur Verlaufskontrolle bzw. Verlaufsdiagnostik bei Patientinnen und Patienten mit POWG vorliegen". Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppe verneinte eine ausreichende Studienlage zur Stellung eines Antrages nach § 135 Abs. 1 SGB V in ihrem Schreiben vom 01.06.2017 ebenso wie die anderen Organisationen.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der HRT-Scan in der augenärztlichen Praxis mittlerweile durchgesetzt hat und bislang keine Folgeschäden bekannt sind. Insoweit schließt sich die Kammer vollumfänglich dem Urteil des SG Berlin zum sog. OCT-Verfahren an. Das OCT (optischen Kohärenztomografie) ist ebenfalls ein Scan-Verfahren zur Vermessung des Sehnervs. Auch dieses Verfahren ist bislang als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankversicherung umfasst und wird als IgeL angeboten. Diesbezüglich führte die 28. Kammer des SG Berlin aus: "Dass sich die OCT in der augenärztlichen Praxis durchgesetzt hat, ändert hieran nichts. Denn dies wäre rechtlich allein dann von Bedeutung, wenn der GBA oder eine antragsberechtigte Organisation die ihr obliegende Aufgabe nicht wahrgenommen hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 1997, a.a.O., Rn. 45). Ansonsten kann die Verbreitung in der Praxis, worauf auch die KBV in ihrer Stellungnahme hinweist, nicht den Beleg durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Studien und Statistiken ersetzen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die OCT nicht nur als IGeL, sondern vielfach auch aufgrund selektivvertraglicher Regelungen zwischen Krankenkassen und einzelvertraglich gebundenen Augenärzten zu Lasten der GKV angeboten wird und Verbreitung gefunden hat. Denn für derartige einzelvertragliche Leistungen wurden geringere Anforderungen an die Bewertung von Nutzen und Risiken gestellt; nach § 73c Abs. 4 S. 2 SGB V in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung waren allein solche Leistungen von einer Vereinbarung ausgeschlossen, über die der GBA eine ablehnende Entscheidung getroffen hatte; eine positive Nutzenbewertung oder die Wahrscheinlichkeit einer solchen, war nicht erforderlich, damit eine Leistung zulässiger Gegenstand eines Vertrages werden konnte (Orlowski/Rau/Wasem u.a., SGB V-Kommentar - Gesetzliche Krankenversicherung - GKV, 46. AL, § 73c, Rn. 16 i.V.m. 73b Rn 66). Es ist deshalb nicht als Umgehung des Bewertungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V und damit als Systemversagen anzusehen, wenn über derartige Selektivverträge nach § 73c SGB V die OCT weite Verbreitung gefunden hatte. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn trotz entsprechender positiver Erkenntnisse über den Nutzen der Methode das Bewertungsverfahren nicht eingeleitet worden wäre und die Versicherten allein bei Vorliegen von Selektivverträgen die Leistung, deren Nutzen belegt ist, zu Lasten der GKV in Anspruch hätten nehmen können. Liegen aber - wie hier – keine derartigen Erkenntnisse vor, kann ein Leistungsanspruch auf eine Untersuchungsmethode deren Nutzen nicht belegbar ist unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens nicht deshalb verlangt werden, weil andere Krankenkassen bzw. Ärzte einen Selektivertrag geschlossen haben" (SG Berlin, Urteil vom 13. Dezember 2017 – S 28 KR 2811/15 –, Rn. 27, juris; a.A. hinsichtlich des OCT-Verfahrens SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12).
Was vom Kläger letztlich gewollt und teilweise auch von den angeschriebenen Organisationen so gehen wird, ist die Implementierung einer neuen Form der Ergänzung des Leistungskataloges, an den Vorgaben des § 135 Abs. 1 SGB V und § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V vorbei. Begründet wird dies damit, dass in den Konstellationen, in denen – aus welchen Gründen auch immer – keine ausreichenden Studien durchgeführt werden, ebenfalls von einem Versagen des Systems auszugehen sei. Der Bundesverband Glaukom Selbsthilfe e.V. führt hierzu in seinem Schreiben vom 08.05.2017 aus: "Auch wenn nach unserer Kenntnis noch nicht ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Studien vorliegen, so sprechen die Verbreitung in der Praxis und die signifikante Häufigkeit der Anwendung des Verfahrens nach unserer Auffassung dafür, die Methode als Untersuchungs- und Behandlungsmethode anzuerkennen". Dies entspricht nach Auffassung der Kammer nicht der Gesetzeslage.
Der Verweis des Klägers auf die Rechtsprechung des SG Rostock führt hier nicht weiter. Das SG Rostock war bei dem OC-Verfahren von einen Systemversagen ausgegangen (SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12). Das SG war insbesondere nach Einholung eines Sachverständigengutachtens davon überzeugt, dass es sich bei dem – mit dem HRT-Scan vergleichbaren – OCT um eine "in der Praxis eine bewährte und unverzichtbare Basisuntersuchung" handelte und dass es keinen Hinweis darauf gebe, dass die Laserstrahlen, die zur Anwendung kommen, schädlich seien. "Die Untersuchung ist nicht invasiv und nur wenig belastend und biete daher keinerlei systemische Risiken. Auch im Internet ist auf allen Seiten, die sich mit der optischen Kohärenztomografie befassen, zu lesen, dass diese Untersuchung – im Gegensatz zur Fluoreszensangiographie - völlig risikofrei sei. ( ) Deshalb ist die Kammer der Ansicht, dass das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen nicht zeitgerecht durchgeführt wurde" (SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12 –, Rn. 26, 32). Für die Kammer ist schon nicht ersichtlich, wie es dem SG Rostock und dem Sachverständigen möglich war, ohne eine ausreichende Studienlage zu der Gewissheit zu gelangen, dass das OCT keinerlei Risiken in sich birgt. Ungeachtet dessen wird durch die Rechtsauffassung des Klägers und des SG Rostock der Ausnahmetatbestand des Systemversagens auf Fälle ausgedehnt, die von dem System so in Kauf genommen werden. Denn auch unabhängig von dem Erfordernis eines Methodenbewertungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V sieht auch § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V einen Qualitätsstandard in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung fordert für den Bereich der ärztlichen Behandlung hinsichtlich des Qualitätsgebots, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit einer neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen (vgl. u.a BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R). Dieser Standard kann – abgesehen von den im Gesetz normierten Ausnahmen (§ 2 Abs. 2a SGB V und dem o.g. Seltenheitsfall) – nicht umgangen werden.
Ob der Verzicht auf Durchführung von ausreichenden Studien darauf beruht, dass weder die Augenärzte noch die Hersteller oder die Krankenkassen ein Interesse daran haben, dass das HRT-Scan, welches sich als sog. IgeL gut verkauft, als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt wird, kann von der Kammer nicht beurteilt werden. Letztlich sollten sich aber insbesondere die antragsberechtigten Patientenorganisationen gerade in der vorliegenden Situation nicht darauf zurückziehen, dass ein Antrag nach § 135 Abs. 1 SGB V zu einem Negativvotum des GBA führen würde. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass für Fälle, in denen – aus welchen Gründen auch immer – keine ausreichenden Nachweise und Studien vorliegen, mit § 137e SGB V eine Art "Ausweg" geschaffen wurde. Nach § 137e Abs. 1 SGB V kann der GBA dann, wenn er bei der Prüfung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V oder § 137c SGB V zu der Feststellung gelangt, dass eine Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. Aufgrund der Richtlinie wird die Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenbehandlung oder der Früherkennung zulasten der Krankenkassen erbracht. Die Regelung wurde mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) vom 22.12.2011 mit Wirkung zum 01.01.2012 in das SGB V eingefügt und zwar zu folgendem Zweck: "Für den Gemeinsamen Bundesausschuss wird daher die Möglichkeit geschaffen, künftig innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Potential zeitlich begrenzt unter strukturierten Bedingungen bei gleichzeitigem Erkenntnisgewinn unter Aussetzung des Bewertungsverfahrens zu erproben. Damit erhält der Gemeinsame Bundesausschuss ein neues Instrument für die Bewertung von Methoden, deren Nutzen (noch) nicht mit hinreichender Evidenz belegt ist." (BT-Drucks. 17/6906, S. 87). Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreich einsetzbare Methoden ersetzt werden können, die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann (vgl. 2. Kapitel § 14 Abs. 3 S. 1 der Verfahrensordnung des GBA, fast wortgleich: BT-Drucks. 17/6906, S. 87).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28). Dies ist vorliegend nach Auffassung der Kammer der Fall. Die Frage, ob eine weit verbreitete IgeL, welche von einer Vielzahl von Versicherten in Anspruch genommen wird, ohne dass entsprechende Studien für ein erfolgreiches Methodenbewertungsverfahren durchgeführt werden, eine Fallgruppe des Systemversagens darstellt, ist höchstgerichtlich nicht geklärt. Die Klärung der Frage liegt im allgemeinen Interesse.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt mit der Klage die Erstattung der Kosten für den Scan mit einem sog. Heidelberg Retina Tomograph (HRT). Letztlich geht es ihm primär darum, dass der HRT-Scan in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.
Bei dem HRT handelt es sich um ein konfokales Punkt-Scanning-Laser Ophthalmoskop, das von Augenärzten zur Untersuchung der Hornhaut und bestimmter Bereiche der Netzhaut eingesetzt wird. Der wichtigste Anwendungsbereich des HRT ist die Überprüfung des Sehnervkopfes (Papille) zum Zwecke der Früherkennung und Verlaufskontrolle des Glaukoms (Grüner Star). Durch Einsatz entsprechender Module ist auch die Untersuchung der vorderen Augenabschnitte sowie der Netzhaut (vor allem der Makula) möglich. In den Arztpraxen wird das HRT im Rahmen einer individuellen Gesundheitsleistung (IGeL) eingesetzt.
Der Kläger leidet an einem Glaukom. Im September 2013 beantragte er die Kostenübernahme für ein HRT-Scan und gab die dafür anfallenden Kosten mit 77,03 Euro an. Mit Schreiben vom 14.10.2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, es handele sich bei der beantragten Leistung nicht um die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung "Dreidimensionale Untersuchung von Papille und Netzhaut". Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger unter anderem damit, dass es sich bei der HRT-Messung um eine wahre, belastbare und zeitgemäße Untersuchungsmethode handele.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 27.12.2013 aus, dass seines Erachtens eine Kostenübernahme nicht erfolgen können, da es sich bei dem HRT um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelte, hinsichtlich der der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) noch keine positive Stellungnahme abgegeben habe. Es liege weder ein Systemversagen vor, noch sei der Tatbestand des § 2 Abs. 1a SGB V erfüllt. Der Stellenwert des HRT-Scan als alleinige Untersuchungstechnik im Rahmen einer Kombination verschiedener diagnostischer Maßnahmen bei Glaukomdiagnostik und –monitoring sei derzeit nicht durch Studien von ausrechend hoher Evidenz und ausreichend langer Nachbeobachtung belegt. Alternative vertragliche Leistungen stellten in Abhängigkeit vom Befund dar: Ausführliche Anamneseerhebung; Prüfung der Sehschärfe; Biomikroskopische Untersuchung des Auges mittels Spaltlampe zu Beurteilung des vorderen Augenabschnittes inklusive Augeninnendruckmessung (ggf. als Tensiotagesprofil) und Gonloskkopie (Untersuchung des Kammerwinkels); biomikroskopische Untersuchung des Auges mittels Spaltlampe zur Beurteilung des hinteren Augenabschnitts insbesondere Beurteilung des Sehnervkopfes (Papille) und Nervenfaserschicht (im rotfreien Licht); regelmäßige Gesichtsfelduntersuchung und soweit notwendig 24-Stunden Blutdruckmessung. Diese Untersuchungsmethoden seien aus sozialmedizinischer Sicht als hinreichend anzusehen, um die notwendige Therapie bei Vorliegen eines Glaukoms einleiten und den Erkrankungsverlauf überwachen zu können. Eine Untersuchung mit dem HRT sei nicht notwendig, um eine fachgerechte Behandlung durchzuführen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch insbesondere unter Verweis auf die Ausführungen des MDK zurück.
Am 24.04.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Die Argumentation der Beklagten und des MDK zu zeitgemäßen Diagnosemethoden, Inhalten und Änderungsgeschwindigkeiten von Leistungskatalogen seien rechtlich sicher beanstandungsfrei, fachlich aber seines Erachtens mittelalterlich. Dabei werde in keiner Weise auf Angemessenheit von Aufwand und Nutzen, also Kosten und Ergebnis eingegangen. Die Lebenseinschränkungen und Kosten bei Blindheit der Betroffenen schienen uninteressant zu sein. Dagegen gebe es viele fragwürdige "Kassen-Leistungen". Es sei über eine Klage vor dem Sozialgericht durchzusetzen, dass eine fachliche Entwicklung stattfinde.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2014 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die HRT-Messung i.H.v. 77,03 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf das Vorbringen im Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat die Ophtalmologische Gesellschaft, den Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundesarbeitsgemeinschaft PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, den Bundesverband Glaukom-Selbsthilfe und den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) unter anderem nach dem diagnostischen Nutzen des HRT-Scans gegenüber der vom Leistungskatalog umfassten Methoden und den Gründen für eine bislang unterbliebene Antragstellung schriftlich befragt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die Durchführung des HRT-Scans, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht vorliegen. Versicherte erhalten die Leistungen der Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGB V). Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V). Ein solcher Ausnahmefall, der zur Erstattung der Kosten für den HRT-Scan führen könnte, ist nicht gegeben
Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 S. 2 SGB V i.V.m. § 15 SGB IX scheidet aus, weil es sich bei dem HRT-Scan nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Die Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX dienen nach ihrer im Gesetz angelegten Zielrichtung primär der Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie der Vermeidung und dem Entgegenwirken von Benachteiligungen (§ 1 S. 1 SGB IX) (vgl. ausführlich dazu BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R, Rn. 35 - 37). Bei der Behandlung, in deren Rahmen das HRT-Scan eingesetzt wird, geht es primär um eine Krankenbehandlung.
Auch die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach beiden Alternativen des § 13 Abs. 3 S 1 SGB V lagen nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift ersetzt den primär auf die Sach- oder Dienstleistung gerichteten Anspruch, wenn das Sachleistungssystem versagt und sich die Versicherten die Leistungen selbst beschaffen. Das Unvermögen der Krankenkasse, die Leistung rechtzeitig zu erbringen, sowie die rechtswidrige Verweigerung der Sachleistung berechtigen den Versicherten, sich die Leistung in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips selbst zu beschaffen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nach beiden Tatbeständen des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorliegen (stRspr, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R, Rn. 14ff. m.w.N.).
Der Kläger hatte zu dem Zeitpunkt, als er sich die Leistung selbst beschaffte, keinen Anspruch auf eine entsprechende Versorgung. Das HRT-Scan-Verfahren zur Früherkennung und Verlaufsdiagnostik bei Glaukomerkrankungen gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und der Kläger konnte die Leistung auch unter dem Gesichtspunkt eines anzunehmenden Systemversagens beanspruchen. Auf die Frage, ob der Kläger den sog. "Beschaffungsweg" eingehalten hat, der die erforderliche Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse und dem Entstehen der Kosten begründet, kommt es deshalb im Ergebnis nicht an. Ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten (vgl. hierzu ausführlich Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 52 m.w.N.). Zweifel an der Einhaltung des Beschaffungsweges sind deshalb gegeben, weil der Kläger eine "Vereinbarung über gewünschte Privatbehandlung" vom 30.07.2013 vorlegte, die ablehnende Entscheidung der Beklagten aber auf 14.10.2013 datiert und damit erst nach Beschaffung der Leistung vorlag. Ob hier aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in den Jahren davor die Kosten für das HRT-Scan immer erstattet hatte, ohne auf den Beschaffungsweg zu beharren, eine Sondersituation vorliegt, musste die Kammer nicht entscheiden. Denn die Leistung gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gemäß den §§ 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1, 28 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte. Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der ärztlichen Behandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus den §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei – wie hier – neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V grundsätzlich nur dann der Fall, wenn zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) gemacht hat (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt); die Richtlinien bestimmten insoweit auch den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen (ständige Rspr., vgl. u.a. BSG, Urteil vom 07. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R, Rn. 13 ff.).
Bei dem HRT-Scan handelt es sich um eine ärztliche "Untersuchungsmethode" im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, da dem Verfahren ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das es von anderen Untersuchungsverfahren unterschiedet und das seine systematische Anwendung in der Erkennung von Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. zum Begriff der Behandlungsmethode u.a. BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 R, Rn. 17). Neu i.S.d. § 135 Abs. 1 SGB V ist eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie nicht als Gebührenordnungsposition im EBM aufgeführt ist, also keine abrechnungsfähige Leistung darstellt oder als Leistung im EBM enthalten ist, hinsichtlich der lndikation oder der Art der Erbringung aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (vgl. 2. Kap. § 2 Abs. 1 VerfO-GBA; BSG, Urteil vom 08. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R, Rn. 32). Eine Empfehlung des GBA nach § 135 Abs. 1 SGB V liegt hinsichtlich des HRT-Scans nicht vor und es existiert auch keine entsprechende Abrechnungsziffer. Es wurde noch nicht einmal ein Antrag auf Methodenbewertung nach § 135 Abs. 1 SGB V gestellt.
In der fehlenden Antragstellung liegt auch kein Ausnahmefall, aufgrund dessen hier trotz fehlender positiver Richtlinie durch den GBA ein Sachleistungsanspruch bestehen könnte. Da eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig gleichstehende Erkrankung nicht vorliegt, kommt ein Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V nicht in Betracht. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Erkrankung, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet (sog. Seltenheitsfall, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R) liegt bei der Glaukomerkrankung ersichtlich ebenfalls nicht vor. Die Zahl der in Deutschland am Glaukom erkrankten Patienten wird von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in ihrem Schreiben vom 18.05.2017 – unter Bezugnahme auf das Weißbuch der DOG zur Situation der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland 2012 – auf ca. eine Million geschätzt.
Die Situation, dass sich in der ambulanten Versorgung eine Untersuchungsmethode etabliert hat, deren Einsatz nicht mit ausreichenden Studien begleitet wurde, so dass die nach § 135 Abs. 1 SGB V und § 140f SGB V antragsberechtigten Institutionen sich nicht in der Pflicht fühlen, einen Antrag auf Methodenbewertung zu stellen, stellt nach Auffassung der Kammer kein Systemversagen dar.
Eine Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens kann ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (u.a. BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 1 KR 24/06 R, Rn. 18). Jedoch setzt dies auch voraus, dass dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 1997 12 RK 28/95, Rn. 35 ff). Dabei ist die Anknüpfung an ein willkürliches Verhalten des GBA oder der antragsberechtigten Stellen von Verfassung wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 23. März 2017, 1 BvR 2861/16). Ein solcher Fall ist bisher angenommen worden, wenn der GBA aufgrund eines Bewertungsverfahrens für den stationären Behandlungsbereich nach § 137c SGB V Erkenntnisse hat, die er im Rahmen des Verfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V nicht nutzt und deshalb keine Empfehlung für den ambulanten Versorgungsbereich abgibt (BSG, Urteil vom 07. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R). Von einem willkürlichen Unterlassen einer Antragstellung kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Ein willkürliches Unterlassen einer Antragstellung liegt nur dann vor, wenn sich die Antragsbefugnis zu einer Antragspflicht verdichtet hat, weil nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse eine positive Abschätzung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch den GBA wahrscheinlich ist und im Übrigen eine positive Bewertung der Methode nicht aus anderen Gründen – etwa der fehlenden Wirtschaftlichkeit – ausgeschlossen erscheint; das erfordert zumindest ausreichende Anhaltspunkte für die medizinische Wirksamkeit der Methode. Voraussetzung dafür ist, dass die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Studien und Statistiken belegt ist (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R, Rn. 26 m.w.N.).
Dies ist bei dem HRT-Scan-Verfahren jedoch nicht der Fall. Bis zum heutigen Tag ist keine Studienlage gegeben, die die antragsberechtigten Organisationen verpflichtet hätte, einen Antrag beim GBA zu stellen. Übereinstimmend haben alle vom Gericht befragten Organisationen das Vorliegen einer ausreichenden Studienlage verneint. Der GBA, der die vom Kläger vorgelegten 474 Literaturreferenzen herangezogen und weitere 105 Fundstellen, die durch eigene Literaturrecherche nach aggregierter Evidenz identifiziert wurden, ausgewertet hat, führt in seiner Stellungnahme vom 27.09.2018 aus: "Im vorliegenden Fall müsste der geforderte Studientyp also eine Population von Patientinnen und Patienten mit POWG untersuchen, die zur Verlaufskontrolle bzw. Verlaufsdiagnostik im kontrollierten Parallelgruppendesign mit verschiedenen diagnostischen Methoden untersucht wurde. Idealerweise würde dabei eine Gruppe die derzeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbare Diagnostik erhalten gegen eine Gruppe verglichen, bei der zusätzlich zur derzeitigen Standarddiagnostik die Vermessung des Sehnervs mit dem HRT zur Anwendung kommt. Für eine positive Nutzenbewertung sollte die Diagnostik mit dem HRT genauer sein und somit die Therapieentscheidung optimieren, sodass sich im Verlauf der Studie Unterschiede zu Gunsten der Gruppe mit dem HRT in patientenrelevanten Endpunkten ergeben. Eine solche Studien konnte weder in den von Ihnen übermittelten Literaturreferenzen noch in den durch eigene Literaturrecherche ermittelten Fundstellen identifiziert werden. Dementsprechend kann auf Basis der von der Geschäftsstelle des Unterausschusses Methodenbewertung recherchierten Evidenz unter Einbeziehung der von Ihnen übermittelten Literaturreferenzen nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für ein Systemversagen für den Einsatz des HRT-Scan zur Verlaufskontrolle bzw. Verlaufsdiagnostik bei Patientinnen und Patienten mit POWG vorliegen". Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppe verneinte eine ausreichende Studienlage zur Stellung eines Antrages nach § 135 Abs. 1 SGB V in ihrem Schreiben vom 01.06.2017 ebenso wie die anderen Organisationen.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der HRT-Scan in der augenärztlichen Praxis mittlerweile durchgesetzt hat und bislang keine Folgeschäden bekannt sind. Insoweit schließt sich die Kammer vollumfänglich dem Urteil des SG Berlin zum sog. OCT-Verfahren an. Das OCT (optischen Kohärenztomografie) ist ebenfalls ein Scan-Verfahren zur Vermessung des Sehnervs. Auch dieses Verfahren ist bislang als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankversicherung umfasst und wird als IgeL angeboten. Diesbezüglich führte die 28. Kammer des SG Berlin aus: "Dass sich die OCT in der augenärztlichen Praxis durchgesetzt hat, ändert hieran nichts. Denn dies wäre rechtlich allein dann von Bedeutung, wenn der GBA oder eine antragsberechtigte Organisation die ihr obliegende Aufgabe nicht wahrgenommen hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 1997, a.a.O., Rn. 45). Ansonsten kann die Verbreitung in der Praxis, worauf auch die KBV in ihrer Stellungnahme hinweist, nicht den Beleg durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Studien und Statistiken ersetzen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die OCT nicht nur als IGeL, sondern vielfach auch aufgrund selektivvertraglicher Regelungen zwischen Krankenkassen und einzelvertraglich gebundenen Augenärzten zu Lasten der GKV angeboten wird und Verbreitung gefunden hat. Denn für derartige einzelvertragliche Leistungen wurden geringere Anforderungen an die Bewertung von Nutzen und Risiken gestellt; nach § 73c Abs. 4 S. 2 SGB V in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung waren allein solche Leistungen von einer Vereinbarung ausgeschlossen, über die der GBA eine ablehnende Entscheidung getroffen hatte; eine positive Nutzenbewertung oder die Wahrscheinlichkeit einer solchen, war nicht erforderlich, damit eine Leistung zulässiger Gegenstand eines Vertrages werden konnte (Orlowski/Rau/Wasem u.a., SGB V-Kommentar - Gesetzliche Krankenversicherung - GKV, 46. AL, § 73c, Rn. 16 i.V.m. 73b Rn 66). Es ist deshalb nicht als Umgehung des Bewertungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V und damit als Systemversagen anzusehen, wenn über derartige Selektivverträge nach § 73c SGB V die OCT weite Verbreitung gefunden hatte. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn trotz entsprechender positiver Erkenntnisse über den Nutzen der Methode das Bewertungsverfahren nicht eingeleitet worden wäre und die Versicherten allein bei Vorliegen von Selektivverträgen die Leistung, deren Nutzen belegt ist, zu Lasten der GKV in Anspruch hätten nehmen können. Liegen aber - wie hier – keine derartigen Erkenntnisse vor, kann ein Leistungsanspruch auf eine Untersuchungsmethode deren Nutzen nicht belegbar ist unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens nicht deshalb verlangt werden, weil andere Krankenkassen bzw. Ärzte einen Selektivertrag geschlossen haben" (SG Berlin, Urteil vom 13. Dezember 2017 – S 28 KR 2811/15 –, Rn. 27, juris; a.A. hinsichtlich des OCT-Verfahrens SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12).
Was vom Kläger letztlich gewollt und teilweise auch von den angeschriebenen Organisationen so gehen wird, ist die Implementierung einer neuen Form der Ergänzung des Leistungskataloges, an den Vorgaben des § 135 Abs. 1 SGB V und § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V vorbei. Begründet wird dies damit, dass in den Konstellationen, in denen – aus welchen Gründen auch immer – keine ausreichenden Studien durchgeführt werden, ebenfalls von einem Versagen des Systems auszugehen sei. Der Bundesverband Glaukom Selbsthilfe e.V. führt hierzu in seinem Schreiben vom 08.05.2017 aus: "Auch wenn nach unserer Kenntnis noch nicht ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Studien vorliegen, so sprechen die Verbreitung in der Praxis und die signifikante Häufigkeit der Anwendung des Verfahrens nach unserer Auffassung dafür, die Methode als Untersuchungs- und Behandlungsmethode anzuerkennen". Dies entspricht nach Auffassung der Kammer nicht der Gesetzeslage.
Der Verweis des Klägers auf die Rechtsprechung des SG Rostock führt hier nicht weiter. Das SG Rostock war bei dem OC-Verfahren von einen Systemversagen ausgegangen (SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12). Das SG war insbesondere nach Einholung eines Sachverständigengutachtens davon überzeugt, dass es sich bei dem – mit dem HRT-Scan vergleichbaren – OCT um eine "in der Praxis eine bewährte und unverzichtbare Basisuntersuchung" handelte und dass es keinen Hinweis darauf gebe, dass die Laserstrahlen, die zur Anwendung kommen, schädlich seien. "Die Untersuchung ist nicht invasiv und nur wenig belastend und biete daher keinerlei systemische Risiken. Auch im Internet ist auf allen Seiten, die sich mit der optischen Kohärenztomografie befassen, zu lesen, dass diese Untersuchung – im Gegensatz zur Fluoreszensangiographie - völlig risikofrei sei. ( ) Deshalb ist die Kammer der Ansicht, dass das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen nicht zeitgerecht durchgeführt wurde" (SG Rostock, Urteil vom 24. September 2014 – S 15 KR 36/12 –, Rn. 26, 32). Für die Kammer ist schon nicht ersichtlich, wie es dem SG Rostock und dem Sachverständigen möglich war, ohne eine ausreichende Studienlage zu der Gewissheit zu gelangen, dass das OCT keinerlei Risiken in sich birgt. Ungeachtet dessen wird durch die Rechtsauffassung des Klägers und des SG Rostock der Ausnahmetatbestand des Systemversagens auf Fälle ausgedehnt, die von dem System so in Kauf genommen werden. Denn auch unabhängig von dem Erfordernis eines Methodenbewertungsverfahrens nach § 135 Abs. 1 SGB V sieht auch § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V einen Qualitätsstandard in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung fordert für den Bereich der ärztlichen Behandlung hinsichtlich des Qualitätsgebots, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit einer neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen (vgl. u.a BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R). Dieser Standard kann – abgesehen von den im Gesetz normierten Ausnahmen (§ 2 Abs. 2a SGB V und dem o.g. Seltenheitsfall) – nicht umgangen werden.
Ob der Verzicht auf Durchführung von ausreichenden Studien darauf beruht, dass weder die Augenärzte noch die Hersteller oder die Krankenkassen ein Interesse daran haben, dass das HRT-Scan, welches sich als sog. IgeL gut verkauft, als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt wird, kann von der Kammer nicht beurteilt werden. Letztlich sollten sich aber insbesondere die antragsberechtigten Patientenorganisationen gerade in der vorliegenden Situation nicht darauf zurückziehen, dass ein Antrag nach § 135 Abs. 1 SGB V zu einem Negativvotum des GBA führen würde. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass für Fälle, in denen – aus welchen Gründen auch immer – keine ausreichenden Nachweise und Studien vorliegen, mit § 137e SGB V eine Art "Ausweg" geschaffen wurde. Nach § 137e Abs. 1 SGB V kann der GBA dann, wenn er bei der Prüfung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V oder § 137c SGB V zu der Feststellung gelangt, dass eine Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. Aufgrund der Richtlinie wird die Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenbehandlung oder der Früherkennung zulasten der Krankenkassen erbracht. Die Regelung wurde mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) vom 22.12.2011 mit Wirkung zum 01.01.2012 in das SGB V eingefügt und zwar zu folgendem Zweck: "Für den Gemeinsamen Bundesausschuss wird daher die Möglichkeit geschaffen, künftig innovative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Potential zeitlich begrenzt unter strukturierten Bedingungen bei gleichzeitigem Erkenntnisgewinn unter Aussetzung des Bewertungsverfahrens zu erproben. Damit erhält der Gemeinsame Bundesausschuss ein neues Instrument für die Bewertung von Methoden, deren Nutzen (noch) nicht mit hinreichender Evidenz belegt ist." (BT-Drucks. 17/6906, S. 87). Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreich einsetzbare Methoden ersetzt werden können, die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann (vgl. 2. Kapitel § 14 Abs. 3 S. 1 der Verfahrensordnung des GBA, fast wortgleich: BT-Drucks. 17/6906, S. 87).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28). Dies ist vorliegend nach Auffassung der Kammer der Fall. Die Frage, ob eine weit verbreitete IgeL, welche von einer Vielzahl von Versicherten in Anspruch genommen wird, ohne dass entsprechende Studien für ein erfolgreiches Methodenbewertungsverfahren durchgeführt werden, eine Fallgruppe des Systemversagens darstellt, ist höchstgerichtlich nicht geklärt. Die Klärung der Frage liegt im allgemeinen Interesse.
Rechtskraft
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