L 9 SO 176/18 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 46 SO 126/18 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 176/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es läuft dem Zweck der Eingliederungshilfe zuwider, wenn durch eine Schulbegleitung im Unterricht die Eigenständigkeit des minderjährigen Schülers nicht gefördert, sondern vielmehr eine dauernde Abhängigkeit von persönlicher Assistenz verfestigt wird.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind auch für das Beschwerde-verfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am Montag, dem 1. Oktober 2018, eingegangene Beschwerde des im 2007 geborenen Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 2018 mit dem Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 2018 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Wege der Schulbegleitung während der Dauer des Schulbesuchs des Antragstellers mit Ausnahme der Mittagspause und der Klassenlehrerstunde und des Sportunterrichts für das 1. Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 zu gewähren,

hilfsweise,

den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 2018 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Wege der Schulbegleitung während der Dauer der Deutsch- und Englischstunden für das 1. Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 zu gewähren,

ist zulässig, aber nicht begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dargestellt und den seinerzeit (lediglich) mit dem (jetzigen) Hauptantrag geltend gemachten Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Leistung zu Recht jedenfalls mangels eines hinreichend glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs verneint. Das Sozialgericht hat dazu im Wesentlichen ausgeführt, die Einschränkung des Antragstellers bestehe in irreversiblen, erkrankungsbedingten Bewegungsstörungen. Das Gericht sei im Ergebnis davon überzeugt, dass der Antragsteller keinen Anspruch (mehr) auf eine Schuldbegleitung gegenüber dem Antragsgegner habe. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass der Antragsteller bereits seit längerer Zeit eine entsprechende Betreuung erhalten habe, die ausweislich der vorliegenden Berichte dem Antragsteller die Aufgaben abnehme, die er als zu aufwändig empfinde. Aus dem Hospitationsbericht sei zudem zu entnehmen, dass der Antragsteller sich mit Fragen vorrangig an die Schulbegleitung und nicht an die Lehrkraft wende. Das laufe dem Zweck der Eingliederungshilfe offensichtlich zuwider; denn mit einer solchen Tätigkeit werde keine Eingliederung erreicht, sondern eine dauernde Abhängigkeit von persönlicher Assistenz. Eine Fortsetzung dieser, die Selbstständigkeit behindernden Assistenz im Rahmen der Eingliederungshilfe komme daher nicht in Betracht. Darüber hinaus erfülle die Schulbegleitung bislang ausschließlich Aufgaben, die ohnehin der Zuständigkeit der Schule unterfielen. Insoweit hat das Sozialgericht Ausführungen zu der nach § 6 der Landesverordnung über die Erteilung von Zeugnissen, Noten und anderen ergänzenden Angaben in Zeugnissen (Zeugnisverordnung – ZVO) getroffenen Regelung über die Gewährung eines Nachteilsausgleichs für Schüler mit einer langandauernden oder vorübergehenden erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, gemacht. Im Einzelnen hat es dabei auf die in § 6 Abs. 4 ZVO ausdrücklich als durch die Schule zu erbringende Formen des Nachteilsausgleichs abgestellt und diese im Einzelnen benannt. Jene Regelungen sähen die erforderlichen Maßnahmen vor, um dem Antragsteller eine möglichst selbstständige Teilhabe am Schulunterricht zu ermöglichen. Es liege daher im Aufgabenbereich der Schule, durch geeignete Maßnahmen des Nachteilsausgleichs (z. B. Aushändigung umfangreicherer Tafelbilder zur Vermeidung längerer Mitschriften [Nr. 5 des § 6 Abs. 4 ZVO], Bereitstellen spezieller Arbeitsmittel wie vorgefertigte Koordinatensysteme [Nr. 2] oder größere Toleranz bei der Bewertung von geometrischen oder zeichnerischen Aufgaben [Nr. 7]) dafür zu sorgen, dass der Antragsteller möglichst selbstständig am Unterricht teilhaben könne. Dieses werde durch eine Schulbegleitung, die ihm – wie offensichtlich bislang – unliebsame Aufgaben beim Mitschreiben usw. abnehme, hingegen nicht erreicht. Der Senat teilt nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage im Beschwerdeverfahren die vom Sozialgericht aufgeführten Gründe für die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung und verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die rechtlich nicht beanstandende Begründung im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Lübeck.

Eine davon abweichende rechtliche Einordnung ist auch nicht im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren und auch nicht im Hinblick auf den nunmehr ergänzend eingeführten Hilfsantrag mit einem vom Umfang der Schulbegleitung her reduzierten Anspruch vorzunehmen.

Zwar ist die vom Sozialgericht im Rahmen der Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII), tatbestandsmäßig angerissene Frage, ob und ggf. in welchem Umfang es für die Eltern des 2007 und damit minderjährigen und unverheirateten Antragstellers zumutbar wäre, die Kosten für den Einsatz einer Schulbegleitung für ihren Sohn zu tragen – soweit nach den hier vorliegenden Akten ersichtlich – bislang seitens des Antragsgegners gar nicht angesprochen, geschweige denn geklärt worden. Dieser Frage braucht aber auch der Senat im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens nicht weiter nachzugehen; denn in jedem Fall ist der geltend gemachte Anordnungsanspruch des Antragstellers hinsichtlich des Haupt- wie auch des Hilfsantrags nicht glaubhaft gemacht worden.

Dass die Einschätzung des Sozialgerichts zutrifft, eine dem Zweck der Eingliederungshilfe entsprechende Förderung des Antragstellers sollte darin liegen, ihm den dort im Einzelnen benannten Nachteilsausgleich von Seiten der Schule zukommen zu lassen, damit der Antragsteller möglichst selbstständig am Unterricht teilhaben kann, belegen auch die Angaben der Eltern in deren eidesstattlicher Versicherung vom 28. September 2018 wie auch die Angaben der Kreisfachberaterin des Schulamtes Segeberg, Frau K , vom 31. August 2018.

In der eidesstattlichen Versicherung heißt es, der Antragsteller habe ihnen – den Eltern – berichtet, dass seine Schulbegleiterin ihn auffordere, sich an die Lehrkraft zu wenden, wenn er inhaltliche Fragen zum Unterricht oder zu Aufgabenstellungen habe. Der Antragsteller erzähle aber auch, dass er sich selbst direkt an die Lehrer wende. Zur Arbeit mit dem Laptop heißt es, der Antragsteller könne noch nicht in jeder Situation sicher damit umgehen. Auch hier stresse es ihn, wenn er unter Zeitdruck arbeiten müsse, den er habe, obwohl ihm oft längere Bearbeitungszeiten zugebilligt würden. Bei zusätzlichem Stress verstärkten sich die willkürlichen Bewegungen, was ihn wiederum mehr unter Druck setze. Frau K berichtet in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2018, gegenüber der Laptopnutzung im Dezember 2017 setze der Antragsteller den Laptop im August 2018 zunehmend sicherer ein. Die Nutzung sei für ihn aber immer noch nicht selbstverständlich und müsse von den Lehrern angeregt und eingefordert werden. In diesem Zusammenhang stellt es nach Auffassung des Senats keine überzogene Anforderung an die jeweilige Lehrkraft dar, dem Antragsteller – um der geschilderten Stresssituation entgegenzuwirken – auch beim Einstecken des USB-Sticks in den Laptop und dem Abspeichern des Tests auf dem Laptop behilflich zu sein. Dieses dürfte gleichzusetzen sein mit der gelegentlich auch bei nicht behinderten Kindern erforderlichen Anweisung z. B der Nutzung von einzelnen Spalten in einem Vokabelheft oder der Reihen in einem Notenheft. Da die Probleme im Zusammenhang mit einer mehrwöchigen Reparatur des (offenbar Anfang dieses Jahres) defekt gewesenen Laptops wie auch die fehlende Einsatzfähigkeit des Kopierers/Scanners in der Schule nunmehr behoben sind und Frau K daher bereits in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2018 ausgeführt hat, über eine regelmäßige Benutzung werde der Antragsteller an Sicherheit und Geschwindigkeit beim Arbeiten gewinnen, er habe auch mündlich aktiver am Unterrichtsgeschehen teilgenommen, spricht alles dafür, dass es sachgerecht ist, insoweit die Eigenständigkeit des Antragstellers weiterhin in den Mittelpunkt zu stellen und möglichst zu fördern. Dieses dürfte mit dem speziellen Geodreieck (später, da jetzt im 1. Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 kein Unterricht in Geometrie erfolgt), mit dem neuen gepolsterten Schulrucksack für den Laptop und einem doppelten Büchersatz zu erreichen sein. Frau K geht angesichts dessen davon aus, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die der Antragsteller durch eine kurzfristig mögliche "minimale" Unterstützung und dadurch höhere Erfolgsquote erreichen könnte, könnte ihn in der Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit und im Prozess der Auseinandersetzung mit seinem Behinderungsbild und der Akzeptanz dessen voranbringen und ihn in seinem Lernprozess stärken. Eine solche fortlaufend durch eine Schulbegleitung zu erbringende minimale Unterstützung hält der Senat hingegen – mit dem Sozialgericht – angesichts der vorgenannten Möglichkeiten der Unterstützung des Antragstellers durch die Schule nicht mehr für erforderlich. Das dürfte auch am ehesten dem Interesse des sehr interessierten und motivierten Antragstellers entsprechen, der bereits anlässlich der Hospitation durch die Mitarbeiterin des Antragsgegners am 16. Januar 2018 klar benennen konnte, dass er seinerzeit in Mathematik und in Weltkunde die Unterstützung der Schulbegleitung benötigt habe, da dort sehr viel geschrieben worden sei und die Schulbegleitung ihm dort einiges habe abnehmen können. Insoweit hat der Antragsgegner bereits erstinstanzlich zutreffend eingewandt, dass dieses im Grunde nicht die Aufgabe der Schulbegleitung sei, sondern die Aufgabe der Schule darin bestehe, die Unterrichtsinhalte anzupassen oder ggf. den Unterricht umzustellen. Ebenso hat der Antragsteller damals bereits (also vor gut zehn Monaten, während derer ein weiterer Entwicklungsfortschrift – wie oben ausgeführt – zu verzeichnen ist) gesagt, in den Fächern "Nawi, Englisch, Sport, Deutsch und Musik" sei es nicht notwendig, dass er eine Schulbegleitung habe. Die Mitglieder des Senats halten die Äußerungen des damals knapp elfjährigen Antragstellers aus eigener Lebenserfahrung mit Kindern in unterschiedlichsten Altersstufen (auch mit unterschiedlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen) – anders als das offenbar seitens der Schule gesehen worden ist – durchaus für gut überlegt, nachvollziehbar und gewichtig.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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