Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 1367/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 780/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.01.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).
Die 1954 geborene Klägerin beantragte am 02.10.1997 (Blatt 2 VA) erstmals die Feststellung eines GdB. Mit Bescheid vom 30.10.1997 (Blatt 11 VA) stellte das Versorgungsamt U. einen GdB von 60 seit dem 21.05.1997 fest. Aufgrund des am 02.04.2002 eingeleiteten Überprüfungsverfahrens (Blatt 17 VA) setzte das Versorgungsamt U. mit Bescheid vom 19.09.2002 (Blatt 26 VA) den GdB ab 22.09.2002 auf 30 herab.
Am 24.04.2012 (Blatt 34 VA) beantragte die Klägerin bei dem Landratsamt O. (LRA) die Neufeststellung des GdB.
Das LRA zog den Befundbericht des U.klinikums U. vom 16.03.2012 (Blatt 45/48 VA) sowie den Entlassungsbericht der A. Klinik W. vom 04.04.2011 über die in der Zeit vom 07.12.2010 bis 29.03.2011 durchgeführte Rehabilitation (Blatt 50/54 VA – Diagnosen: psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol-Abhängigkeitssyndrom, zervikozephales Syndrom, zervicobrachial-Syndrom, Kreuzschmerz, Adipositas) bei und holte die Behandlungsunterlagen des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 20.09.2012 (Blatt 63/70 VA) ein, der den Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie A. vom 16.08.2012 (Blatt 69 VA – Diagnosen: Alkoholabusus, Angst- und depressive Störung, Dermatose, psychosomatische Beschwerden) und die Befundberichte des U.klinikums U. vom 05.07.2012 und 07.08.2012 vorlegte.
Dr. N. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 04.12.2012 (Blatt 73/74 VA) und empfahl einen GdB von 50 unter Berücksichtigung folgender Funktionseinschränkungen: - Verlust der rechten Brust (Einzel-GdB 30) - Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 30) - Wiederkehrende Nesselsucht (Einzel-GdB 10) - Gebrauchseinschränkung des rechten Armes (Einzel-GdB 10) - Seelische Störung (Einzel-GdB 10) Zur Begründung führte sie aus, dass derzeit Abstinenz bestehe, eine Tenorerweiterung zur Haut sei ohne Einfluss auf den GdB möglich, es bestünden keine massiven allergischen Reaktionen. Ansonsten liege keine Verschlechterung der bereits anerkannten Gesundheitsstörungen vor. Eine antidepressive medikamentöse Therapie erfolge seit 03/2012, ein Teil-GdB von 10 sei ausreichend.
Mit Bescheid vom 28.12.2012 (Blatt 75/76 VA) stellte das LRA einen GdB von 50 seit dem 24.02.2012 fest und führte unter anderem aus, dass eine Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung berücksichtigt worden sei.
Mit Schreiben vom 18.08.2014 (Blatt 81 VA) leitete das LRA eine Überprüfung des GdB ein, der entsprechende Erhebungsbogen ging am 02.09.2014 (Blatt 83 VA) bei dem LRA ein. Vorgelegt wurde der Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie Dr. A. vom 01.09.2014 (Blatt 84 VA).
Dr. Z. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 23.09.2014 (Blatt 85/86 VA) und führte aus, dass bei Alkoholmissbrauch 2011 eine Entgiftungsbehandlung mit anschließender Entwöhnungsbehandlung erfolgreich absolviert worden sei. Die Leberwerte seien rückläufig gewesen, die Klägerin anhaltend abstinent, sodass Heilungsbewährung eingetreten sei. Ein verbliebener Organschaden sei nicht dokumentiert. Der GdB sei mit 30 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu bemessen: - Verlust der rechten Brust (Einzel-GdB 30) - Wiederkehrende Nesselsucht (Einzel-GdB 10) - Gebrauchseinschränkung des rechten Armes (Einzel-GdB 10) - Seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Nach Anhörung vom 20.10.2014 (Blatt 87/88 VA) hob das LRA den Bescheid vom 28.12.2012 mit Bescheid vom 03.12.2014 (Blatt 90/91 VA) auf und stellte einen GdB von 30 seit dem 06.12.2014 fest.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 15.12.2014 (Blatt 93 VA) Widerspruch und legte unter anderem den Befundbericht der Fachärztin für Dermatologie Dr. S. vom 12.01.2015 (Blatt 101 VA) vor.
Dr. N. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 20.02.2015 (Blatt 104 VA) und führte aus, dass die auslösenden Allergene bekannt seien und gut gemieden werden könnten. Eine höhere Bewertung komme daher nicht in Betracht.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2015 zurück (Blatt 107 VA).
Am 11.05.2015 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) und legte die Befundberichte des Dr. A. vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte), der Dr. S. vom 02.07.2015 (Blatt 21 SG-Akte) und den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 (Blatt 61/64 SG-Akte) über die in der Zeit vom 17.11.2015 bis 08.12.2015 durchgeführte stationäre Rehabilitation vor.
Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. B. vom 19.09.2015 (Blatt 23/24 SG-Akte) vor und unterbreitete ein Vergleichsangebot auf Feststellung eines GdB von 40 ab dem 06.12.2014 (Blatt 22 SG-Akte), welches die Klägerin ablehnte (Blatt 25 SG-Akte).
Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 12.11.2015 (Blatt 30/44 SG-Akte), der Fachärztin für Dermatologie Dr. S. vom 09.11.2015 (Blatt 45/49 SG-Akte) sowie des Prof. Dr. W. (U.klinik Ulm) vom 17.11.2015 (Blatt 50/55 SG-Akte) ein, zu denen der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 11.02.2016 (Blatt 58/59) vorlegte.
Das SG führte die mündliche Verhandlung vom 21.11.2016 (Blatt 76/77 SG-Akte) durch und holte das Sachverständigengutachten des PD Dr. G. vom 28.06.2017 (Blatt 88/94 SG-Akte) ein, der eine cutane Mastozytose schweren Grades beschrieb und hierfür einen Einzel-GdB von 40, sowie einen Gesamt-GdB von 50 annahm. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 18.09.2017 (Blatt 101 VA) vor, der ausführte, dass die cutane Mastozytose nach VG Teil B Nr. 17.2 mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend bewertet sei.
Mit Urteil vom 11.01.2018 hob das SG den Bescheid vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 auf und führte zur Begründung aus, dass nach der Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 keine Änderung eingetreten sei, welche die Herabsetzung des zuletzt mit Bescheid vom 28.12.2012 festgestellten GdB auf 30 rechtfertige. Es sei zwar insofern eine wesentliche Änderung eingetreten, als der Einzel-GdB von 30 für die Abhängigkeitserkrankung nach der abgelaufenen Heilungsbewährung von zwei Jahren weggefallen sei, der Gesamt-GdB ändere sich dadurch aber nicht. Für die cutane Mastozytose könne nach dem Ergebnis der Beweiserhebung ein Einzel-GdB von wenigstens 30 berücksichtigt werden. Hinsichtlich des Teilverlustes der rechten Brust sei keine wesentliche Änderung eingetreten, sodass weiterhin von einem Einzel-GdB von 30 auszugehen sei, wobei die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes mitberücksichtigt werden könne. Für die seelische Störung könne ein Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Die Einzel-GdB von jeweils 30 für die cutane Mastozytose und den Teilverlust der rechten Brust sowie der Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung bedingten weiterhin einen Gesamt-GdB von 50.
Gegen das dem Beklagten am 08.02.2013 (Blatt 123a SG-Akte) zugestellte Urteil hat dieser am 27.02.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er macht unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 15.02.2018 (Blatt 17/18 Senatsakte) geltend, dass der Teil-GdB von 30 bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheides vom 28.12.2012 falsch gewesen sei, da kein Verlust der Brust vorgelegen habe, sondern ein Zustand nach Aufbauplastik der rechten Brust mit gutem Ergebnis vorliege, sodass ein Teil-GdB von allenfalls 10 angenommen werden könne. Der falsche GdB von 30 für die rechte Brust werde auf 10 korrigiert, dafür werde der Teil-GdB von 10 für die Nesselsucht auf 30 erhöht. Es sei nur noch ein Gesamt-GdB von 40 gegeben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.01.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und legt ergänzend den Befundbericht des Dr. A. vom 18.09.2018 (Blatt 41 Senatsakte) und der Dr. S. vom 20.09.2018 (Blatt 43 Senatsakte) vor.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten der Dr. M. vom 07.08.2018 (Blatt 25/39 Senatsakte) eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird die auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015, mit dem der Beklagte den zuvor anerkannten GdB von 50 auf einen GdB von 30 herabgesetzt hat. Der Senat konnte feststellen, dass die Klägerin das Vergleichsangebot des Beklagten nicht angenommen und der Beklagte auch kein Teil-Anerkenntnis dahingehend abgegeben hat, unter Abänderung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides einen GdB von 40 festzustellen. Soweit in der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist, die Klage abzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot hinausgeht, liegt in dieser – nicht sachdienlichen – Antragstellung kein Teilanerkenntnis, sondern der Beklagte hat lediglich zu erkennen gegeben, dass er das Vergleichsangebot aufrecht erhält; dieses hat die Klägerin aber auch dann nicht angenommen. Somit konnte der Senat keine teilweise Erledigung des Rechtsstreites feststellen, sodass weiterhin über die Herabsetzung des GdB auf 30 zu entscheiden ist.
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung, da Streitgegenstand des Verfahrens eine reine Anfechtungsklage ist und es daher auf den Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also auf die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ankommt. Nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX (jeweils aF) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Nach diesen Maßstäben liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine Herabsetzungsentscheidung des Beklagten rechtfertigt, vor. Der Senat stellt fest, dass maßgebliche Vergleichsgrundlage der Bescheid des Beklagten vom 28.12.2012 (Blatt 75/76 VA) ist, mit dem der Beklagte einen GdB von 50 seit dem 24.04.2012 festgestellt und ausweislich der Begründung unter anderem eine Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung zu Grunde gelegt hat. Diese Heilungsbewährung ist eingetreten.
Nach VG Teil B Nr. 3.8 bedingt eine Abhängigkeit mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 30 bis 40 sowie eine solche mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70. Ist im Falle einer Abhängigkeit, die zuvor mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten war, Abstinenz erreicht, muss eine Heilungsbewährung von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt des Beginns der Abstinenz abgewartet werden. Während dieser Zeit ist ein GdB von 30 anzunehmen. Gestützt auf den Entlassungsbericht der A. Klinik W. vom 04.04.2011 konnte der Senat feststellen, dass die Klägerin am 29.03.2011 dort aus der stationären Entwöhnungsbehandlung entlassen worden und zum Rehabilitationsergebnis mitgeteilt ist, dass sich die anfängliche depressive Grundhaltung in eine optimistische und selbstsichere Haltung veränderte. Um diese Haltung in den Alltag integrieren zu können, wolle sich die Klägerin zukünftig regelmäßig bewegen, mehr Aktivitäten mit ihrem Ehemann einleiten und ihre sozialen Kontakte wieder reaktivieren. Die Kommunikation zu ihren beiden Söhnen habe sie intensivieren und eine offene Atmosphäre zu Hause fördern wollen. Weiter habe die Klägerin angegeben, zukünftig offen mit ihrer Abhängigkeitserkrankung umzugehen und sich in ihrer Verwandtschaft und gegenüber Freunden und Kollegen als alkoholkrank zu erkennen zu geben. Somit rechtfertigt sich sowohl die Annahme einer vor Abstinenz bestehenden Abhängigkeit mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 50 bis 70), wie auch eines Heilungsbewährungszeitraums von zwei Jahren ab dem Ende der stationären Behandlung am 29.03.2011 und somit bis 29.03.2013. Einen Rückfall, der dem Eintritt von Heilungsbewährung entgegenstehen könnte, konnte der Senat nicht feststellen.
Durch den Eintritt der Heilungsbewährung kommt eine Berücksichtigung der Abhängigkeitserkrankung (Einzel-GdB von 30) nicht mehr in Betracht, sodass die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine erneute Entscheidung über den GdB vorliegen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte dem Bescheid vom 28.12.2012 zu Unrecht auch einen "Verlust der Brust" mit einem Einzel-GdB von 30 zu Grunde gelegt hat. Zwar konnte der Senat insofern eine wesentliche Änderung nicht feststellen, jedoch tritt hinsichtlich einzelner Bewertungsfaktoren und der hierfür angenommen Einzel-GdB Werte keine Bindungswirkung ein und es kommt nur entscheidend darauf an, dass überhaupt eine wesentliche Änderung festzustellen ist, wie vorliegend durch den Eintritt der Heilungsbewährung aufgrund der Abhängigkeitserkrankung. Darauf, dass die Erkenntnis allein, dass ein unzutreffender Einzel-GdB angenommen und daher ein zu hoher Gesamt-GdB gebildet wurde, eine Entscheidung nach § 48 SGB X nicht rechtfertigen dürfte, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an.
VG Teil B Nr. 14.1 bestimmt:
Verlust der Brust (Mastektomie) einseitig 30 beidseitig 40
Segment- oder Quadrantenresektion der Brust 0 – 20
Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z.B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen.
Aufbauplastik zur Wiederherstellung der Brust mit Prothese je nach Ergebnis (z.B. Kapselfibrose, Dislokation der Prothese, Symmetrie) nach Mastektomie einseitig 10 – 30 beidseitig 20 – 40 nach subkutaner Mastektomie einseitig 10 – 20 beidseitig 20 – 30
Nach Aufbauplastik zur Wiederherstellung der Brust mit Eigengewebe kommt ein geringerer GdB in Betracht.
Dem Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 (Blatt 61/64 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass bei der Klägerin eine brusterhaltende Therapie durchgeführt worden ist und somit ein Zustand nach Aufbauplastik mit gutem Ergebnis vorliegt, wie Dr. W. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2018 überzeugend dargelegt hat. Zwar können jedenfalls bei einem Verlust der Brust Funktionseinschränkungen des Armes zusätzlich zu berücksichtigen sein, jedoch weist schon der Entlassungsbericht der A. Klinik vom 04.04.2011 aus, dass die Beweglichkeit der Extremitäten nicht eingeschränkt war und auch der Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 beschreibt den Bewegungsapparat als unauffällig. Eine Erhöhung des Einzel-GdB im Hinblick auf die Aufbauplastik rechtfertigt sich daher ebenso wenig wie die Berücksichtigung eines Einzel-GdB aufgrund einer Einschränkung der Armbeweglichkeit, sodass mit Dr. W. kein höherer Einzel-GdB als 10 berücksichtigt werden kann.
Hinsichtlich der Hauterkrankung konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigen.
Nach VG Teil B Nr. 17 sind bei der Beurteilung des GdB von Hautkrankheiten Art, Ausdehnung, Sitz, Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, Begleiterscheinungen (wie Jucken, Nässen, Brennen, unangenehme und abstoßende Gerüche) und die Rezidivbereitschaft bzw. die Chronizität sowie die Notwendigkeit wiederholter stationärer Behandlung zu berücksichtigen. Bei Hautkrankheiten mit stark schwankendem Leidensverlauf kommt ein Durchschnitts-GdB in Betracht. Narben können durch Ausdehnung, Beschaffenheit (z.B. Verhärtung, Verdünnung, Narbenzüge), Sitz oder Einwirkung auf ihre Umgebung zu Störungen führen. Bei flächenhaften Narben nach Verbrennungen, Verätzungen und ähnlichem muss außerdem die Beeinträchtigung der Haut als Schutz-, Ausscheidungs- und Sinnesorgan berücksichtigt werden. Diese Störungen bestimmen die Höhe des GdB. Bei Entstellungen ist zu berücksichtigen, dass sich Schwierigkeiten im Erwerbsleben, Unannehmlichkeiten im Verkehr mit fremden Menschen sowie seelische Konflikte ergeben können.
Gestützt auf das Sachverständigengutachten des PD Dr. G. vom 28.06.2017 konnte der Senat bei der Klägerin das Bestehen einer cutanen Mastozytose (Anhäufung von Mastzellen in Haut, Knochen, Knochenmark, Leber, Milz und Gastrointestinaltrakt, bei kutaner Mastozytose nur Hautbefall, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Seite 1314) feststellen, es besteht im Grunde im Bereich der gesamten Haut ein chronisches Exanthem, teilweise mit bräunlichen Verfärbungen, wobei der Sachverständige beschreibt, dass Phasen mit deutlicher Verschlechterung insbesondere durch Druck, Stress, starke körperliche Belastung und zum Teil durch Badewasser ausgelöst werden können. In Übereinstimmung mit Dr. K. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.02.2016, Blatt 58/59 SG-Akte) und Dr. H. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 18.09.2017 (Blatt 90 VA) sieht der Senat die Funktionsbeeinträchtigungen nach VG Teil B Nr. 17.2 zu beurteilen an, der bestimmt:
Chronisch rezidivierende Urtikaria/Quincke-Ödem selten, bis zu zweimal im Jahr auftretend, leicht vermeidbare Noxen oder Allergene 0 – 10
häufiger auftretende Schübe, schwer vermeidbare Noxen oder Allergene 20 – 30 schwerer chronischer, über Jahre sich hinziehender Verlauf 40 – 50
Einen schweren chronischen Verlauf konnte der Senat, ebenso wie das SG, nicht feststellen, vielmehr beschreibt der Sachverständige häufiger auftretende Schübe bei schwer vermeidbaren Noxen oder Allergenen, sodass sich das Ausschöpfen des Bewertungsrahmens mit 30 rechtfertigt, jedoch nicht die Annahme eines Einzel-GdB von 40.
Einen Einzel-GdB auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet konnte der Senat nicht feststellen.
Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.
Die Sachverständige Dr. M. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin zurückliegend zeitweilige ängstlich-depressive Verstimmungszustände sowie zeitweilige Stimmungsschwankungen denkbar sind, jedoch bereits im Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. ein unauffälliger psychopathologischer Befund beschrieben wird. Dr. M. führt aus, dass ihr gegenüber keine Behandlung beim Psychiater angegeben wurde und zur Medikation wurden die Präparate Enalapril und L-Thyroxin benannt. Aus dem Befundbericht des Dr. A. vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte) ergibt sich, dass die Klägerin wach, bewusstseinsklar war und ausreichend orientiert zu Zeit, Ort, Situation und zur Person. Die Auffassung war unauffällig, es zeigte sich kein Hinweis für Wahrnehmungsstörungen und psychotische Ich-Störungen. Das inhaltliche und formale Denken war unauffällig, die Stimmung subdepressiv bei ausreichender affektiver Schwingungsfähigkeit, die Klägerin ruhig bei ausgeglichenem Antrieb, die mnestischen Funktionen ungestört, der Schlaf unauffällig. Unter Berücksichtigung dieses Befundes hat Dr. M. nachvollziehbar dargelegt, dass nur eine leichte Beeinträchtigung angenommen werden kann, sodass sie den GdB, ebenfalls überzeugend, auf unter 20 einschätzt. Dass sie aufgrund ihrer eigenen Untersuchung sogar zu der Annahme einer vollständigen Remission gelangt und auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Beeinträchtigungen mehr feststellen kann, ist im Hinblick auf den Streitgegenstand nicht entscheidungsrelevant. Die Ausführungen des Dr. A. im Befundbericht vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte), dass dringend eine Reha-Maßnahme durchzuführen sei, da sonst Erwerbsminderung drohe, erschließen sich aufgrund der auf seinem Fachgebiet erhobenen Befunde ebenso wenig, wie die Angabe im Befundbericht vom 18.09.2018 (Blatt 41 Senatsakte), dass eine rezidivierende depressive Störung seit 2012 bestehen soll, welche unter intensiver Therapie nicht ausreichend stabil sei. Diese Angaben lassen sich weder mit den dokumentierten Befunden noch mit den Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen Dr. M. vereinbaren.
Ein höherer Einzel-GdB als 10 für die wiederholt beschriebene Gonarthrose konnte der Senat nicht feststellen. Aus den vorliegenden Befunden ergeben sich weder relevante Bewegungseinbußen noch eine ausgeprägtere Arthrose im Stadium III oder IV nach Kellgreen und auch keine Bandinstabilität.
Nachdem somit nur ein Einzel-GdB von 30 für die cutanen Mastozytose festgestellt werden konnte und die übrigen Einzel-GdB unter 20 liegen, kommt die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB nicht in Betracht. Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte zwar seit Beginn des Klageverfahrens unter Vorlage von mehreren sozialmedizinischen Stellungnahmen einen Gesamt-GdB von 40 angenommen hat und ein solcher auch noch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. zur Berufungsbegründung angenommen worden ist, jedoch hat der Beklagte einen eindeutigen Antrag dahingehend gestellt, das Urteil des SG insgesamt aufzuheben, sodass der Senat eine vollumfängliche Prüfung des Streitgegenstandes (Herabsetzung von GdB 50 auf 30, vgl. oben) vorzunehmen hatte.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn zu Gunsten der Klägerin von einem Einzel-GdB von 20 für psychische Behinderungen ausgegangen werden würde, durchaus Überschneidungen zwischen der Hauterkrankung und den psychischen Beeinträchtigungen gesehen werden könnten, sodass eine Erhöhung des Gesamt-GdB über 30 hinaus ebenfalls nicht gerechtfertigt erscheinen könnte.
Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).
Die 1954 geborene Klägerin beantragte am 02.10.1997 (Blatt 2 VA) erstmals die Feststellung eines GdB. Mit Bescheid vom 30.10.1997 (Blatt 11 VA) stellte das Versorgungsamt U. einen GdB von 60 seit dem 21.05.1997 fest. Aufgrund des am 02.04.2002 eingeleiteten Überprüfungsverfahrens (Blatt 17 VA) setzte das Versorgungsamt U. mit Bescheid vom 19.09.2002 (Blatt 26 VA) den GdB ab 22.09.2002 auf 30 herab.
Am 24.04.2012 (Blatt 34 VA) beantragte die Klägerin bei dem Landratsamt O. (LRA) die Neufeststellung des GdB.
Das LRA zog den Befundbericht des U.klinikums U. vom 16.03.2012 (Blatt 45/48 VA) sowie den Entlassungsbericht der A. Klinik W. vom 04.04.2011 über die in der Zeit vom 07.12.2010 bis 29.03.2011 durchgeführte Rehabilitation (Blatt 50/54 VA – Diagnosen: psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol-Abhängigkeitssyndrom, zervikozephales Syndrom, zervicobrachial-Syndrom, Kreuzschmerz, Adipositas) bei und holte die Behandlungsunterlagen des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 20.09.2012 (Blatt 63/70 VA) ein, der den Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie A. vom 16.08.2012 (Blatt 69 VA – Diagnosen: Alkoholabusus, Angst- und depressive Störung, Dermatose, psychosomatische Beschwerden) und die Befundberichte des U.klinikums U. vom 05.07.2012 und 07.08.2012 vorlegte.
Dr. N. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 04.12.2012 (Blatt 73/74 VA) und empfahl einen GdB von 50 unter Berücksichtigung folgender Funktionseinschränkungen: - Verlust der rechten Brust (Einzel-GdB 30) - Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 30) - Wiederkehrende Nesselsucht (Einzel-GdB 10) - Gebrauchseinschränkung des rechten Armes (Einzel-GdB 10) - Seelische Störung (Einzel-GdB 10) Zur Begründung führte sie aus, dass derzeit Abstinenz bestehe, eine Tenorerweiterung zur Haut sei ohne Einfluss auf den GdB möglich, es bestünden keine massiven allergischen Reaktionen. Ansonsten liege keine Verschlechterung der bereits anerkannten Gesundheitsstörungen vor. Eine antidepressive medikamentöse Therapie erfolge seit 03/2012, ein Teil-GdB von 10 sei ausreichend.
Mit Bescheid vom 28.12.2012 (Blatt 75/76 VA) stellte das LRA einen GdB von 50 seit dem 24.02.2012 fest und führte unter anderem aus, dass eine Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung berücksichtigt worden sei.
Mit Schreiben vom 18.08.2014 (Blatt 81 VA) leitete das LRA eine Überprüfung des GdB ein, der entsprechende Erhebungsbogen ging am 02.09.2014 (Blatt 83 VA) bei dem LRA ein. Vorgelegt wurde der Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie Dr. A. vom 01.09.2014 (Blatt 84 VA).
Dr. Z. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 23.09.2014 (Blatt 85/86 VA) und führte aus, dass bei Alkoholmissbrauch 2011 eine Entgiftungsbehandlung mit anschließender Entwöhnungsbehandlung erfolgreich absolviert worden sei. Die Leberwerte seien rückläufig gewesen, die Klägerin anhaltend abstinent, sodass Heilungsbewährung eingetreten sei. Ein verbliebener Organschaden sei nicht dokumentiert. Der GdB sei mit 30 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu bemessen: - Verlust der rechten Brust (Einzel-GdB 30) - Wiederkehrende Nesselsucht (Einzel-GdB 10) - Gebrauchseinschränkung des rechten Armes (Einzel-GdB 10) - Seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Nach Anhörung vom 20.10.2014 (Blatt 87/88 VA) hob das LRA den Bescheid vom 28.12.2012 mit Bescheid vom 03.12.2014 (Blatt 90/91 VA) auf und stellte einen GdB von 30 seit dem 06.12.2014 fest.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 15.12.2014 (Blatt 93 VA) Widerspruch und legte unter anderem den Befundbericht der Fachärztin für Dermatologie Dr. S. vom 12.01.2015 (Blatt 101 VA) vor.
Dr. N. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 20.02.2015 (Blatt 104 VA) und führte aus, dass die auslösenden Allergene bekannt seien und gut gemieden werden könnten. Eine höhere Bewertung komme daher nicht in Betracht.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2015 zurück (Blatt 107 VA).
Am 11.05.2015 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) und legte die Befundberichte des Dr. A. vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte), der Dr. S. vom 02.07.2015 (Blatt 21 SG-Akte) und den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 (Blatt 61/64 SG-Akte) über die in der Zeit vom 17.11.2015 bis 08.12.2015 durchgeführte stationäre Rehabilitation vor.
Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. B. vom 19.09.2015 (Blatt 23/24 SG-Akte) vor und unterbreitete ein Vergleichsangebot auf Feststellung eines GdB von 40 ab dem 06.12.2014 (Blatt 22 SG-Akte), welches die Klägerin ablehnte (Blatt 25 SG-Akte).
Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 12.11.2015 (Blatt 30/44 SG-Akte), der Fachärztin für Dermatologie Dr. S. vom 09.11.2015 (Blatt 45/49 SG-Akte) sowie des Prof. Dr. W. (U.klinik Ulm) vom 17.11.2015 (Blatt 50/55 SG-Akte) ein, zu denen der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 11.02.2016 (Blatt 58/59) vorlegte.
Das SG führte die mündliche Verhandlung vom 21.11.2016 (Blatt 76/77 SG-Akte) durch und holte das Sachverständigengutachten des PD Dr. G. vom 28.06.2017 (Blatt 88/94 SG-Akte) ein, der eine cutane Mastozytose schweren Grades beschrieb und hierfür einen Einzel-GdB von 40, sowie einen Gesamt-GdB von 50 annahm. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 18.09.2017 (Blatt 101 VA) vor, der ausführte, dass die cutane Mastozytose nach VG Teil B Nr. 17.2 mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend bewertet sei.
Mit Urteil vom 11.01.2018 hob das SG den Bescheid vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 auf und führte zur Begründung aus, dass nach der Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 keine Änderung eingetreten sei, welche die Herabsetzung des zuletzt mit Bescheid vom 28.12.2012 festgestellten GdB auf 30 rechtfertige. Es sei zwar insofern eine wesentliche Änderung eingetreten, als der Einzel-GdB von 30 für die Abhängigkeitserkrankung nach der abgelaufenen Heilungsbewährung von zwei Jahren weggefallen sei, der Gesamt-GdB ändere sich dadurch aber nicht. Für die cutane Mastozytose könne nach dem Ergebnis der Beweiserhebung ein Einzel-GdB von wenigstens 30 berücksichtigt werden. Hinsichtlich des Teilverlustes der rechten Brust sei keine wesentliche Änderung eingetreten, sodass weiterhin von einem Einzel-GdB von 30 auszugehen sei, wobei die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes mitberücksichtigt werden könne. Für die seelische Störung könne ein Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Die Einzel-GdB von jeweils 30 für die cutane Mastozytose und den Teilverlust der rechten Brust sowie der Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung bedingten weiterhin einen Gesamt-GdB von 50.
Gegen das dem Beklagten am 08.02.2013 (Blatt 123a SG-Akte) zugestellte Urteil hat dieser am 27.02.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er macht unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 15.02.2018 (Blatt 17/18 Senatsakte) geltend, dass der Teil-GdB von 30 bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheides vom 28.12.2012 falsch gewesen sei, da kein Verlust der Brust vorgelegen habe, sondern ein Zustand nach Aufbauplastik der rechten Brust mit gutem Ergebnis vorliege, sodass ein Teil-GdB von allenfalls 10 angenommen werden könne. Der falsche GdB von 30 für die rechte Brust werde auf 10 korrigiert, dafür werde der Teil-GdB von 10 für die Nesselsucht auf 30 erhöht. Es sei nur noch ein Gesamt-GdB von 40 gegeben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.01.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und legt ergänzend den Befundbericht des Dr. A. vom 18.09.2018 (Blatt 41 Senatsakte) und der Dr. S. vom 20.09.2018 (Blatt 43 Senatsakte) vor.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten der Dr. M. vom 07.08.2018 (Blatt 25/39 Senatsakte) eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird die auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 03.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015, mit dem der Beklagte den zuvor anerkannten GdB von 50 auf einen GdB von 30 herabgesetzt hat. Der Senat konnte feststellen, dass die Klägerin das Vergleichsangebot des Beklagten nicht angenommen und der Beklagte auch kein Teil-Anerkenntnis dahingehend abgegeben hat, unter Abänderung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides einen GdB von 40 festzustellen. Soweit in der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist, die Klage abzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot hinausgeht, liegt in dieser – nicht sachdienlichen – Antragstellung kein Teilanerkenntnis, sondern der Beklagte hat lediglich zu erkennen gegeben, dass er das Vergleichsangebot aufrecht erhält; dieses hat die Klägerin aber auch dann nicht angenommen. Somit konnte der Senat keine teilweise Erledigung des Rechtsstreites feststellen, sodass weiterhin über die Herabsetzung des GdB auf 30 zu entscheiden ist.
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung, da Streitgegenstand des Verfahrens eine reine Anfechtungsklage ist und es daher auf den Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also auf die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ankommt. Nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX (jeweils aF) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Nach diesen Maßstäben liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine Herabsetzungsentscheidung des Beklagten rechtfertigt, vor. Der Senat stellt fest, dass maßgebliche Vergleichsgrundlage der Bescheid des Beklagten vom 28.12.2012 (Blatt 75/76 VA) ist, mit dem der Beklagte einen GdB von 50 seit dem 24.04.2012 festgestellt und ausweislich der Begründung unter anderem eine Abhängigkeitserkrankung in Heilungsbewährung zu Grunde gelegt hat. Diese Heilungsbewährung ist eingetreten.
Nach VG Teil B Nr. 3.8 bedingt eine Abhängigkeit mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 30 bis 40 sowie eine solche mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70. Ist im Falle einer Abhängigkeit, die zuvor mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten war, Abstinenz erreicht, muss eine Heilungsbewährung von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt des Beginns der Abstinenz abgewartet werden. Während dieser Zeit ist ein GdB von 30 anzunehmen. Gestützt auf den Entlassungsbericht der A. Klinik W. vom 04.04.2011 konnte der Senat feststellen, dass die Klägerin am 29.03.2011 dort aus der stationären Entwöhnungsbehandlung entlassen worden und zum Rehabilitationsergebnis mitgeteilt ist, dass sich die anfängliche depressive Grundhaltung in eine optimistische und selbstsichere Haltung veränderte. Um diese Haltung in den Alltag integrieren zu können, wolle sich die Klägerin zukünftig regelmäßig bewegen, mehr Aktivitäten mit ihrem Ehemann einleiten und ihre sozialen Kontakte wieder reaktivieren. Die Kommunikation zu ihren beiden Söhnen habe sie intensivieren und eine offene Atmosphäre zu Hause fördern wollen. Weiter habe die Klägerin angegeben, zukünftig offen mit ihrer Abhängigkeitserkrankung umzugehen und sich in ihrer Verwandtschaft und gegenüber Freunden und Kollegen als alkoholkrank zu erkennen zu geben. Somit rechtfertigt sich sowohl die Annahme einer vor Abstinenz bestehenden Abhängigkeit mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 50 bis 70), wie auch eines Heilungsbewährungszeitraums von zwei Jahren ab dem Ende der stationären Behandlung am 29.03.2011 und somit bis 29.03.2013. Einen Rückfall, der dem Eintritt von Heilungsbewährung entgegenstehen könnte, konnte der Senat nicht feststellen.
Durch den Eintritt der Heilungsbewährung kommt eine Berücksichtigung der Abhängigkeitserkrankung (Einzel-GdB von 30) nicht mehr in Betracht, sodass die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine erneute Entscheidung über den GdB vorliegen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte dem Bescheid vom 28.12.2012 zu Unrecht auch einen "Verlust der Brust" mit einem Einzel-GdB von 30 zu Grunde gelegt hat. Zwar konnte der Senat insofern eine wesentliche Änderung nicht feststellen, jedoch tritt hinsichtlich einzelner Bewertungsfaktoren und der hierfür angenommen Einzel-GdB Werte keine Bindungswirkung ein und es kommt nur entscheidend darauf an, dass überhaupt eine wesentliche Änderung festzustellen ist, wie vorliegend durch den Eintritt der Heilungsbewährung aufgrund der Abhängigkeitserkrankung. Darauf, dass die Erkenntnis allein, dass ein unzutreffender Einzel-GdB angenommen und daher ein zu hoher Gesamt-GdB gebildet wurde, eine Entscheidung nach § 48 SGB X nicht rechtfertigen dürfte, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an.
VG Teil B Nr. 14.1 bestimmt:
Verlust der Brust (Mastektomie) einseitig 30 beidseitig 40
Segment- oder Quadrantenresektion der Brust 0 – 20
Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z.B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen.
Aufbauplastik zur Wiederherstellung der Brust mit Prothese je nach Ergebnis (z.B. Kapselfibrose, Dislokation der Prothese, Symmetrie) nach Mastektomie einseitig 10 – 30 beidseitig 20 – 40 nach subkutaner Mastektomie einseitig 10 – 20 beidseitig 20 – 30
Nach Aufbauplastik zur Wiederherstellung der Brust mit Eigengewebe kommt ein geringerer GdB in Betracht.
Dem Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 (Blatt 61/64 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass bei der Klägerin eine brusterhaltende Therapie durchgeführt worden ist und somit ein Zustand nach Aufbauplastik mit gutem Ergebnis vorliegt, wie Dr. W. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2018 überzeugend dargelegt hat. Zwar können jedenfalls bei einem Verlust der Brust Funktionseinschränkungen des Armes zusätzlich zu berücksichtigen sein, jedoch weist schon der Entlassungsbericht der A. Klinik vom 04.04.2011 aus, dass die Beweglichkeit der Extremitäten nicht eingeschränkt war und auch der Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Ü. vom 21.12.2015 beschreibt den Bewegungsapparat als unauffällig. Eine Erhöhung des Einzel-GdB im Hinblick auf die Aufbauplastik rechtfertigt sich daher ebenso wenig wie die Berücksichtigung eines Einzel-GdB aufgrund einer Einschränkung der Armbeweglichkeit, sodass mit Dr. W. kein höherer Einzel-GdB als 10 berücksichtigt werden kann.
Hinsichtlich der Hauterkrankung konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigen.
Nach VG Teil B Nr. 17 sind bei der Beurteilung des GdB von Hautkrankheiten Art, Ausdehnung, Sitz, Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, Begleiterscheinungen (wie Jucken, Nässen, Brennen, unangenehme und abstoßende Gerüche) und die Rezidivbereitschaft bzw. die Chronizität sowie die Notwendigkeit wiederholter stationärer Behandlung zu berücksichtigen. Bei Hautkrankheiten mit stark schwankendem Leidensverlauf kommt ein Durchschnitts-GdB in Betracht. Narben können durch Ausdehnung, Beschaffenheit (z.B. Verhärtung, Verdünnung, Narbenzüge), Sitz oder Einwirkung auf ihre Umgebung zu Störungen führen. Bei flächenhaften Narben nach Verbrennungen, Verätzungen und ähnlichem muss außerdem die Beeinträchtigung der Haut als Schutz-, Ausscheidungs- und Sinnesorgan berücksichtigt werden. Diese Störungen bestimmen die Höhe des GdB. Bei Entstellungen ist zu berücksichtigen, dass sich Schwierigkeiten im Erwerbsleben, Unannehmlichkeiten im Verkehr mit fremden Menschen sowie seelische Konflikte ergeben können.
Gestützt auf das Sachverständigengutachten des PD Dr. G. vom 28.06.2017 konnte der Senat bei der Klägerin das Bestehen einer cutanen Mastozytose (Anhäufung von Mastzellen in Haut, Knochen, Knochenmark, Leber, Milz und Gastrointestinaltrakt, bei kutaner Mastozytose nur Hautbefall, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Seite 1314) feststellen, es besteht im Grunde im Bereich der gesamten Haut ein chronisches Exanthem, teilweise mit bräunlichen Verfärbungen, wobei der Sachverständige beschreibt, dass Phasen mit deutlicher Verschlechterung insbesondere durch Druck, Stress, starke körperliche Belastung und zum Teil durch Badewasser ausgelöst werden können. In Übereinstimmung mit Dr. K. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.02.2016, Blatt 58/59 SG-Akte) und Dr. H. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 18.09.2017 (Blatt 90 VA) sieht der Senat die Funktionsbeeinträchtigungen nach VG Teil B Nr. 17.2 zu beurteilen an, der bestimmt:
Chronisch rezidivierende Urtikaria/Quincke-Ödem selten, bis zu zweimal im Jahr auftretend, leicht vermeidbare Noxen oder Allergene 0 – 10
häufiger auftretende Schübe, schwer vermeidbare Noxen oder Allergene 20 – 30 schwerer chronischer, über Jahre sich hinziehender Verlauf 40 – 50
Einen schweren chronischen Verlauf konnte der Senat, ebenso wie das SG, nicht feststellen, vielmehr beschreibt der Sachverständige häufiger auftretende Schübe bei schwer vermeidbaren Noxen oder Allergenen, sodass sich das Ausschöpfen des Bewertungsrahmens mit 30 rechtfertigt, jedoch nicht die Annahme eines Einzel-GdB von 40.
Einen Einzel-GdB auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet konnte der Senat nicht feststellen.
Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.
Die Sachverständige Dr. M. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin zurückliegend zeitweilige ängstlich-depressive Verstimmungszustände sowie zeitweilige Stimmungsschwankungen denkbar sind, jedoch bereits im Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. ein unauffälliger psychopathologischer Befund beschrieben wird. Dr. M. führt aus, dass ihr gegenüber keine Behandlung beim Psychiater angegeben wurde und zur Medikation wurden die Präparate Enalapril und L-Thyroxin benannt. Aus dem Befundbericht des Dr. A. vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte) ergibt sich, dass die Klägerin wach, bewusstseinsklar war und ausreichend orientiert zu Zeit, Ort, Situation und zur Person. Die Auffassung war unauffällig, es zeigte sich kein Hinweis für Wahrnehmungsstörungen und psychotische Ich-Störungen. Das inhaltliche und formale Denken war unauffällig, die Stimmung subdepressiv bei ausreichender affektiver Schwingungsfähigkeit, die Klägerin ruhig bei ausgeglichenem Antrieb, die mnestischen Funktionen ungestört, der Schlaf unauffällig. Unter Berücksichtigung dieses Befundes hat Dr. M. nachvollziehbar dargelegt, dass nur eine leichte Beeinträchtigung angenommen werden kann, sodass sie den GdB, ebenfalls überzeugend, auf unter 20 einschätzt. Dass sie aufgrund ihrer eigenen Untersuchung sogar zu der Annahme einer vollständigen Remission gelangt und auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Beeinträchtigungen mehr feststellen kann, ist im Hinblick auf den Streitgegenstand nicht entscheidungsrelevant. Die Ausführungen des Dr. A. im Befundbericht vom 16.04.2015 (Blatt 20 SG-Akte), dass dringend eine Reha-Maßnahme durchzuführen sei, da sonst Erwerbsminderung drohe, erschließen sich aufgrund der auf seinem Fachgebiet erhobenen Befunde ebenso wenig, wie die Angabe im Befundbericht vom 18.09.2018 (Blatt 41 Senatsakte), dass eine rezidivierende depressive Störung seit 2012 bestehen soll, welche unter intensiver Therapie nicht ausreichend stabil sei. Diese Angaben lassen sich weder mit den dokumentierten Befunden noch mit den Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen Dr. M. vereinbaren.
Ein höherer Einzel-GdB als 10 für die wiederholt beschriebene Gonarthrose konnte der Senat nicht feststellen. Aus den vorliegenden Befunden ergeben sich weder relevante Bewegungseinbußen noch eine ausgeprägtere Arthrose im Stadium III oder IV nach Kellgreen und auch keine Bandinstabilität.
Nachdem somit nur ein Einzel-GdB von 30 für die cutanen Mastozytose festgestellt werden konnte und die übrigen Einzel-GdB unter 20 liegen, kommt die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB nicht in Betracht. Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte zwar seit Beginn des Klageverfahrens unter Vorlage von mehreren sozialmedizinischen Stellungnahmen einen Gesamt-GdB von 40 angenommen hat und ein solcher auch noch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. zur Berufungsbegründung angenommen worden ist, jedoch hat der Beklagte einen eindeutigen Antrag dahingehend gestellt, das Urteil des SG insgesamt aufzuheben, sodass der Senat eine vollumfängliche Prüfung des Streitgegenstandes (Herabsetzung von GdB 50 auf 30, vgl. oben) vorzunehmen hatte.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn zu Gunsten der Klägerin von einem Einzel-GdB von 20 für psychische Behinderungen ausgegangen werden würde, durchaus Überschneidungen zwischen der Hauterkrankung und den psychischen Beeinträchtigungen gesehen werden könnten, sodass eine Erhöhung des Gesamt-GdB über 30 hinaus ebenfalls nicht gerechtfertigt erscheinen könnte.
Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved