L 8 R 1944/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 609/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 1944/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.04.2018 im Verfahren S 4 R 609/17 wird abgelehnt.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.04.2018 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

In der Hauptsache streiten die Beteiligten über die Berücksichtigung von Zeiten nach dem SGB VI.

Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2018 im Verfahren S 4 R 609/17 die Klage gegen den Bescheid vom 23.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2017, mit dem die Beklagte Regelungen bezüglich der Feststellung der Zeit vom 01.091979 bis zum 27.06.1984 (Studium der Klägerin am XXX) getroffen hatte, abgewiesen. Der Gerichtsbescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin – einem professionellen Rentenberater - am 28.04.2018 zugestellt.

Mit Fax vom Dienstag, 29.05.2018, hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren – ebenso wie im Verfahren L 8 R 1945/18 - durch diesen Bevollmächtigten, Herrn Rentenberater E. aus W., gegen den Gerichtsbescheid des SG Berufung eingelegt. Der Bevollmächtigte hat in beiden Verfahren ausgeführt: "Es war mir aus gesundheitlichen Gründen durch plötzlich einsetzende Magenprobleme nicht möglich an diesem Tag die Berufung einzulegen.

Da sich die Akten auf meinem Schreibtisch befanden, hatte meine Sekretärin das auch nicht im Blick.

Ich beantrage daher Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Offensichtlich hatte ich wohl etwas Falsches gegessen und war daher arbeitsunfähig an diesem Tag und musste nach Hause gehen.

Ich erkläre an Eides Statt hiermit, dass dem so war.

Wegen so etwas gehe ich allerdings nicht zum Arzt und kann ein Attest diesbezüglich orientiert logischerweise nicht vorlegen und es ist auch lebensfremd, wenn man weiß was man hat, dass man deswegen zum Arzt geht, wenn man weiß, dass das nur 24 Stunden andauert. ".

Im Verfahren L 8 R 1945/18 hat der Bevollmächtigte dann auch einen an das SG München gerichteten Schriftsatz vom 12.12.2017 (Klage und Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Klagefrist wegen kurzer, plötzlich auftretender Erkrankung, wegen deren Geschwindigkeit er keinen Vertreter herbeiholen habe könne) sowie die daraufhin erfolgte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss des SG München vom 16.04.2018 vorgelegt.

Der Senat hat den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 03.08.2018 aufgefordert, bis 15.09.2018 darzulegen, wann er am 28.05.2018 etwas Falsches gegessen habe und wann die ersten Symptome aufgetreten seien, welche Regelungen in der Kanzlei für den Fall seines Ausfallens bestehen und welche Weisungen wem in der Kanzlei im Hinblick auf Fristsachen am 28.05.2018 erteilt worden seien. Außerdem war er aufgefordert worden, glaubhaft zu machen, dass ein Kanzleiverschulden z.B. durch falsche Eintragung oder Überwachung der Berufungsfrist ausgeschlossen sei. Eine Reaktion erfolgte hierauf nicht.

Die Klägerin – sie hat keinen Sachantrag gestellt – beantragt sinngemäß, ihr wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.04.2018 im Verfahren S 4 R 609/17 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.04.2018 sowie den Bescheid vom 23.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.02.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogene Akte des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zwar statthaft aber unzulässig. Die Berufung war außerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren.

1. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; gleiches gilt auch für Gerichtsbescheide (§ 105 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Berufungsfrist ist auch gewahrt (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG), wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Nachdem der Gerichtsbescheid des SG vom 26.04.2018 im Verfahren S 4 R 609/17, der eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthielt, dem bevollmächtigten Rentenberater der Klägerin am 28.04.2018 zugestellt worden war, lief die einmonatige Berufungsfrist bis zum Montag, 28.05.2018. Die am Dienstag, 29.05.2018, beim LSG eingelegte Berufung ging außerhalb der Berufungsfrist beim Landessozialgericht (LSG) ein; eine Berufungseinlegung beim SG konnte der Senat nicht feststellen, ist auch weder von der Klägerin noch vom SG mitgeteilt worden. Damit ist die Berufungsfrist versäumt, die Berufung ist unzulässig.

2. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den Lauf der Berufungsfrist gegen den am 28.04.2018 zugestellten Gerichtsbescheid des SG vom 26.04.2018 ist abzulehnen.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG).

Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl. z.B. BSGE 1, 227, 232; BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr. 18; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr. 21; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 23; BSG SozR 4-1500 § 67 Nr. 7). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; vgl. BSG SozR 3-1500 § 67 Nr. 19 und SozR 3-1500 § 67 Nr. 21).

Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten ist dagegen nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BSG 28.06.2018 – B 1 KR 59/17 B – juris; s. auch BFH 11.02.2003 - VII B 118/02 - BFH/NV 2003, 801, 802; BSG 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - juris). Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts – gleiches gilt auch für Rentenberater - verlangt in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen (BSG 28.06.2018 – B 1 KR 59/17 B – juris). Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei (BSG 28.06.2018 – B 1 KR 59/17 B – juris unter Hinweis auf BGH 13.07.2010 - VI ZB 1/10 - NJW 2011, 151 und BSG 10.12.2014 - B 1 KR 11/14 B - juris).

Vorliegend konnte der Senat schon nicht annehmen, dass eine Krankheit des Bevollmächtigten der Klägerin, mithin ein unverschuldetes Ereignis, das ihn bzw. die Klägerin gehindert hatte die bis 28.05.2018 laufende gesetzliche Berufungsfrist einzuhalten, vorliegt. Denn der Bevollmächtigte hat bloß behauptet, wegen einer plötzlichen Erkrankung in Folge des Umstandes, dass er wohl etwas Falsches gegessen habe, die Berufung nicht fristgerecht einzulegen im Stande gewesen zu sein. Ein ärztliches Attest oder andere Beweismittel, wie sie zur Glaubhaftmachung der Erkrankung bzw. der Arbeitsunfähigkeit zu erwarten gewesen wären, konnte der Bevollmächtigte nicht vorlegen, nachdem er schon gar nicht zum Arzt gegangen ist. Das wäre aber erforderlich gewesen, selbst wenn der Bevollmächtigte der Klägerin angeblich wusste, weshalb und wie lange er arbeitsunfähig erkrankt sein würde. Denn in Fristsachen hat er das Nichtverschuldetsein der Fristversäumnis darzulegen und glaubhaft zu machen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat auch – trotz Nachfrage seitens des Senates - keine näheren Angaben zu den Umständen seiner plötzlichen Erkrankung gemacht. Damit konnte der Senat nicht annehmen, dass eine plötzliche Erkrankung des Bevollmächtigten der Klägerin am 28.05.2018 glaubhaft gemacht ist. Ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Bevollmächtigte der Klägerin ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche, bis 28.05.2018 laufende Berufungsfrist einzuhalten, so kann der Klägerin auch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

Selbst wenn der Senat zugunsten der Klägerin unterstellt, dass ihr Bevollmächtigter im Laufe des 28.05.2018 krankheitsbedingt und arbeitsunfähig seine Kanzlei hat verlassen müssen, weshalb er nicht mehr in der Lage sein sollte, die Berufung der Klägerin fristgerecht beim LSG einzulegen, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Denn insoweit liegt ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten der Klägerin vor, das sich diese zurechnen lassen muss.

Der Senat konnte feststellen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin öfters und plötzlich im Laufe eines Arbeitstages krank wird und arbeitsunfähig die Kanzlei verlassen muss. Das wurde nicht nur im vorliegenden Verfahren und dem Parallelverfahren L 8 R 1945/18 deutlich gemacht, sondern hat der Bevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf das Wiedereinsetzungsgesuch, dem das SG München im April 2018 nachgekommen war, selbst dargelegt. Kommt es aber immer wieder zu plötzlichen und unvorhersehbaren Erkrankungen des Bevollmächtigten der Klägerin, sodass dieser wiederholt gesetzliche Fristen nicht einzuhalten im Stande ist, hat er organisatorische Vorkehrungen für solche plötzlichen Krankheitsfälle und Abwesenheitszeiten zu treffen.

Nach der Rechtsprechung der deutschen Gerichte ist ein Einzelanwalt – gleiches gilt für einen Rentenberater - verpflichtet, ihm zumutbare Maßnahmen, z.B. eine Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen, zu ergreifen, die sicherstellen, dass auch bei einem unerwarteten Ausfall etwa infolge plötzlicher Erkrankung oder Unfalls jedenfalls unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (OVG Lüneburg 23.04.2010 – 8 PA 63/10 – juris). Eine plötzliche Erkrankung kann zwar als unverschuldeter Hinderungsgrund anzusehen sein, dann muss aber nachgewiesen werden, organisatorische Vorkehrungen für einen derartigen Fall getroffen zu haben (BVerwG 28.08.2008 – 6 B 22/08 – juris). Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist insoweit nämlich, dass die plötzliche Erkrankung als unverschuldeter Hinderungsgrund kausal geworden ist für die eingetretene Fristversäumung (BGH 02.02.1994 – XII ZB 175/93 – juris). Die Partei bzw. die Beteiligten, die die Wiedereinsetzung begehren, müssen deshalb darlegen und glaubhaft machen, dass ohne diese plötzliche Erkrankung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Frist nicht versäumt worden wäre. Dazu muss ein Einzelanwalt ihm zumutbare Maßnahmen treffen, die sicherstellen, dass in einem solchen Notfall unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (BGH 02.02.1994 – XII ZB 175/93 – juris).

Vorliegend hat der Bevollmächtigte der Klägerin weder von sich aus noch auf Nachfrage durch den Senat behauptet oder gar dargelegt, dass und welche Maßnahmen er für den Fall seiner plötzlichen Erkrankung bzw. seines arbeitsunfähigkeitsbedingten Ausfallens getroffen hat. Angesichts der Tatsache, dass der Bevollmächtigte der Klägerin wiederholt bzw. öfters wegen plötzlicher und unvorhergesehener Erkrankungen bzw. Arbeitsunfähigkeiten, und seien sie auch nur kurzzeitig, seine Kanzlei verlassen muss, sind solche organisatorischen Maßnahmen, die die Einhaltung von Fristen auch bei seiner plötzlichen und unvorhergesehenen Abwesenheit gewährleisten, zwingend erforderlich. Denn nur so kann der Bevollmächtigte der Klägerin verhindern, dass seinen Mandanten rechtlich erhebliche Nachteile drohen.

Eine Büroorganisation, die diesen Voraussetzungen genügt, ist dem Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin und den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen. Solche organisatorischen Maßnahmen hat der Bevollmächtigte auch nicht dargelegt, vielmehr hat er auf die Befragung durch den Senat geschwiegen. Auch der Senat konnte solche Maßnahmen mangels Aussagen des Bevollmächtigten der Klägerin nicht feststellen, sodass nicht die – vom Senat unterstellte – Erkrankung des Bevollmächtigten sondern dessen Organisationsversagen bzw. Organisationsverschulden Ursache der Versäumung der bis 28.05.2018 laufenden Berufungsfrist ist.

Dieses Verschulden ist der Klägerin zuzurechnen. Die Versäumung der Berufungsfrist ist daher nicht unverschuldet, sodass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – hier den Lauf der Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 26.04.2018 im Verfahren S 4 R 609/17 - nicht zu gewähren war.

Darauf, ob mit den Angaben des Bevollmächtigten der Klägerin, die Akten hätten auf seinem Schreibtisch gelegen, weshalb seine Sekretärin "das [gemeint ist der Ablauf der Berufungsfrist an diesem Tag] auch nicht im Blick" gehabt habe, ein weiteres Organisationsverschulden besteht, kommt es vorliegend auch nicht mehr an.

3. Nachdem die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden war und auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren war, war die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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